Kein Cookie? Kein Problem
Targeting-Alternativen im Experten-Check

Auch wenn viele Stimmen das Ende von Third-Party-Cookies für 2022 prophezeien, ist der Keks noch lange nicht geknuspert – die Zukunft des Cookies bleibt weiterhin ungewiss. Marketingverantwortliche und Publisher sind entsprechend unsicher, was die Zukunft zielgruppenspezifischer Werbung angeht. Dabei haben sich in der Werbetechnologiebranche im vergangenen Jahr viele Lösungen entwickelt und weitere zeichnen sich bereits ab. Die wichtigsten Targeting- Alternativen gibt es hier im Experten-Check.
Egal, wie lange sie bereits dabei sind: Für die meisten Digital-Marketer war die Marktentwicklung lange nicht mehr so spannend wie derzeit. Ausgelöst wurde dieser Wandel durch die in Urteile des EuGHs (1) und BGH (2) gegossene Erkenntnis, dass die Bedürfnisse des Users nach Privatsphäre und Kontrolle über die eigenen Daten jahrelang vernachlässigt wurden. Gesellschaft und Gerichte forderten hier ein Umdenken. Zu ihnen gesellten sich auch die verschiedenen Technologieanbieter: Apple verstärkt beispielsweise den Datenschutz der User mit ATT (App Tracking Transparency) in Apps. Anbieter von Apps müssen bei erstmaliger Nutzung der App beim User die Einwilligung zum Tracking einholen. Browser wie Firefox und Apples Safari verkündeten als erste das Blocking von Third-Party-Cookies. Ihnen folgte 2020 Google, das mit seinem Chrome-Browser in Deutschland einen Marktanteil von 48 % hält. Der Suchmaschinen-Gigant konkretisierte seine Ankündigung im Frühjahr 2021 um ein weiteres Detail. Nicht nur werde man in Cupertino ab 2022 Tracking mit dem Third-Party-Cookie unterbinden, auch alternative Third-Party-Tracking-Optionen werde Google nicht integrieren.
Keine Panik!
Stattdessen werde es Werbetreibenden nur möglich sein, anonyme Nutzergruppen zum Targeting bei Google zu adressieren. Der Aufschrei am Markt war denkbar groß. Aber kurz darauf musste das Unternehmen zurückrudern und kündigte an, den Test seines sogenannten „Federated Learning of Cohorts“ (FLoC) in der EU aus datenschutzrechtlichen Gründen zunächst nicht zu starten.
Markenverantwortliche fühlen sich in diesem ständigen Hin und Her der Informationen oft verloren: Wie erreichen sie künftig ihre Zielgruppen mit datengetriebener Werbung? Ist eine persönliche und relevante Kundenansprache überhaupt noch möglich? Und was ist mit Frequency Capping und der Messung der Werbewirkung? Laut einer Umfrage von Adform im Februar 2021 haben ganze 82 % der Markenverantwortlichen noch keine Lösung für die mögliche Post-Cookie-Ära. Und das, obwohl 73 % genau wissen, dass ein Abschied von dem Identifikator ihr Geschäft unmittelbar beeinflussen würde. Auch die Angebotsseite ist noch nicht viel weiter. Drei Viertel der deutschen Publisher zeigen sich unsicher, was Alternativen zum Cookie angeht, so eine Befragung der Mediaplattform Teads.
Die gute Nachricht: Die Sorge bei Marken und Medienhäusern ist inzwischen weitgehend unbegründet. Denn die ungewisse Zukunft des Third-Party-Cookies hat in den letzten Jahren für einen Innovationsschub gesorgt. Besonders im letzten Jahr feilten große Werbetechnologieanbieter an Lösungen, die die Bedürfnisse des Nutzers nach Privatsphäre und Datenhoheit in den Vordergrund stellen und dabei Marketingverantwortlichen weiterhin spezifische Targeting-Optionen und aussagekräftige Werbewirksamkeitsmessungen erlauben. Einige davon sind schon jetzt verfügbar. Mit dem Ergebnis, das den Third-Party-Cookie als Technologie mittlerweile fast schon entbehrlich macht – und die Ankündigungen von Google und Co. unerheblich. Advertiser, ihre Agenturen und Publishing-Partner müssen diese Alternativen nun nur noch für sich betrachten und anwenden.
