Herausforderung B2B-Commerce: Was Geschäftskunden erwarten

Im B2B-Commerce spielen betriebswirtschaftliche Aspekte eine große Rolle, wie zum Beispiel die Beschleunigung des Beschaffungsprozesses, aber auch aktuelle Entwicklungen, wie die Integration von Online- und Offline-Touchpoints. Vom E-Commerce für Konsumenten kann und muss der B2B-Commerce jedoch hinsichtlich Usability und Kundenorientierung noch viel lernen.
Noch immer hält sich das Vorurteil, E-Commerce sei primär ein B2C-Thema und für B2B nur bedingt geeignet. Natürlich ist nicht zu bestreiten, dass es Geschäfte zwischen Unternehmen gibt, die sich nicht unbedingt über eine Online-Plattform abwickeln lassen: Komplizierte Werkzeugmaschinen, chemotechnische Anlagen oder ERP-Systeme wird niemand einfach per Mausklick bestellen. Solche nur in geringem Maße standardisierbare Deals werden auch in der Web-Ära in langwierigen Prozessen von Spezialisten ausgehandelt, obwohl E-Commerce hier auch unterstützen kann.
Das Tagesgeschäft ist in der Regel jedoch ein paar Nummern kleiner: Von Papierhandtüchern über Verbrauchsmaterialien für die Produktion bis zu Ersatzteilen für Maschinen und Anlagen umfasst es eine Vielzahl von häufig wiederkehrenden Aufträgen, die für sich genommen zwar einen relativ geringen Auftragswert haben, aber unverhältnismäßig viel von den Prozesskosten der Beschaffung ausmachen. Hier bietet sich B2B-Commerce als Lösung an.
Was B2B von B2C lernen kann
- Abkehr vom Abteilungsdenken, Fokussierung auf den Kunden
- Analysieren von Kundendaten
- Umfassender Selfservice
- Integration von Online- und Offline
- Touchpoints
- Einbindung von Mobile Commerce
- Transparenz durch Anbindung der Logistik und Kontoverwaltung (myAccount)
- Integration von sozialen Mechanismen und Recommendations
- Bereitstellung von relevantem Content im richtigen Kontext
Im B2C-Bereich hat die Entwicklung vom E-Commerce hin zum Cross-Channel-Commerce in den letzten Jahren eine neue Stufe erreicht – auch wenn Amazon gerade in Bezug auf Umsatz und Marktanteil die deutsche Konkurrenz auf ihre Plätze verweist. Gute Onlineshops sind heute weitgehend ausgereift und in der Regel gut in die Prozesse integriert; Präsentation, Bestell- und Bezahlvorgang, Logistik sowie Rücknahmen und Teilgutschriften sind mittlerweile Standard. Differenzieren können sich B2C-Händler daher nur noch mit einer konsequenten Ausrichtung auf den Kunden, der Integration von Content und Commerce sowie durch die Schaffung von nahtlosen Einkaufs- und Markenerlebnissen. Soweit ist B2B-Commerce noch lange nicht. Dabei hat die rasante Entwicklung der B2C-Shops auch hier die Maßstäbe und Erwartungen der Geschäftskunden verschoben: B2B-Einkäufer sind meist selbst privat B2C-Kunden und ihre Anforderungen sind geprägt von dem, was im E-Commerce heute „State-of-the-Art“ ist. Infolgedessen kann B2B von B2C eine ganze Menge lernen, so zum Beispiel:
- Das systematische Erfassen und Analysieren von Kundendaten und Kundenaktivitäten – kanalübergreifend, denn Kunden kaufen beispielsweise mobil ein und tauschen die Waren eventuell in einer Filiale um. Zur Analyse gehört daher auch welche Produkte der Nutzer anschaut, welche Kaufaktivitäten er an welchem Punkt wieder abbricht.
- Umfassender Self-Service; gerade Aufträge von geringerem Umfang können per Self-Service-Strategie effizienter bedient werden; die Nutzer müssen davon überzeugt sein, dass diese Serviceform ihnen mehr Flexibilität und schnellere Prozesse bietet.
- Integration von Online- und Offline-Touchpoints; B2C-Shops bieten oft schon ein nahtloses Einkaufen über unterschiedliche Kanäle hinweg an, so dass die Möglichkeit zum Channel-Hopping sowie ein konsistentes Gesamtangebot künftig analog im B2B-Bereich erwartet werden.
