Visual Merchandising – was Online vom Handel lernen kann

Den Einkauf online zu erledigen ist für die meisten Konsumenten heute selbstverständlich. Die Kaufentscheidung fällt der Kunde dabei oft nach Preis und Service. Eine emotionale Bindung, wie zum Buchhändler um die Ecke, baut er dabei selten auf. Ein Kundengespräch über die neusten Romane kommt im Onlineshop nicht zustande. Um sich jedoch vom Wettbewerb im E-Commerce abzusetzen, braucht es mehr als nur Alleinstellungsmerkmale, welche fast ausschließlich durch den Preis gesetzt werden. Denn der Onlinehandel kommt an das physische Einkaufserlebnis des stationären Handels nicht heran. Kunden können die Haptik der Ware nicht erleben und emotionale Reize wie Beleuchtung oder Gerüche werden ihnen ebenfalls nicht vermittelt. Kurzum fehlen dem digitalen Handel die visuellen Stärken des stationären Handels. Onlineshops müssen zukünftig Optik, Haptik und Einkaufserlebnis visualisieren, um sich vom Wettbewerb abzuheben und dem Kunden eine intuitive Einkaufswelt bieten zu können.
Der stationäre Handel verliert immer mehr Umsatzanteile an den Onlinehandel, dies beklagen viele Firmen seit dem Aufstieg von Amazon, Zalando & Co. Inzwischen hat der Einzelhandel aber begriffen, dass an einem digitalen Absatzweg kein Weg vorbeiführt. Daher setzen immer mehr Händler auf Multi-Channel-Konzepte oder einen digitalen Vertriebskanal. Trotz Verschmelzung vieler Prozesse in Hinblick auf Logistik und Service, gehen die Kanäle im Vertrieb zwei getrennte Wege. Denn wo der stationäre Handel seine Stärken hat, hat der Onlinehandel seine Schwächen und umgekehrt. Die Vorteile des Einzelhandels liegen in der physischen, visuellen Präsentation von Produkten sowie der sofortigen Verfügbarkeit. Kunden neigen hier vor allem zu intuitiven Einkäufen. Dagegen bietet der Onlinehandel standardisierte Prozesse und Algorithmen, mit denen er Kunden gezielt anspricht. Kaufentscheidungen – beeinflusst durch datengetriebenes Marketing – werden oft rational aufgrund der hervorgehobenen Alleinstellungsmerkmale wie Preis, Service oder Mehrwert getroffen. Onlineshops erzeugen also Conversions durch Big Data und Geiz – Anreize zum Impulskauf bieten sie dagegen kaum. Für Kunden werden Onlineshops dadurch zu einer einheitlichen und tristen Einkaufswelt. Das Produkt hingegen, welches der Kunde kaufen soll, erhält kaum Präsentationsfläche in Form von emotionalen Kaufanreizen. So wird z. B. eine visuelle Aufbereitung des Produktes, welche die Haptik oder die Oberflächenbeschaffenheit dem Kunden näher bringt und ihn an dieser Stelle zu einer Bestellung bewegen soll, nicht geschaffen.
Dabei bietet eine Artikeldetailseite viel mehr Platz für die Präsentation eines Artikels als es den Anschein hat. Ersichtlich wird dies, wenn die Alleinstellungsmerkmale (wie z. B. Header, Footer, Cross-Selling-Module etc.), welche sich nicht auf das Produkt selbst beziehen, entfernt werden. Es stellt sich heraus, dass der eigentlichen Präsentationsfläche des Produktes, im Gegensatz zum Rest der Informationen auf der Artikeldetailseite, nur minimal Raum zur Verfügung steht. Der Kunde aber kauft keinen Preis, keinen Service oder einen Vorteil, sondern ein Produkt. Ein emotionales Kauferlebnis wird durch die mangelhafte Warenpräsentation nicht erzeugt. In Zukunft wird der digitale Handel mehr vom stationären lernen müssen und umgekehrt. Der klassische Handel wird mehr von Data Mining in Bezug auf Kaufentscheidungen und persönlicher Kundenansprache profitieren und der Onlinehandel von den visuellen Stärken. Um auch dem digitalen Präsentationsraum Platz für Emotionen und dem intuitiven Einkauf einzuräumen, muss sich die Frage gestellt werden, was der Onlinehandel vom stationären Handel lernen kann. Dies kann er vor allem durch das Visual Merchandising, die Kaufatmosphäre und die Kundenkommunikation des Einzelhandels.