Der Third-Party-Cookie ist als Technologie mittlerweile fast schon entbehrlich, ebenso wie Ankündigungen von Google und Co. Advertiser, Agenturen und Publishing-Partner müssen die neuen Alternativen nun nur noch anwenden.
Willkommen in der Multi-ID-Welt!
Grundsätzlich lässt sich sagen: Marketingverantwortliche werden in naher Zukunft eine Vielzahl verschiedener Identifikatoren in allen Abstraktionsstufen nutzen, um mit ihren Käufern zu interagieren. Und sie können bereits jetzt damit anfangen, um sich einen Erfahrungsvorsprung zu verschaffen, Routinen zu etablieren und ihre Marketingtöpfe bestmöglich zu verteilen. Denn die Lösungen, die das Programmatic-Ökosystem erarbeitet hat, sorgen dafür, dass eine Multi-ID-Welt kein Zukunftsszenario ist, sondern relevante, buchbare Gegenwart für den Werbemarkt. Schon heute sind Nutzerprofile zum Teil domain- und geräteübergreifend für personalisierte Werbung erreichbar, und das mit einem stärkeren Fokus auf die Konsumenteninteressen als je zuvor. Die verfügbaren Targeting-Optionen gewinnen stetig an Relevanz und Reichweite.
Vier Tipps für Schnellleser:
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Vier Targeting-Optionen im Überblick
Unique ID-Lösungen
Dieses Modell zielt darauf ab, von einem Nutzer eine Einwilligung zu erhalten, um ihn dann geräte- und domainübergreifend zu tracken – und zwar für verschiedenste Marken und Medien. In den letzten Jahren entstand eine ganze Reihe solcher Kollaborationen. Im deutschen Markt zählt dazu NetID.
Das leistet der Ansatz:
Nutzerfreundlichkeit/Datenschutz:
Die Lösung ist sehr granular, das heißt, sie gibt Usern einen hohen Grad an Transparenz und Gestaltungsspielraum. Erfahrungen mit aktuellen Consent-Management-Services zeigen aber, dass diese Möglichkeit noch wenig genutzt wird. Aber sie ist da und schafft Vertrauen.
Genauigkeit des Targetings:
Marken und Publisher profitieren durch eine hohe Genauigkeit und Persistenz durch den Log-in davon, die Einwilligung zum Tracking nicht selbst verwalten zu müssen um den Kunden durchs Web begleiten zu können – überall dort, wo die Nutzer mit der ID innerhalb eines bestimmten Zeitraums eingeloggt sind oder waren. Der Haken: User sind es nicht gewohnt, sich einzuloggen. Medien und Marken müssen also kontinuierlich echte Argumente für einen Log-in liefern.
Reichweite:
Reichweite wird eine Herausforderung für die Allianzen. Die Lösung der NetID ist bereits am Markt. Allerdings ist sie auf den europäischen, vor allem den deutschsprachigen Raum, beschränkt und auch dort, bedingt durch die Partner, auf einzelne Geschäftszweige fokussiert. Die Reichweite an eingeloggten Usern ist damit noch limitiert und die Lösung nicht anbieterübergreifend einsetzbar. Die Unified ID 2.0 ist eine vielversprechende Ergänzung und gerade für international werbende Marketer unerlässlich. Mittelfristig stellt sich jedoch die Frage, ob eine ID-Lösung allein ausreicht, um den Bedarf von Marketingverantwortlichen zu decken. Daher wird die Kunst sein, ID-übergreifende Lösungen zu kreieren, um Reichweiten und Marktrelevanz zu sichern.
