Marketing viral oder fatal?
Was inkrementelle Umsätze über den Erfolg von Marketingausgaben aussagen

Corona-Pandemie, Lieferkettenprobleme, volatile Weltwirtschaft – mehr denn je stehen Unternehmen untereinander in Konkurrenz und unter Druck, ihre Umsatzziele zu erreichen. Instrumente wie das Marketing spielen dabei eine elementare Rolle. Laut einer Studie des dänischen Fintechs Pleo haben sich die Unternehmensausgaben im Krisenmonat März 2020 deutschlandweit halbiert, während gleichzeitig die Marketing-Ausgaben um 19 % stiegen. Doch wie prüfen Unternehmen, ob sich Investments im Marketing lohnen?
Marketing-Teams unterstützen ihre Unternehmen mittels Kampagnen und (Werbe-)Aktionen; sie flankieren und unterstützen Sales-Teams, verbessern Verkaufsergebnisse. Dies ist in erster Linie ihre Verantwortung. Doch egal, ob Werbung in Branchen Newslettern, Promocodes zu Feiertagen oder Bandenwerbung bei Sportveranstaltungen: Marketing kostet. Je nach Idee mal mehr, mal weniger. Vor allem große, international agierende Unternehmen weisen stolze Marketingbudgets auf: Beispielsweise gab Coca-Cola 2020 alleine in Deutschland knapp 87 Millionen für Marketing und Werbung aus. Der Bundesverband Industrie Kommunikation e.V. (BVIK) fand heraus, dass die Marketingausgaben deutscher B2B-Unternehmen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um rund 16 % gestiegen sind.
Nur logisch, dass den Ausgaben auch Einnahmen gegenüberstehen müssen. Ansonsten gelten Ideen und Aktionen in der faktenbasierten Unternehmenswelt schlicht als gescheitert. Im schlimmsten Fall droht dann eine Kürzung des Marketingbudgets und weniger Spielraum für kreative Ansätze, wie Guerilla-Marketing oder Influencer-Kooperationen. Im Gegensatz dazu wirken sich positive Ergebnisse erheblich auf das Vertrauen der Unternehmensführung aus. Marketing Teams werden mit mehr Budget für ihre Aktivitäten ausgestattet und können ihre Bedeutung für die Unternehmensumsätze abermals steigern. Doch wie legen die verantwortlichen Marketer ihre Ergebnisse dar?
Beweisführung mit inkrementellen Umsätzen
Insbesondere im Online-Marketing gibt es einige Key Performance Indikatoren (KPIs), die auf den Erfolg oder Misserfolg von Marketingmaßnahmen schließen lassen. Um die Performance einer Instagram Anzeige zu beziffern, kann beispielsweise ein Blick auf die Click-Through-Rate (CTR) helfen. Die CTR zeigt das Verhältnis von Impressionen (wie viele User haben die Anzeige gesehen?) und tatsächlichen Klicks auf die Werbung an. Zieht man dann branchenübliche CTR-Vergleichswerte zurate, erhalten Unternehmen Informationen zur Performance der Instagram-Anzeige. Doch wie alle KPIs hat auch die CTR Limitierungen in der Aussagekraft: wie viele der klickenden User letztlich zu zahlender Kundschaft werden, bleibt ungewiss, wenn dieses nicht vernünftig getrackt wird. Oft bleibt der Einfluss auf den Umsatz aber eine grobe Unbekannte, Schätzungen sind das höchste der Gefühle. Um die Aussagekraft zu maximieren, müssen Marketer mehrere KPIs simultan auslesen. Eine besonders wichtige Kennzahl: inkrementelle Umsätze.
Im Wesentlichen beschreiben inkrementelle Umsätze all die Umsätze in einer bestimmten Periode, die über die normalerweise üblichen Verkaufszahlen in diesem Zeitraum hinausgehen. Deshalb sind sie ein Indikator dafür, wie sich Kampagnen auf die Unternehmensumsätze auswirken.
