E-Commerce in China – Chancen und Herausforderungen

Der E-Commerce Markt in China ist ein Mikrokosmos der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung im Reich der Mitte, die sich im Zeitraffer vollzieht. Online-Händler stellt der chinesische Online-Markt vor (fast) unbegrenzte Möglichkeiten – wenn die zahlreichen Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden.
Schaut man sich die Zahlen zur Bevölkerung, den Online-Usern sowie den Online-Shoppern in China an, sind diese überwältigend. Von rund 1,2 Milliarden Menschen sind rund die Hälfte mit dem Internet verbunden, wovon wiederum mehr als ein Drittel (250 Millionen) im Jahr 2013 mindestens einmal im Internet eingekauft haben wird. In Umsatzzahlen ausgedrückt werden alle E-Commerce Transaktionen (C2C, B2C und B2B) in China im Jahr 2013 ein Handelsvolumen von mehr als 1Billion Euro ausmachen – eine schier unermessliche Summe. Bis zum Jahr 2016 werden zudem jährliche Wachstumsraten von mehr als 20% erwartet.
Für Online-Händler sind diese Zahlen verlockend – oft begleitet von der Überlegung: „Wenn ich nur 0,001% des Marktes erreiche, sind das schon soundso viele Umsätze...“. Diese Gedankenspiele sind im Grunde genommen nicht falsch, jedoch ist es wichtig, vor einem potentiellen Markteintritt die Potentiale und Risiken korrekt einzuschätzen und diese in die Umsetzung des Online-Shops einfließen zu lassen.
Die Macht der Marktplätze...
Während in Deutschland eBay das Synonym für den Privat-zu-Privat Verkauf im Onlinehandel ist, wird in China der C2C E-Commerce Bereich, welcher für rund 65% des gesamten Online-Einzelhandels verantwortlich ist, fast ausschließlich von Taobao beherrscht. Auf Taobao werden pro Minute mehr als 50.000 Verkäufe getätigt, in Marktanteilen ausgedrückt sind dies fast 95% des Privatverkäufer-Marktes. Diese Zahlen sind zwar imposant, aber der Anteil an Privatverkäufen sinkt zunehmend zugunsten des „klassischen“ B2C Geschäfts.
Letzteres wird zum größten Teil von Tmall, dem kommerziellen Bruder von Taobao, sowie 360buy beherrscht – beide zusammen kommen nach verschiedenen Schätzungen auf einen Marktanteil von 60-70% des B2C Marktes. Daneben gibt es unzählige weitere Händler wie 51buy, Dangdang, Suning, Newegg, z.cn (Amazon) und andere, welche meist mit einem spezialisierten Sortiment gestartet sind (z. B. verkaufte Dangdang zunächst nur Druckerzeugnisse), sich aber ähnlich wie Amazon mehr und mehr zu Vollsortimentern entwickeln. Ein Teil der Marktplätze wird zudem von ausländischen Einzelhändlern unterstützt und finanziert (so zum Beispiel die food-delivery Seite Yihaodian, an welcher Walmart zu 51% beteiligt ist).
Durch den starken Wettbewerb im chinesischen E-Commerce Markt und eine relativ geringe Loyalitätsbindung von Kunden sind die entsprechenden Gewinnmargen sehr gering, was teilweise durch hohe Absatzzahlen wettgemacht wird. Dennoch ist nach einer starken Expansionsphase mit entsprechenden Investitionen innerhalb der Wachstumsphase der letzten drei Jahre momentan eine Marktkonsolidierung und ein zunehmend organisches Wachstum der großen Marktplätze zu beobachten.

...und das Wachstum der Marken und Spezialisten
Auch wenn die Marktmacht der großen E-Commerce Marktplätze auf den ersten Blick erdrückend erscheint, haben sich inzwischen viele Marken sowie spezielle Anbieter erfolgreich mit ihrer eigenen E-Commerce Strategie im chinesischen Online Markt etabliert.
Chinesische und Internationale Marken mit traditionellen Einzelhandelsgeschäften profitieren zu großen Teilen von der Bekanntheit ihren Namens und erfolgreich umgesetzten Multi-Channel Strategien. Internationale Marken wie Converse, Adidas, Etam und Sephora investieren und verkaufen bereits erfolgreich auf ihren eigenen E-Commerce Plattformen. Oft setzen diese Unternehmen auf eine zweigleisige Online-Strategie. Standardprodukte werden über die Marktplätze verkauft, mit entsprechend geringeren Margen. Das gesamte Produktsortiment und speziell reduzierte Waren werden jedoch exklusiv über den eigenen Online-Shop angeboten, um Kundenbindung und Bekanntheit zu erhöhen.
