Digitale Labordiagnostik
Wesentlicher Wegbereiter eines vernetzten Gesundheitsökosystems

70 % aller medizinischen Entscheidungen basieren auf Laborergebnissen. Eine Diagnose ohne Diagnostik ist in vielen Fällen nur eine Hypothese. Neue Plattformen können helfen, schnell und sicher Gewissheiten zu schaffen.
Es war der Sound der Pandemie: Es knirschte, es ratterte, es piepste in den Laboren, Praxen und Gesundheitsämtern. Eine globale Pandemie wurde mit Faxgeräten, Meldezetteln und Schnurtelefonen beantwortet – fast so, als wäre die Technik vor Jahren einfach stehen geblieben.
Die Schwachstellen, die in der Pandemie schonungslos offen gelegt wurden, gilt es nun zu beheben: Dazu muss die Labordiagnostik dringend digitalisiert werden. Aktuell ist die Patientenreise eine Einbahnstraße. Was fehlt, ist die diagnostische Brücke, die ein sich schnell formendes hoch vernetztes Gesundheitsökosystem und Labordiagnostik verbindet. An der Schnittstelle zwischen Telemedizin und Labortest wird der Patient oder die Patientin so zum Beispiel häufig zurück in das 20. Jahrhundert katapultiert – neue, kreative und hybride Versorgungswege für die Vorsorge fehlen. Es ist eine fragmentierte, analoge Welt. Es knirscht, es piept, es rattert immer noch.
Der nächste notwendige Schritt ist es, die komplette Patienten Journey zu digitalisieren – von der virtuellen Sprechstunde über das Therapiemonitoring bis hin zum digitalen Austausch der Laborergebnisse.
„Wenn diagnostische Tests für die Menschen zugänglicher werden, können Ärzte bessere und schnellere medizinische Entscheidungen treffen. So kann das gesamte Gesundheitssystem seine Kosten senken. Nach einer Studie von L.E.K. (2021) wird in 40 bis 50 % aller telemedizinischen Sprechstunden ein medizinischer Test zur weiteren Diagnose benötigt, jedoch erhalten heute lediglich drei bis fünf Prozent ein Testkit nach Hause geschickt.” – Dr. Daniel Fallscheer, CEO und Co-Gründer der medizinischen Diagnostikplattform DasLab
Heimtests bieten unter anderem ein enormes Potenzial für die Krebsvorsorge oder als hybride (also physische und virtuell kombinierte) Versorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes.
Digitale Labordiagnostik baut Hürden ab, die sonst effektive Tests verhindern
Aber sehen wir uns erstmal an, was Digitale Labordiagnostik konkret bedeutet. Unterschieden wird zwischen sogenanntem Self-Sampling und Professional Sampling. Beim Self-Sampling erhält der Patient ein Testkit nach Hause geschickt – und kann Urinproben, Abstriche oder Fingerblutproben selbst abnehmen. Er muss also nur für die Rücksendung des Pakets an ein zentrales Labor das Haus verlassen. Professional Sampling bedeutet, dass die Probenentnahme durch eine medizinische Fachkraft durchgeführt wird – Zuhause, im Labor oder anderen zugelassenen Einrichtungen. Terminvereinbarung, der Online-Check-in und die Aufarbeitung und Interpretation der Ergebnisse bleiben dabei komplett in der digitalen Journey.
Warum ist das so wichtig? Komplizierte Terminvereinbarungen und Wartezeiten entfallen. Für ältere und kranke Menschen ist der Weg oft zu mühsam, hinzu kommt der Wunsch nach diskreteren Testmöglichkeiten speziell für zum Beispiel sexuell übertragbare Krankheiten. Kurz: Die Digitale Labordiagnostik baut Hürden ab, die sonst effektive Tests verhindern. Testkapazitäten sind vorhanden – Labore operieren aktuell im Durchschnitt mit Auslastungen unter 80 %. Innovative, digitale Infrastrukturen für Labortests würden auch die Ressourcen der Labore besser nutzen.
Digitale Labordiagnostik ist eine notwendige Veränderung – die die Patienten und Patientinnen auch einfordern werden. Denn die Corona-Pandemie hat das Gesundheitssystem zwar weltweit erschüttert und seine Grenzen aufgezeigt, aber auch für einen Innovationsschub gesorgt. Patienten bekamen zum ersten Mal flächendeckend digitalen Zugriff auf einen (winzigen) Teil ihrer persönlichen Gesundheitsdaten. Den Begriff “Patient Empowerment” gibt es seit mehr als 20 Jahren, aber erst jetzt wird der Patient wirklich ermächtigt, weil er seine Gesundheitsdaten sprichwörtlich in den Griff bekommt. Die WHO spricht von Patient Empowerment als “Prozess, durch den die Menschen mehr Kontrolle über Entscheidungen und Handlungen erhalten, die ihre Gesundheit betreffen”. Und diese Kontrolle geben Betroffene nicht gerne wieder aus der Hand.
Was fehlt? Eine Infrastruktur, die alle zusammenbringt
Mit Blick auf die nächsten Jahre glauben Branchenexperten, dass die Verbraucher Zugang, Komfort und Transparenz bei ihren Labortests einfordern werden. Das öffnet die Tore für neue Marktteilnehmer, die medizinische Labordiagnostik universell und sicher zugänglich machen – egal wann und wo der Patient das gerne möchte.

