Digital Companions 2.0
Gamechanger personalisierter Gesundheit

Mit „Digital Companions“ können Ärzte ihre Patienten 24/7 therapeutisch begleiten. Die neueste Generation wird als „Progressive Web App“ (PWA) realisiert. Sie bietet gegenüber den Vorgängern signifikante Mehrwerte für Patienten, Leistungserbringer, Kostenträger und Hersteller. Ein Überblick.
Was ist ein „Digital Companion“?
Dank sogenannter „Digital Companions“ sind Mediziner*innen in der Lage, ihre Patienten und Patientinnen rund um die Uhr therapeutisch zu begleiten – nicht nur bei einzelnen Krankheiten wie Schuppenflechte, Diabetes oder Asthma, sondern auch krankheitsübergreifend. Dadurch können Wechselwirkungen zwischen Krankheiten erkannt und Silo-Anwendungen vermieden werden. Darüber hinaus werden Wartezeiten zwischen den Arztbesuchen intelligent nutzbar. Wichtige Gesundheitsinformationen können 24/7 erfasst werden. Ein typischer Use Case besteht darin, Patienten zyklisch zu befragen, wie sich ihre Krankheit entwickelt. Zusätzlich können Aufgaben, Anleitungen und Übungen auf Basis digitaler Patientenpfade (auch „Care Pathways“ genannt) ausgespielt, personalisiert und an den individuellen Krankheitsverlauf angepasst werden. Last but not least können Ärzte und Patienten auch mittels Chat und Video direkt interagieren.
Ärzte und Krankenhäuser sind darüber hinaus sogar in der Lage, nicht nur mit einzelnen, sondern mit dutzenden, hunderten oder gar tausenden Patienten parallel zu interagieren. Dies wiederum ermöglicht eine ebenso effektive wie effiziente Durchführung von Studien und Evidenzanalysen – z. B. von forschenden Unternehmen, Universitätskliniken und Krankenversicherungen. Sogar virtuelle Kliniken können auf dieser Basis realisiert werden. Ein intelligentes Dashboard hilft den Ärzten und Ärztinnen in solchen Fällen dabei, den Überblick über die Vielzahl von Patienten zu behalten und die individuellen Entwicklungen jedes einzelnen korrekt erfassen zu können. Ermöglicht wird dies durch eine Ampellogik, die anzeigt, welche Patienten und Patientinnen sich „im grünen Bereich“ befinden oder bei welchen eine Intervention geprüft werden sollte.

