Location Based Services und das Mobile Net

Lokalisierungsdienste und das mobile Internet sind zwei Zukunftstechnologien, die Hand in Hand langsam aber sicher unseren Alltag umkrempeln. Die ortbasierte Suche nach Geschäften oder Restaurants, das Buchen von Mietwagen, Spieleplattformen wie Foursquare sind erst der Anfang.
„Location Awareness“, die Kenntnis des derzeitigen Aufenthaltsorts, ist eines der Buzzwords der letzten zwei Jahre. Durch die immens schnell wachsende Verbreitung von Smartphones, die auch GPS-Postitionierung beherrschen, also „wissen, wo sie sind”, können immer mehr Menschen ortsbezogene Dienste benutzen, sogenannte Location Based Services (LBS).
Hierzu zählt etwa die Abfrage von Informationen wie „Wo ist die nächste Pizzeria” oder „Ist einer meiner Freunde in der Nähe”, Routenplanung, zum Beispiel mit Google Maps, die Bewertung einer Cocktailbar, in der man gerade ist und vieles mehr. Diese mit der Lokalisierungsfunktion einhergehenden Möglichkeiten sind ganz nebenbei dabei, den mobilen Werbemarkt umzukrempeln. Und weil die mobile Internetnutzung, wie verschiedene Prognosen meinen, die stationäre binnen zwei Jahren überholen wird, geht es beim mobilen Markt um den Markt der Zukunft.
Wie funktionieren Location Based Services?
Die meisten Mobilgeräte können heute das Global Positioning System (GPS) nutzen. Dabei wird über Satelliten der momentane Standort des Geräts bestimmt. Das GPS-Satellitennetz gehört dem amerikanischen Militär und liegt letztlich unter militärischer Kontrolle. Es soll deshalb durch das europäische Satellitensystem Galileo ergänzt werden, das weltweit eine zivile Nutzung von Geopositionsbestimmungen ermöglichen soll. Erste Dienste sollen 2014 angeboten werden, der Endausbau wird insgesamt über 5 Milliarden Euro kosten.
Vor allem für die Positionsbestimmung in Ballungsgebieten ist aber das Satellitensystem meist gar nicht mehr die wichtigste Informationsquelle. Nicht nur GPS wird für die Ortung verwendet, denn GPS ist zwar der genaueste Dienst, mit dem sich die Position bis auf ein bis zwei Meter genau bestimmen lässt, GPS hat jedoch drei Nachteile: Es verbraucht relativ viel Strom (der ist kostbar auf Mobilgeräten), es ist relativ langsam (eine Ortung kann mehrere Minuten dauern), und es funktioniert nur im Freien mit „Sicht“ auf die Satelliten.
GPS für alle: Assisted GPS
Für eine schnelle und oft auch überraschend genaue Ortung werten Mobilgeräte also noch andere Informationsquellen aus. Das ist einmal die Funkzelle, in der man sich befindet, sie hat in Städten Radius von circa 300 Metern, auf dem Land können es natürlich bis zu 15 Kilometer sein. Zum zweiten sind es die WLANs, also die Funknetzwerke in der Umgebung. Man kann etwa in der U-Bahn in Großstädten eine interessante Entdeckung machen: Steigt man in der Innenstadt in einem U-Bahnhof aus und öffnet Google Maps auf dem Smartphone, weiß das Gerät, wo es sich befindet. Wie das, kann man sich fragen, denn ein GPS-Empfang im Tunnel ist schlicht unmöglich. Anhand der Funkzelle kann das Gerät aber erkennen, wo es sich ungefähr befindet.
