Viel Strategie, aber nichts dahinter?
Warum eine fundierte Marktstrategie so selten ist und drei Schritte, mit denen man sie angehen kann

Die heutige Geschäftswelt ist von unvorhersehbaren Marktveränderungen geprägt. Egal ob Covid, Lieferkettenprobleme, zunehmende Herausforderungen beim Transport und der Logistik von Waren oder die steigende Inflation – das alles sind Indikatoren von struktureller Unsicherheit. Hinzu kommen Themen wie Nachhaltigkeit, Data-driven Marketing und Digitalisierung, die laut Serviceplan CMO Barometer dieses Jahr prägen werden.
Mit dieser Volatilität und den konstanten Herausforderungen müssen sich alle Marktteilnehmer auseinandersetzen – vom Start-Up bis zum Großkonzern, vom Junior bis zum Vorstand. Doch vor allem in den Führungsetagen ist es unruhig geworden. Denn man möchte der Unsicherheit trotzen, um auch zukünftig Wachstum zu erzielen.
Um das zu erreichen, muss die Marke aufgebaut und gestärkt werden. CMOs stehen daher unter immensem Druck, genau darauf mit Marketingaktivitäten Antworten zu finden.
Dabei kann man sich leicht im Klein-klein des Taktischen verlieren, von einer Kampagne zur nächsten springen, kurzfristige Umsätze messen und immer wieder an der Customer Experience feilen. Häufig wird das mit Strategie verwechselt – oder man ist von ihr losgelöst. Beides ist genauso problematisch wie weit verbreitet.
Gute Strategie ist kein Hexenwerk
Viel heiße Luft, aber trotzdem kein Volldampf? Die Ursachen lassen sich meist recht einfach zusammenfassen:
1. Kurzfristiger Erfolgsdruck: In der Theorie verstehen mittlerweile alle, dass eine starke Marke langfristig den Grundumsatz sichert oder erhöht. Aber in der Praxis ist der Druck auf CMOs groß, schnell Ergebnisse für ihre Ausgaben zu liefern – und zwar in harter Währung. Als Ergebnis fährt man auch in der Strategie „auf Sicht“ – sie schrumpft auf das erwähnte taktische Klein-klein, mit Fokus auf kurzfristigen Abverkauf.
2. An Altbewährtem festhalten: Vor allem in unruhigen Zeiten wird das Augenmerk bei der Strategieentwicklung häufig auf gut etablierte, funktionierende Produkte oder Geschäftsbereiche gelegt. Man flüchtet sich quasi in einen sicheren Hafen. Dieser Kurs bedeutet de facto jedoch Stillstand, weil er sich auf existierende Assets konzentriert. Und genau das hindert Unternehmen in diesen Zeiten daran, neue Wachstumswege zu entdecken und entwickeln, weil sie sich sicherheitshalber lieber mit der „Optimierung der Vergangenheit“ beschäftigen, anstatt den Blick nach vorne zu wagen.
3. Nichts Auslassen wollen: Statt einer klaren Richtung findet man in vielen Strategiedokumenten einen Wust an Missionen, Zielen, Visionen oder „altruistischen Zielen“, ergänzt mit einer Vielzahl an Zielmetriken, die am Ende völlig an Schlagkraft verlieren. Die Mitarbeiter, die am Ende den Plan umsetzen sollen, sind schon nach dem dritten Buzzword gelangweilt ausgestiegen. Was häufig fehlt: Klarheit, Mut, und Entscheidungskraft.
Dabei ist gute Strategie kein Hexenwerk. Natürlich ist die „richtige“ Strategie ganz vom individuellen Unternehmen abhängig. Der Weg dorthin besteht aber im Grunde aus einigen wenigen Schritten, die universell befolgt werden können.
Erstens: Die Lage sondieren
Der erste Schritt ist der Schritt zurück. Jeder gute Stratege breitet zuerst die Landkarte aus, sondiert das Umfeld, die Gegebenheiten und die eigene Ausstattung, und zeichnet erst dann einen Weg auf.
