The „New Normal“ als Chance für den Handel?

Seit nunmehr 12 Monaten steht die Welt Kopf durch die Coronakrise. Das Leben, wie es zuvor war, hat sich grundlegend geändert. Viele stehen vor Herausforderungen, die sie bis vor einem Jahr noch für unmöglich gehalten haben. Das geht auch am Handel nicht spurlos vorbei, denn das Konsumverhalten hat sich nachhaltig verändert. Das IFH KÖLN beobachtet seit Beginn der Pandemie das Konsumentenverhalten in Deutschland, doch wie das „New Normal“ nach der Pandemie aussieht, ist aktuell noch nicht abzusehen.
Die Coronapandemie hat die Gewohnheiten der Menschen auf den Kopf gestellt. Neue Rahmenbedingungen im Handel haben zu einer Veränderung des Einkaufsverhalten der Konsument:innen geführt. Aber welche konkreten Entwicklungen konnten in der Pandemie überhaupt beobachtet werden?
Die wohl auffälligste Entwicklung, die sich bereits seit einigen Jahren ankündigte, ist die Verschiebung hin zum Onlinekanal. Die Pandemie fungiert hierbei als eine Art „Brandbeschleuniger“ und hat diesen Trend massiv angetrieben. Konsumentinnen und Konsumenten haben vermehrt Einkäufe, die eigentlich stationär geplant waren, ins Internet verlagert. Deshalb war der Onlinehandel im letzten Jahr kategorieübergreifend auf dem Vormarsch: Laut HDE Online Monitor im Januar 2021 erzielte der Onlinehandel 2020 ein Wachstum von circa 21 Prozent und erzielte damit ein höheres Wachstum als sonst über zwei Jahre hinweg.
Da sich die Veränderung des Konsumverhaltens bereits Anfang letzten Jahres abgezeichnet hatte, untersucht der Corona Consumer Check seit März 2020, wie sich das Einkaufsverhalten den Konsument:innen in Deutschland ändert. In der aktuelle Ausgabe vom Januar 2021 wird erneut deutlich: Viele verschieben ihre Einkäufe in den Onlinekanal. Natürlich beschleunigt auch der nun bereits seit Dezember andauernde Lockdown diese Entwicklung. Doch es zeigt sich auch, dass im ganzen vergangenen Jahr – ob mit oder ohne Lockdown – Einkäufe vermehrt online getätigt wurden.

Von diesem Onlineboom profitieren vor allem die namhaften Plattformen – allen voran Amazon. Während im Mai 2020 noch 62 Prozent angeben, ihre Einkäufe, die sie statt im Geschäft online tätigen, verstärkt Amazon genutzt zu haben, bestätigen nun bereits 83 Prozent diese Aussage im Corona Consumer Check. Aber auch eBay, Otto und Zalando werden immer beliebter bei den Konsument:innen.
Anlässlich der aktuellen Coronakrise analysiert das IFH KÖLN im Rahmen des „Corona Consumer Check“ bevölkerungsrepräsentativ das Stimmungsbild zum Konsumverhalten in Deutschland. Hierfür werden 500 Konsumentinnen und Konsumenten in einer repräsentativen Onlinebefragung zu ihrem Einkaufsverhalten befragt. 2020 führte das IFH KÖLN sieben Befragungen zwischen März und Dezember durch. Die letzte Befragung wurde in der letzten Januarwoche 2021 durchgeführt. Mehr Informationen unter www.ifhkoeln.de/teilen/corona/. |
Diese steigende Beliebtheit setzt sich dabei aus vielen verschiedenen Aspekten zusammen. Beim Onlineshopping geht das Infektionsrisiko nahezu gegen null und auch das teils größere Angebot und die schnelle Lieferung sind immer wieder Gründe für den Einkauf im Netz. Doch im Verlauf der Pandemie konnten die Onlineanbieter auch zunehmend an Sympathie und Vertrauen bei Konsumentinnen und Konsumenten gewinnen und damit ihre öffentliche Wahrnehmung verbessern. Vor allem in den Augen der jüngeren Generation der 18-29-Jährigen oder auch Smart Natives, also Personen mit Geburtsjahr ab 1990 mit hoher Smartphone-Affinität und Aktivität in sozialen Medien, konnten Onlineanbieter ihr Image verbessern. Im Juni 2020 gaben 34 Prozent der Befragten an, dass sie beim Onlinekauf mittlerweile – seit Beginn der Pandemie – ein sicheres Gefühl haben, bei den Smart Natives belief sich der Wert sogar auf 41 Prozent. Außerdem hat sich auch das Vertrauen und das Sympathie-Empfinden in der Pandemie verbessert. Knapp ein Viertel der Befragten (23 %) und mehr als ein Drittel der Smart Natives haben während der Pandemie eine Stärkung der persönlichen Beziehung zu Onlineanbietern wahrgenommen. Dabei spielen auch der Umgang mit Kundendaten und Bonusprogramme eine entscheidende Rolle. 15 Prozent der Befragten haben vermehrt Bonusprogramme genutzt, bei der jungen Zielgruppe sind es sogar 25 Prozent.