Komplexes Ökosystem, einfache Patientenjourney
Neue medizinische Diagnostikplattformen verbinden alle Anbieter von Labortests
Besonders der virtuelle und hybride Gesundheitssektor kann von diesen universal zugänglichen Daten profitieren und zusammenwachsen. Aktuell gibt es individuelle Schnittstellen (sogenannte Application Programming Interfaces – kurz APIs), was es schwierig, zeitaufwändig und kostspielig macht, Integrationen über mehrere Labore hinweg einzurichten. Was fehlt, ist eine standardisierte Infrastruktur, die alle zusammenbringt.
Mittlerweile gibt es erste Plattformen für medizinische Labordiagnostik in Europa. Dafür vernetzen die Anbieter mit ihren ‘Plug-and-Play’-Lösungen alle Akteure des Gesundheitsökosystems, die medizinische Tests nachfragen oder anbieten. In ersten Kooperationen mit Telemedizinern in Deutschland und Spanien bieten manche Anbieter At-Home-Testkits für sexuell übertragbare Krankheiten (STI) wie Chlamydien, Gonorrhoe oder ein Test auf die 11 häufigsten Erreger von STIs an. Ziel dieser Angebote ist es, die Testraten zu erhöhen und somit eine frühzeitige, adäquate Behandlung zu ermöglichen. Vereinzelte Plattformen kommunizieren dabei bereits mit allen zukünftig verpflichtenden Datenstandards wie FHIR, LOINC und SNOMED. Durch diese wird eine einfach Vernetzung in einem Gesundheitsökosystem ermöglicht. Zudem können wichtige longitudinale Datensätze auf individueller Patienteneben aufgebaut werden, welche zu einem späteren Zeitpunkt datenbasiertere Diagnose und Therapieentscheidungen ermöglichen können.
Eine Probenentnahme von Zuhause kann bei der Krebsvorsorge helfen
Es geht hierbei nicht nur um eine bessere Patientenerfahrung. Digitale Labordiagnostik kann Leben retten, ganz konkret bei Darmkrebs. Darmkrebs oder auch Kolorektale Karzinome (KRK) sind weltweit die dritthäufigste Krebserkrankung mit knapp 63.000 Erkrankungen pro Jahr. Rund 39 % der Erkrankten überleben Darmkrebs nicht. Früherkennung ist aktuell die wichtigste Maßnahme für die Bekämpfung von Darmkrebs – die Inzidenz steigt ab dem 50. Lebensjahr an. Deshalb sind auch alle Frauen und Männer ab 50 Jahren berechtigt sich auf Darmkrebs untersuchen und beraten zu lassen. Erstaunlich ist, dass aktuell zum Beispiel in Deutschland, nach Daten von führenden Krankenversicherungen unter 20 % der Vorsorgeberechtigten eine solche Vorsorge in Anspruch nehmen.
Genau hier kann die Probenentnahme von Zuhause neue Maßstäbe setzen: „Bei einem Test-Set, das nach Hause geliefert wird, rechne ich mit einem enormen Sprung bei Akzeptanz und Durchführung von Stuhltests im Rahmen der Darmkrebsvorsorge”, sagt Prof. Dr. Matthias Löhr, Professor für Gastroenterologie und Hepatologie am Karolinska Institut in Stockholm.

Bedeutet konkret: Gesunde Patienten, geringere Folgekosten für Krankenversicherungen und das gesamte Gesundheitssystem. Die Niederlande haben dieses Szenario bereits in die Realität umgesetzt: Mit dem nationalen Darmkrebs-Screening-Programm der Facilitaire Samenwerking Bevolkingsonderzoeken werden seit Anfang 2018 jährlich bis zu 2,4 Millionen Niederländer automatisiert Testkits zur Früherkennung von Darmkrebs zugesandt – vollautomatisiert und mit einer Teilnahmerate von knapp 70 %.
Wie kann das funktionieren? Mit einem vorfrankierten Probeentnahme-Kit können Patienten und Patientinnen von Zuhause bequem ihre Stuhlproben einsenden und so eine Darmkrebserkrankung frühzeitig diagnostizieren. Sie müssen nicht lange auf Termine und Befunde warten und erhalten innerhalb einer Woche alle wichtigen Gesundheitsdaten auf ihr Smartphone. Zudem stehen Telemediziner bereit, bei auffälligen Testergebnissen die weiteren Diagnoseschritte mit dem Patienten schnell und unkompliziert zu besprechen.
Das Testangebot für Krebsfrüherkennung soll künftig auch auf Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs erweitert werden. Zudem eignet sich der Ablauf auch noch für weitere Präventionstests auf chronische oder Volkskrankheiten.

Autor
Dr. Daniel Fallscheer
Digital Healthcare Experte
Dr. Daniel Fallscheer ist Digital Healthcare Experte. Seit über zehn Jahren gestaltet er die Zukunft des Gesundheitssystems mit. Sein Weg führte ihn dabei über Siemens Healtheneers und Medtronic inmitten einer globalen Pandemie im Jahr 2020 zur Gründung seines eigenen Startups DasLab. DasLab ist eine herstellerneutrale Infrastruktur- und Interoperabilitäts-Plattform für medizinische Labordiagnostik mit Hubs in Berlin, München und Barcelona und verbindet alle relevanten Interessengruppen im Ökosystem des Gesundheitswesens über eine API und erleichtert damit Gesundheitsdienstleistern den Zugang zu hochwertiger medizinischer Labordiagnostik.
https://daslab.health/de/
https://de.linkedin.com/in/dr-daniel-fallscheer-05307135