Der Bereich B2B und Großhandel weist ebenfalls enorme Wachstumspotentiale auf. War es bisher für Unternehmen oft kostengünstiger, auf eine Heerschar niedrig qualifizierter Arbeiter zur Bestellungs- und Auftragsabwicklung zu setzen, setzen sich angesichts steigender Löhne auch in diesem Bereich zunehmend automatisierte Systeme durch. Insbesondere die zuverlässige Anbindung der E-Commerce Lösung an lokale ERP-, OMS- und Logistiksysteme ist entscheidend für eine erfolgreiche Automatisierungsstrategie.
Pure Player gehören zu den größten und am schnellsten wachsenden Akteuren im chinesischen E-Commerce Markt. Durch intelligente Online-Marketingstrategien sowie den Aufbau eines bestimmten Markenbildes konnten sich „Online-Only“ Marken wie Vancl große Marktanteile auch gegenüber den etablierten Marktplätzen sichern. Zu den Pure Playern im chinesischen Markt zählen je nach Definition auch westliche Marken, welche in China selbst keine traditionellen Ladengeschäfte betreiben, aber auf die Bekanntheit und Strahlkraft ihrer Marke in China setzen. Dies sind hauptsächlich Firmen aus dem Premium- und Luxusbereich.
Verkaufen über Tmall und Konsorten
Für ausländische Unternehmen ist der chinesische E-Commerce Markt zunächst einmal unübersichtlich. Trotz der Marktmacht der großen Handelsplätze lässt sich im Allgemeinen feststellen, dass es keine alleinige erfolgsversprechende Strategie gibt und viele internationale Unternehmen auf eine gemischte E-Commerce Strategie setzen, um ihre Produkte online zu verkaufen.
Tmall sowie andere Marktplätze sind oft ein erleichterter Einstieg in den chinesischen Online Markt, ohne dass in eine eigene E-Commerce Plattform investiert werden muss. Die Nachteile sind jedoch:
- Lediglich eine legal in China registrierte Firma kann einen Shop auf den Marktplätzen eröffnen.
- Alle Marktplätze erheben eine Setup Gebühr sowie eine Transaktionsgebühr für jeden verkauften Artikel.
- Alipay ist für Tmall als einzige Zahlungsmethode verfügbar (jedoch ist Alipay mit mehr als 500 Millionen Nutzeraccounts weit verbreitet).
- Tmall und andere Marktplätze setzen strenge Preissetzungsregeln (so dürfen zum Beispiel bei Tmall diskontierte Produkte nicht mehr als 10% unter dem Originalpreis liegen und nur für eine bestimmten Zeitraum angeboten werden).
- Auf den Marktplätzen lassen sich spezifische Designs nur sehr begrenzt umsetzen, Marketingaktionen sind nur sehr eingeschränkt nutzbar.
- Kundendaten bleiben immer im Besitz der Marktplätze und können nicht für spezifische Marketingaktionen verwendet werden, auch können nur wenige Analytic-Tools von spezialisierten Anbietern integriert werden.
- Es lassen sich nur begrenzt Drittsysteme wie ERP-, OMS-, PIM-, E-Mailing-Systeme etc. einbinden.
- Der Shop ist lediglich in chinesisch verfügbar, und es kann nur in Renminbi (Yuan) fakturiert werden.
Letztlich ist das Nutzungsprofil der Marktplätze ähnlich wie in Deutschland hauptsächlich preisgetrieben und potentielle Käufer sind immer einen Klick von der Konkurrenz entfernt. Dies entspricht oft nicht der Preissetzungsstrategie und Emotionalitätsbeziehung von Premium- und Luxusmarken zu ihren Kunden.
Verkaufen über die eigene E-Commerce Plattform
Wird in eine eigene E-Commerce Plattform investiert, stellen sich ebenfalls Herausforderungen, die in die Strategie- und Projektplanung einbezogen werden müssen. Die einfachste und schnellste Form der Umsetzung einer Verkaufsplattform für den chinesischen Markt ist die direkte sprachliche Lokalisierung einer bestehenden E-Commerce Lösung. So kann zum Beispiel bei einem Online Shop, welcher bereits in Deutschland existiert, eine neue Sprachauswahl angelegt werden, so dass entsprechend alle Inhalte auch auf Chinesisch (einfache und/oder traditionelle Schriftzeichen) verfügbar sind. Der offensichtliche Nachteil ist, dass diese Form der Lokalisierung höchst unvollständig ist, lokale „Best Practices“ unberücksichtigt bleiben und ein Checkout nach deutschen / europäischen Maßstäben nur für einen kleinen Teil der potentiellen Kunden nutzbar ist.