First-Party-Daten
Jedes Unternehmen erhebt im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit eine Vielzahl von eigenen Daten. Diese First-Party-Daten können aus dem Offline-Verkauf stammen, in den eigenen CRMs liegen oder im Rahmen des Trackings auf der eigenen Website gesammelt werden. Aktuell bereichern sie bereits das eigene E-Mail-Marketing, die Produktentwicklung und Kampagnen im Handel. Sie ermöglichen zudem die Personalisierung der eigenen Website oder dienen in der Onlinewerbung als Mittel für Reaktivierungskampagnen oder die Identifikation von Lookalikes, also ähnlichen Käufern wie den besten Kunden. Künftig spielen diese Daten für Advertiser eine noch zentralere Rolle im Data Driven Marketing.
Das leistet der Ansatz:
Nutzerfreundlichkeit/Datenschutz:
Wer First-Party-Daten erheben will, muss dafür eine Einwilligung seiner Kunden einholen und dokumentieren. Dem Nutzer muss dabei völlig klar sein, wozu die eigenen Informationen genutzt werden dürfen. Damit hat auch hier der Kunde die volle Kontrolle.
Genauigkeit des Targetings:
Die auf First-Party-Daten möglichen Targetings sind so trennscharf und nah an der eigenen Kundschaft, wie es für eine Marke nur möglich ist.
Reichweite:
First-Party-Daten werden in Anbetracht einer möglichen Zukunft ohne Third-Party-Cookies immer wichtiger. Damit auf Basis dieser Informationen auch effektive Werbemaßnahmen erfolgen können, sollten Unternehmen sich Gedanken über sinnvolle Strategien zur Erhebung ihrer First-Party-Daten machen. Wichtig wird dabei aber auch die intelligente Anreicherung der Daten, zum Beispiel durch Data Clean Rooms, sein, um eine relevante Reichweite erzielen zu können.
ID-less Lösungen
Eine Reihe von Targeting-Optionen kommt auch komplett ohne IDs aus und nutzt dafür andere Datengrundlagen. So steht beim sogenannten Contextual Targeting das Umfeld beziehungsweise das daraus abgeleitete Interesse eines Users im Mittelpunkt. Die Vorhersage der relevanten Interessen und Themen erfolgt auf Basis einer semantischen Analyse der Website. So ist es möglich, in für Brands relevanten Umfeldern zu werben und die relevante Zielgruppe anonym – ohne Cookies und ohne Tracking – zu erreichen. Eine weitere ID-less-Variante sind Modelle auf Basis von soziodemographischen Daten (oft vereinfacht „Cookieless Targeting“ genannt).
Das leistet der Ansatz:
Nutzerfreundlichkeit/Datenschutz:
Der User ist hierbei anonym. Für die Personalisierung ist daher weder ein Tracking des Nutzerverhaltens noch eine direkte Adressierung auf Basis eines Identifiers notwendig. Sie lässt sich vom weit gefassten Kontext der Ad Impressions ableiten.
Genauigkeit des Targetings:
Der Fokus beim Contextual Targeting liegt darauf, in passenden thematischen Umfeldern zu werben. Der Inhalt eines Werbemittels ist daher auf das Umfeld, beispielsweise einen redaktionellen Artikel abgestimmt, was das Targeting sehr genau macht. Allerdings sind echtes Retargeting und Messbarkeit aufgrund von fehlendem Determinismus eingeschränkt.
Reichweite:
Beide ID-less-Lösungen (Contextual sowie Cookieless Targeting) beruhen auf der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten und bieten schon heute signifikante Reichweitenverlängerungen bei Zielgruppen, die mit ID-Targeting nicht erreicht werden können.
Kohorten
Kohorten werden aktuell vor allem im Rahmen der Privacy Sandbox von Google vorangetrieben. Dabei setzen viele Werbetechnologien seit Jahren auf anonyme Nutzergruppen. Targeting-Segmente, soziodemografische Zielgruppen oder auch Lookalike Audiences in sozialen Medien funktionieren nach diesem Prinzip. Der Einsatz von Kohorten im Targeting ist also innerhalb wie außerhalb des Google-Universums möglich.
