Arbeitswelt muss flexibel bleiben
Autonomie und Flexibilität machen glücklich

Die Corona-Pandemie hat einen strukturellen und kulturellen Wandel in der Arbeitswelt in Gang gesetzt. Starre Organisationsstrukturen wurden in kürzester Zeit aufgebrochen und Homeoffice war in vielen Branchen plötzlich nicht nur möglich, sondern gefordert. Obwohl die Homeoffice- Pflicht in vielen Unternehmen inzwischen weggefallen ist, will die Mehrzahl der Angestellten nicht wieder täglich ins Büro gehen. Denn die neu entstandene Flexibilität ist für Arbeitnehmer*innen derzeit eine der wichtigsten Anforderungen an ihren Arbeitsplatz.
Die Offenheit und Akzeptanz gegenüber Remote Work sowie flexiblen Arbeitsmodellen stieg im Zuge der großen Herausforderungen enorm. Vieles schien plötzlich möglich. Bewegungen wie New Work, welche das Ziel verfolgen, Organisationen zu mehr Agilität und Selbstbestimmtheit zu verhelfen, befeuern diesen Wandel. Doch wie kann eine zufriedenstellende Struktur nach den vielen Monaten im Homeoffice aussehen, wenn für einige Mitarbeiter*innen nun die Rückkehr ins Büro ansteht? Eins steht fest: Die „alte Normalität“ mit einem starren Büroalltag und festen Strukturen passt für viele Arbeitnehmer*innen nicht mehr. In den letzten zwei Jahren haben wir gelernt, selbstbestimmter zu arbeiten. Schließlich setzt die Arbeit alleine im Homeoffice ein hohes Maß an Selbstorganisation und Eigenverantwortung voraus. Gelingt uns das gut, fühlen wir uns in unserem Arbeitsalltag mit flexibleren Möglichkeiten viel wohler – ein Weg zurück in alte „Nine to Five“-Strukturen ist daher für viele Mitarbeiter*innen nicht gewünscht.
Flexibilität als entscheidender Faktor
Laut einer Studie1 zur Zufriedenheit von Arbeitnehmer*innen wünschen sich viele Angestellte mehr Flexibilität am Arbeitsplatz. So ist für 34 % der Befragten Flexibilität das wichtigste Schlagwort, wenn es darum geht, was für sie in Bezug auf ihre Arbeit während der Pandemie an Relevanz gewonnen hat. Dabei geht es ihnen bei einer flexiblen Arbeitsweise nicht nur um das Arbeiten von Zuhause aus. Die Option, in Teil- oder Gleitzeit tätig zu sein oder ganz nach dem Konzept des Life-Work-Blending, auch private Dinge während der Arbeitszeit zu erledigen oder am Wochenende zu arbeiten, ist für viele Arbeitnehmer*innen genauso relevant. Souveränität bei der zeitlichen Gestaltung des Arbeitsalltags ist ein wichtiger Faktor bei der Zufriedenheit im Job – und das hat sich durch die Pandemie noch einmal verstärkt. Allein die Möglichkeit zu haben, freie Entscheidungen treffen zu können, verstehen viele Arbeitnehmer*innen als Wertschätzung der eigenen Leistung und das wiederum beeinflusst das eigene Glücksempfinden.
Die Schaffung von flexiblen Strukturen ist heute eine Grundvoraussetzung, um gute Mitarbeiter*innen zu halten oder gar neue Talente für das Unternehmen zu begeistern. Bei Apple sorgte die fehlende Flexibilität bei der eigenen Return-to-Work-Richtlinie vor kurzem für Schlagzeilen. Der renommierte KI-Forscher und Apples Director of Machine Learning, Ian Goodfellow, soll sich aufgrund der starren Regelungen entschieden haben, das Unternehmen zu verlassen. Zwar handelt es sich bei Apples Modell um ein hybrides Konzept, allerdings mit drei festen Bürotagen pro Woche. Und so sorgte die Richtlinie für Unmut bei der Belegschaft. Die Bevormundung durch den Arbeitgeber und das Überstülpen einer starren Struktur wirkt nach der langen Zeit der Selbstbestimmung für viele Mitarbeiter*innen wie eine Missachtung der eigenen Leistung innerhalb der vergangenen Jahre.
Auch die Studie zeigt, dass sich die meisten Arbeitnehmer*innen bei einem geplanten Umstieg zu mehr Büropräsenz zumindest die Option auf mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten wünschen. Sie wollen die Wahl haben und vor allem selbst entscheiden können, wo und wann sie am besten arbeiten können. Die wachsende Zahl der Selbstständigen und Freiberuflichen, die ihrem Karriereweg auch langfristig treu bleiben, zeigt es: eine ausgewogene Life-Work-Balance trägt zum Wohlbefinden bei. Auch haben unzählige Studien und Untersuchungen in der letzten Zeit gezeigt, dass die eigene Produktivität nicht zwangsläufig mit einem festen Schreibtisch in einem Büro zusammenhängen muss.
Kein Weg zurück in alte Strukturen
Der Trend hin zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung ist eine der zahlreichen Entwicklungen in der Arbeitswelt, die durch die Corona-Pandemie angestoßen und beschleunigt wurde – und hier ist ein Schritt zurück in alte Strukturen schlicht nicht möglich. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts moweb zum Thema New Work wünschen sich zwei Drittel der Befragten auch in Zukunft mehr Homeoffice bzw. die Möglichkeit auch Remote arbeiten zu können. Im Homeoffice kann man sich die Zeit meist besser einteilen. Zudem fallen Pendelzeiten weg und Leerzeiten können vermieden werden. Für viele Arbeitnehmer*innen ist das ein wichtiger Faktor für die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben.
Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschmelzen damit für viele Arbeitnehmer*innen immer mehr. Wir leben im Zeitalter des Life-Work-Blendings, in dem sich beide Welten zunehmend vermischen. Dies fordert, aber ermöglicht auch, neue, flexiblere Lösungen. So setzen immer mehr Unternehmen in Bezug auf Arbeitszeit und -ort auf eine lockere Firmenpolitik.
Für Airbnb gibt es beispielsweise kein Zurück zum klassischen Büroalltag: das Unternehmen lässt seinen Angestellten die Wahl ob sie im Büro oder von zu Hause aus arbeiten. Dabei sollen die Mitarbeiter*innen innerhalb ihres Landes problemlos umziehen können, ohne dass sich ihr Gehalt verändert. Zudem haben sie sogar die Möglichkeit, für jeweils 90 Tage im Jahr aus 170 Ländern arbeiten zu können. Die Grundvoraussetzung damit diese flexiblen Konzepte langfristig funktionieren, ist das Vertrauen der Vorgesetzten in ihre Teams. Wird der Wunsch der Mitarbeiter*innen nach flexiblen Strukturen bedacht, stärkt das die Zufriedenheit und das Wohlbefinden langfristig.