Zudem ist eine in Europa gehostete Seite meist nicht besonders zuverlässig in China verfügbar, da sämtliche Datenpakete die sogenannte „Great Firewall“ durchlaufen müssen, welche zwischen Verbindungen von China mit dem Rest der Welt geschaltet ist. Dadurch werden Zugriffszeiten von China auf außerhalb Chinas gehostete Seiten teils extrem verlangsamt, oder man hat sogar das Pech, dass die benutzte IP-Adresse aus unerfindlichen Gründen gesperrt ist. Dies kommt zwar selten vor, hat aber weitreichende Konsequenzen, da der Webshop in der Folge aus China nicht mehr erreichbar ist und keine offiziellen Einspruchsmöglichkeiten bestehen.
Besser ist es, eine komplett eigenständige chinesische Version des Online Shops zu erstellen. Dies beinhaltet die sprachliche, aber auch die graphische Anpassung der Startseite sowie der Kategorie-, Produkt- und Inhaltsseiten (diese unterscheiden sich visuell und in Bezug auf die Nutzerführung teilweise grundlegend von europäischen E-Commerce Webseiten), die Einbindung chinesischer sozialer Netzwerke und Marketing-Systeme sowie die Änderung des Checkout-Prozesses, um diverse chinesische Spezifika einzubinden. Zu letzteren zählen unter anderem:
- Das Namensfeld muss nicht in Vorname und Nachname geteilt werden (in der chinesischen Sprache gehören Vor- und Nachname zusammen).
- Die Lieferadresse sollte auch den Stadtteil enthalten und als vordefiniertes Drop-Down für alle chinesischen Städte vorhanden sein.
- Da Mann und Frau oft gleichermaßen berufstätig sind und daher Lieferungen zeitlich eingeplant werden müssen, sollte die gewünschte Lieferzeit als Drop-Down verfügbar sein.
- Statt einer separaten Liefer- und Rechnungsadresse müssen Eingabefelder zur Erstellung der chinesischen „Fapiao“ (formelle Rechnung) angeboten werden.
- Chinesische Liefermethoden müssen eingebunden werden, sofern nicht standardmäßig über einen singulären Carrier versandt wird. DHL und UPS sind auch in China vor Ort, aber meist um einiges teurer als ihre chinesischen Mitbewerber.
- Als Zahlungsmethoden sind die Payment-Gateways Alipay, Chinapay und Tenpay am verbreitet (Alipay deckt bereits mehr als 90% aller potentiellen Kunden ab). Diese Anbieter arbeiten mit allen großen chinesischen Banken zusammen.Darüber hinaus ist auch Cash-on-Delivery sehr beliebt, da hier das Produkt zunächst ausgepackt und getestet werden kann. Letztere Zahlungsoption bringt jedoch auch eine höhere Retourenquote mit sich.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass veraltete Technologien wie der Internet Explorer 6 in China immer noch recht weit verbreitet sind (Schätzungen gehen von einer Benutzungsquote von 10-15% aus, welche nur langsam sinkt). Um keine potentiellen Kunden auszuschließen, sollte die Seite zumindest in ihrer Basisfunktionalität für Nutzer älterer Browser verwendbar sein.
Ein zunehmend wichtiges Thema ist auch Mobile Commerce, da inzwischen ein Großteil der jungen Generation jederzeit und überall mit dem Internet verbunden ist. Alleine 2012 ist der Anteil am mobilen Shopping um mehr als 130% gestiegen, und nach aktuellen Untersuchungen hat bereits mehr als die Hälfte aller Smartphone Benutzer mindestens einmal im Jahr 2012 mobil eingekauft. Somit ist Mobile Theming und Responsive Design auch in China momentan ein Thema mit hoher Priorität für Online Händler.
Weitere wichtige Faktoren
Neben der reinen E-Commerce Plattform, welche den zentralen Bestandteil aller Verkaufsbemühungen darstellt, gibt es natürlich weitere Dinge zu beachten, um in China erfolgreich online verkaufen zu können.
Die Einbindung von sozialen Plattformen ist in China extrem wichtig, da Empfehlungen und die Sichtbarkeit von Produkten auf sozialen Netzwerken von Kunden wesentlich glaubwürdiger eingeschätzt werden als das klassische Marketing. Facebook und Twitter sind in China geblockt, dafür sind Weibo, Weixin, Renren, Kaixin und andere Netzwerke weit verbreitet und von einer wesentlich höheren Nutzungsquote geprägt als die entsprechenden Netzwerke in Deutschland. Die Möglichkeiten, Produkte über diese Netzwerke mitzuteilen, in den eigenen Nachrichtenstrom einzubinden und per Single-Sign-On (SSO) die direkte Anmeldung ohne Neuregistrierung zu erlauben kann die Konversionsrate entsprechend erhöhen.
