Nur oder schon?
Der Status quo im Onlinelebensmittelhandel

Nach wie vor ist der Onlinehandel mit Lebensmitteln ein kleines Pflänzchen: Mit 2 % Anteil ist die Positionierung als Nachzüglerbranche eindeutig – doch die Dynamik ist weiterhin hoch. So handelt es sich bei Lebensmitteln nicht nur um die dynamischste Warengruppe mit fast 60 % Wachstum, sondern auch die Meldungen um die Expansion von neuen Anbietern und großen Finanzierungsrunden reißen nicht ab. Zeit, einen genauen Blick auf die Entwicklungen zu werfen! Neben dem Onlinelebensmittelhandel werden auch die Folgen für den stationären Handel sowie die Auswirkungen auf den Gesamthandel unter die Lupe genommen.
Der Handelsumsatz Lebensmittel wächst generell kontinuierlich. Durch die pandemiebedingte „Innerhaus-Verlagerung“ wird dem Lebensmittelhandel ein außergewöhnliches Plus beschert. 226 Milliarden Euro umfasst der Markt mit Abschluss des ersten Coronajahres. Das außergewöhnliche Plus spiegelt sich in den Sortimenten unterschiedlich wider: Insbesondere das Frischesortiment sticht mit besonderer Bedeutung hervor, schließlich schürt die Pandemie auch ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Ebenso wie der Markt gewinnen auch alle Vertriebskanäle im Lebensmittelhandel – naturgemäß unterschiedlich stark.
Knackpunkt Liefergebietsabdeckung
Den größten Anteil am Onlinemarkt haben – dank REWE – Händler mit stationärer DNA. Sie wachsen ebenso wie Hersteller dynamisch, doch an das Wachstum der Player mit Online- DNA kommen sie nicht heran. Auch wenn die reinen Onliner ihren Anteil ausbauen und mit ihren Marketingaktivitäten das Feld weiter aufbereiten, ist das flächenmäßige Angebot weiterhin der Knackpunkt im Lebensmittelbereich. So zeigt auch ein Blick auf die Liefergebietsabdeckung: Der Lieferdienst von REWE erreicht den größten Anteil der Bevölkerung. Besonders dynamisch sind die Quick-Commerce-Anbieter Gorillas und Flink unterwegs, die aktuell circa 6 % bzw. 8 % der Bevölkerung erreichen, und das, obwohl sie erst seit 2020 am Markt vertreten sind.

Aber: Die flächenmäßige Abdeckung ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt und insgesamt gering. Nur zehn Anbieter liefern „Vollsortiment“, also alle Lebensmittelwarengruppen inklusive frischer Produkte, in mehreren Städten aus. Das heißt, obwohl sich der Markt dynamisch entwickelt, haben nur wenige Konsumentinnen und Konsumenten online eine Auswahl zwischen unterschiedlichen Anbietern. Lediglich circa 24 % der Bevölkerung können zwischen mindestens zwei verschiedenen Onlineshops mit Vollsortiment und Auslieferung wählen.

