Psychologie und UX-Design
Deshalb gehen sie Hand in Hand

Wenn wir die User Experience als Interaktion zwischen dem Menschen und der digitalen Welt betrachten, wird klar, dass menschliche Denkweisen das Design digitaler Produkte entscheidend beeinflussen können. Wir alle wissen, dass der Erfolg eines digitalen Produkts von der User Experience abhängt. Für ein gutes UX-Design braucht es also ein Verständnis der menschlichen Psychologie.
Gutes Softwaredesign ist nutzerzentriert und wie wir nicht vergessen dürfen, sind diese Nutzer*innen Menschen – Menschen, die ungeduldig und unmotiviert sein können, immer wieder Fehler machen und sowohl ein begrenztes Gedächtnis als auch eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne haben. Faktoren wie diese beeinflussen das alltägliche Verhalten der Nutzer*innen genau wie ihre Interaktionen mit digitalen Produkten wie mobilen Apps, Websites und Plattformen.
Wenn wir psychologische Prinzipien auf das UX-Design anwenden, können wir das gesamte Nutzungserlebnis sinnvoller und angenehmer gestalten. Wir können Produkte für eine Zielgruppe ansprechender gestalten, ihre Aufmerksamkeit lenken und sie dazu anregen, bestimmte Handlungen auszuführen
Im Mittelpunkt: die Mensch-Computer-Interaktion
Der Bereich der Mensch-Computer-Interaktion (Human Computer Interaction bzw. HCI) untersucht, was an der Schnittstelle zwischen Nutzer*innen und digitalen Technologien geschieht. „Mensch“ meint in diesem Kontext also eine Person, die mit dem System interagiert. „Computer“ sind digitale Systeme oder Tools und „Interaktion“ bezeichnet die Verbindung zwischen beiden.
Für jede Interaktion ist eine Schnittstelle erforderlich, etwa eine grafische Nutzeroberfläche (GUI) oder eine Sprachschnittstelle (VUI), die eine Kommunikation möglich macht. Diese Schnittstelle sollte intuitiv zu bedienen sein, sodass die Nutzer*innen alle gewünschten Handlungen durchführen können. Designteams, die ihren Fokus auf die Mensch-Computer-Interaktion legen, können bessere und effizientere Nutzeroberflächen (UIs) erstellen und das Nutzungserlebnis verbessern. Hierzu setzen sie meist eine Form des „Build-Measure-Learn“-Zyklus ein: Erst werden die Anforderungen und Wünsche der Nutzer*innen untersucht, dann eine UI erstellt und mit Nutzer*innen getestet. Anschließend werden die Ergebnisse analysiert und ins nächste Design übernommen.
Die Methoden und Studien aus dem Bereich Mensch-Computer-Interaktion können vor allem in drei Hauptbereichen angewendet werden: Technologien (z. B. Virtual Reality und mobile Schnittstellen oder Wearables), Fachgebiete (z. B. Sicherheit, Passwortsysteme wie CAPTCHA-Tests oder Spiele, bei denen Handlungen der Spielenden in Effekte und Ergebnisse übersetzt werden) und Ideen (z. B. verschiedene Methoden der Datenvisualisierung).
Die Bedeutung der kognitiven Psychologie
Sowohl HCI als auch UI und UX werden von der menschlichen Psychologie beeinflusst. Wenn wir eine für Menschen optimierte UI schaffen wollen, müssen wir bedenken, dass wir Menschen psychologisch komplex und gelegentlich irrational sind. Anders als bei Robotern oder automatisierten Systemen, deren Funktionsweisen streng nach logischen Prinzipien programmiert und konditioniert sind, hängen menschliche Handlungen und Entscheidungen von den unterschiedlichsten Faktoren ab – darunter Stimmungen, vorangegangene Erfahrungen, Voreingenommenheiten, die Umgebung und Stress.
Die kognitive Psychologie untersucht, wie Menschen denken und Informationen verarbeiten. Dabei betrachtet sie unsere internen mentalen Prozesse rund um Aufmerksamkeit, Gedächtnis und die Wahrnehmung der Welt um uns herum. Dazu kommen weitere Elemente wie Sprache, Problemlösung, Lernen und Metakognition bzw. Selbstreflexion. Drei Aspekte der kognitiven Psychologie haben einen besonders großen Einfluss auf HCI und UI/UX-Design:
- Unsere Aufmerksamkeit macht es uns möglich, uns auf bestimmte Dinge zu fokussieren. Hier geht es darum, wie erfolgreich wir spezifische Informationen erkennen und verarbeiten können und ob es uns gelingt, zu priorisieren und zu filtern, welche Informationen für eine Situation oder ein Ziel relevant sind und welche nicht.
- Unser Gedächtnis ist für das Speichern und Abrufen von Informationen verantwortlich und umfasst das Arbeitsgedächtnis sowie das Langzeitgedächtnis. Das Arbeitsgedächtnis speichert Informationen nur vorübergehend, während das Langzeitgedächtnis alle Informationen enthält, die in unserem gesamten Leben „gespeichert“ werden. Das Arbeitsgedächtnis hat eine begrenzte Kapazität und kann durch Ablenkungen leicht beeinträchtigt werden.