Diese Methode der Ortsbestimmung nennt sich Assisted GPS. Möglich ist sie, weil die vielen Millionen Smartphones Daten an Dienste wie z. B. Latitude melden, die Informationsbeschaffung ist also crowdsourced, jedes Smartphone, das seinen Standort kennt (z. B. durch eine GPS-Bestimmung) und die Erlaubnis hat, meldet Information an Dienste wie z. B. Google Latitude und verbessert den Datenbestand. Das Gerät weiß, wo es ist und meldet „Ich sehe folgende WLANs in der Umgebung“. Beim nächsten Mal ist an dieser Stelle keine GPS-Ortung mehr nötig, die Kenntnis der WLANs reicht aus. Google Streetview hat im Verlauf des Projekts bekanntermaßen nicht nur Fotos gemacht, sondern auch WLAN-Umgebungsbilder aufgezeichnet (man erinnere sich an den Datenskandal, Google zeichnete nämlich – nach eigenen Angaben aus Versehen – auch WLAN-Datenverkehr aus ungesicherten Netzen auf). So kann Google zumindest in Städten eine Ortung auf zehn Meter genau ermöglichen, ganz ohne GPS.
Wo bin ich und wenn ja, mit wem?
Welchen Nutzen haben Location Based Services nun für den Anwender? Man kann zumindest drei Aspekte erkennen, die der Benutzer mit lokalisierten Diensten abdecken kann: Lokale Orientierung, lokale Suche und ortsbezogenes Social Networking. Für die erste Kategorie ist klar Google Maps die Killer-Applikation. Wer je im Urlaub sein irgendwo geparktes Auto nur mithilfe von Google Maps und einer Positionsmarkierung wiedergefunden hat, wird den Nutzen von LBS sehr zu schätzen wissen. Auch die Routenplanung, bislang eine Domäne der Navigationssysteme von Garmin, TomTom und Co., erfolgt heute immer mehr mit Smartphones wie dem iPhone oder Android-Geräten, inklusive Sprachansage, Stauumgehung und allen sonstigen Services, die man von den klassischen Navigationsgeräten her kennt.
Google ist natürlich auch ein big Player im zweiten Feld, der lokalen Suche.
Ortsinformationen spielen immer stärker in die Suche hinein und Google Places ist eines der, wenn nicht das Verzeichnis schlechthin von Geschäften und Dienstleistungen. Mit Latitude schließlich hat auch Google eine ortsbasiertes Social Network, die Google-Plus-Integration könnte hier noch mal einen Zuwachs für den Dienst bringen, Konkurrenten sind Facebook, wo ebenfalls die Ortung verwendet werden kann und Spezialdienste wie Foursquare.
Dienste à la Fahrradvermietung wie „Call a Bike“ der Deutschen Bahn oder Car-Sharing wie DriveNow oder Car2go zeigen, wie die Lokalisierung zusammen mit einer cleveren App ein Geschäftsmodell für mobile Kunden ausmachen. Das Dienstleistungs- und Warenangebot, das immer mehr auf den Zielkunden zugeschneidert ist, kann durch die Lokalisation eine entscheidende Information mit ins Angebot aufnehmen und so dem Nutzer einen echten Mehrwert bieten.
Location Based Services – ein Milliardenmarkt
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Anbietern, die Branchegrößen heißen wie erwähnt Foursquare und Google Places. Konkurrenten haben es immer schwerer, sich gegen sie zu behaupten, und der Markt wird sich über das nächste Jahr hinweg vermutlich weiterhin stark bereinigen. Das Startup Aloqa etwa, das ortsbasierte Informationschannels plus Social Network anbietet, wurde letztes Jahr von Motorola aufgekauft. Facebook Places, mit dem Facebook den bestehenden Diensten Konkurrenz machen wollte, wurde dagegen Sommer 2011 wieder eingestellt und Gowolla, ursprünglich Hauptkonkurrent von Foursquare, wurde erst vor kurzem abgekündigt.
