E-Health in Deutschland
Evidente Vorteile trotz Hürden

Die Corona-Pandemie war und ist eine Belastungsprobe für das deutsche Gesundheitswesen. Vor allem für die Menschen, die für uns sorgen, aber auch finanziell. Gesetzlich Versicherte müssen sich nun auf höhere Krankenkassenbeiträge einstellen. Die Zusatzbeiträge sollen im nächsten Jahr um 0,3 Prozentpunkte steigen, wie es in der Zusammenfassung der GKV-Finanzreform heißt. Viele Experten sehen in der Digitalisierung eine Chance, das Gesundheitswesen zu entlasten. Aber: Ist das so? Und wenn ja: Warum geht die Digitalisierung so schleppend voran?
2020 hat der Staat im Zuge der Covid-19-Pandemie mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) einen riesigen Fördertopf geöffnet. 4,3 Milliarden Euro werden Krankenhäusern und Kliniken bereitgestellt. Genutzt werden soll dieses Geld, damit Kliniken sich digitalisieren. In insgesamt 11 Fördertatbeständen ist geregelt, wofür das Geld konkret verwendet werden muss. Dazu gehören zum Beispiel: Notaufnahme, Patientenportale, Medikationsmanagement oder auch Anpassung von Patientenzimmern bei Epidemien. Trotz dieses bahnbrechenden Vorstoßes kommt eine Studie von McKinsey zu einem erstaunlichen Ergebnis: Deutschland könnte durch konsequente Digitalisierung im Gesundheitswesen bis zu 42 Milliarden Euro einsparen. Dieser Betrag entspricht etwas mehr als zehn Prozent der jährlichen Gesamtausgaben im Gesundheitsmanagement. Die “App auf Rezept”, die elektronische Patientenakte sowie verbesserte Bedingungen für die Videosprechstunde seien einige wichtige Digitalisierungsvorhaben, die Deutschland bereits auf den Weg gebracht habe, äußert sich Studienautor Stefan Biesdorf im Handelsblatt. „Das Problem aber ist, dass die Angebote entweder noch nicht oder nicht ausreichend genutzt werden, weil der Nutzen für die Anwender noch nicht ersichtlich ist“, so Biesdorf (vgl. Klöckner, 2022).
Diskussionen um Digitalisierung
Auch das Fraunhofer Institut ermittelte in einer aktuellen Studie Ursachen der zögerlichen Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen und benennt “neben Interessenskonflikten der vielen beteiligten Akteursgruppen insbesondere Bürokratie, hohe Technologiekosten, Sicherheitsbedenken und regulatorische Unsicherheiten sowie fehlende Zuverlässigkeit der technischen Lösungen” als Gründe (Fraunhofer Institut, 2022). Gerade das Thema Datenschutz sorgt für Diskussionen. Ein Paradebeispiel hierfür ist die elektronische Patientenakte. In der Grundidee ist sie ein gutes Konzept: Jeder Patient bekommt seine eigene digitale Patientenakte, in der seine gesamte medizinische Historie hinterlegt ist. Auf dieser umfassenden Grundlage können Ärzte Zusammenhänge erkennen, Unverträglichkeiten von Medikamenten berücksichtigen und am Ende noch besser Diagnosen anfertigen. Zukünftig könnte vielleicht sogar künstliche Intelligenz – auf Basis anonymisierter Daten – durch Erkenntnisse über Krankheitsbilder und Symptome Diagnostiken gewinnen und seltene Krankheiten würden häufiger erkannt werden. Hier setzt aber auch schon die Diskussion an: Datenschützer forderten von Beginn an, dass Patienten selbst entscheiden müssen, welchem Arzt sie welche Informationen zukommen lassen wollen. Dies ging zeitweise so weit, dass gefordert wurde, selbst einzelne Passagen aus Befunden herauslöschen zu dürfen. Was auf den ersten Blick klingt wie die typische deutsche Datenangst, hat durchaus einen realen Hintergrund: Gerade Menschen, die in der Vergangenheit wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurden, können im Berufsleben immer noch diskriminiert werden. So besteht beispielsweise für angehende Lehrer die Gefahr, nach einer Psychotherapie nicht verbeamtet zu werden. Wem diese Art der Daten zugänglich gemacht wird, sollen also Patienten und Patientinen selbst entscheiden. Das sorgt wiederum für Frust bei den Behandlern. Sie befürchten, dass sich durch eine verschlechterte Datenlage die Gefahr der Fehldiagnosen erhöht. Am Ende hat unter anderem auch diese Diskussion dazu beigetragen, dass die elektronische Patientenakte in der Praxis aktuell kaum genutzt wird.