Digitale Serviceangebote im stationären Handel
Doch auch kleine Händler können vom Onlineboom profitieren. Nicht erst seit der Coronapandemie wird daran appelliert, den Onlinehandel nicht als Gegner, sondern als neue Chance für Wege hin zur Kundschaft zu sehen. Wer es jetzt in der Krise geschafft hat, seine digitalen Angebote zu etablieren, wird auch in Zukunft Nutznießer des Onlinewachstums sein. Digitale Angebote wie Click & Collect rücken nun durch die Coronakrise in den Fokus der Konsumentinnen und Konsumenten. Im Corona Consumer Check geben 69 Prozent der Befragten an, dass sie durch Corona auf einen gewissen Händlerservice aufmerksam geworden sind. Für viele Kund:innen gehören Services wie das Prüfen von Warenverfügbarkeiten im Internet, die Beratung über Social Media oder ein Lieferserviceangebot von Händlern mittlerweile zum Alltag hinzu und sie werden die Weiterführung der Services über die Krise hinaus erwarten. Für den stationären Handel ergibt sich durch die digitalen Angebote die Chance, sich gegenüber den Onlineanbietern zu behaupten. Dafür müssen die Services aber kundenorientiert und in hoher Qualität angeboten werden. Denn nur dann können sie einen echten Mehrwert für den stationären Handel bieten.
Im Ausbau dieser Services und der entsprechenden Kommunikation in die Zielgruppe liegt nicht nur eine große Chance für den Einzelhandel. Auch die deutschen Innenstädte leiden seit Jahren unter Frequenzrückgängen durch Strukturwandel oder ein verändertes Konsumentenverhalten. In der Studie „Vitale Innenstädte 2020“ wurden knapp 58.000 Passantinnen und Passanten bundesweit in 107 Städten zur Attraktivität der Innenstädte befragt. Dabei wurde deutlich: Eine konsequente Zielgruppenorientierung ist mit Blick auf heterogene Verhaltensweisen, Anforderungen und Erwartungshaltungen potenzieller Innenstadtbesucher:innen zwingend erforderlich. Der Handel ist zwar für viele immer noch der Hauptgrund für einen Besuch in der Innenstadt, dennoch werden die Besucherinnen und Besucher immer älter und aus Sicht der jüngeren Zielgruppe lassen die Innenstädte viele Wünsche offen und bieten ihnen weniger Besuchsanlässe. Diese Entwicklungen konnten zwar bereits vor Corona beobachtet werden, aber auch hier wirkte Covid-19 wie ein Brandbeschleuniger. Jetzt sind alle Agierenden der Innenstadt gefordert: Handel, Gastronomie aber auch die Kultur. Die Herausforderung besteht darin, Ältere weiterhin an die Innenstädte zu binden und jüngere Zielgruppen mit neuen, attraktiven Angeboten zu begeistern.
Lokalität boomt
Von den Auswirkungen der Coronakrise sind aber nicht nur die großen Stadtzentren betroffen: Auch kleine Städte kämpfen mit Lockdown(s), Abstandsregeln und Maskenpflicht. Sowohl bei den „Vitale Innenstädte“ als auch beim Corona Consumer Check wurde aber ein Trend ganz klar ersichtlich: Regionalität und Nachhaltigkeit erleben einen Boom, der von vielen so nicht erwartet wurde. Kleinere Städte haben in der Passantenbefragung deutlich besser abgeschnitten und auch im Corona Consumer Check gibt jede/r Dritte an, im letzten Jahr mehr bei regionalen Händlern gekauft zu haben als im Vorjahr. Die Coronakrise hat gezeigt, dass globale Produktion und lange Lieferketten anfällig und nicht Covid-tauglich sind. Viele Konsument:innen konzentrieren sich deshalb auf ihr näheres Umfeld, greifen vermehrt zu regionalen Produkten und unterstützen den lokalen Handel. Im Corona Consumer Check vom Januar 2021 geben 49 Prozent der Befragten an, auch in Zukunft vermehrt bei lokalen Händlern kaufen zu wollen. Und knapp die Hälfte (48 %) plant, zukünftig mehr auf nachhaltige Produkte zu achten.