- Die Wahrnehmung bezieht sich darauf, welche Informationen wir über unsere Sinne aufnehmen und wie wir sie interpretieren. Zu diesem Prozess gehört alles, was wir sehen, hören, berühren usw., ebenso wie die Art und Weise, wie wir die eingehenden Reize verstehen und wie sie unser Verhalten beeinflussen.
Wenn wir diese Prinzipien kennen und wissen, wie sie menschliche Reaktionen und Verhaltensweisen beeinflussen, haben wir bereits den Grundstein dafür gelegt, kognitive Psychologie auf das UI/UX-Design anzuwenden. Im nächsten Schritt nutzen wir dieses Wissen darüber, wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Wahrnehmung funktionieren, um ein reibungsloseres und positiveres Nutzungserlebnis zu schaffen.
Psychologische Prinzipien im digitalen Produktdesign
Nobelpreisträger Daniel Kahneman geht davon aus, dass es zwei vollkommen unterschiedliche Prozesse gibt, die das menschliche Denken und die Entscheidungsfindung bestimmen: langsames Denken und schnelles Denken. Das langsame Denken ist für durchdachte Überlegungen und Analysen verantwortlich, während wir das schnelle Denken nutzen, wenn wir instinktive oder emotionale Entscheidungen treffen müssen. Beim Gestalten digitaler Erlebnisse sollten wir uns fragen, welcher dieser beiden Denkprozesse vermutlich gerade in unseren Nutzer*innen vorgeht, wenn sie mit unserem Produkt interagieren.
In den meisten Situationen verfolgt das UI-/UX-Design das Ziel, die Nutzeraktionen so mühelos und intuitiv wie möglich zu gestalten, damit die Nutzung keine Anstrengung erfordert. Allerdings sollten wir auch überlegen, an welchen Punkten der User Journey langsames Denken wichtig ist und unser Design entsprechend anpassen: An diesen Stellen können wir die Nutzer*innen ermutigend und motivierend dabei unterstützen, ihrem Ziel näherzukommen. Die folgenden psychologischen Prinzipien und Effekte können nützlich sein, um diese Ideen umzusetzen und eine bessere User Journey zu schaffen:
Zeigarnik-Effekt
Menschen neigen dazu, sich besser an die Einzelheiten nicht abgeschlossener Handlungen zu erinnern als an abgeschlossene Handlungen. Diesen Effekt können UI-Designteams sich zunutze machen, indem sie Fortschrittsbalken, Gamification-Elemente, Badges, Belohnungen und Ähnliches integrieren: So erhöhen sie die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen, sodass sie sich besser auf die Aufgabe konzentrieren und sie erfolgreicher abschließen können.
Hicksches Gesetz
Je mehr Auswahlmöglichkeiten uns zur Verfügung stehen, desto schwieriger ist es, eine Entscheidung zu treffen. Für das Design von Nutzeroberflächen bedeutet das, die verfügbaren Optionen so weit wie möglich zu reduzieren. Wahlmöglichkeiten sollten mindestens in Kategorien aufgeteilt oder so präsentiert werden, dass sie leichter erfasst werden können – etwa indem empfohlene Optionen hervorgehoben werden, damit die Entscheidung einfacher wird.
Kognitive Überlastung
Wenn Nutzer*innen mit zu vielen Informationen oder gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben konfrontiert werden, kann das zu kognitiver Überlastung führen. Daher sollten alle Arten von Ablenkungen reduziert werden, während Nutzer*innen Aufgaben ausführen. Bei komplexen Produkten oder Aufgaben sollten die Nutzer*innen als Erstes mit häufig genutzten Funktionen vertraut gemacht werden und die fortgeschrittenen Funktionen erst nach und nach kennenlernen.
Restorff-Effekt
Wenn Personen es mit mehreren ähnlichen Objekten oder Reizen zu tun haben, erinnern sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit an diejenigen, die sich in ihrer Größe, Farbe oder einer anderen grundlegenden Eigenschaft von den anderen unterscheiden. Farben, 3D-Effekte, Bewegungen usw. können die Aufmerksamkeit von Personen auf ein bestimmtes Element (wie einen Callto-Action oder eine Benachrichtigung) lenken. Damit das funktioniert, sollte nur dieses eine Element auf dem Bildschirm diese Eigenschaft aufweisen.
Fazit
Für ein gutes Produktdesign ist es unverzichtbar, sich mit Nutzerpsychologie und kognitiven Prozessen auszukennen. UI- und UX-Designer*innen, die damit vertraut sind, wie sich Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Wahrnehmung auf das Verhalten und die Mensch-Computer-Interaktion auswirken, können ihre Nutzer*innen positiv beeinflussen und dafür sorgen, dass jedes Nutzungserlebnis zum Erfolg führt.

Autorin
Kateryna Kaida
Produktdesignerin bei Boldare
Kateryna ist Produktdesignerin und Product Discovery-Evangelistin bei Boldare. Sie unterstützt Kunden und Kundinnen beim Erreichen ihrer Geschäftsziele, indem sie die Bedürfnisse ihrer Kundschaft aufdeckt und versteht. Außerdem hilft sie Unternehmen dabei, riskante Annahmen zu identifizieren und Geschäftsideen mit Hilfe von Product-Discovery-Techniken zu validieren. Zudem ist Kataryna Expertin der von Boldare organisierten Meetup-Reihe Finding Product-Market Fit.
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