Ähnlich ist es beim E-Rezept. Auch hier ist die Idee einfach: Statt wie bisher mit rosa Papier- Rezept soll der Patient in der Lage sein, über eine App (und bald auch per E-Mail, Code oder SMS) das verordnete Rezept abholen zu können. Ab 2023 ist geplant, E-Rezepte zudem mit der elektronischen Gesundheitskarte einlösen zu können. Geringere Wartezeiten, verringerter Verwaltungsaufwand und Rohstoff sparend: eine längst überfällige Idee. Die Apotheken geben sich motiviert und vermelden, dass rund 10.000 bereit sind, die E-Rezepte einzulösen. Aber auch hier ist noch nicht alles digital, was glänzt. Ein bundesweiter Start für das Projekt war ursprünglich schon für Anfang dieses Jahres vorgesehen, geriet dann aber wegen Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes ins Stocken. Dann der nächste Rückschlag: Die Kassenärztliche Vereinigung in Schleswig-Holstein gab bekannt, sich aus dem Projekt zurückzuziehen. Eigentlich war diese mit den Ärzten aus Ostwestfalen- Lippe für das Pilotprojekt vorgesehen. Das bedeutet: lediglich Zahnärzte in Schleswig-Holstein nutzen das E-Rezept zum Start. Die offizielle Begründung hierfür: Datenschutz.
Denn jeder, der den QR-Code, welcher das Rezept verschlüsselt, abrufen kann, kann auch das Rezept abrufen. Deshalb bestehen die Kritiker darauf, dass dieser QR-Code Ende-zu-Ende-verschlüsselt sein soll. Dies würde aber bedeuten, dass Patienten sich einloggen müssen. Der angeführte Komfort für die Patientinnen rückt somit in den Hintergrund. Auch für die Ärzteschaft bedeutet das E-Rezept in der Startphase erst einmal einen Mehraufwand. In Zeiten, in denen fast jede Praxis händeringend nach Fachkräften sucht, ein Luxus, den sich nicht jeder Arzt leisten kann. Aber auch Apotheken haben wohl zu Recht die Sorge, dass mit dem E-Rezept auch verstärkt Online- und Versandapotheken auf den Plan treten. So bleibt vom E-Rezept vor allem eins: ein erneuter Imageschaden für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Digital geht – schon heute
Dabei gibt es sie zu genüge: Die Erfolgsgeschichten. Sie vereint vor allem eins: Treiber waren nicht gesetzliche Initiativen, sondern Gründer und Ärzte selbst. Das wohl den meisten Menschen bekannte Beispiel dürfte die Online-Terminbuchung sein.

Egal ob beim Facharzt, im Krankenhaus oder beim Allgemeinmediziner auf dem Land. Immer mehr Ärzte nutzen die Möglichkeit, dass Patienten sich einen Termin online selbst buchen. Das birgt für beide Seiten viele Vorteile. Der Patient kann in Ruhe schauen, welcher Termin am besten passt. Vormittags oder nachmittags? Kein Problem! Falls der gewünschte Termin in zu weiter Ferne liegt, bieten einige Anbieter die Möglichkeit an, sich auf eine Warteliste setzen zu lassen, falls ein früherer Termin frei wird. Andere Anbieter machen es dem Patienten leicht, sich einen früheren Termin von einem anderen Arzt anbieten zu lassen. Bequem ist zudem die Möglichkeit, sich die Termine direkt in den digitalen Kalender eintragen oder sich per SMS oder E-Mail an den Termin erinnern zu lassen. Doch auch für Ärzte und Ärztinnen bietet die Online-Terminvergabe große Vorteile:
- Weniger Administrationsaufwand: Die Online-Terminbuchung sorgt für bis zu 36 % weniger Telefonate mit Patienten und nimmt Mitarbeitenden einiges an administrativer Arbeit ab. Termine und Patientenstammdaten werden datensicher in Echtzeit in den Praxis-Kalender übertragen. Das E-Rezept bietet viele Vorteile gegenüber der Papierversion, die Umsetzung gestaltet sich jedoch schwierig.
- Optimale Auslastung: Sollte ein Patient trotz Terminerinnerungen doch mal einen Termin absagen wollen, können andere Patienten über die Nachrückerliste aufrücken. So sorgen Ärzte für eine optimale Auslastung ohne Leerlaufzeiten.
- Weniger Zuweiser-Gespräche: Auch Zuweiser können ihre Patientinnen über die Online- Terminvergabe bei Kollegen einbuchen. Arzt-Arzt-Telefonate werden um bis zu 75 % reduziert.
- Stärkere Termintreue: Dank automatischer und individueller Terminerinnerungen per E-Mail oder SMS (nach vorheriger Einwilligung des Patienten) kommt es zu 70 % weniger Terminausfällen. Zudem steigern Ärztinnen und Ärzte so auch die Patientenzufriedenheit.
Eine weitere Erfolgsgeschichte ist die sogenannte Telekonsultation, besser bekannt als Videosprechstunde. Durch die Pandemie wurde es in Deutschland erstmals flächendeckend ermöglicht, dass Ärzte Untersuchungen, für die der Patient nicht in der Praxis sein muss, über eine Videosprechstunde durchführen konnten. Auch hier liegen die Vorteile für beide Seiten klar auf der Hand. Der Betroffene spart Zeit, da er nicht erst in eine Praxis fahren muss. Wer sich einmal mit einem grippalen Effekt in eine Praxis geschleppt hat, weiß, wie anstrengend das sein kann. Außerdem verringert sich das Ansteckungsrisiko bei Verdacht auf ansteckende Krankheiten um ein Vielfaches. Auch für Ärzte bietet die Videosprechstunde viele Vorteile. Neben der Entlastung des Wartezimmers, erhöhter Flexibilität und des verbesserten Patientenservices stehen auch wirtschaftliche Interessen im Fokus: Es können Patientenkreise erschlossen werden, die sonst räumlich nicht zu erreichen wären. Aufwändige Hausbesuche können flexibel über Video stattfinden. Außerdem kann zu Zeiten behandelt werden, die sonst für Patient und Arzt unattraktiv sind.

