Der Mensch im Mittelpunkt
Warum die Zukunft des Einkaufens B2X heißt

Einkaufen sollte ein Erlebnis sein. Eigentlich könnte ich meinen Beitrag auf diese knackige Formel eindampfen. Doch was macht ein gelungenes Einkaufserlebnis aus? Grundsätzlich gilt: Einkäufer*innen sind Menschen, keine Maschinen. Private Shopping-Erlebnisse prägen auch die Erwartungen im beruflichen Kontext. Statt strikt zwischen B2C und B2B zu unterscheiden, lautet die neue Erfolgsformel deshalb B2X bzw. B2E (Business to Everyone).
Das „X“ steht bei B2X für unterschiedliche mögliche Zielgruppen, wie beispielsweise B2B (Business to Business), B2C (Business to Consumer) oder Partner (B2P). Und nicht nur in puncto Begrifflichkeit brauchen wir ein Umdenken. Im Fokus gelungener Einkaufserlebnisse stehen stets Menschen, nicht die Produkte.
Die Basis – den engen Draht und die persönlichen Beziehungen zu den eigenen Kund*innen – bringt der Mittelstand von Haus aus mit. Doch deren Einkaufsverhalten hat sich insbesondere in den vergangenen zwei Jahren gravierend verändert – digital setzt sich zunehmend durch. 85 %1 der deutschen Führungskräfte in Unternehmen beobachten, dass die Kundschaft heute digitale Strukturen voraussetzt.
Digital ist auf der Überholspur
Vor dem Kauf steht heute die Onlinerecherche. Das trifft auch Unternehmen, die ihre Produkte traditionell über Zwischenhändler vertreiben. Laut der aktuellen Studie „Die digitale Zukunft des B2B-Vertriebs“ von Think Act suchen 90 % der Einkäufer*innen nach Schlagwörtern im Internet und 70 % nutzen Videos, um sich vorab zu informieren. Der Markenauftritt muss also sitzen. Produktbilder und -informationen sollten nicht nur auf der firmeneigenen Website, sondern auch auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen und Marktplätzen stets auf dem neusten Stand und für Suchmaschinen optimiert sein. Denn: Einkäufer*innen kommen heute zunehmend aus der Generation Y, den sogenannten Millennials, die es gewöhnt sind, sich in den sozialen Netzwerken zu informieren und über Facebook, Instagram und Co. mit Marken zu kommunizieren. Knapp drei Viertel (74 %2) der Unternehmen beobachten, dass diese zunehmend über digitale Kanäle in Kontakt treten. Das wirkt sich auch auf ihr Einkaufsverhalten im Unternehmen aus, eine konsistente Customer Experience ist also Pflicht.
Auch die Präsentation des Produkts selbst macht einen entscheidenden Unterschied. Natürlich braucht es genaue Abmessungen, detaillierte technische Informationen und Preisinformationen. Ebenso wichtig ist jedoch die emotionale Komponente. Hochwertige und ästhetische Produktbilder und -videos machen einen deutlich besseren Eindruck als schlecht ausgeleuchtete Schnappschüsse. Wie ein Produkt dargeboten wird, beeinflusst unbewusst unsere Wahrnehmung nicht nur des Produkts selbst, wir ziehen sogar Rückschlüsse auf Zuverlässigkeit und Professionalität des Unternehmens.
Menschen, nicht Produkte gehören in den Fokus
Da mag die Forderung „Nicht das Produkt gehört in den Fokus“ zunächst unlogisch erscheinen. Doch nicht das Produkt, sondern der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen. Statt lediglich die Vorzüge des Produkts aufzulisten, gilt es zu fragen: Wer sind unsere Kund*innen? Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Wie kann unser Produkt diese lösen? Konkrete Anwendungsfälle, in denen zufriedene Käufer*innen zeigen, wie sie eine Lösung einsetzen, sind in dieser Hinsicht Gold wert.
