Willkommen in der Welt der intelligenten Systeme
Trends Künstlicher Intelligenz in 2023

Die Welt ist im Umbruch. Selten hat eine KI-Lösung in so kurzer Zeit für soviel medialen Wirbel gesorgt wie ChatGPT. Sie zeigt, dass KI längst kein Spielzeug mehr ist, sondern ein wertvolles und disruptives Werkzeug. Doch klar ist auch, je umfassender die Fähigkeiten und das System-Angebot werden, umso stärker müssen Entscheider Entwicklungstrends berücksichtigen. In 2023 werden sich einige davon verstärken: die Einsatzgebiete werden breiter und die Strukturen dezentraler. Zugleich müssen Verantwortliche verstärkt auf die Transparenz der KI-Komponenten achten, um Nachvollziehbarkeit und Vertrauen zu schaffen und ethischen Anforderungen gerecht zu werden.
Wer könnte die Roadmap für Künstliche Intelligenz besser kennen als die Künstliche Intelligenz selbst? Der Versuch ist es wert – und wenn man ChatGPT danach fragt, identifiziert der Chat- bot auch Trends für 2023: intensivierte KI-Forschung und -Entwicklung, die Verbesserung von KI-Anwendungen und die Auseinandersetzung mit Ethik und Risiken. Viele dieser Punkte sind in den letzten Jahren bei Entscheidern in der IT aufgetaucht. Die aktuellen globalen Entwicklungen verstärken ihre Bedeutung. Durch instabile Lieferketten, die Energiekrise und den Ukraine-Krieg hat sich der Kostendruck in vielen Unternehmen verschärft. Das beflügelt die Anstrengungen zur Automatisierung und die Einführung von Systemen der Künstlichen Intelligenz.
Auch auf der Angebotsseite erhält dieser Trend weitere Schubkraft. Immer mehr Softwareanbieter kommen mit grundlegenden KI-Modellen auf den Markt und werden 2023 ein großflächiges Testfeld für die Modelle von OpenAI, Google, DeepMind, Meta und dem BigScience-Konsortium ins Leben rufen. Basierend auf diesen generativen Modellen, werden sich schnell spezifische Anwendungsfälle herauskristallisieren, die Unternehmen implementieren und Start-Ups weiterent- wickeln und monetarisieren können.
Von isolierter AI zu intelligenten Systemen
In vielen Unternehmen sind KI-gestützte Sprachmodelle in der Kundenkommunikation bereits zum Alltag geworden: sie begegnen Nutzern und Nutzerinnen beispielsweise in Form von aufpoppenden Chat-Fenstern im Onlineshop oder der Sprachassistenz in der Telefonhotline. Die dahinterstehende Conversational AI kann menschliche Sprache interpretieren und kontextualisieren, was besonders in abgegrenzten fachlichen Wissens- und Einsatzgebieten (Narrow AI) schnell Mehrwerte und einen Return on Investment schafft. Zudem gibt es mittlerweile eine Vielzahl an kommerziellen und kostenlosen Conversational-AI-Werkzeugen wie ChatGPT, ChatSonic, Chinchilla, Bloom, Jasper oder YouChat, die Entwickler als technologische Grundlage für Sprachassistenten und Chatbots verwenden können.

Welches Potenzial und welche disruptive Kraft hier begraben liegen, konnte man an der hitzigen medialen Diskussion um ChatGPT in den letzten Wochen klar erkennen. Die Technologie steht beispielhaft für die Weiterentwicklung zu allgemeineren und breiteren Netzwerken von KI-Systemen und Artificial General Intelligence. Ihr Einsatz im Unternehmen ist in Prozessen und Prozessschritten vorteilhaft, in denen sie Menschen in unterschiedlichsten Kontexten beim Verstehen, Analysieren und Entscheiden von Sachverhalten unterstützen kann. Die Herausforderung bei der Implementierung liegt darin, isolierte KI-gestützte Dialogszenarien in ein Netzwerk intelligenter Systeme zu integrieren, das weitere Real-Time-Daten, Firmen-spezifische Regeln und externes Wissen verarbeiten kann. Erst dann ist KI in der Lage, bei komplexen Planungen und Entscheidungen zu unterstützen.
Die neue intelligente Systemwelt wird klassische Komponenten und Microservices – etwa Symbolic Reasoning – mit modernen KI-Technologien des Maschinellen Lernens verbinden. So können selbst komplexe Ende-zu-Ende-Prozesse mit vielen Teilaspekten und unterschiedlichen Problemen analysiert, optimiert und neugestaltet werden. Das i-Tüpfelchen ist dann die Fähigkeit zur autonomen Anpassung und Selbstregulierung, die den menschlichen Pflege- und Anpassungsaufwand deutlich reduzieren wird.
Von KI-Silos zu dezentralen Strukturen
KI-Silos haben sich in den letzten Jahren in vielen Unternehmen etabliert. Hinter dem Begriff stecken KI-Architekturen, die zentralistisch konzipiert sind: Daten, Modelle, Speicher- und Rechenkapazitäten werden in einem zentralen System zusammengeführt. In der Praxis treten dadurch gerade bei kleineren Systemen Herausforderungen auf, weil beispielsweise die Komplexität zu hoch ist oder ausreichend Trainingsdaten für die KI-Modelle fehlen. Das erklärt, weshalb der aktuelle Trend in Richtung von dezentralen Systemen geht, die Vorteile bei der Nachhaltigkeit, der IT-Sicherheit und beim Datenschutz bieten.
In dezentralen Systemen werden KI-Funktionen lokal ausgeführt. Für die Berechnungen greifen die Modelle daher primär auf die lokale Geräteleistung zurück. Das reduziert den Bandbreitenbedarf und die damit verbundenen Kosten, weil geringere Datenmengen zwischen Gerät und Server übertragen werden müssen. IT-Verantwortliche können Ressourcen, wie beispielsweise den Stromverbrauch, bedarfsabhängig modulieren und so für mehr Effizienz sorgen. Für Unter- nehmen bietet das wertvolle Chancen, weil sie den stetig steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen in ESG-Reportings mit konkreten Verbesserungsmaßnahmen begegnen können.
Dezentrale Systeme tragen auch dem gestiegenen Bedürfnis nach einem sicheren Umgang mit Daten Rechnung. Anstatt sich in die Abhängigkeit von monolithischen Anbietern zu begeben, lohnt sich ein dezentraler Ansatz mit funktionierenden Schnittstellen. Durch die Weiterverarbeitung von Rohdaten oder verarbeiteten Daten per API-Schnittstellen, können Verbundservices aufgesetzt werden, die viele zusätzliche Benefits bieten, ohne die Unabhängigkeit oder Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen.