Ein Beispiel: ein Unternehmen berechnet auf Basis aller verfügbaren Daten – wie der durchschnittlichen Wachstumsrate – die zu erwartenden Umsätze für das vierte Quartal. Gleichzeitig spielt das Marketing Team im selben Quartal einen Social Media Adventskalender aus. Dort können Follower unter anderem an Gewinnspielen teilnehmen, Rabattcodes für den Onlineshop einsehen und spannende Einblicke hinter die Kulissen des Unternehmens erhalten. Das Ziel: die zu erwartenden Umsätze eines bestimmten Produkts erhöhen. Die Differenz der tatsächlichen Verkaufszahlen im viertel Quartal mit den vorher berechneten Umsätzen spiegelt dann den Outcome der Kampagne wider; in diesem Fall also die Auswirkungen des Social Media Adventskalenders auf die Umsätze des gewählten Produktes. Eine Kampagne bezieht sich demnach immer auf ein konkretes Vorhaben. Da Unternehmen in der Regel verschiedene Kampagnen zeitgleich laufen haben, müssen diese einzeln auf ihre Effektivität untersucht werden.
Mit Hilfe inkrementeller Umsätze vergleichen und analysieren Marketing-Teams die Kosten und den Nutzen von diversen Kampagnen. Welche Kampagne lohnt sich im nächsten Jahr auszuweiten – und welche Aktion schafft unter dem Strich keinen finanziellen Mehrwert?
Außerdem können Marketingteams, Vertriebsleiter und Geschäftsinhaber den Erfolg ihrer Vertriebs- und Marketingaktivitäten besser einschätzen und künftige Investitionen entsprechend ausrichten.
Je nach Unternehmen können die Marketingteams mithilfe der inkrementellen Umsätze zum Beispiel die Ergebnisse von Initiativen wie folgenden quantifizieren:
- Kurz- oder langfristige Werbekampagnen zur Förderung des Neugeschäfts
- Upselling- oder Cross-Selling-Aktivitäten des Verkaufspersonals
- Sonderangebote für bestehende Kunden
Die Berechnung inkrementeller Umsätze
Für die Berechnung des inkrementellen Umsatzes, also des Umsatzwachstums als Ergebnis einer Marketingaktivität, bedarf es zunächst eines bestimmten Zeitrahmens: beispielsweise die exakte Dauer einer Instagram-Kampagne. Sobald die tatsächlichen Umsätze aus der gewünschten Periode vorliegen, müssen Unternehmen die Umsatzdaten der vergangenen Zeiträume zur Hand nehmen. Handelt es sich um eine einmonatige Instagram-Kampagne, sollten die Monatsumsätze der vergangenen 13 Monate in die Kalkulation mit einfließen. Anhand dieser Zahlen berechnet man die zu erwartenden Umsätze für den Zeitraum der Kampagne. Es empfiehlt sich, das durchschnittliche monatliche Umsatzwachstum zum vorherigen Monat zu addieren.
Das Ergebnis entspricht grob den zu erwartenden Umsätzen für den gewünschten Zeitraum. Die Differenz zwischen dieser Zahl und dem tatsächlichen Umsatz ergibt demnach den inkrementellen Umsatz an.
Da jede Marketingaktivität mit gewissen Kosten verbunden ist, müssen diese vom inkrementellen Umsatz abgezogen werden. Bleibt das Ergebnis positiv, ist dies ein Indikator, dass die Kampagne rentabel war.
Selbstverständlich ist das im ersten Schritt stark vereinfacht. Denn Sales findet nicht im Vakuum statt – sondern ist durch äußere Einflüsse beeinflussbar. Etwa:
- Externe Gegebenheiten und Umwelteinflüsse: Schlechtes Wetter, Naturkatastrophen oder Materialmangel haben einen natürlichen Effekt auf den Vertrieb. Ein schlechter Sommer beeinflusst beispielsweise ohne Zweifel den Absatz von Sommerkleidung; Marketing-Kampagne hin oder her. Und die gestiegenen Preise für (Unterhaltungs-)Elektronik durch den Halbleitermangel wird garantiert viele potenzielle Käufer in der Weihnachtszeit davon abbringen, das neueste Handy oder die aktuelle Spielekonsole zu kaufen.
