Was im Metaverse möglich ist
Der neue Marketingkanal ist eröffnet

Staunen Sie schon oder zweifeln Sie noch? Möchten Sie im Metaverse zu den Pionieren gehören oder lieber aus der Ferne beobachten? Es ist spannend zu ergründen, auf was sich Marketingexperten einstellen und auf welche vielfältige Art sie den neuen Marketingkanal nutzen können. Das Online-Marketing dieser virtuellen Welt des Webs 3.0 wird interaktiver, personalisierter und automatisierter sein. Im Mittelpunkt steht dabei das immersive Erlebnis des Kunden.
Das Metaverse heute – investieren oder nicht?
Das grenzenlose Metaverse, das sich Mark Zuckerberg vorstellt, existiert bisher eigentlich noch nicht. Vielmehr gibt es mehrere kleine Metaverse, die allerdings noch nicht verbunden sind. Nicht nur der Metakonzern, auch Google, Apple, Microsoft und zahlreiche andere Unternehmen rühren kräftig und treiben die Erschaffung dieser Welten voran. Das bisher bekannteste Land ist das Decentraland, bestehend aus 90 000 Parzellen. Hier ist Werbung seit September programmatisch buchbar. Jeden Monat finden zahlreiche virtuelle Veranstaltungen statt wie Konzerte, Partys oder Modenschauen. Doch während im Decentraland noch recht wenig los ist, tummeln sich in Online- Spielwelten des Metaverse die Nutzer. Für das Spiel The Sandbox sprach Vorstand Mathieu Nouzareth in einem Interview im März von Hunderttausenden aktiven Nutzern.
Während die einen am Metaverse zweifeln, raten andere zum zeitigen Handeln. „Unternehmen sollten bereits früh aufspringen, um die Vermarktungsvorteile zu Beginn der Plattform für sich zu nutzen. Diesen Vorsprung haben wir bereits bei der Etablierung von Facebook, Instagramm, tiktok und Co. gesehen […]“, so die Einschätzung von Dominik Hauke auf unternehmer.de. Den Kunden in Deutschland attestieren Studien wie die des Marktforschungsinstituts Nordlight Research (April 2022) eher Zurückhaltung. Ein Kaufboom bei VR-Brillen sei nicht in Sicht, die Neugier am Metaversum sei da, aber beschränkt. Studienleiterin Jessica Ruiz Ribota kommt zu dem Schluss: „Produkte und Anwendungen im Bereich VR und AR werden voraussichtlich auf absehbare Zeit noch Nischencharakter haben und Experimentierfelder bleiben.“ Zugleich werde der Positionierungswettbewerb der Hardware-Hersteller und Software- Entwickler um relevante Marktanteile zunehmen. Laut einer Sommer- Umfrage des Bundesverbandes für digitale Wirtschaft (BVDW) unter 111 Fach- und Führungskräften von digitalen Dienstleistern plant immerhin jedes dritte Digital-Unternehmen, in Metaverse-Projekte zu investieren.

Quelle: Marx-Kohlstädt/DynaPictures
Bannergeneratoren und 3D: Werbung ohne Grenzen
Zwei Faktoren im Metaverse führen zu großen Veränderungen in der Werbung. Erstens kann diese in 3D dargestellt, damit aus unterschiedlichen Winkeln betrachtet werden und sich so entfalten. Für Grafiker bieten sich damit ganz neue Optionen der Gestaltung und Verwirklichung. Zweitens können von Nutzern, die ja ganz in die virtuelle Welt eintauchen und dort agieren, viel mehr Daten gesammelt werden, so dass Werbung noch personalisierter wird. Dies bietet Chancen und Risiken.
