User-Experience und Mobile First
Wie die Pandemie das Online-Kaufverhalten verändert

Warum klicken User am Ende auf „kaufen“ oder „buchen“? Google fand in einer aktuellen Studie heraus, dass sich im Kopf eines jeden Onlinekäufers eine so genannte „messy Middle“ verorten lässt. Diese ist zwar chaotisch, jedoch lassen sich Gesetzmäßigkeiten erkennen. Diese Erkenntnisse in die eigene SEO-Strategie einzubauen, sichert einen Marktvorsprung – aber nur, wenn alle Prozesse auch auf Mobilgeräten funktionieren.
Als Antwort auf das veränderte User-Verhalten liest Google ab April nur noch die mobile Version der Websites für sein Suchmaschinenranking aus. Die Desktop Performance, egal mit welcher Historie, zählt für Google bald nicht mehr.
Das Auflösen der klassischen Funnels und die Entdeckung der „messy Middle“
Kaufprozesse mithilfe von Modellen zu analysieren gehört zum klassischen Marketing-ABC. Angefangen hat alles mit AIDA (Attraction, Interest, Desire, Action), einem Marketingmodell des Amerikaners Elmo Lewis Ende des 19. Jahrhunderts. Rund 30 Jahre später folgte das Funnel- Modell, bei dem die Phase im Verkaufsprozess untersucht wurde, bei welcher die Abbruchrate besonders hoch war. Mit den sozialen Netzwerken, den Influencern, den Foren, und Bewertungssystemen geriet der Funnel an seine Grenzen. Im Jahr 2010 wurde das Modell der Consumer Decision Journey, auch Consumer Decision Loop genannt, von dem Beratungsunternehmen McKinsey entwickelt; dieses ermisst und vergleicht das geänderte Kaufverhalten im Netz und trägt dem After-Sales-Prozesses Rechnung. Der After-Sales-Prozess wird hier auch als Loyalty Loop bezeichnet und beschreibt somit das proaktive und strukturierte Abfordern von Rezensionen und Bewertungen.
Nach der aktuellen Studie von Google ist die Zeit der linearen und logischen Modelle nun vorbei. Der Suchmaschinengigant hat eine groß angelegte Studie in Deutschland ausgeführt und ist zu dem, auch empirisch belegten, Ergebnis gekommen, dass die zum Kauf führenden Entscheidungen immer unübersichtlicher werden. Die Autoren der Studie, Alistair Rennie, Jonny Protheroe und Dr. Verena Sander, stellten fest, dass Menschen auf so genannte Bias zurückgreifen, diese beschreiben tief in der Psyche verwurzelte kognitive Verzerrungen. Diese bilden den Kern der messy Middle, nämlich die komplexe Region zwischen Anreizen und Kaufabschluss, einem Ping-Pong von Erforschung und Bewertung; es ist ein Hin und Her für oder gegen ein Produkt oder eine Dienstleistung.
„Der Weg vom ersten Kaufanreiz bis zum Abschluss verläuft keinesfalls linear. Er ähnelt eher einer chaotischen Reise mit vielen Touchpoints, die bei jedem Käufer anders verläuft.“ ~ Alistar Rennie, Jonny Protheroe, Dr. Verena Sander, thinkwithgoogle.com
Unter den unzähligen Biases lassen sich aufgrund der Customer Journey sechs Kriterien identifizieren, welche die Kaufentscheidung primär beeinflussen:
- Produktmerkmale
- Sofortige Verfügbarkeit
- Soziale Bestätigung
- Verknappung
- Expertenurteil
- Bonuszugabe
Aufschlussreich ist das Shopping-Experiment, das Google zusammen mit Verhaltensforschern mit Hilfe realistischer Kaufszenarien durchführte, mit verblüffenden Ergebnissen: Selbst der am schlechtesten abschneidende Anbieter, eine fiktionale TV-Geräte-Marke, kam auf 37 Prozent Käuferpräferenz, da er mit einer Fünf-Sterne-Bewertung und einer verlängerten Garantie zum selben Preis punkten konnte. Eine fiktive Spielzeugmarke kam auf 56 Prozent der Verbrauchervorlieben, weil sie bei allen sechs Biases nachbesserte.
Im Umkehrschluss heißt das, dass Konsumenten, wenn sie sich im Netz informieren oder einen Kauf beabsichtigen, nicht mehr singulär an eine Marke oder ein Produkt denken und somit nicht per se bereit sind, Geld für ein Markenprodukt auszugeben. Sie sind daher bereit, weniger bekannte, oder etwa ganz neue Wettbewerber, in ihren Kaufprozess miteinzubeziehen, insofern es diesen gelingt, die Lücke zwischen Anreiz und Kaufabschluss damit zu schließen, wonach der Kunde (unbewusst) Ausschau hält.