Unternehmenskultur für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz
Die Pandemie hat das allgemeine Bewusstsein für körperliches, mentales und emotionales Wohlbefinden geschärft, da viele Arbeitnehmer*innen vor allem zu Beginn der Pandemie mit Stress und Erschöpfung zu kämpfen hatten. Berufliche und persönliche Anforderungen mussten unter komplett neuen Umständen in Einklang gebracht werden. Schließlich bringt die Arbeit im Homeoffice auch negative Aspekte mit sich: Das Empfinden von sozialer Vereinsamung gehört genauso dazu wie Überforderung. Wenn es keine Grenzen zwischen Frei- und Arbeitszeit gibt, besteht zudem die Gefahr der Überarbeitung.
Das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen in jeden Aspekt der Arbeitsgestaltung mit einzubeziehen, ist daher dringend notwendig. Aufgaben sollten zum Beispiel ergebnisorientiert gestaltet werden und es sollte mehr Flexibilität in der Umsetzung erlaubt sein. Auch mit entsprechenden Schulungen und Workshops können Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen darin unterstützen, achtsam mit ihrer Gesundheit und ihrer Leistungsfähigkeit umzugehen.
Mittel- bis langfristig müssen Unternehmen lernen, mit den neuen Anforderungen und Bedürfnissen der Arbeitnehmer*innen umzugehen. Dies erfordert in den meisten Fällen eine Überarbeitung der Organisationsstrukturen und ggf. eine Anpassung der Kultur an die heutigen Gegebenheiten.

Autorin
Peggy de Lange
Vice President International Expansion bei Fiverr
Peggy ist Vice President International Expansion von Fiverr, der weltweiten Plattform, die Unternehmen aller Größen mit qualifizierten Freiberuflern aus mehr als 550 Service-Kategorien verbindet. Peggy ist seit 2012 bei Fiverr tätig, u. a. als Marketing Director und VP Corporate Marketing. 2017 gründete sie die gemeinnützige Tierschutzorganisation KFAAF (Kindness For All Animals Foundation), mit der sie hilfsbedürftige Tiere auf ihrer Farm in den Niederlanden betreut.
Literatur & Links
[1] Die Studie wurde von Fiverr durchgeführt https://blog.fiverr.com/post/grosser-job-frust-bei-arbeitnehmern-in-deutschland