1. Visual Merchandising
Geschäfte können Produkte präsentieren indem Sie durch visuelle Gestaltung Atmosphäre schaffen, Ästhetik erzeugen, Kunden durch die Präsentation der Ware inspirieren und Emotionen wecken. Der Käufer kann Produkteigenschaften haptisch erleben. Eigenschaften, welche in einem Onlineshop meist ausschließlich textuell vermittelt werden. Die drei Pfeiler der Warenpräsentation – die Fläche, das Produkt und den Warenträger – gilt es nun in die digitale Welt zu übertragen. Die visuelle Sprache kann z. B. durch Bilder, Animationen, verschiedene Perspektiven eines Produktes (insbesondere Nah- und Seitenaufnahmen) und Bewegung in Form von Videos (z. B. Models die in einem Video das Produkt tragen) erzeugt werden, dadurch wird dem Kunden mehr Raum und Form suggeriert. Aber auch Elemente, welche sich auf der Webseite bewegen oder die Vernetzung mit anderen Medien (wie z. B. Blogs oder Social Media) erzeugen visuelle Effekte. Mithilfe dieser Elemente gilt es, eine visuelle Ansprache aufzubauen, um Kunden emotional zu fesseln.
Dabei bieten die klassischen Kaufentscheidungsträger wie Call-To-Action, Größen- und Farbwahl etc. nach wie vor den Einstieg auf der Artikeldetailseite. Im nächsten Schritt können z. B. Produkteigenschaften visualisiert werden – ohne diese dabei auf engen Raum zwischen den Alleinstellungsmerkmalen zu platzieren. Vergrößerte Produktaufnahmen und perspektivische Darstellungen können Details und die Größe des Produktes vermitteln. Produktinformationen wie z. B. die Maße eines Produktes, die aktuell nur als Text dargestellt werden, können durch eine Darstellung im Bild visualisiert werden. Dabei können viele Haptiken von Produkten relativ einfach vermittelt werden. Zum Beispiel können durch die Darstellung von Materialien in Makroansicht die Eigenschaften des Materials hervorgehoben werden. Ein schönes Beispiel für visuelle Produktdarstellungen im Onlinehandel ist http://www.hardgraft.com, hier werden Produkte großflächig in einem Kontext dargestellt und der Preis wird dabei in den Hintergrund gestellt, ist aber ständig für den Kunden sichtbar.
Emotionen werden auch geschaffen, indem die Artikeldetailseiten mit weiteren Informationen und Produkten angereichert werden. Hier kommt die Darstellung in Form von Outfits oder Anwendungsfällen zum Einsatz. Klassische Cross-Selling Elemente werden nicht in einem Produktkarussell dargestellt, sondern mit in die visuelle Darstellung des Produktes eingebunden in dem z. B. Produkte oder Kleidungsstücke in Kombination mit passenden Produkten in einem so genannten „Verwendungszweck“ dargestellt werden.
Der Verwendungszweck kann dabei die Hülle für ein Smartphone sein oder die Handtasche zum Abendkleid. Jedoch werden die Produkte direkt in die Artikeldetailseite als fester Bestandteil eingebaut. Durch Vernetzung mit anderen Kanälen können dem Kunden weitere Details wie z. B. Inspirationsquellen des Designers, redaktionelle Inhalte, Informationen aus Social Media oder Produktrezessionen näher gebracht werden. Hier kann https://nest.com als Beispiel angeführt werden. Der Hersteller präsentiert seine Produkte in einem realen Anwendungsszenario und holt so den Nutzer direkt bei seiner Problemstellung ab.
Die Umsetzung wird unter anderem durch Trends und neuen Technologien im Web ermöglicht. Hier können Parallax WebDesign, Large Hero Areas oder Flat Design aufgezählt werden. Zudem können durch eine „Dropping Sidebar“ die wesentlichen Kaufentscheidungsträger wie z. B. Größen- und Farbauswahl sowie der Warenkorb-Button dem Kunden dauerhaft angezeigt werden, ohne den Fokus auf die Präsentation der Produkte zu verlieren.