Auch die McKinsey Studie kommt zu dem Ergebnis, dass diese beiden Bereiche besonders ergiebig für das deutsche Gesundheitswesen waren: „Insgesamt hat das deutsche Gesundheitswesen durch Digitalisierung seit 2018 rund 1,4 Mrd. EUR p. a. Nutzen realisieren können. Mit ca. 60 % entfällt der größte Anteil auf den Bereich digitale Gesundheit. Vor allem digitale Lösungen wie Online-Terminbuchungen (0,4 Mrd. EUR) oder Telekonsultation (0,2 bis 0,3 Mrd. EUR) werden verstärkt genutzt“ (McKinsey, 2022: S. 4).
Fazit
Die Videosprechstunde sowie Online-Terminbuchung sind nur zwei Beispiele, wo E-Health- Lösungen in der Praxis ihre Vorteile für alle Beteiligten im täglichen Einsatz beweisen. In einem vernetzten Gesundheitswesen, wo die Prozesse sowie die Kommunikation innerhalb und zwischen Gesundheitseinrichtungen sowie Arzt und Patient digitalisiert sind, werden langfristig alle Parteien profitieren. Die Effizienzsteigerung durch E-Health-Lösungen führt nicht zuletzt dazu, dass die Versorgung der Betroffenen verbessert wird – da mehr Zeit für die Behandlung bleibt. Die Diskussionen rund um das E-Rezept und die elektronische Patientenakte zeigen, dass es für eine erfolgreiche Digitalisierung zwingend notwendig ist, dass E-Health-Lösungen höchsten Datenschutzrichtlinien entsprechen, und diesen vertraut wird.
Für die Zukunft wird es vor allem entscheidend sein, dass der Bereich des E-Health in Krankenhäusern weiter ausgebaut wird. Dieser wird aktuell viel zu wenig genutzt, obwohl dort viel Potenzial steckt. Die gute Nachricht ist, dass mit dem KHZG die Weichen gestellt wurden, um genau das zu ermöglichen. Damit eine umfassende Digitalisierung gelingt, ist es aber auch zwingend notwendig, dass der Patient die Angebote nutzt und sich ihrer Vorteile gewahrt. Deshalb sind auch Behandler in der Pflicht, über entsprechende Angebote und ihren Nutzen aufzuklären.

Autor
Justus Papenbroock
Account Executive Norddeutschland bei samedi GmbH
Aus einer Ärztefamilie stammend, hat Justus Papenbroock schon früh die administrativen Herausforderungen in Gesundheitseinrichtungen kennengelernt. Seine Mission seitdem: Das Telefonklingeln in Deutschlands Arztpraxen und Kliniken reduzieren, Ärzte, MFAs und Kliniken von redundanten Aufgaben zu entlasten und ihren Patienten und Patientinnen eine bessere Versorgung zu ermöglichen. Dieser Weg führte ihn über die Pantalion GmbH zu samedi, wo er heute mit über 120 E-Health Enthusiasten im Kollegenkreis Technologie mit Menschlichkeit verbindet und so die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreibt.