Nicht mehr Warten auf die Karten

Der Zahlungsverkehr ist ein Bereich, der für den Erfolg des Handels wichtige Weichen stellen kann. Und Erfolg kann der Handel gebrauchen, denn auch wenn die zum Jahresende wahrgenommene Kaufzurückhaltung wieder abgeflaut ist: Anschaffungen werden im derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld genauer überlegt. Viele Innovationen haben 2023 mit der Kartenzahlung zu tun.
Unter den Zahlungsverfahren in Deutschland sticht die girocard heraus, sie ist mit über 100 Millionen Karten der beliebteste Weg, abseits des Bargelds zu bezahlen. Doch fast nur im stationären Handel – im E-Commerce wird die Karte bisher kaum angewendet. Derzeit lässt sie sich dort nur mit dem Umweg über Apple Pay einsetzen. Angesichts der attraktiven Zielgruppe von Apple-Usern steigt die Zahl der Händler*innen, die diese Option anbieten. Immerhin sind rund 46 Millionen Karten im Besitz von Sparkassenkunden, deren Institut bisher als einziges diese Nutzung ermöglicht. Zusätzlich ist für 2023 auch die neue giropay-Schnittstelle angekündigt, die neben der namensgebenden Überweisungsmöglichkeit auch das frühere Paydirekt enthält, und eben die girocard. Wenn sich diese Anbindung für Onlinehändler durchsetzt, haben auch die Android-User eine Chance auf den Online-Einsatz der girocard.
Kasse und Terminal gehen getrennte Wege
Ein weiteres Innovationsfeld ist die Kartenakzeptanz am Point of Sale, wo Kartenterminals künftig in die Cloud integriert werden können. Statt über Protokolle wie ZVT oder OPI an die Kasse angebunden zu sein, können diese Geräte direkt aus der Cloud gesteuert werden. Das ist wie bis- her von einem Kassenplatz aus möglich, jedoch nun auch direkt vom ERP-System oder sogar von einer Website. Die Möglichkeit, im E-Commerce-Checkout eine Zahlung über ein Kartenterminal anzubieten, macht neue Use Cases denkbar: Lokale Dienstleistungen – vielleicht eine Stadtführung – können in der App gebucht und direkt in der Touristeninformation bezahlt werden. Automaten oder Kiosksysteme kommen ohne eingebaute Terminalsteuerung aus. Der Handel wiederum kann Terminals nun überall einsetzen, ohne Rücksicht darauf, dass auch eine Kasse betrieben wird.
Auch die Kartenakzeptanz auf dem Smartphone oder Tablet wird immer beliebter, wobei das POS-Terminal komplett abgelöst und durch handelsübliche Android-„COTS“-Devices („Consumer off the Shelf“) ersetzt wird. Durch eine App aus dem Google Playstore und mit einer Terminal-ID können sich Händler*innen bei einem Payment Service Provider für die Kartenakzeptanz anmelden. Diese erfolgt dann kontaktlos und kann sogar von Gerät zu Gerät – also aus einem Smartphone-Wallet heraus – angenommen werden, inklusive der Authentifizierung durch das Gerät des Kunden oder der Kundin. Erfordert der Zahlvorgang eine Authentifizierung mit einem PIN-Code, so kann dieser hochsicher auf dem Display des Händlergeräts eingegeben werden.
Das Bezahlen mit der Karte im Ladengeschäft ist durch die NFC-Technologie einfach geworden, doch online müssen immer noch die 16-stellige Kartennummer, das Ablaufdatum, der Name und die Prüfnummer eingegeben werden. Dies kann besonders auf kleinen Handybildschirmen ein Hindernis darstellen. Um dieses Problem zu lösen, bringen die großen Kartengesellschaften jetzt mit „Click to Pay“ ein neues Verfahren heraus, das sie selbstbewusst als Zukunft der Kreditkarte bezeichnen. Ein hochsicheres Token speichert alle notwendigen Daten im Hintergrund, ein- schließlich des Kartenbilds für die leichte Wiedererkennung. Die Daten selbst werden nur noch von Visa, Mastercard & Co gespeichert und mit einem individuellen Schlüssel je Transaktion über- tragen. Ist ein Gerät einmal mit der Karte verbunden, wird es beim nächsten Kauf wiedererkannt. Die notwendigen Daten müssen nicht erneut erfasst werden und die Transaktion kann mit einem Klick abgeschlossen werden. Mit diesem Fortschritt in der UX macht die Kreditkarte (und auch Debitkarten, die zunehmend als Cobadging auf die Girocard kommen) einen großen Schritt nach vorn in Bezug auf den Komfort im Zahlungsvorgang.