Schauen Sie sich Ihre aktuelle Lage und momentane Marktstrategie an. Hier kann die gute alte Marktforschung helfen. Was wissen Sie über (potentielle) Kunden und Kundinnen, ihre Vorlieben und Verhaltensweisen? Ist Ihre Marktsegmentierung up to date und was sagt Ihr Markentracking über Ihre Positionierung und Markenstärke – im Vergleich zum Wettbewerb?
Nehmen Sie sich das eigene Unternehmen vor: welche Ressourcen stehen Ihnen zur Verfügung? Mit welchen Kernkompetenzen können Sie arbeiten?
Machen Sie sich dann an die Bewertung der Umsetzung der bisherigen Strategie: Welche Aktivitäten waren effektiv, welche nicht und warum? Welche Trends und andere Marktdynamiken hatten einen Einfluss?
Verschaffen Sie sich also einen grundlegenden Überblick und versuchen Sie dabei so objektiv wie möglich zu sein. Dabei können Sie leistungsfähige Analytics unterstützen, wie zum Beispiel Commercial Mix Modelle, die Ihnen einen ganzheitlichen Blick auf Ihre Aktivitäten und andere Einflussfaktoren verschaffen und deren Wirkung in einheitlicher, harter Währung zurückspielen bzw. messen.
Funktioniert die derzeitige Strategie nicht oder sehen sie damit Probleme in naher Zukunft? Dann ist es Zeit für kleinere oder größere Änderungen – oder eine Neuauflage.
Zweitens: Entscheidungen treffen
Ist die Lage sondiert, kann es an die Strategie gehen. Harvard Business School Professor Michael E. Porter plädiert dabei dafür, den Begriff der „Strategie“ zu vereinfachen und sie als eine klare Auswahl an Entscheidungen zu verstehen. Diese sind längerfristig ausgerichtet und zielen darauf ab, einen festgelegten Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten.
Den Startpunkt bildet eine klare Value Proposition. Welche Bedürfnisse werden Sie erfüllen, für welche Kunden und Kundinnen – und was wird Sie vom Wettbewerb differenzieren?
Aber nicht nur Was Sie Kunden bieten (die Value Proposition) sollte klar differenziert sein – sondern auch, Wie Sie es erarbeiten und zur Verfügung stellen (die Wertschöpfungskette). Wenn beides bewusst auf Ihre speziellen Kompetenzen und Möglichkeiten zugeschnitten ist, kann der Wettbewerb Sie nicht einfach imitieren oder auf effizientere Weise dasselbe anbieten.
Dabei spielen auch sogenannte „Trade Offs“ eine wichtige Rolle: Entscheidungen, was Sie nicht tun werden. In Porters Worten: “The essence of strategy is choosing what not to do.”
Trade Offs erlauben es Ihnen auch, Ihre beschränkten Ressourcen an den vielversprechendsten Stellen einzusetzen – anstatt sie zu breit zu streuen.
Nehmen wir als Beispiel einen Lebensmittel-Discounter. Dessen angestrebter Wettbewerbsvorteil liegt in günstigeren Kosten. Um den Kostenvorteil zu verwirklichen, wird der Trade Off beschlossen, keine große Auswahl verschiedenster Marken anzubieten (sondern eine limitierte Grundauswahl), Regale nicht aufwändig zu bestücken (sondern Produkte platzsparend und effizient in Paletten oder Kartons ins Regal zu stellen) und das Servicepersonal auf den Kassenbereich zu beschränken.
Es gilt also, weniger ist mehr. Fragen Sie sich: Welche differenzierte Value Proposition möchten Sie anstreben? Welche Aktivitäten und Trade-Offs bilden eine Wertschöpfungskette, die Ihre Kernkompetenzen maximal nutzt und für Wettbewerber möglichst schwer nachahmbar ist?
Drittens: Strategie und Taktiken unterscheiden
Eine gute Strategie braucht in der Regel mindestens drei Jahre, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Wer alle 12 oder 18 Monate die strategische Richtung wechselt, verschwendet Zeit und mindert das längerfristige Wachstum.