In der großen virtuellen Lebenswelt möchte der Konsument die Marke erleben. Das geschieht am besten über Geschichten, die er mit beeinflusst und deren Teil er wird. Das immersive Erlebnis, also das Eintauchen in die Welt der Marke, stellt eine neue Möglichkeit dar. Auch in Spielen können potenzielle Kunden mit Produkten in Kontakt kommen. In jedem Fall werden Unternehmen einen engeren Kontakt zur Zielgruppe bekommen. Meta-Chef Zuckerberg beschreibt es so:
„Wir werden uns anderen Menschen immer so nah fühlen können, als ob wir direkt bei ihnen wären, egal wie weit wir tatsächlich voneinander entfernt sind.“ – Mark Zuckerberg, Meta
Auf die Werbung im Metaverse hat diese Nähe starke Auswirkungen. Was für konkrete Werbemöglichkeiten gibt es? Hier eine Auswahl:
- Bannerwerbung auf Cubes oder Walls
- Spiele
- Ungewöhnliche Werbeträger: z. B. Tiere, Segel von Schiffen
- Zusammenarbeit mit Influencern
- Digitale Showrooms mit 3D-Produkten
- Augmented Reality: Der Kunde testet das Produkt bei sich zu Hause, z. B. Möbel
- Events veranstalten oder daran teilnehmen (z. B. Konzerte)
- Sammlerstücke auf den Markt bringen (z. B. Accessoires für Avatare)
Der Trend zu einem steigenden Automatisierungslevel und KI-Applikationen könnte sich durch das Metaverse immer weiter entfalten. Welche Rolle werden Bannergeneratoren spielen, mit denen schon jetzt 2D Werbebanner in Sekunden hundertfach variiert werden können? Als Mittel der Design Automatisierung können sie etwa dort Sinn machen, wo virtuelle Firmensitze oder Shoppingmeilen entstehen. Allerdings werden sie sich deutlich verändern müssen, um Werbebanner in 3D zu produzieren, die im Idealfall auch noch interaktiv sind.
Virtual Reality Agenturen bieten ihren Service an, wenn es um Marketing in der virtuellen Welt und die technische Umsetzung geht. Einfach gesagt brauchen Firmen zuerst einmal eine Metaverse Software, um die technische Grundlage für einen digitalen Ort zu schaffen. Alles deutet darauf hin, dass Werbung automatisierter und personalisierter werden wird. Werbeflächen im Decentraland und auf der Voxels-Plattform werden programmatisch verkauft und automatisch ausgespielt, so dass jeder Kunde die auf seinen Avatar angepasste Werbung sieht und erlebt. Technisch und inhaltlich liegen dem Metaverse Marketing vor allem drei Dinge zu Grunde, wie das Team von Contentmanager.de zusammenfasst:
- Es muss auf der Grundlage von Augmented und Virtual Reality aufgebaut werden
- Es stellt den Nutzer in den Mittelpunkt und fördert die Interaktion
- Es muss plattformunabhängig erfolgen
Programmatische Werbung: Über eine Plattform werden Werbeplätze oder -einblendungen im Metaverse automatisch verkauft, platziert und ausgespielt. Der Verkauf läuft über eine Auktion in Echtzeit. |
Marketingbeispiele: Mode und Bier für Avatare
Kreative Beispiele aus dem Marketing deutscher Unternehmen findet man im Metaverse bisher vor allem in der Auto- und Modebranche. Ein Vorreiter ist Adidas. Avatare im Metaverse, genauer gesagt im Onlinespiel The Sandbox, tragen bereits virtuelle Sportbekleidung der Marke. Die NFTKollektion verknüpfte offline und online Marketing auf geschickte Weise. Mit den NFT Wertmarken sicherten sich die Kunden im Dezember 2021 Vermögenswerte auf virtuelle Sportkleidung, aber auch auf physische Kleidung. Seit April ist die Marke mit der futuristischen Ozworld-Kollektion außerdem auf der Spieleplattform Fortnite vertreten. Hier sind sowohl eine Fabrik als auch ein Geschäft nachgebildet. Auf einer KI-gestützten Plattform können Nutzer ihren Avatar erschaffen und virtuelle Turnschuhe anprobieren.
