Vom Lernen in froher Erwartung
Warum Onlinekurse und Psychologie zusammengehören

Die Zahl derer, die Onlinekurse nutzen, hat sich zwischen 2008 und 2021 verfünffacht1. So weit, so erfreulich für die Anbieter. Aber: 97 % der Kurse werden nicht beendet. Und ob die beendeten Kurse zu Erfolg verhelfen ist die Frage. Echter Erfolg stellt sich erst dann ein, wenn das vermittelte Wissen positive Veränderungen bewirkt. Was den meisten Kursen fehlt, um diesen Erfolg zu erreichen, ist der Einsatz lernpsychologischer Methoden.
Wissen, was in den Köpfen vor sich geht
Warum werden sehr viele Onlinekurse als anstrengend oder langweilig empfunden? Weil in der Regel ein Experte oder eine Expertin ausführlich geballtes Wissen präsentiert. Frontal, ohne jede Didaktik, aber im Bewusstsein der eigenen großartigen Expertise.
Sie gehen davon aus, dass der Mensch vor dem Bildschirm das komprimiert vorgetragene Wissen begierig aufsaugt. Aber die Wahrheit vor dem Bildschirm sieht anders aus: Da wird nur mit halbem Ohr zugehört, werden nebenbei Mails gecheckt, Nachrichten gepostet oder im Handy Katzenvideos angeschaut.
Die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer sind nicht motiviert. Sie konzentrieren sich nicht, nehmen Unterbrechungen durch Telefonanrufe in Kauf, lassen Ablenkungen aller Art zu. Auch dann, wenn sie für den Kurs bezahlt, sich also bewusst dafür entschieden haben. Woran liegt das?
Ein emotionales Ja zum Lernen
Ein kurzer Exkurs in die Neurowissenschaft löst den vermeintlichen Widerspruch zwischen Kauf und Verweigerung auf: Die rational-kognitive Entscheidung, den Onlinekurs zu buchen, ist im präfrontalen Cortex gefallen, dem vorderen Stirnlappen.
Dieser Bereich des Gehirns ist aber zunächst nicht für die weiteren Handlungen zuständig. Die Information „Kurs gebucht“ wird vielmehr an die Basalganglien weitergeschickt, die Zugriff auf unser emotionales Gedächtnis haben.
In diesem Teil des Gehirns wird entschieden, ob es eine gute Idee ist, sich tatsächlich auf den Kurs einzulassen oder nicht. Als Basis für die Entscheidung dienen emotionale Vorerfahrungen mit dem Thema. Anders gesagt: Der rationale Teil des Gehirns ist erst dann bereit zuzuhören und Argumenten zu folgen, wenn der unbewusste, emotionale Teil okay gesagt hat.
Um einen erfolgreichen Onlinekurs zu erstellen, müssen wir uns mit psychologischen Mitteln um die emotionalen Faktoren kümmern, die über die Lernmotivation entscheiden. Die fünf Lernfaktoren sind:
- Verarbeitung
- Sinn
- Hoffnung
- Selbstwirksamkeit
- Forschergeist
Die rein passive Aufnahme von Informationen führt nicht zu Lernerfolgen. Nach nur etwa fünf Minuten Wissens-Druckbetankung muss bereits eine Phase folgen, in der die Teilnehmenden selbst aktiv werden. Auch das ist eine Erkenntnis aus der Neurowissenschaft: Alle Informationen, die im Langzeitgedächtnis gespeichert werden sollen, müssen zuerst durch das Arbeitsgedächtnis.
Das Arbeitsgedächtnis, vergleichbar dem Arbeitsspeicher in einem PC, hat im Gegensatz zum Langzeitgedächtnis kein unbegrenztes Fassungsvermögen. Der Arbeitsspeicher ist schon nach circa fünf Minuten an seiner Aufnahmegrenze.
Danach schafft das Gehirn Platz für weitere Informationen, in dem es zuvor Gehörtes löscht. Kleine Stopps lösen das Problem. Statt weiterer Druckbetankung mit Informationen bekommt der Teilnehmende eine andere Aufgabe, am besten selbstgesteuert und mit eigenen Inhalten.