2. Kaufatmosphäre
Unterstützt werden die Möglichkeiten der digitalen Warenpräsentation durch das Vermitteln einer Kaufatmosphäre. Denn es gilt nicht nur, die visuellen Möglichkeiten des stationären Handels zu transformieren, sondern auch die der Shop-Atmosphäre. Wo im klassischen Handel durch Architektur, Innendesign und Beleuchtung dem Produkt ein Kontext oder eine „Welt“ vermittelt wird, gestaltet sich die Vermittlung einer Kaufatmosphäre im digitalen Handel schwieriger. Durch eine klare, übersichtliche und rationale Darstellung sowie eine verkaufsoptimierte Kommunikation wird dem Kunden eher das Bild eines Discounters vermittelt. Hier gilt es, neben den bereits erwähnten visuellen Möglichkeiten, dem Onlineshop und den Produkten einen Kontext zu vermitteln und durch Webdesign eine „Innenarchitektur“ zu schaffen, die nicht nur einer Listung von Produkten entspricht. Diese Innenarchitektur wird z. B. durch graphische Elemente, welche eine räumliche Darstellung erzeugen, geschaffen.
Aber auch der Laden kann durch gesetzte Akzente wie Schatten und Lichtquellen nachgestellt werden. Durch die Abbildung der realen Welt wird dem Kunden die Wirkkraft eines Produktes näher gebracht. Ein Bild oder ein Fernseher kann zum Beispiel in verschiedenen Räumen eines Hauses abgebildet werden und dem Kunden so mehr Vorstellung von Größe und Wirkung vermitteln. Abgerundet wird die Kaufatmosphäre durch die Darstellung des Produktes in seinem Gesamtkontext. Das gewohnte „Scrollen“ wird durch weitere Informationen wie z. B. Hintergründe, Geschichten und Bildern verstärkt und gibt dem Kunden das Gefühl einer Einkaufswelt.
3. Kundenkommunikation
Wie in der Einleitung erwähnt wird im E-Commerce die verkaufsfördernde Kommunikation fast ausschließlich auf den Preis ausgerichtet. Dabei geht der Fokus auf das Produkt schnell verloren. Die Stärke des Handels, dem Kunden einen Mehrwert durch ein Einkaufserlebnis zu bieten und somit eine emotionale Bindung zu ihm aufzubauen, wird nahezu komplett vernachlässigt. Onlineshops, welche keine Nische bedienen, werden durch den Konsumenten schnell durch einen anderen ersetzt. Dabei entscheidet der Kunde wiederum anhand der Alleinstellungsmerkmale. Denn die Orientierung nach der Marke, dem Produkt und dem Kunden steht dabei in keinem Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, welche Onlineshops den Alleinstellungsmerkmalen einräumen. Hier kann vor allem von Starbucks gelernt werden.
Starbucks überzeugt vor allem. durch sein emotionales Erlebnis, welches Kunden beim Besuch in den Kaffeehäusern vermittelt wird. Einladende, gemütliche Ladenarchitektur, kostenloses Internet, personalisierte Ansprache und auch die Einbindung des Kunden in den Service – indem sein Name auf dem Kaffeebecher geschrieben wird – erzeugen Emotionen beim Konsumenten. Dem Kunden soll das Gefühl vermittelt werden, dass er und das Produkt welches er konsumiert im Mittelpunkt stehen, aber nicht der Preis des Kaffees. Es müssen genau diese Möglichkeiten der Kundenkommunikation in ein digitales Konzept gegossen werden, um alle diese visuellen und emotionalen Einflüsse auf die Kaufentscheidung im E-Commerce verfügbar zu machen.
Fazit
Wir müssen uns also fragen, wo die "Concept Stores“ im Stile von Apple und Nespresso im E-Commerce sind, die mit neuen Verkaufsansätzen experimentieren sowie den Kunden emotional binden und inspirieren; ob es richtig ist, online auf allen Kommunikationsflächen allein den Preis hervorzuheben und ob Produktfotografien und -beschreibungen im E-Commerce wirklich optimal eingesetzt werden. Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen zeigt sich, dass Visual Merchandising im E-Commerce ein Fremdwort ist.

Autor
Ruppert Bodmeier
Ruppert Bodmeier ist Innovationsgetriebener Professional für E-Commerce, der 12 Jahre Expertise in Fashion, Lifestyle & Consumer Goods besitzt und bei der dgroup das Business Development verantwortet. Er kennt das E-Commerce-Geschäft sowohl aus Agentur- sowie Kundenperspektive und ist Digital Native seit der Erfindung des 54k Modems.
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