Das leistet der Ansatz:
Nutzerfreundlichkeit/Datenschutz:
Google suggeriert, dass mit der Einführung des FloC-Ansatzes (Federated Learning of Cohorts) der Wille des Nutzers stärker respektiert wird. Das ist allerdings fraglich. Mit der ePrivacy-Verordnung und den rechtlichen Rahmenbedingungen, die dazu verpflichten, die Einwilligung des Besuchers einzuholen, gibt es bereits ein Werkzeug, welches im Sinne der Nutzer ist. Der Ansatz von Google übergeht diesen Willen mit dem Ergebnis, dass die Einwilligungen für personenbezogenes Targeting nicht mehr berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen wird zum Teil als wenig transparent und nutzerfreundlich vom Markt empfunden. Es steht außerdem die Frage im Raum, ob Google damit gegen geltendes EU-Recht verstößt. Der geplante Test für FloC in der EU wurde aus Datenschutzbedenken zunächst abgesagt.
Genauigkeit des Targetings:
Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen. Google selbst spricht von einer Präzision nahe dem, was mit personenbezogenem Targeting erreichbar ist. Wenn man jedoch das gesamte Internet betrachtet, verschlechtert Google die Genauigkeit durch seinen Ansatz eher. Denn bereits jetzt haben alle großen Chromium-basierten Browser (Opera, Microsoft Edge) sowie die anderen Browser-Hersteller Firefox und Apple Safari angekündigt, den FloC-Ansatz nicht zu unterstützen. Auch Tech-Player wie GitHub und WordPress wollen ihn nicht zulassen.
Reichweite:
Kohorten bedeuten technisch ein auf Wahrscheinlichkeiten und Machine Learning basierendes System. Somit ist grundsätzlich erst einmal eine relativ hohe Reichweite möglich. Aufgrund der unklaren Vereinbarkeit mit dem europäischen Datenschutz sowie der Ablehnung der Technik durch viele Seitenbetreiber und Browser-Anbieter ist jedoch eine deutlich geringere Reichweite zu erwarten.
Die Qual der Wahl: Vielfalt als Verpflichtung und Chance
Das Third-Party-Cookie ist durch seine Dezentralität und die volle Kontrolle seitens der Nutzer aktuell immer noch die beste Art der Datensammlung. ID-Alternativen sind immer ein Kompromiss, da sie derzeit (noch) nicht so reichweitenstark sind. Die ID-less Lösungen basieren sehr stark auf Approximation und bieten nicht die gleiche Performance wie ein ID-basiertes Profil, ihre Stärke liegt aber in der großen Reichweite. Es gibt künftig nicht mehr den einen Identifikator, der sich für alle Formen der Zielgruppenansprache eignet – stattdessen viele IDs und ID-unabhängige Optionen, die mit unterschiedlichen Abstraktionsgraden, Targeting-Genauigkeiten und Reichweiten daherkommen. Marken müssen sich mit diesen Optionen beschäftigen und Wissen aufbauen – profitieren aber letztlich von dieser Vielfalt. Sie erhalten einen unverändert guten Zugang zu ihren Kunden und können dabei deren Bedürfnisse nach Privatsphäre und Datenhoheit besser würdigen. Die ungewisse Zukunft des Third-Party-Cookie gilt als größte Herausforderung in der Geschichte des Programmatic Advertising – ist tatsächlich aber die einmalige Chance für Marken und die gesamte Industrie, verlorenes Vertrauen wettzumachen, sich von einzelnen Playern im Markt zu emanzipieren und an bisherige Erfolge anzuknüpfen.
Fazit:
Die Alternativen bieten Chancen und sie sind gekommen, um zu bleiben – unabhängig von der Zukunft der Third-Party-Cookies. Auf die ultimative Lösung wartet das Ökosystem jedoch noch.

Autor
Stephan Jäckel
Geschäftsführer, emetriq GmbH
Stephan Jäckel ist als Geschäftsführer von emetriq ein ausgewiesener Experte für Data Driven Advertising. Die Telekom-Tochter ermöglicht der Online-Werbebranche einen fairen Zugang zu Daten, mit dem Ziel, diese silo-übergreifend zur Verfügung zu stellen. Jäckel setzt sich für eine unabhängige Werbewirtschaft und Fortschritt zu den dort längst fälligen Themen Datentransparenz und Qualitätsstandards ein.
www.emetriq.com
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