Welche Herausforderungen bestehen?
„Digital Companions“ sind nicht mit sogenannten „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGA) zu verwechseln: Sie werden nicht auf Rezept verschrieben, sie müssen nicht den BfArM Zulassungsprozess durchlaufen, außerdem sind sie krankheitsübergreifend einsetzbar. Schließlich sind sie keine „digital only“ Lösungen, sondern hybride Produkte, welche die analoge Therapie begleiten und von Leistungserbringern mit eigenen Inhalten gefüllt und genutzt werden. Sie erfreuen sich daher gerade bei Ärzten wachsender Beliebtheit.
Die Hersteller von (mobilen) Gesundheits-Apps sehen sich gleichwohl mit Herausforderungen konfrontiert:
- Seit Einführung der „Medical Device Regulation“ (MDR) im Jahr 2021 sind Gesundheits-Apps regulatorisch neu zu bewerten. Dies hat zum Teil erhebliche Konsequenzen für deren Wirtschaftlichkeit sowie für Organisation und Distribution.
- Technisch besteht die Herausforderung, Gesundheits-Apps in bereits bestehende, komplexe (mobile) Ökosysteme von Krankenhäusern, Krankenversicherungen oder forschenden Unternehmen einzubinden.
- „Digital Companions“ müssen darüber hinaus in der Lage sein, nachweislich qualitätsgesicherte Inhalte von verschiedenen medizinischen Fachpartnern einfach und umfassend zu integrieren, zu personalisieren und zu distribuieren.
Zum ersten Punkt:
Da „Digital Companions“ Medizinprodukte sein können, ist im Einzelfall genau zu prüfen, ob bzw. welche Anforderungen der MDR erfüllt sein müssen. Ausschlaggebend ist die Zweckbestimmung des Produkts und der Grad der Gefährdung des Patienten oder der Patientin. Zu beachten ist insbesondere die Klassifizierungsregel 11: Danach fallen Lösungen, die Informationen liefern, um Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke zu treffen, unter die Klasse IIa. Das heißt, dass diesbezügliche Lösungen u. a. ein Qualitätsmanagement-System besitzen und Sicherheitsberichte erstellen müssen. Über die MDR hinaus kann eine CE-Zertifizierung oder ein ISO 27000 Zertifikat erforderlich sein.
Zum zweiten Aspekt:
Die Generation der „Digital Companions 1.0“ wurde und wird in der Regel als native App für iOS und Android umgesetzt. Dies hat für Nutzer und Anbieter zwar den Vorteil, dass viele native Funktionen genutzt werden können (u. a. Messaging und lokales Speichern). Der Nachteil ist jedoch, dass sie via App Store installiert werden müssen und zum Teil viel Speicherplatz erfordern. Hinzu kommt, dass Krankenhäuser, Forschung und Krankenversicherungen meist schon eine Vielzahl digitaler Angebote besitzen und Silos vermeiden wollen. Bei der Generation „1.0“ besteht daher häufig die Frage, wie sie in bestehende Ökosysteme integriert werden kann bzw. wie zusätzliche Silo-Lösungen vermieden werden können. Gleiches gilt für die Frage, wie die oft unterschwellige Konkurrenz im Hinblick auf die Kundenschnittstelle aufgelöst werden kann.
Zu Punkt drei:
Da „Digital Companions“ indikationsübergreifend nutzbar sind, müssen Pathways verschiedener (Fach-)Ärzte nicht nur „unter einem Dach“ integriert, sondern auch personalisiert und synchronisiert werden können, z. B. Mental-Health-, Diabetes- und/oder Derma-Pathways inklusive diesbezüglicher Aktivitäten. Ermöglicht wird dies durch das Prinzip sogenannter „Care-Teams“, die parallel integriert und jeweils individuell auf Patientenbedürfnisse abgestimmt werden können. Patienten und Patientinnen müssen somit nicht für jede Krankheit eine eigene App nutzen, es reicht vielmehr ein „Digital Companion“, in dem mehrere „Care Teams“ integriert genutzt werden können.
Was bringt die nächste Generation?
Die Königslösung der zuvor skizzierten Herausforderungen ist die Umsetzung der neuesten Generation von „Digital Companions“ als sogenannte „Progressive Web App“ (PWA) – sie wird im Folgenden als „Digital Companion 2.0“ bezeichnet. Mit ihnen können Lösungen nahezu funktionsgleich wie native Apps und sogar MDR IIa-konform umgesetzt werden. Sie sind nutzerfreundlicher, wirtschaftlicher und leichter in Ökosysteme integrierbar als jemals zuvor. Und das bei vergleichbarer User Experience mit nativen Apps.
Doch was genau ist eigentlich eine PWA? Sie ist ein Mix aus mobiler App und Webapplikation. Sie ist mittels Browser (Chrome, Firefox, Safari) sowohl mobil als auch auf dem Desktop nutzbar. Man muss sie nicht über einen App-Store installieren. Es reicht ein einfacher QR-Code oder Link, um sie zu öffnen. Als Webservice können PWAs ohne Software Development Kid (SDK) in eine bestehende native App integriert werden. Hinzu kommt die Möglichkeit des White-Labelings, also die flexible Anpassung an das CI des Betreibers. Unterm Strich entsteht dadurch die Chance, mittels einer „Intel Inside“-Strategie die bisherigen Interessenkonflikte im Hinblick auf die Kundenschnittstelle aufzulösen: Hersteller eines „Digital Companion 2.0“ können und wollen im Hintergrund agieren.
Man möchte in Anbetracht der Vorteile fragen: Warum wurden PWAs nicht schon viel früher im Health-Umfeld genutzt – PWAs sind ja nicht wirklich neu? Die Antwort ist so einfach wie kompliziert: Während PWAs auf Android schon längere Zeit umfassend umsetzbar gewesen sind, hat sich Apple lange Zeit dagegen gesträubt. Davon betroffen waren insbesondere Gesundheits-Apps, da für sie Push-Mitteilungen und viele andere Features nativer Apps wichtig sind. Der Widerstand wurde darauf zurückgeführt, dass PWAs für Apple einen Kontrollverlust bedeuten: iOS-basierte Apps werden stets geprüft, bevor sie im Apple-Store aufgenommen werden. Mit einer PWA ist diese Kontrolle nicht mehr ohne weiteres möglich, da der Quellcode auf dem Server liegt und nicht mehr in der Mobile-App selbst. Wie auch immer: Apple hat angekündigt, künftig PWAs umfänglich zu unterstützen – für „Digital Companions 2.0“ ein Segen!
Welche Vorteile für wen?
Patienten profitierten von der Generation „1.0“ bereits dadurch, dass sie nicht für jede Krankheit eine eigene App installieren müssen, sondern „alles aus einer Hand“ nutzen konnten. Die Generation „2.0“ ermöglicht nun weitere wesentliche Vorteile: PWAs müssen nicht über einen App-Store installiert werden, sie lassen sich einfach über einen Link oder QR-Code im Browser aktivieren und nutzen. Dies spart Zeit, reduziert Einstiegshürden und erhöht die Conversion. Zudem kann die neueste Generation auch via Desktop genutzt werden.
Leistungserbringer, Forschung und Kostenträger profitieren dadurch, dass sie ihren Kunden entsprechende Services mit einer PWA wesentlich leichter zugänglich machen können. Zudem lassen sich Companion-basierte Services signifikant einfacher als bisher in bestehende Ökosysteme integrieren. Dies ist – kombiniert mit der Möglichkeit, regulatorisch abgesicherte Lösungen nutzen zu können – ein erheblicher Vorteil.
Am Ende profitieren sogar die Hersteller von Gesundheits-Apps, für die aufgrund regulatorischer Anforderungen das Entwickeln, Dokumentieren, Aktualisieren und Betreiben eigener MDRI/IIa-konformen Lösungen oft zu aufwändig geworden ist. Sie können ihre bestehenden Fach-Inhalte in Pathways für PWA-basierte Companions umwandeln und in Ökosysteme integrieren. Mit der Generation „2.0“ erreichen sie ihre Anwender, ohne dass die hohen Aufwände für die Infrastruktur selbst betrieben werden müssen. Schließlich profitieren sie dadurch mittelbar von all den zuvor genannten Vorteilen für Patienten, Leistungserbringer, Forschung und Kostenträger.

Autor
Oliver Merx
Head of Partner Management & Market Access der Oncare GmbH
Oliver Merx ist Head of Partner Management & Market Access der Oncare GmbH sowie Initiator des www.epa-magazin.de zur Elektronischen Patientenakte und der ePA-LinkedIn-Gruppe. Die international agierende Oncare GmbH, mit Standorten in München und Kairo, entwickelt für die myoncare- Plattform einen PWA-basierten, MDR I/IIa-konformen Digital Companion, der ab Ende 2022 die bisherige native App für iOS und Android ersetzen wird.
www.myoncare.com
https://www.linkedin.com/in/oliver-m-merx-83777b