Neben Adidas sind bisher auch viele andere Modefirmen wie Nike, Gucci oder Dolce & Gabbana im Metaverse vertreten und haben die Entmaterialisierung der Mode für sich entdeckt. So nutzen sie als eine der ersten Branchen das Metaverse für ihr Marketing. Einige zeigten ihre Kollektionen im März bei einer großen Fashion Week. Die Betreiber von Decentraland vermeldeten, dass während der Veranstaltung 108 000 Besucher auf der Plattform waren. Sie konnten miterleben, wie Dolce & Gabbana Katzen über den Catwalk laufen ließ oder wie Meteoriten vom Himmel fielen und Kleidung offenbarten. Technisch gesehen blieb die Fashion Week pixelig und nicht ohne Pannen. Trotzdem freute sich nicht nur Max Vedel von der Agentur Swipe Back über die Möglichkeiten:
„Man will nicht nur das reale Leben im Metaverse nachbilden; man will Grenzen überwinden und mit seinen Designs, Showeinlagen und dem wahren Erlebnis richtig verrückt werden.“ – Max Vedel, Metaverse Kreativagentur Swipe Back

Die Grenzen des Möglichen im Metaverse überwinden und die virtuelle Realität als Begegnungsstätte nutzen – das hat sich auch die Brauerei Heineken auf die Fahnen geschrieben mit ihrem virtuellen Bier „Heineken Silver“ aus der virtuellen Brauerei. Allerdings setzte Heineken dabei auf Ironie und Humor. Denn so viel auch möglich ist im Metaverse, das Schmecken oder Riechen gehört nicht dazu. Ein virtuelles Bier können Nutzer zwar an der Theke im Decentraland bestellen, ansonsten müssen sie sich mit ihrer Fantasie begnügen. Heineken bewarb das Bier als ein Getränk „ohne Kalorien“, „ohne versteckte Inhaltsstoffe“ und „ohne Bier“. Nach dem Start im Metaverse führte Heineken das Getränk auch als echtes Bier ein. In Bars in London, Milano und anderen Städten Europas konnten Konsumenten die visuellen Eindrücke wiederfinden, die sie im Metaverse erfahren hatten. „Dadurch wurde für die Verbraucher von Heineken Silver ein nahtloses Erlebnis über die virtuellen und physischen Medien hinweg geschaffen“, resümiert Benjamin Broomfield im Marketingblog ClickZ. Die Kampagne zeigt auch, dass Heineken ein Grundprinzip des Metaverse verstanden hat. Die reale und die virtuelle Welt sollen hier zur Mixed Reality verschmelzen.
NFT: Non-Fungible Token bedeutet „nicht austauschbare Wertmarke“. Es handelt sich um eine digitale Vermögensmarke mit einem gewissen Wert oder einer bestimmten Funktion. NFTs kann man mit der zugrunde liegenden Kryptowährung kaufen, also zum Beispiel Ether oder Bitcoin. Durch NFT erlangt man das Recht auf z. B. Marken-Wearables, Kunstwerke oder Immobilien und kann seine Besitzansprüche dadurch nachweisen. Durch NFT entstehen aus virtuellen Gütern einzigartige, fälschungssichere Sammlerstücke. |
Personalisierte Werbung: Erkennen Sie Ihre Zielgruppe?
Wenn zehn Avatare an einem Schaufenster im Metaverse vorbeilaufen, wird jeder von ihnen eine andere Werbung sehen. Diese zielgruppengenaue Ansprache der Kunden nennt man Targeting. Waren dabei bisher Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad wichtig, so gelten im Metaverse andere Parameter. Denn hier schafft sich jeder seinen Avatar nach eigenen Vorstellungen. Marketer müssen also umdenken. Sie wissen nicht mehr, ob sie es in Wirklichkeit mit Frauen oder Männern zu tun haben, mit Teenagern oder Mittvierzigern. Robert Hermann bringt es im Onlinemarketing-Blog auf den Punkt: „Soziodemografische Faktoren verlieren also noch weiter an Bedeutung und werden von psychografischen Ansätzen und selbstlernenden Algorithmen abgelöst.“ Der deutsche Anbieter 42Meta vermarktet programmatische Werbung auf Displays in den Welten Voxels und Decentraland. Als Optionen fürs Targeting nennt er Folgende:
- Wallet ID [Identifikationsnummer der digitalen „Geldbörse“]
- Avatar-Geschlecht
- Wearables (Kleidung, Accessoires)
- Ortsbasierte Infos („Near by“, „On location“, „in Focus“ etc.)
- NFT-basierte Charakteristika (Verkäufe, Ausgaben, Einnahmen, Landbesitz oder Gebäude)
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Erscheinungsbild des Avatars, Shopping, Besitz und Vermögensgeschäfte sowie Standortinformationen die Grundlage für das Targeting bilden.
Gesammelt werden diese Daten über Tracking-Funktionen, also die Nachverfolgung des Kunden. Was Liesbeth Mack-de Boer im ADZINE Magazin über die weitere Entwicklung dieser Technik schreibt, klingt nach Science-Fiction:
„Die Nutzung von AR-Brillen in Kombination mit Eyetracking-Software könnte es Marketern in Zukunft ermöglichen, in Echtzeit zu erfassen, was Menschen sehen und wie sie sich dabei fühlen und hätte damit wahrscheinlich nicht nur Auswirkungen auf den digitalen Raum.“ – Liesbeth Mack-de Boer, Outbrain
Insgesamt basiert personalisierte Werbung im Metaverse also in der Regel auf Technik, die sich immer weiter entwickeln wird. Gleichzeitig gibt es bisher kaum Gesetze, die eine automatisierte Sammlung von Nutzerdaten einschränken.