Die Frage stellt sich somit, was also unternommen werden kann, um die Unordnung des Users auf seinem Weg zum Kauf zu „kondonisieren“, in Anlehnung an die Aufräum-Berühmtheit Marie Kondo.
To-Do-Liste für die messy Middle
- Verdichte Verkaufsinformationen oder USPs, achte auf eine einfache Navigation. Können die Konsumenten ihre Suchergebnisse nach Kategorien wie Preis, Marke, Stil, und anderem filtern?
- Reagiere prompt und liefere schnell. Wie viele Produkte sind real time auf Lager? Wie schnell können diese geliefert werden? Bis wann kann der Käufer stornieren? Kommuniziere unverzüglich nach der Transaktion. Gib dem Käufer unmittelbar eine Bestätigung seines Kaufes bzw. seiner Transaktion.
- Für Onlineshops sind Kundenbewertungen auf den Plattformen, wie z. B. Trusted Shops und eKomi, entscheidend. Die meisten Reviews werden über Amazon, Google und eBay abgerufen. Setze darum Anreize für positive Rezensionen.
- Produktverknappung funktioniert, wenn sie wohldosiert eingesetzt wird. Verbreite limitierte Angebote und verdeutliche die Vorteile in der Kommunikation und auf der Landingpage.
- Hole Expertenstimmen ein, z. B. von Personen oder Institutionen, die als Fachexperten oder Autorität wahrgenommen werden.
- Die Bonuszugabe ist das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Hier sind der Phantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt. Das Add-On muss nicht kostspielig sein, es sollte nur in Erinnerung bleiben.

Die Pandemie pusht das Onlineshopping
Der stationäre Handel hat seit der Pandemie verstärkt das Nachsehen. Durch die Digitalisierung und Angeboten wie Click&Collect versuchen viele Händler ihre Kundschaft zu behalten. Suchmaschinen wie „Shoptimist“ entstehen, um den lokalen Handel in der Konkurrenz mit Internet- Versandriesen zu stärken. Ungeachtet mit welcher Suchmaschine, bzw. auf welchem digitalen Marktplatz, die Käufer unterwegs sind: Fakt ist, die Zahl der monatlichen Online-Einkäufe steigt seit dem ersten Lockdown an. Die Käufer bestellen vermehrt auch Produkte, die vorher vorwiegend stationär gekauft wurden.
Laut einer aktuellen Umfrage des Softwareunternehmens Capterra bestellten 42 Prozent der Konsumenten während der Pandemie bestimmte Produkte zum ersten Mal. Den größten Anteil an Erstbestellungen hatten mit 16 Prozent Kleidung, Schuhe und Sportausrüstung, Lebensmittel (15 Prozent), sowie Haushaltswaren und -geräte (16 Prozent). Ein solch verändertes Kaufverhalten könnte vielleicht vernachlässigt werden, wenn es zeitlich auf die Krise beschränkt wäre. Das ist aber laut Studie nicht der Fall. 23 Prozent wollen auch nach der Pandemie häufiger in Onlineshops einkaufen als vorher, 16 Prozent werden Produkte, die sie zuvor in lokalen Geschäften gekauft haben, weiterhin online kaufen, und 21 Prozent wollen weiterhin Lebensmittel online bestellen. Bei den Kaufentscheidungen spielen auch hier die Online-Reputation und die nutzergenerierten Online-Bewertungen eine große Rolle.
Immer mehr Einkäufe werden mit dem Smartphone getätigt, nämlich über soziale Netzwerke und auf Social-Commerce-Kanälen wie Snapchat, Instagram, Facebook, Pinterest und TikTok. Klickt der User bei einem Produkt auf „kaufen“ wird der Bezahlvorgang direkt über den Social-Media- Kanal abgewickelt. Abbrüche und komplizierte Wechsel werden vermieden, spätestens seit Pay- Pal sich flächendeckend als zentrales Bezahlsystem etabliert hat. Somit hat sich, zusätzlich zum stationären Handel und dem Onlinehandel über die eigene Website oder einen Marktplatz, ein dritter Social-Media-Marktplatz entwickelt, der mit dem Smartphone besucht werden kann. Hier ist die Magie des mobilen Internets spürbar, von der der damalige Google-Chef Eric Schmidt im Jahr 2010 anlässlich der Mobilfunkmesse in Barcelona gesprochen hat; Schmidt leitete damals das Zeitalter des mobilen Computings ein und gab somit den Startschuss für „Mobile first“.
Dem Thema „Usability“, oder noch konkreter „Mobile Usability“, kommt vor dem zuvor beschriebenen Hintergrund eine besondere und stark wachsende Bedeutung zu. Somit sind Faktoren wie die Reduktion aufs Wesentliche, die Anpassung von Texten und Produktbeschreibungen, mit einer Hand leicht ausfüllbare Formulare, Übersichtlichkeit, und schnelle Auffindbarkeit, die Navigation im sogenannten „Burgermenü“ und der immens wichtige Pagespeed zukünftig mehr als nur Hygienefaktoren einer mobilen Seite: Sie sind essentiell für mobile Geschäftsmodelle.