„Wie sich der Onlinemarkt für Lebensmittel weiterentwickelt, hängt stark davon ab, mit welchem Druck Anbieter den Markt bearbeiten. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind grundsätzlich bereit, doch noch hat nur rund ein Viertel der Bevölkerung auch online wirklich eine Auswahl für ihren digitalen Wocheneinkauf.“
Dynamik durch „Zalando-Effekt“
In Anbetracht dieser Rahmenbedingungen kann also davon gesprochen werden, dass der Onlineanteil „schon“ bei 2 % liegt. In der aktuellen Situation tragen alle Anbieter – und gerade auch diejenigen mit offensivem Marketing – zur weiteren Dynamisierung bei. Auch in den anderen Branchen waren es bisher immer Start-ups, welche die Veränderung eingeleitet haben. So sorgt der „Zalando-Effekt“ für eine entsprechende Bekanntheit und schafft ein Bewusstsein für die neuen Kaufmöglichkeiten, ebenso werden durch die schnelle Belieferung andere Anlässe bedient. Solche Veränderungen, die sich schleichend einstellen, sind oftmals schwer zu erkennen – die sich daraus ergebende Gefahr für etablierte Player ist jedoch nicht geringer. Daher gilt es wachsam zu sein.
Lebensmittel werden weiter im Einkaufsstättenportfolio gekauft und online wird darin einen festen Platz einnehmen. Zu welchem Anlass und bei welchen Bedarfen greifen jedoch welche Zielgruppen auf welche Kaufstätte zurück? Das Verhalten zu kennen und das eigene Leistungsangebot kundenzentriert zu gestalten, ist eine Kernaufgabe für alle Player am Markt. Dabei ist der Anpassungsbedarf je nach Format unterschiedlich groß. Mit welchen Ansätzen kann dieser Veränderung begegnet werden? Die möglicherweise nur kurzzeitige Beschleunigung durch die Pandemie könnte Unternehmen zum Nichtstun verleiten. Doch dies wäre fatal.
Veränderungen auf der Fläche
So besteht eine Kernfrage darin, zu überblicken, wie das Einkaufsstättenportfolio durch online ergänzt bzw. aufgebrochen wird: Werden Getränke online bestellt, ist der Markt mit angeschlossenem Getränkemarkt wahrscheinlich nicht mehr erste Anlaufstelle. Die Gemüseauswahl vor Ort spielt keine entscheidende Rolle mehr, wenn die Belieferung mit diesen Frischwaren durch Gemüsekisten erfolgt. Auch die Verwendung von Kochboxen hat Auswirkungen auf die stationären Bedarfe. Insgesamt ist festzuhalten, dass alle Anforderungen mehr auf Convenience ausgerichtet sind: Alles soll schneller, einfacher und bequemer ablaufen.
Der Technikeinsatz im Laden ist damit eine notwendige Konsequenz der zunehmenden „Onlineisierung“: Von Scan&Go bis hin zu automatisierten Läden – dem Bequemlichkeitsdrang wird vor Ort begegnet. Auch Abholstationen und gar Automaten zahlen darauf ein. Schließlich wird der Kauf stärker flexibilisiert. Doch die Rechnung wäre zu einfach, wenn Convenience das einzige Maß für die Zukunft wäre. Gerade im stationären Handel spielen Erlebnisansätze eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Auf den Wochenmärkten ist diese Entwicklung beispielsweise schon deutlich zu sehen.
„Der Corona-Turbo wirbelt im Lebensmittelmarkt auf mehreren Ebenen. Mit neuen Konzepten gilt es, diesen Umbruch mutig zu gestalten – online und stationär.“
Auswirkungen auf gesamten Onlinehandel
Nicht oder kaum beachtet sind jedoch die Auswirkungen des Onlinekaufs von Lebensmitteln auf den gesamten Onlinehandel. Zwar hat die Branche nur einen Onlineanteil von 2 %, doch bei einem Gesamtvolumen von 226 Milliarden Euro entspricht dies 4,5 Milliarden. Damit ist die Warengruppe Lebensmittel laut HDE Online-Monitor 2021 nach vier Branchen der fünftgrößte Onlinemarkt und macht bereits 5,3 % des Onlinekuchens aus:
- Branche CE/Elektro: 24,7 % (20,9 Mrd. €)
- Branche Fashion & Accessoires 23,4 % (19,8 Mrd. €)
- Branche Freizeit & Hobby 15,0 % (12,7 Mrd. €)
- Branche Wohnen & Einrichten 9,3 % (7,9 Mrd. €)
- Markt Lebensmittel 5,3 % (4,5 Mrd. €)
Dies ist nicht nur aufgrund der Marktgröße der Lebensmittelbranche relevant: Denn je mehr der Onlinelebensmittelkauf zur Normalität wird, umso mehr wird auch in anderen Branchen online gekauft. Je mehr in anderen Branchen gekauft wird, umso wahrscheinlicher ist es, auch Lebensmittel online zu kaufen. So trägt die Lebensmittelbranche trotz geringem Onlineanteil heutzutage zur zunehmenden „Onlineisierung“ des Handels bei. Und auch wenn der Hype durch die Anbieter vor allem in Großstädten und Ballungszentren ausgelöst wird, ist der Effekt in ganz Deutschland spürbar. Damit sind noch mehr Argumente geliefert, das Onlinegeschäft weiter auszubauen und Teil der Entwicklung zu werden.

Ausblick
Die Onlinefahrt ist nun auch im Lebensmittelhandel ernsthaft gestartet. Die Auswirkungen werden nicht nur in der eigenen Branche, sondern im gesamten Handel spürbar sein. Neue Anbieter werden mit neuen Services für weitere Veränderung sorgen. Durch Lieferservices wachsen schließlich auch Gastronomie und Lebensmittelhandel bereits zusammen. Wachsende Infrastrukturen und der hohe Conveniencegrad der Lieferdienste treiben diese Entwicklung weiter und lassen noch viel Raum für Weiteres. Als Stopper könnte nur ein Anbietermangel fungieren – zurzeit ist jedoch deutlich zu sehen, dass ausländische Anbieter in den Markt eintreten oder neue entstehen, wenn die vorhandenen nicht aktiver werden.
Die Studie „Lebensmittel online – Zahlen, Daten, Fakten“ analysiert den Lebensmittelmarkt mit einem 360°-Blick auf Kunden-, Markt und Wettbewerbsseite. Für einen besonderen Fokus auf den Onlinelebensmittelmarkt wurden 2021 im Februar 1.500 Konsument*innen online befragt. Die Studie führt die Befragungsdaten zum Einkaufsverhalten mit den etablierten Marktzahlen und Szenarioberechnungen des IFH KÖLN zusammen. So wird aufgezeigt, wo der Onlinelebensmittelmarkt aktuell steht und wie er sich entwickelt sowie detailliert die Ausprägungen auf Ebene des Wettbewerbs analysiert. Die Studie kann über den IFH-Onlineshop bezogen werden: https://www.ifhkoeln.de/ produkt/lebensmittel-online-zahlen-daten-und-fakten-2021/ |

Autorin
Dr. Eva Stüber
Mitglied der Geschäftsleitung am IFH KÖLN
Als Mitglied der Geschäftsleitung am IFH KÖLN betreut sie namhafte Unternehmen bei komplexen Fragestellungen rund um kundenzentrierte Vertriebskonzepte, Digitalisierung und Innovationen. Mit Leidenschaft entwickelt sie auf Basis von 360°-Betrachtungen Zukunftsstrategien, begleitet den kulturellen Wandel und hilft Unternehmen, nachhaltige Geschäftsmodelle zu entfalten. Ihre Promotion zur „Personalisierung im Internethandel“ wurde mehrfach ausgezeichnet.