Besonders stark sind POS-Kartenzahlungen traditionell an der Tankstelle. Möglicherweise wer- den die Kundinnen und Kunden schon in naher Zukunft weniger häufig das Kassenhäuschen auf- suchen, denn ein weiterer Trend im Zahlungsverkehr heißt In-Car-Payment. Das funktioniert in der Tankstelle, wenn man nach dem Einhängen des Zapfhahns einfach die Zahlung auf dem Borddis- play bestätigt und weiterfährt. Und es wird auch an der Ladesäule und im Parkhaus funktionieren, dort entfällt der Weg zum Automaten, stattdessen tauschen sich Fahrzeug und Parkschranke über Funk aus. Die Regelmäßigkeit der Zahlungsvorfälle macht es attraktiv, hier fortschrittliche Angebote zu implementieren. Und in der Hektik des Verkehrsgeschehens sind Autofahrer meist dankbar für jede Vereinfachung, die sich vom bequemen Fahrersitz aus steuern lässt.
Viele Autohersteller arbeiten bereits daran, auch Zusatzservices ihrer Fahrzeuge nach dem Prinzip Pay Per Use oder als Abonnement zu bezahlen. Eine Sitzheizung an kalten Tagen oder ein Upgrade bei der Motorleistung können nach Bestätigung der Bezahlung freigeschaltet werden. Selbst die Pflicht zur Authentifizierung der Transaktion, die die Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 für Onlinezahlungen auferlegt, wird mit einem biometrischen Sensor im Wagen erfüllt. Je nach Konzept stehen hier die Integration des Smartphones in das Betriebssystem des Autos, eine Kunden-App oder sogar eine virtuelle Kreditkarte, die das Fahrzeug selbst zum Zahlungsmittel macht, zur Auswahl.
Händlereigene Zahlverfahren möglich
Open Banking bietet eine Möglichkeit für Händler*innen, überweisungsbasierte Zahlungen anzubieten und somit ihre Kundenbeziehung zu stärken. Dieser Baustein von Embedded Finance erlaubt es dem Händler oder der Händlerin, den Zahlungsprozess nahtlos in den Onlineshop zu integrieren. Dabei kann die IBAN der Kundschaft sicher gespeichert und für zukünftige Einkäufe genutzt werden. Die Authentifizierung kann durch das Verfahren der Bank oder durch eine eigene, biometriegestützte Methode erfolgen, die in der PSD2 als Delegated Authentication vorgesehen ist. Durch diese vereinfachte und unterbrechungsfreie Zahlungsabwicklung wird die Konversionsrate gesteigert. Die Echtzeitüberweisung SCT Inst ist hierbei besonders wichtig für den Handel, da eine schnelle Bestätigung des Zahlungseingangs notwendig ist. Für diesen Service ist es essenziell, dass auch die letzten Banken ihre Lücken hinsichtlich des Angebots von Instant Payments als selbstverständlicher und kostenneutraler Überweisungsmöglichkeit schließen. Die Nutzung eines Kontoinformationsdienstes, wie ihn die PSD2 vorsieht, bietet dem Händler zudem ein verbessertes Risikomanagement, wenn aus Daten der Vergangenheit eine verbesserte Einschätzung der Bonität vorgenommen werden kann.
Die Vielfalt der Zahlarten, die besonders die deutschen Verbraucher*innen schätzen, wird auch 2023 nicht abnehmen. Doch viele dieser Zahlarten erfahren Verbesserungen im Bezug auf Sicherheit und Komfort. Und gerade letzteres schätzen die Menschen auch weiterhin.

Autor
Ralf Gladis
Mitgründer und Geschäftsführer von Computop
Ralf Gladis ist Mitgründer und Geschäftsführer des internationalen Payment Service Providers Computop – the payment people. Außerdem ist er als CEO der Computop Inc,New York tätig. Vor der Gründung von Computop entwickelte Ralf Gladis Datenbank-Lösungen und verfasste Bücher und Beiträge für namhafte IT-Verlage. 1993 gründete er mit seinem Kommilitonen Frank Arnoldt das erste Unternehmen und stieg 1997 mit der Gründung von Computop in den E-Commerce ein. Heute bietet das Unternehmen mit 150 Mitarbeitern auf drei Kontinenten vielen großen Händlern und Industrieunternehmen weltweite Zahlungsabwicklung und Betrugsprävention an. Computop verarbeitet Transaktionen in Höhe von 36 Milliarden USD im Jahr.
In den ersten Jahren baute Ralf Gladis die Architektur der Zahlungsplattform Computop Paygate auf. Später konzentrierte er sich auf Vertrieb und Marketing. Heute ist Ralf Gladis verantwortlich für das Produktportfolio und die strategische Ausrichtung von Computop. 2022 wurde Ralf Gladis in das Digital Finance Forum berufen, die Expertenkommission des Bundesfinanzministeriums.