„Durch den Imperativ des möglichst kontaktfreien Lebens erfährt das Mobiltelefon seinen märchenhaften Aufstieg – vom digitalen Assistenten zur Kommandozentrale des eigenen, des autonomen Lebens. Für alle Unternehmen bedeutet das: Produkte und Dienstleistungen, die sich nicht durch das Mobiltelefon organisieren lassen, sind dem Untergang geweiht.“ ~ Gabor Steingart, Morning Briefing, 08. Februar 2021
Was die Pandemie in der B2B Kommunikation ins Rollen gebracht hat
In der Pandemie standen von einem Tag auf den anderen gewachsene Lieferantenstrukturen auf dem Prüfstand. Schlechte Verfügbarkeit in dieser Zeit führte zum Nachsehen. Fast die Hälfte aller Unternehmen hat laut Wissence durch die Krise ihre Lieferanten gewechselt, wenn ein anderer Lieferant bessere Lager- und Preistransparenz sowie eine Selbstkonfiguration von Produkten und Lösungen anbieten konnte. Diese Erfahrung nehmen Unternehmen zweifellos aus der Krise mit.
Für die Unternehmen bedeutet dies eine Revolution ihrer Vertriebsstrukturen: Anstatt mit einem Vertriebsmitarbeiter persönlich in Kontakt zu treten, ziehen viele Geschäftskunden einen sofortigen und digitalen Zugang zu individuellen Angeboten und Preisen vor. Die Pandemie hat somit im B2B Einkauf einen Paradigmenwechsel ausgelöst, so das Fazit der Studie. Digitale Recherchen auf Websites, digitale Materialien und Live-Chats werden der persönlichen Kommunikation, den persönlichen Referenzen und Kontakten, etwa auf Messen, vorgezogen. Die Unternehmen haben auf diesen durch die Pandemie ausgelösten Trend reagiert und planen verstärkt eine Investition in Onlinekanäle, wie Websites, Apps, Soziale Netzwerke, sowie in mobile Kanäle.
Ebenso musste im B2B-Bereich die Generierung von neuen Leads, also die klassische Neukundenakquise, die in „Vor-Pandemie-Zeiten“ oftmals auf Messen stattgefunden hat, durch neue und digitale Formate substituiert werden.
Fazit
Die messy Middle ist ein Phänomen, mit dem sich Anbieter und Webseitenbetreiber nun auseinandersetzen müssen. Ein Kompass bzw. eine „Kondonisierung“ werden benötigt, um den Weg für den User bestmöglich aufzuräumen, um ihn vom „Nudge“ (Richard Thaler) bis zum Kaufabschluss hin zu motivieren.
Bereits bei der strategischen Keyword-Recherche reicht es künftig nicht mehr, Suchvolumen und Wettbewerb zu evaluieren, um dann mit relevantem Content zu ranken. Die Intention, oder anders gesagt, der Grad auf der Seite des Users zwischen dem ersten Impuls und dem vermutlichem Kaufabschluss, muss stärker über den aufzubereitenden Inhalt entscheiden. Nur wer es schafft, das Zusammenspiel von transaktionalen und informationsgetriebenen Suchanfragen inhaltlich miteinander verschmelzen zu lassen, hat eine gute Chance, potenziellen Käufern in ihrer messy Middle eine Orientierungshilfe zu bieten.
Ohne mobile Optimierung und Usability ist alles zuvor Gelesene nahezu völlig unwichtig: Der enorm gestiegene Anteil mobiler Nutzungen stellt die Voraussetzung für eine mobile Indexierung seitens der Suchmaschine Google dar. Mobile Friendliness ist somit essentiell für jedwedes digitale Geschäftsmodell. Diese Erkenntnis ist nicht neu, jedoch ist sie leider noch nicht unter allen Website-Betreibern verbreitet und wird voraussichtlich ab April 2021 durch Google sanktioniert.

Autor
Michael Pütter
Geschäftsführer Puetter Online Communications
Michael Pütter (Dipl. Kfm.) ist Geschäftsführer der Puetter Online Communications. Neben langjähriger Marketing-Erfahrung auf Geschäftsleiter- und Managementebene kann er umfangreiche Beratungsprojekte im Bereich Digitalisierung und Unternehmenskommunikation vorweisen. Der passionierte Langstreckenläufer ist seit 2014 Hochschuldozent für digitale Psychologie und E-Commerce in Köln und Düsseldorf. Zu diesen Themen veröffentlicht er regelmäßig Fachbeiträge.
www.puetter-online.de
mp(at)puetter-online.de
www.facebook.com/PuetterOnline
www.linkedin.com/company/puetter-online/
www.xing.com/pages/puettergmbh-onlinecommunications