- Einbindung von Mobile Commerce: Für B2B-Einkäufer wird die Nutzung mobiler Endgeräte nicht nur zur Information in der Presales-Phase, sondern gerade auch im Kaufprozess weiter an Bedeutung zunehmen.
- Transparenz durch Anbindung der Logistik und Kontoverwaltung: Die Onlineverfolgung des Bestellstatus sowie die Auskunft über das Kundenkonto mit Bestellübersicht sind im B2C bereits Standard, im B2B-Bereich noch die große Ausnahme.
- Berücksichtigung von sozialen Mechanismen und Recommendations: Imagebildung, Produkt- und Service-Videos, Support in Form eines direkten Chat mit Kunden und Interessenten; Empfehlungen und Produktbewertungen werden auch zunehmend im B2B-Commerce eine wichtige Rolle spielen.
- Bereitstellung von relevantem Content: Zu einem zentralen Erfolgsfaktor im B2C-Umfeld sind sowohl über reine Produktbeschreibungen hinausreichender, relevanter Content sowie die nahtlose Integration von Content und Commerce geworden; so sollten B2B-Produkte ebenfalls mit zielgruppenbezogenen Inhalten angereichert und in einen passenden Kontext eingebettet werden.
Der entscheidende Wettbewerbsvorteil im B2C-Bereich ist jedoch eine stark ausgeprägte Kundenorientierung moderner Cross-Channel-Commerce-Lösungen. Anders als diese lassen sich B2B-Lösungen noch viel zu sehr von der eigenen Organisations- und Prozessstruktur leiten. Deutlich wird das beispielsweise, wenn in einem Web-Angebot auf einmal die herkömmlichen Einteilungen von Vertriebsgebieten oder personelle Zuständigkeiten – "wenden Sie sich bitte an den zuständigen Regionalvertriebsleiter" – eine Rolle spielen. Mit neuen Produktvideos ist dieses Problem nicht zu lösen, hier muss der strategische Ansatz so geändert werden, dass der Fokus auf den Kunden gesetzt wird.
„B2C- und B2B-Commerce lassen sich nicht eins zu eins vergleichen. So spielen beispielsweise bei Geschäften zwischen Unternehmen betriebswirtschaftliche Aspekte oder individuelle Beschaffungsprozesse eine große Rolle. Aber bei allen Unterschieden: Wenn es um Usability und Kundenorientierung geht, sollte sich der B2B-Bereich den E-Commerce für Konsumenten zum Vorbild nehmen – und für seine Kunden ebenfalls nahtlose Einkaufs- und Markenerlebnisse schaffen, die sie aus ihrem Privatleben kennen und schätzen.“ Olaf Kleidon, Geschäftsführer von ARITHNEA
Unterschiede im B2B-Commerce
Trotz einer gewissen Vorbildfunktion des B2C-E-Commerce für die E-Commerce-Aktivitäten von B2B-Unternehmen darf man natürlich nicht die Unterschiede unterschätzen. Auch wenn gewisse Grundfunktionen wie Warenkorb, Produktdaten oder Kundenlogin sehr ähnlich sein können, so sind die strukturellen Unterschiede groß, so dass eine einfache Adaption der Systeme und Strategien nicht möglich ist. Wesentliche Besonderheiten im B2B-Commerce sind:
- Freigabeprozesse: B2C-Kunden benötigen keine Freigabe, mit dem Anklicken des Kauf-Buttons im Check-Out-Prozess ist ihr Kauf verbindlich; so einfach kann es sich der B2B-Einkäufer oft nicht machen, hier müssen die internen Prozesse der Freigaben mit Rollen und Rechten unterstützt werden.
- Kundenspezifische Anpassung der Systeme und Prozesse: Je nach Lieferantenbeziehung müssen sich B2B-Anbieter den prozessualen, systemseitigen Anforderungen anpassen und beispielsweise spezielle Schnittstellen zu ERP-Systemen ihrer Kunden in der Lieferkette unterstützen.
- Komplexe Produkte und Preise: die Konfigurationsmöglichkeiten sind im B2B-Bereich meist erheblich vielfältiger; durch unterschiedliche Rabatte, Boni und Sonderkonditionen sind die Preisstrukturen komplexer. Oft spielen Umsatzvereinbarungen eine Rolle; verschiedentlich müssen auch Provisionen berücksichtigt werden. Viele B2B-Kunden haben individuelle Rahmenverträge, die berücksichtigt werden müssen.