Kritik am Metaverse
Fragen über Fragen beim Datenschutz
Das Digitale-Dienste-Gesetz, das in der EU ab dem 17. Februar 2024 gelten wird, verbietet zwar personalisierte Werbung bei Minderjährigen und schützt sensible personenbezogene Daten wie Gesundheit und sexuelle Orientierung. Personalisierte Werbung generell bleibt jedoch erlaubt.
Das Metaverse ist eine neue Erfindung, schon allein deshalb hinken Regelungen zum Datenschutz weit hinterher. Gleichzeitig deutet alles darauf hin, dass hier viel mehr Daten gesammelt werden, als es bisher im Internet geschah und geschieht. Welche Daten wird der Konzern wofür nutzen? Auf welchen Daten des Avatars darf Werbung basieren? Wie schützt man die Privatsphäre bei Meetings? Auf diese Fragen gibt es noch nicht genügend Antworten, kritisieren Datenschützer.
Das Metaverse ist nur ein Hype
Viele Experten glauben, dass das Metaverse – mit seinen hinter der Erwartung zurückbleibenden Nutzerzahlen – völlig überbewertet wird. Die Zahl der Zweifler ist noch gewachsen, seit Zuckerberg im November ankündigte, 11 000 Mitarbeiter des Meta-Konzerns zu entlassen. Zu diesem gehören auch Facebook und Instagram, die ihm ihrerseits nicht so viel Geld einbringen, wie er es sich vorgestellt hatte. Andererseits will das Unternehmen 2023 bis zu 100 Milliarden US-Dollar in das Metaverse investieren. Zuckerberg spielt auf Risiko und auf Zeit. Das Tagblatt.ch zitiert ihn: „Es ist nicht so, dass diese Sachen in einem oder sogar in zwei, drei Jahren reif sein werden.“ Zuckerberg betonte die Entschlossenheit des Unternehmens, die Entwicklung wenn nötig auch zehn Jahre oder so lange es eben sein müsse weiterzuführen.
Gerne weisen die Kritiker auch auf das Onlinespiel Second Life hin, das 2003 startete. Auch hier wurde die reale Welt virtuell abgebildet, auch hier zogen Unternehmen in virtuelle Firmensitze ein. Es war jedoch ein schnell vorübergehender Hype. Betrachtet man jedoch die Milliarden, die große Tech-Firmen ins Metaverse investieren und die Milliarden Facebook-Nutzer – eines Tages vielleicht Meta-Nutzer – so hat das Metaverse eine solidere Ausgangslage.
Fazit
Der neue Marketingkanal ins Metaverse ist eröffnet. Jedoch ist noch nicht absehbar, ob er Kunden und Marketer nachhaltig begeistern können wird. Unternehmen sollten die Entwicklung beobachten. Vorreiter profitieren von begrenzter Konkurrenz und damit verbundener größerer Aufmerksamkeit. Dem gegenüber steht eine noch überschaubare Nutzerschaft und nicht ausgereifte Technik – das sind Punkte, die es abzuwägen gilt. Die Möglichkeiten fürs Online-Marketing überwinden die Grenzen dessen, was bisher möglich war. Eine zentrale Rolle spielt dabei, dass der Nutzer die Marke erlebt und zur Interaktion ermuntert wird. Weit mehr noch als im Web 2.0 basiert die Werbung auf Technik wie Tracking, Künstlicher Intelligenz und Automatisierung. Eine große Aufgabe wird es sein, in diesem Rahmen den Datenschutz zu regeln und gleichzeitig nicht den Fortschritt zu sehr zu hemmen. Und was das Online-Marketing generell betrifft: Vielleicht wird die Mixed Reality eines Tages so selbstverständlich, dass Offline- und Online-Marketing nicht mehr unterschieden werden.

Autorin
Friederike Marx-Kohlstädt
Public Relations DynaPictures GmbH
Friederike Marx-Kohlstädt ist bei dem Freiburger Software-Entwickler Dyna- Pictures zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und beschäftigt sich seit zwei Jahren intensiv mit dem Thema Marketing-Automatisierung. Bevor sie in die IT-Branche wechselte, arbeitete sie im Printjournalismus. Crossmedial ausgebildet, hat sie den ganzheitlichen Blick auf die Medienlandschaft.