Jeder gute Marketer weiß beispielsweise, dass Markenaufbau zwar Zeit braucht, aber längerfristig den Grundumsatz sichert bzw. neue Kunden erschließt. Laut Binet & Field heißt das in der Umsetzung, dass idealerweise als Daumenregel 60 % des Marketingbudgets in Markenkommunikation und 40 % in Performance gesteckt werden sollten.
In der Realität stehen CMOs jedoch unter gewaltigem Druck, kurzfristig Ergebnisse zu erzielen. Daher tut ein/e neue/r CMO gut daran, im ersten Jahr zähneknirschend größeres Augenmerk auf Performancekampagnen und kurzfristigen Erfolg zu legen – und das Markeninvestment nur allmählich hochzufahren. So können die kurzfristigen Ziele erreicht werden – und gleichzeitig eine Beweislage für den längerfristigen Einfluss des Markeninvestments geschaffen werden.
Langfristig denken und handeln
Die Balance zwischen Marken- und Performanceinvestements ist natürlich nur eines von vielen Beispielen, zeigt jedoch die Notwendigkeit der langfristigen Planung auf. Im Bereich der Marketingoptimierung sprechen wir häufig von „Adapt, Evolve, Thrive“: Im ersten Jahr (Adapt) gilt es, die gesetzten Ziele zu kommunizieren und in die 4 Ps des Marketings zu übersetzen, also Product (Produkt), Price (Preis), Place (Distribution), und Promotion (Kommunikation).
Meist geht die Umsetzung dieser neuen Aktivitäten dann nur allmählich vor sich. Häufig bestehen noch Verträge, es werden Datenlücken aufgedeckt oder es muss erst noch der Beweis für die Wirksamkeit einer neuen Aktivität erbracht werden. Effektives Change Management ist hier essenziell.
Im zweiten Jahr (Evolve) können die ersten Erfolge gemessen und Aktivitäten nachjustiert werden – dazu wurden Prozesse und Datenflüsse weiter standardisiert und es lassen sich aufgrund der verbesserten Datenlage noch granularere Erkenntnisse ableiten und längerfristige Effekte nachweisen.
Im dritten Jahr (Thrive) ist der Kreislauf zwischen Strategie, taktischer Umsetzung, Messung und Optimierung üblicherweise voll im Unternehmen implementiert. Es werden eigenständig What- If Simulationstools genutzt und weitere Geschäftsbereiche (wie CRM oder Operations) in den Prozess integriert. Erst jetzt lässt sich der Erfolg der zugrundeliegenden strategischen Entscheidungen sinnvoll bewerten.
Mehr als heiße Luft
Gute Strategie sollte im Kern einfach sein. Erstellen Sie zuerst eine Übersicht der Lage. Treffen Sie dann eine kleine Anzahl an Entscheidungen, die klar vorgeben: wie werden Sie sich in Angebot und Wertschöpfung vom Wettbewerb absetzen, und welcher Wettbewerbsvorteil soll erreicht werden. Machen Sie sich dann – und erst dann – an die taktische Umsetzung beispielsweise in die 4 Marketing Ps.
Neben Mut und Entscheidungskraft braucht das Ganze eine gute datenbasierte Beweisgrundlage. Nur wer weiß, wo Lücken sind, wo es läuft oder auch nicht läuft oder wo neue Möglichkeiten entstehen, kann kontinuierlich Verbesserungen vornehmen, die Qualität von Entscheidungen bewerten und sein Unternehmen sicher und agil durch eine komplexe Wettbewerbslandschaft navigieren.

Autorin
Maren Seitz
Head of DACH bei Analytic Partners
Maren Seitz verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der datenbasierten Marketingberatung – ihr besonderer Fokus liegt dabei auf der Marketing-Effektivität. Nach zehn Jahren in Sydney, Australien, wo sie unter anderem für führende Strategie-Boutiquen sowie das globale Forschungsunternehmen Ipsos tätig war, kehrte Seitz 2017 nach Deutschland zurück, um bei Kantar den Bereich Touchpointstrategie und Medien auszubauen. Bei Analytic Partners, dem laut Forresters weltweit führenden Analytics Unternehmen im Bereich Marketingmessung und -Optimierung, ist sie für die Leitung der Region DACH zuständig und verantwortet den Markenausbau sowie das Kundengeschäft.
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