Weiter ist zu beachten, dass B2B-Commerce oft international ausgerichtet ist. Bei der Lokalisierung müssen E-Commerce-Lösungen nicht nur die entsprechende Landes- und Sprachanpassungen berücksichtigen, sondern auch die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen der Zielregionen wie beispielsweise Zollvorschriften, Währungen oder Zahlungsbedingungen.
B2B-Commerce funktioniert also in einigen relevanten Bereichen anders als B2C-Commerce. Vorbild sind daher vor allem die Customer Touchpoints, das Handling und das Look-and-Feel des Shops, beispielsweise dass 360-Grad-Bilder oder Videos von Produkten oder weiterführender Content verfügbar sein sollten. Im Kern ist aber die Zielsetzung eine andere: Nicht das individuelle Einkaufserlebnis entscheidet hier in erster Linie über den Kauf, sondern betriebswirtschaftliche Aspekte, also primär die Geschäftsbeziehung sowie die Senkung der Beschaffungszeiten und -kosten. Die Reduzierung von aufwendigen Schnittstellen, die einfache Integration in die ERP-Systeme und generell die Optimierung von Prozessen, also die Abkehr von papiermäßiger Angebotsbearbeitung, stehen dabei im Vordergrund.
Mit modernen Commerce-Plattformen können Unternehmen heute durchaus auch komplexere Produkte über verschiedene Kanäle verkaufen. Solche Plattformen stellen die Grundfunktionalitäten wie Warenkorb oder Produktdatenverwaltung zur Verfügung, also Funktionalitäten, über die sich ein Unternehmen ohnehin nur wenig vom Mitbewerb abheben kann. Vor allem aber können sie ihre Prozess- und Verwaltungskosten reduzieren und die Kundenzufriedenheit und -bindung durch einfaches Bestellen und werthaltige Self-Services erhöhen. Einkäufer können hier auch große, komplexe Bestellungen selbst vornehmen und damit flexibler und schneller agieren. Integrierte Help-Desk-Oberflächen und Support Services erleichtern dabei die Arbeit, je nach Komplexität des Portfolios sind sie unerlässlich.
Dem Verkäufer stehen alle Tools des Marketings zur Verfügung, er kann also weiterhin Sonderaktionen, Rabatte oder Nachlässe einsetzen, was sich leicht zu umfassenden Loyalty-Systemen ausbauen lässt. Eine B2B-Commerce-Plattform bietet darüber hinaus in großem Umfang Daten – bei Bedarf bis auf die Ebene einzelner Mausklicks – zur Analyse des Einkaufverhaltens der Kunden. Der Anbieter lernt so seine Kunden wesentlich besser kennen und kann damit auch gezielt auf deren Bedürfnisse eingehen.
Noch etwas kann B2B-Commerce von den Consumer-Shops lernen: man muss keine Angst haben, dass unterschiedliche Vertriebskanäle sich kannibalisieren. Im B2C-Geschäft hat sich gezeigt, dass einerseits Kunden, die mehrere Kanäle parallel nutzen, aktiver sind und mehr kaufen. Andererseits erzielen Unternehmen, die mehrere, integrierte Kanäle anbieten, auch mehr Umsatz. Diese Entwicklung hin zum Cross-Channel-Commerce ist im B2B-Bereich ebenfalls zu erwarten.
Besonderheiten des B2B-Commerce
- Freigabeprozesse für B2B-Einkäufer
- Kundenspezifische Systeme und Prozesse in der Supply Chain
- Komplexe Produkte und Preise
- Berücksichtigung der internationalen Ausrichtung und der erforderlichen Lokalisierung

Autor
Olaf Kleidon
Olaf Kleidon ist Geschäfts- führer und Gründungsmit- glied der ARITHNEA GmbH mit Standorten in Neubiberg bei München, Bremen, Frankfurt und Stuttgart. Das Unternehmen realisiert als strategischer E-Business-Partner richtungsweisend Lösungen im B2B- und B2C-Umfeld und betreut Kunden wie Airbus, Bruno Bader, BayWa, BSH, HABA, Jako-o oder Telefónica Germany (o2).