Erwähnt wurde bereits das Hosting in China (alternativ in Hong Kong oder zumindest über ein CDN), da andernfalls die Zugriffs- und Wartezeit eine kritische Schwelle überschreiten kann. Jeder Online-Händler weiß, dass die Zugriffszeit ein kritischer Wert ist, welcher einen entscheidenden Anteil am Erfolg oder Misserfolg eines Online Shops haben kann. Kein potentieller Kunde wartet gerne und nur wenige Online Shops haben ein so spezielles Angebot, dass es keine Konkurrenz zu fürchten braucht.
Die Suchmaschinenoptimierung sollte nicht nur für Google (Marktanteil in China unter 10%), sondern auch für Baidu und eine Handvoll kleinerer chinesischer Suchmaschinen erfolgen. Auch wenn es hier keinen großen Unterschied bei den allgemein gültigen Regeln der SEO gibt, sind insbesondere im SEM die Vermarktungsmöglichkeiten und Zielgruppen in Baidu anders als bei Google.Angebote, welche eher die ausländische oder westlich orientierte Zielgruppe in China im Fokus haben, sollten eher über Google beworben und insbesondere das Google Rankingim Auge behalten werden. Für den lokalen chinesischen Markt hingegen spielen Baidu und andere eine wesentlich größere Rolle. Empfehlenswert ist auch, dass für eine „sprechende“ URL der Link zur jeweiligen Produkt- und Kategorieseite aus chinesischen Schriftzeichen besteht.
Bei Drittsystemen zur Automatisierung der Auftragsabwicklung und des Marketings (ERP, OMS, PIM, CRM etc.) ist es empfehlenswert, auf ein erprobtes und offenes System zu setzen, da dies die Chancen erhöht, dass eine erfolgreiche Anbindung an die E-Commerce Plattform und eventuelle Marktplätze programmiert werden kann. Auch chinesische Anbieter bieten ERP-Systeme, welche teilweise von ihren Funktionen den Branchenriesen (Oracle, SAP, Microsoft) nicht allzu sehr nachstehen.
Letztlich bleibt noch anzumerken, dass bei der E-Commerce Lösung in China auf eine eigenständig entwickelte, vom Systemintegrator unabhängige Plattform aufgesetzt werden sollte (wie zum Beispiel Magento, Oxid, hybris, Demandware, Drupal Commerce etc.). Zwar bieten speziell für internationale Unternehmen einige chinesische Firmen einen all-in-one Service der (proprietären) Plattformbereitstellung, Integration, Einbindung und Logistik an, jedoch besteht hier leicht die Gefahr, dass man sich in völlige Abhängigkeit eines einzelnen Anbieters begibt und bei Problemen schlimmstenfalls die komplette E-Commerce Plattform oder Strategie neu entwickeln muss.
Fazit
Der chinesische Online-Markt bietet viele Potentiale, jedoch ist es wichtig, sich vor dem Markteintritt und entsprechenden Investitionen umfassend zu informieren und idealerweise fachkundig beraten zu lassen. Der Weg zum Erfolg im chinesischen Internet ist gepflastert mit dem Geld großer internationaler Firmen, welche zu lange an ihren westlichen Denkmustern und Konzepten festgehalten haben, ohne zu realisieren, dass der chinesische Markt anders „tickt“.
So ist zum Beispiel eBay bereits lange vor Taobao in China gestartet, konnte jedoch nie Fuß fassen, da nach dem eBay Modell Händler zur Kasse gebeten werden. Bei Taobao dagegen konnten Händler ihre Produkte kostenlos einstellen und die Plattform war wesentlich mehr auf den chinesischen Geschmack ausgerichtet.
Die Schlussfolgerung ist daher, Unterschiede bei chinesischen und europäischen Online Shops anzuerkennen, ein eigenständiges und lokalisiertes Konzept für die chinesische E-Commerce Plattform zu verfolgen und nicht alleine aus Prinzip an Erfolgsfaktoren von europäischen / westlichen Webshops festzuhängen, denn diese können sich bei chinesischen Online Shops grundlegend unterscheiden.

Autor
Patrick Deloy
Patrick Deloy ist Gründer und Executive Director der Bluecom Group. Patrick lebt und arbeitet seit mehr als sechs Jahren in Hong Kong, Guangzhou und Shanghai, berät große ausländische Firmen beim Markteintritt nach China und plant, entwickelt und implementiert mit seinen 30 Mitarbeitern bei Bluecom in Shanghai E-Commerce Lösungen für internationale Firmen in China und Ostasien. Bluecom ist enger Partner von Magento, hybris und Drupal Commerce in China.