Foursquare ist im Bereich LBS ein interessanter Kandidat, denn es hat auch spielerische Anteile. Man kann sogenannte Badges (Abzeichen) gewinnen oder Bürgermeister einer Location werden, wenn man am häufigsten eincheckt. Diese „Gamification“ in Verbindung mit Werbeangeboten ist ein Trend im modernen Marketing. Firmen geben spezielle Foursquare-Badges heraus, z. B. einen Lufthansa-Badge, den man auf Flughäfen ergattern kann, oder den Barista-Badge von Starbucks, den Mehrfachbesucher bekommen. Restaurants bieten dem Bürgermeister der Location eventuell ein Freigetränk. Die Effekte für Kundenbindung und PR wiegen den ökonomischen Aufwand solcher Ansätze sicher vielfach auf. Sie sind in Deutschland noch eher selten, in den USA und Großbritannien aber schon gängige Praxis.
Spannend dabei ist, dass man mit der Gruppe der Smartphonenutzer eine ohnehin interessante Zielgruppe erreicht, sie sind eher jung, eher trendbewusst, haben eher gute Einkommen. Google führte 2010 in Kooperation eine Studie durch mit dem Titel Understanding Smartphone Users. Sie zeigte unter anderem, dass 95% der Smartphonebenutzer nach lokaler Information suchen. Werbung für Mobilgeräte ist also ein rasant wachsender Markt, und die Lokalisierung von Werbung, Angeboten und Information ist dabei eine Schlüsselkomponente: Bin ich am Hamburger Hauptbahnhof, interessieren mich nicht Pizzerien in Köln.
Die Website www.ourmobileplanet.com bietet die interessante Möglichkeit, Daten dieser globalen Studie auszuwerten, die Google gemeinsam mit Ipsos und der Mobile Marketing Association durchgeführt hat. Dort kann man, wie Abbildung 2 zeigt, unter anderem erfahren, dass jeder Dritte in Deutschland nach einer lokalen Suche ein Geschäft tatsächlich besucht, fast jeder Vierte nimmt einem Online-Kauf vor nach der lokalen Suche.
Eine der Schlussfolgerungen aus der Studie ist, dass Smartphone-Benutzer ein hohes Aufkommen an lokaler Suche haben, Dienstleister und Handel aber hinterherhinken, was die Nutzung und Unterstützung betrifft. Ein Umstand, den die Studie als klare Chance für Umsatzsteigerung und Geschäftsmodelle sieht.
Die dunkle Seite: Bewegungsprofile und Datenschutz
Die immer stärkere Verbreitung und Verwendung ortsbezogener Nutzerdaten bringt aber nicht nur Gutes mit sich. Im Frühjahr 2011 etwa wurde bekannt, dass Apple die Bewegungsdaten von Nutzern auf dem iPhone speicherte, ohne Wissen der User. Die Daten wurden unter gewissen Umständen sogar mit dem Mac synchronisiert. Ein Versehen? Erst kürzlich wurde bekannt, dass auf mindestens 100 Millionen Android-Geräten eine Tracking-Software namens Carrier IQ das Nutzerverhalten ohne Wissen der Smartphone-Besitzer aufzeichnet (in Deutschland ist Carrier IQ nach Angabe aller Anbieter nicht im Einsatz). Netzbetreiber erfassen diese Daten angeblich, um die User Experience zu verbessern. Der einzige, ehrwürdige Grund?
Sicher nicht, denn diese Art von Information sind bares Geld wert. Für Werber, für Unternehmen, für Datenhändler. Dass sinistere Geschäftemacher bis hin zu totalitären Regimen ein Interesse an personenbezogenen Lokalisierungsdaten haben, ist klar. Ein Faktor, den man in der Datenschutzdiskussion aber nicht unberücksichtigt lassen sollte, wird oft übersehen. Auch im persönlichen Umfeld ist die Information, wo man sich genau befindet, nicht immer eine, die jeder haben sollte. Vom nicht eingeladenen Bekannten, der zu Ihrem Geburtstag eine Häufung von Freunden in einem Restaurant sieht, über den Arbeitgeber, der das Verhalten in der nächtlichen Freizeit nachvollziehen könnte, bis hin zum Lebensabschnittsgefährten – manchmal möchte man nicht, dass allseits bekannt ist, wo man sich befindet. Je umfassender Lokalisationsdienste unseren Alltag durchdringen, desto bewusster muss man mit dem Thema umgehen.