Von Intransparenz zu erklärbaren Technologien
KI-Technologien wie künstliche neuronale Netze, Deep-Learning-Systeme oder genetische Algorithmen sind komplex und schwer nachzuvollziehen. Für Entwickler und Anwender liegt daher seit Jahren eines der zentralen Ziele darin, die Systeme transparenter und interpretierbarer zu machen. Denn mit steigender Transparenz von KI (Explainable AI) können Unternehmen die Vorteile und Auswirkungen beim Einsatz einzelner KI-Techniken besser abschätzen. Auch wenn die Explainable AI noch in den Entwicklungsschuhen steckt und es dauern wird, bis Fortschritte im Massenmarkt ankommen werden, sollten Unternehmen bereits heute Transparenz und Erklärbarkeit beim Technologieeinsatz evaluieren.
Ziel der Unternehmen sollte es sein, den Entscheidungsträgern und Nutzern verständlich zu erklären, nach welchen Kriterien KI-basierte Entscheidungssysteme handeln. Das spielt auch mit Blick auf die Rechenschaftspflicht für KI-basierte Entscheidungsfindung, die sogenannte algorithmische Rechenschaftspflicht, eine Rolle. Nur wenn KI-Entscheidungen transparent und rechtmäßig getroffen werden, wird das Vertrauen in die Technologie in der Öffentlichkeit bestehen können. Ein Indikator für die Bedeutung dieses Themas ist unter anderem auch die erste internationale Konferenz für „eXplainable Artificial Intelligence“, die im Sommer 2023 in Lissabon stattfinden wird.
Von Selbstregulierung zu strikten KI-Gesetzen
Mit Ehrlichkeit und Richtigkeit hat es ChatGPT in mehreren Tests nicht so ernst genommen, und auch der Chatbot von Bing musste zuletzt in seiner Funktionalität eingeschränkt werden, weil er Nutzer bedrohte, ausfällig antwortete oder ihnen sogar seine Liebe gestand. Diese Fälle zeigen, wieso ethische Standards eine geradezu lebenswichtige Anforderung beim Einsatz von KI sind. Bisher war dieses Thema in der EU vor allem durch einen Ansatz von weicher Ethik und Selbstregulierung gekennzeichnet. Das wird sich dieses Jahr durch das EU-AI-Gesetz ändern, das deutliche striktere Regeln und deren Überwachung etablieren will. Wie in anderen wirtschaftlichen und technischen Bereichen wird auch die AI-Gesetzgebung für regionale Unterschiede sorgen und damit global agierende Unternehmen herausfordern.
Neben den gesetzlichen Vorgaben sollten auch die gelebten Unternehmenswerte das Thema KI mit aufgreifen. Fairness und Respekt sollten es gebieten, dass alle Interessensgruppen zu KI-Themen gehört werden, dass KI nur auf gesetzmäßige und wertschätzende Weise eingesetzt wird und dass durch regelmäßiges Monitoring ein verantwortungsvoller Umgang sichergestellt werden kann. Gerade letzteres könnte aus Entwicklungs-, Wartungs-, und Überwachungsaspekten zu einer Zentralisierung von Prozessen, Prozess-Ownership und der Schaffung von KI-Compliance-Rollen führen. Und auch hier gilt: Je früher sich Unternehmen mit dieser Veränderung auseinandersetzen, umso besser werden sie sich daran anpassen können.
KI, der Sweetspot für die Zukunft
Das Rennen um KI und ihre monetarisierbaren Anwendungsbereiche geht in die heiße Phase. Mit generativen KI-Modellen lassen sich tiefgreifende systemische Erkenntnisse erlangen und isolierte Anwendungsfälle vernetzen. ChatGPT ist dafür ein perfektes Beispiel. Es zeigt das immense Interesse der Öffentlichkeit und die Investitionsbereitschaft der Big Player. Schon jetzt ist die Entwicklung um die darauf aufbauenden Services in vollem Gange. Schließlich geht es darum, die wertvollen Anwendungsfälle zu finden und zu vermarkten, bevor andere es tun.

Autor
Florian Lauck-Wunderlich
Senior Project Delivery Leader bei Pegasystems
Florian Lauck-Wunderlich ist seit über 15 Jahren in Implementierung und Be- trieb von Software und Services an der Schnittstelle zwischen Business und IT tätig. Er arbeitete in verschiedenen Positionen in den Bereichen Produktmanagement, Softwareentwicklung und Geschäftsprozessoptimierung für große Unternehmen in unterschiedlichen Branchen. Als Senior Project Delivery Leader bei Pegasystems leitet er Projekte im Bereich Prozessautomatisierung und KI. Sein besonderes Interesse gilt der Architektur von Mensch-Maschinen-Kollaboration.