- Die Konkurrenz: Wie aktiv Konkurrenzunternehmen mit eigenen Marketingkampagnen oder Produktstarts sind, wirkt sich ebenfalls auf die Umsätze aus. Fällt meine Kampagne genau in den Produktlaunch oder das virale YouTube-Video meines ärgsten Gegenspielers?
- Interne Kommunikation: Wie sind Vertriebs- und Marketing Teams untereinander abgestimmt? Es gilt zu vermeiden, dass beide Teams unabhängig voneinander bestehende Kunden mit Sonderangeboten bespielen. So verschießen Unternehmen ihr Pulver, statt den Absatz zu befeuern.
- Fluktuation der Belegschaft: Sowohl Einstellung als auch Ausscheiden von Teammitgliedern können sich auf die Qualität und Quantität der Vertriebs- und Marketing Teams und damit auf den Umsatz auswirken.
- Veränderte Prozesse, Services oder neue Produkte: Eine neue Version des meistverkauften Produktes oder die Einführung von Automatisierungstools für den Verkaufsprozess können sich positiv oder negativ im Umsatzvolumen widerspiegeln.
- Messbarkeit der Marketingwirkung: Marketing mündet nicht immer direkt in Umsätze. Wenn Unternehmen beispielsweise ein Marketingevent durchführen, kann dies potenzielle Käufer beeinflussen, die jedoch erst Wochen oder Monate nach dem Event zu Käufern werden.
Fazit
Ein Blick auf die reine Umsatzentwicklung erzählt nur die Hälfte der Geschichte. Daher müssen Marketer und Vertriebler diese externen Faktoren mittels sogenannter „Educated Guesses”, quasi fundierte Vermutungen, in die Analyse mit einbeziehen. Der Begriff Vermutung hört sich in diesem Zusammenhang natürlich erstmal unbefriedigend an. Aber jeder Umweltfaktor wirkt sich anders auf Marketing-Kampagnen und Umsätze eines Unternehmens aus. Es gibt leider keine allgemeingültige, goldene Formel – sondern Erfahrungswerte.
Doch für diese Erfahrungswerte brauchen die Analysten Daten und noch mehr Daten. Sie bestimmen die Präzision der Educated Guesses. Marketer und Vertriebler müssen dementsprechend:
- … objektive Daten und KPIs über ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten lückenlos dokumentieren. Dazu gehören etwa die verkaufte Menge an Ware, das Pricing inklusive(!) Rabattaktionen, das Marketing Budget, die Campaign-Creatives und die Reichweite der Marketinginstrumente sowie das Campaign Engagement wie die Click-Through-Rate.
- … interne und externe Faktoren mit Einfluss auf die Marketing-Kampagne identifizieren und analysieren.
- … die Reaktionen und das Engagement im Zuge einer Kampagne (etwa auf Facebook) identifizieren und analysieren. Dazu gehört etwa auch der größere oder geringere Workload von Customer-Success- oder Support-Teams. Die Reaktion der (potenziellen) Kunden auf eine groß angelegte Kampagne wird durch den Fokus auf präventive Analysen (wie Fokusgruppen) vor dem groß angelegten Start einer Kampagne gerne vergessen.
Je vollständiger die Daten und Grundlagen zur Berechnung, desto höher die Bedeutung inkrementeller Umsätze – und desto umsatzsteigernder können Unternehmen ihre Marketingbudgets in der Zukunft einsetzen.

Autor
Jens Oberbeck
Vice President of Sales bei Pipedrive
Jens Oberbeck ist Vice President of Sales bei Pipedrive. Für das Unternehmen verantwortet Jens die strategische Planung und Skalierung des Vertriebs, darüber hinaus leitet und organisiert er Pipedrives Vertriebsteams sowie deren tägliche Arbeit. Insgesamt verfügt Jens über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Vertrieb und digitales Marketing.
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