Nach grober Betrachtung des Big Picture aus statistischer Sicht sollte man nun einzelne Akteure direkt an der Basis betrachten. Grundlegend können stationäre Pflegeheime von ambulanten Pflegediensten differenziert werden, sofern man speziellere hybride Ausprägungen aus dieser Betrachtung heraus lässt. Gerade erstere Form verursacht höhere Kosten, wodurch auch die politischen Bemühungen der letzten Jahre begründet wären, dass eine Entlastung der stationären Pflege durch das Motto „ambulant vor stationär“ angestrebt wird. Neben dem Kostenfaktor hat „ambulant vor stationär“ den Vorteil, dass die pflegebedürftigen Personen zu Hause bleiben können. Soweit alles schön und gut, nur fallen diesbezügliche Pflegefälle dann zusätzlich den ambulanten Pflegediensten zu, welche zunehmend unter enormen Druck stehen. Gerade diese Akteure stehen vor gewaltigen Herausforderungen, neues und vor allem qualifiziertes Personal zu finden. Wesentliche Faktoren hierfür sind der hohe Arbeitsdruck, aber auch die geringe Vergütung der Angestellten, insbesondere im Vergleich zur Krankenpflege und gerade bei den mittleren Berufsgruppen. Schnell sollte man nun zu dem Fazit kommen, dass der Verdienst der Angestellten aus der Altenpflege dem der Krankenpflege einfach angepasst werden sollte. Jedoch muss an dieser Stelle der gesamte wirtschaftliche Zusammenhang betrachtet werden. Erbrachte Pflegeleistungen werden zu einem geregelten Vergütungssatz mit der jeweiligen Kasse abgerechnet. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Verhandlung des Vergütungssatzes mit jeder Pflegekasse individuell erfolgt und nach Aussagen einzelner Akteure am Beispiel einer Wundbehandlung eine Spanne zwischen 9,- € und 35,- € einnimmt. Bedenkt man den Extremfall einer Abrechnung von 9,- € und zieht hiervon die Kosten für Personal, Anfahrt und Sonstiges ab, so sollte man doch schnell merken, dass es kaum finanzierbar scheint.
Fakt ist, dass wir die grundsätzlichen Trends nicht in absehbarer Zeit ändern werden. Nichtsdestoweniger sollten wir jedoch von der Basis aus denken, inwieweit wir eine Entlastung der unter Druck stehenden Pflegekräfte ermöglichen können. Ein zentraler Punkt hierbei ist die Entlastung des Pflegepersonals bei der Dokumentation unter Zuhilfenahme der Digitalisierung. Um jedoch digitale Helfer adäquat im Markt durchsetzen zu können, sollten unter Bedacht der aktuellen finanziellen Situation der Akteure, insbesondere kleinere ambulante Pflegedienste) Übergangsfinanzierungen angedacht und aufgesetzt werden, welche im Nachhinein eine Verbesserung der Versorgungssituation ermöglichen. Letztlich könnten dadurch auch höhere Kosten eingeschränkt werden, die durch eine schlechtere Versorgungsqualität verursacht würden. Diesbezügliche Übergangsfinanzierungen könnten wie folgt aussehen:
- Die Aufsetzung von lukrativen Fördermöglichkeiten ähnlich dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG), welche jedoch einen höheren Fördersatz der aktuell max. 40 % anstreben sollten. Zudem ist dieser Fördertopf bisher auf 12.000,- € begrenzt und läuft gegen Ende des Jahres aus. An dieser Stelle sollte eine langfristige Strategie aufgesetzt werden, sodass nachhaltige Prozesse darauf ausgerichtet werden können und dementsprechend ambulante Dienste grunddigitalisiert werden.
- Das Aufsetzen eines Pendants zum Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) für die Pflege wäre eine weitere Möglichkeit. Da dieser Artikel vorrangig die ambulanten Pflegedienste in den Fokus stellt, sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf auch den stationären Einrichtungen widmen sollte/müsste, um eine gesamtheitliche und nachhaltige Wirkung zu erzielen. Grundsätzlich sollte sich die Charakteristik eines KHZG-Pendants für die Pflege an dem Gedankengang aus dem vorherigen Vorschlag orientieren. Es sollte eine langfristige Förderstrategie aufgesetzt werden, sodass nachhaltige Prozesse darauf ausgerichtet werden können und dementsprechend ambulante Dienste grunddigitalisiert werden.
- Es könnte eine (Teil-)Erstattung der Kosten für digitale Unterstützungssysteme zur Entlastung der Pflegekräfte seitens der Kassen ermöglicht bzw. weiter ausgebaut und vorangebracht werden. Durch die erzielte Entlastung der Pflegekräfte können langfristig Einsparungen erzielt werden, welche die Investitionen für die Unterstützungssysteme refinanzieren und das Gesundheitssystem modernisieren. Mögliche Szenarien können an dieser Stelle Selektivverträge mit einzelnen Kassen sein oder auch zeitlich begrenzte Finanzierungsphasen für eine Grunddigitalisierung der ambulanten Dienste, welche sich an dem Gedanken der Nachhaltigkeit (siehe vorherige Punkte) orientieren.
- Digitale Pflegeanwendungen (DiPA’s) sollten für das komplette Ökosystem der Pflege ausgelegt werden, wobei der Fokus des Patienten im Mittelpunkt auf jeden Fall weiter bestehen sollte, aber alle Akteure in unmittelbarer Nähe (Pflegekräfte, Therapeuten, etc.) unbedingt in die Betrachtung mit einfließen.
Grundsätzlich sollten alle aufgeführten Punkte den Ausbildungsaspekt beinhalten, sodass aktuell Auszubildende oder jene, die zukünftig ausgebildet werden, größtmöglich an dieser Grunddigitalisierung teilhaben. Demnach wird die Einhaltung der mit digitaler Entlastung zusammenhängenden Prozesse integraler Bestandteil der Ausbildung und letztlich des Arbeitsalltags. Weiterhin haben die angeführten Übergangsfinanzierungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen keine endgültige Lösung der grundlegenden Problematik darstellen. Jedoch soll kritisch demonstriert werden, dass wir neben dem Patienten alle weiteren Akteure sowie deren Rolle und auch die wirtschaftliche Situation im Ökosystem mit einbeziehen sollten.