Location Based Services – was bringt die Zukunft?
Location Based Services nehmen bereits heute einen nicht mehr wegzudenkenden Platz im Alltag vieler Menschen ein, die Verwendung von Google Paces oder Foursquare ist vielen bereits tägliche Gewohnheit. Doch das ist nur der Anfang. Es sind mindestens drei Faktoren, die ein rasantes Wachstum des Bereichs Location Based Services so gut wie sicher machen.
Erstens steigt der Marktanteil von Smartphones unaufhörlich, er betrug in Deutschland Anfang 2011 circa 25 Prozent, jeder Vierte hat also heute schon ein internetfähiges Mobilgerät mit Lokalisierungsfunktion, es lohnt sich also ökonomisch gesehen immer mehr, LBS-Ansätze zu verfolgen.
Zweitens legen es Smartphones über die nützliche Funktionsvielfalt nahe, sie zu einem ständigen Begleiter, zur alltäglichen Organisationshilfe zu machen und die vielen Services und Apps zu nutzen. Das heißt aber auch, dass das Smartphone und die damit verknüpften Dienste eine große Menge relevanter Daten über den Benutzer erhalten. Sie „wissen“, wo wer sind, was wir mögen, wo unsere Freunde sind, wo unser nächster Geschäftstermin stattfindet und so weiter... Die Kombination aus Lokalisierung und Profilierung des Users ist neu, es gibt sie erst seit wenigen Jahren, seit dem ersten iPhone-Booms – und sie ist eine Goldgrube nicht nur fürs Marketing. Werden diese Datenquellen über Opt-In-Angebote kombiniert und verwertet, etwa von Facebook oder Google, mag das datenschutzrechtlich nicht immer ein Segen sein, es erlaubt aber genau auf die Bedürfnisse, Gewohnheit und Lokalisation des Users zugeschnittene Angebote.
Drittens schließlich werden Smartphones immer besser, also leistungsstärker. Das ist deshalb von Belang, weil es Anwendungsfälle für lokationsbasierte Angebote gibt, die zur Zeit noch in den Kinderschuhen stecken oder ganz und gar nach Science Fiction klingen. Augmented Reality (AR) ist hier das Zauberwort der Branche. Dabei gestatten Applikationen wie Junaio oder Layer es, über die Bilder der realen Umwelt in der Handykamera Informationen und Bilder zu legen. Denkbar sind dann Spiele, die die Realität mit Bildern oder Interaktionseffekten anreichern oder „virtuelle Werbung“, also Werbeeinblendungen auf definierten Flächen. Das führte den amerikanischen Autor John Havens zu der interessanten Frage: Wer hat die „Luftrechte“, die „Virtual Air Rights“ für Werbung in der Augmented Reality? Wenn etwa eine Smartphone-Anwendung, die bekannte Gebäude für den Touristen beim Sight Seeing mit interessanten Informationen ausstattet, aber auch mit Werbung – wer hat dann die Rechte an der virtuellen Fläche des Gebäudes? Bei Plakaten bestimmt ja auch der Hausbesitzer, ob und was plakatiert werden kann, nicht der Hersteller der Plakate...
Doch selbst, wenn man die engagierteren, zunächst weniger relevanten Visionen hintanstellt, werden Location Based Services die nächste Jahre entscheidend beeinflussen – allein wegen der immer stärkeren Verbreitung von Smartphones und Tablets. Google zum Beispiel hat vor wenigen Wochen seinen Service Google Maps auf Innenräume erweitert. In amerikanischen Ikea-Niederlassungen zum Beispiel und einigen Flughäfen kann man sich bis auf die Etage genau anzeigen lassen, wo man ist und erhält eine detaillierte Karte der umgebenden Angebote und Geschäfte.
Für Handel und Dienstleistungsunternehmen mag es also in naher Zukunft schon ein Überlebensfaktor sein, in lokalisierten Suchen optimierte Angebote zu präsentieren.
Autor
eStrategy-Redaktion
Sacha Storz