Nachhaltiges Handeln ist also eine zentrale Anforderung für Konsumentinnen und Konsumenten in allen Lebensbereichen, aber vor allem auch im Handel. Doch wie nachhaltig ist dieser Trend selbst? Auf Grundlage des Corona Consumer Checks ist abzusehen, dass auch bei Lockerungen oder gar nach dem Ende der Pandemie Regionalität und Nachhaltigkeit ihren hohen Stellenwert behalten werden. Ob sich aber auch lokale Onlinemarktplätze zukünftig durchsetzen werden, ist aktuell noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Das Interesse der Kund:innen daran ist aktuell sehr groß und im Verlauf der Pandemie immer weiter angestiegen.
Knapp ein Viertel der im Corona Consumer Check im Januar 2021 Befragten kann sich eine zukünftige Nutzung von lokalen Onlinemarktplätzen vorstellen – bei den 18-29-Jährigen bestätigen dies sogar 31 Prozent. Doch das vorhandene Interesse muss dann auch tatsächlich in Onlinekäufe umgewandelt werden. Während der Krise wurden Nutzungsraten und Kaufplanung gesteigert, aber auf Krisensolidarität und Lokalpatriotismus alleine kann sich ein Geschäft nicht stützen, denn Amazon und Co. dominieren den Markt immer noch. Lokalität alleine schafft nicht genügend Mehrwerte, um gegen die große Konkurrenz zu bestehen.

Was bleibt nach Corona?
Viele Entwicklungen, die im letzten Jahr beobachtet werden konnten, sind weder neu oder verwunderlich. Covid-19 hat die Verschiebung vom stationären Handel hinein in den Onlinehandel nochmals massiv beschleunigt und einigen Beteiligten auf teilweise schmerzhafte Art und Weise bewusst gemacht, was in den letzten Jahren eventuell verschlafen wurde. Niemand kann aktuell genau sagen, wie das so oft zitierte „New Normal“ schlussendlich aussehen wird und welche Trends und Entwicklungen im Einzelnen aus der Krise bleiben werden. Eines ist aber ganz sicher: Konsumentinnen und Konsumenten werden nicht alle Gewohnheiten, die sie in der Pandemie entwickelt haben, wieder ablegen. Digitalisierung bleibt der zentrale Treiber, denn das Onlinewachstum wird auch im „New Normal“ nicht aufzuhalten sein. Händler müssen die Chancen, die sich dadurch ergeben, kundenzentriert nutzen und neue Konzepte entschieden umsetzen.
Für stationäre Händler heißt das also einerseits, die Customer Journeys ihrer Kundinnen und Kunden gut zu verstehen und digitale Kanäle für Marketing und Vertrieb zu nutzen. Es gilt, eine hohe Sichtbarkeit im Netz aufzubauen und die richtigen Plattformen zur Kundenansprache zu nutzen. Digitale Services wie Click und Collect oder Online-Terminvereinbarungen werden zunehmend bekannt und genutzt. Es gilt, diese Services ebenso wie Flächenkonzepte kundenzentriert weiterzuentwickeln und zugleich klassische Einzelhandelsstärken wie eine empathische Beratung und „analoge“ Services von der Geschenkverpackung bis hin zum kostenfreien Espresso während der Anprobe auszubauen. Erfolgreicher Einzelhandel der Zukunft ist nicht online oder offline, sondern schlicht kundenzentriert.

Autor
Dr. Kai Hudetz
Geschäftsführer des IFH KÖLN
Dr. Kai Hudetz ist seit August 2009 Geschäftsführer des IFH KÖLN und E-Commerce-Experte der ersten Stunde. Bereits 1999 hat er das ECC KÖLN gegründet und seitdem unzählige Unternehmen aus Handel und Industrie bei der kundenzentrierten Transformation von Geschäftsmodellen beraten. Kai Hudetz zeigt klare Kante in seinen Prognosen über den Handel der Zukunft und macht Unternehmen Mut, die Wünsche der Kundschaft im digitalen Zeitalter ernst zu nehmen.
ifhkoeln.de
k.hudetz(at)ifhkoeln.de
linkedin.com/in/kai-hudetz-ifh