Die Kursleiter*innen können die Teilnehmenden zum Beispiel auffordern, sich Notizen zu machen oder darüber nachzudenken, welche Anwendung des eben Gehörten in der Praxis denkbar ist. Eine möglichst aktive Rolle des oder der Teilnehmenden ist ein wichtiger emotionaler Faktor. Langeweile und Überforderung werden verhindert. Durch reines Konsumieren am Bildschirm kommt das Wissen nicht ins Langzeitgedächtnis, sondern wird schnell wieder vergessen.
Die Frage nach Sinn und Nutzen
Beim zweiten Faktor geht es um den Sinn – Sinn in der Bedeutung von Verständnis, aber auch in der Bedeutung von Nutzen. Viele Onlinekurse beschränken sich darauf, Daten, Zahlen und Fakten zu präsentieren und vergessen dabei, den Sinn dieser Informationen verständlich und nachvollziehbar zu machen. Also die Frage zu beantworten: Warum bringen diese Zahlen und Fakten mich meinem Ziel näher?
Welchen Nutzen haben sie für mein eigenes Leben? Wir müssen im Onlinekurs die gleichen Mechanismen in der Formulierung von Aufgaben und Inhalten anwenden wie beim Onlinemarketing oder beim Copywriting. Die Botschaft ist auch im Kurs: Der Inhalt dieses Kurses wird sich positiv auf Dein Leben auswirken. Und damit sind wir beim nächsten Lernfaktor: der Hoffnung.
Wenn Lernen glücklich macht
Hoffnung beschreibt eine freudige Erwartungshaltung: Wenn ich etwas tue, eine bestimmte Aufgabe erledige oder mich mit einem bestimmten Lerninhalt beschäftige, dann wird es mir in meinem Leben nützen. Sobald dieses Gefühl der Zuversicht entsteht, schüttet das Gehirn Dopamin aus, das sogenannte Glückshormon.
Freudige Erwartung ist ein entscheidender Hebel, um zu erreichen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Onlinekurs tatsächlich mitmachen, sich sogar darauf freuen. Als Kursentwickler müssen wir dieses Gefühl bewusst hervorrufen.
Aus eigener Kraft
Der vierte Faktor ist die Selbstwirksamkeit. Unter Selbstwirksamkeit versteht die kognitive Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Deshalb ist es von großer Wichtigkeit, dass die Teilnehmenden während des Kurses schon Erfolge erleben.
Nichts vermittelt den Sinn und Zweck eines Kurses besser als die direkte erfolgreiche Anwendbarkeit des vermittelten Wissens. Erfolge führen zum Gefühl von Selbstwirksamkeit und zu positiver Erwartung gegenüber dem, was noch folgt. Die Motivation ist hoch – und damit die Wahrscheinlichkeit, dass das im Onlinekurs erworbene Wissen das Leben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Zukunft verbessert. Sie werden aufgrund des Gelernten künftige Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen.
Erlebnis Onlinekurs
Der letzte Lernfaktor ist der Forschergeist. Wenn wir die Menschen in einem Onlinekurs auf eine kleine Forschungsreise schicken, dann entsteht Spannung und wir schüren weiter die Erwartung auf etwas Schönes, Lebensveränderndes. Wir fordern sie auf, etwas herauszufinden, sich Wissen selbst zu erobern. Ohnehin kann Wissen nicht einfach übertragen werden, sondern muss im eigenen Kopf entstehen. Forschungsaufgaben eigenen sich dafür hervorragend.
Zusammengefasst entsteht ein erfolgreicher Onlinekurs nur dann, wenn wir die Grundregeln der Lernpsychologie einsetzen. Der Kurs soll zum Erlebnis werden. Wenn das gelingt, dann entsteht Erfolg, das heißt: Ein nachhaltiger Aufbau von Wissen, das die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer ihren Zielen näher bringt, Verständnis erzeugt und Sinn stiftet.

Autor
Tom Freudenthal
Learning Expert
Seit mehr als vierzig Jahren beschäftigt sich Tom Freudenthal mit Didaktik und hat 2001 das Speed-Learning-System Centered Learning entwickelt. Seine Mission: Den Markt für Onlinekurse zu revolutionieren, damit die Teilnehmenden wirklich lernen und umsetzen.
Literatur & Links
[1] Quelle: Statistika