Von Seiten der Kund*innen aus zu denken setzt jedoch voraus, ihre Bedürfnisse überhaupt zu kennen. Von verhaltensbasierten Methoden, bei denen Website-Besucher*innen getrackt werden, über kontextbasierte („Personen, die A kauften, interessierten sich auch für B“) bis hin zu auf der Kaufhistorie basierten Empfehlungen gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich Kund*innen und ihren Anforderungen zu nähern. Insbesondere kontextbasierte Empfehlungen können vor dem Kauf eines Artikels eine wertvolle Ergänzung bieten, etwa wenn zu einer Bohrmaschine passende Bohrer empfohlen werden. Doch auch der After Sales-Bereich ist in puncto Bindung ein wirkmächtiges Werkzeug. Wenn ich mir beispielsweise im Sommer Laufschuhe gekauft habe, kann mir der Händler im Herbst eine Reflektorweste und im Winter Laufhandschuhe und -mützen anbieten. Im Geschäftsumfeld lässt sich das beispielsweise mit Verschleißteilen oder Produkten zur Nachrüstung des gekauften Artikels umsetzen.
Absatzwege neu denken
Es lohnt sich zudem, Absatzwege grundsätzlich einmal neu zu denken. Auch komplexere Produkte können inzwischen über eigene Onlineshops vertrieben werden. Mithilfe von Produktkonfiguratoren können Kund*innen das gewünschte Produkt beispielsweise auf ihre individuellen Anforderungen maßschneidern – inklusive aller Zubehörteile.
Ein im B2B-Bereich bisher unüblicher aber durchaus sinnvoller Ansatz ist zudem die Shared-Economy. Privat nutzen wir vielleicht Carsharing-Angebote oder leihen einen Hochdruckreiniger. Es lohnt sich, diesen Ansatz größer zu denken. Auch große Industriemaschinen wie Bagger oder Kräne können als Leihgeräte eine sinnvolle Ergänzung des Geschäftsmodells sein – nicht alle Kund*innen benötigen ein solches Gerät dauerhaft oder möchten statt einem einmaligen Invest lieber nach Nutzung bezahlen.
Die oben angeführte nahtlose Customer Journey sollte nicht nur auf die eigenen Kanäle begrenzt sein. Nicht alle Produkte werden direkt oder über Offline-Zwischenhändler vertrieben. Marktplätze sind heute wichtige Umschlagpunkte. Hier kann bequem zwischen verschiedenen Herstellern und Produkten verglichen werden. Der firmeneigene Web-Auftritt muss diese Marktplätze also unbedingt miteinschließen. Das betrifft – wo immer möglich – das eigene Corporate Design, in jedem Fall aber die Aktualität jeglicher Informationen.
KI und Automatisierung unterstützen das Einkaufserlebnis
All die hier skizzierten Ansätze scheinen auf den ersten Blick zeit- und arbeitsintensiv. Es ist kaum möglich, jede eigene Unterseite, jede Anwendungsgeschichte und jedes Portal jederzeit im Blick zu haben sowie alle Daten manuell zu aktualisieren. Hier können künstliche Intelligenz und Automatisierung ihre Stärken ausspielen. Moderne Content Management Systeme bieten die Möglichkeit, Informationen einmalig an einer einzigen Stelle zu aktualisieren – schon sind alle Unterseiten automatisch auf dem nächsten Stand.
Einkaufserlebnisse werden auch im geschäftlichen Bereich immer wichtiger. Die ursprüngliche strikte Trennung zwischen B2C und B2B ist in der Auflösung begriffen. B2E bzw. B2X prägen die Zukunft des Einkaufens. Zentraler Erfolgsfaktor dafür ist, den Einkauf aus der Perspektive der Kund*innen zu denken und ihre Anforderungen ins Zentrum zu stellen. Hier muss der Mittelstand seine bisherigen Strategien auf den Prüfstand stellen und nachziehen. Wer keinen soliden Fahrplan hat, bleibt mittelfristig hinter der Konkurrenz zurück. Für den Mittelstand bedeutet dieses Umdenken jedoch auch eine große Chance, neue Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln und neue Kundschaft zu gewinnen. Die Basis – jahrelange, zum Teil enge Kontakte zu ihren Kund*innen – ist bereits gelegt. Jetzt gilt es, mit einer durchdachten Digitalstrategie und modernen Systemen für Content Management, Commerce und Marketing Automation das nächste Level zu erreichen.

Autorin
Monika Schütz
Head of Mittelstand bei Adobe
Monika Schütz verantwortet als Head of Mittelstand das Go To Market von Adobe für kleinere und mittelständische Unternehmen. Verschiedene Leitungsund Beratungspositionen auf Kunden-, Dienstleister- und Herstellerseite machen sie zur ausgewiesenen Expertin für das Thema Digital Experience für B2X.
Literatur & Links
[1,2] Ergebnisse stammen aus dem “Digital Trend 2022”-Report https://business.adobe.com/de/resources/digital-trends-report.html