Interview mit Christoph Kull (VP & MD Central Europe, Adobe)

eStrategy-Herausgeber und Chefredakteur Josef Willkommer hat sich mit Adobe Vice President und Managing Director für Central Europe, Christoph Kull, über die vergangenen 12 Monate Corona- Pandemie, die damit verbundenen Auswirkungen auf das Business, entsprechende Learnings und Adobes Pläne für die Zukunft unterhalten. Gerade der Mittelstand wird hier für Adobe zukünftig eine noch wichtigere Rolle einnehmen.
Die letzten 12 Monate waren für uns alle sicherlich etwas ganz Spezielles. Was sind für Dich die größten Learnings sowohl im positiven, als auch negativen Sinne?
Ja also ich glaube allgemein muss man festhalten, dass es uns bei Adobe ohne Pandemie auch besser gehen würde. Und das meine ich nicht nur persönlich, sondern auch wirtschaftlich. Wir haben natürlich viele Freiberufler und Unternehmen als Kunden, die zum Teil in Branchen unterwegs sind, die von der Pandemie hart getroffen wurden. Man denke hier beispielsweise nur an die Reisebranche. Hier wurden verständlicherweise manche Projekte und Investitionen hinten angestellt. Und bei Freiberuflern hat es natürlich teilweise auch weniger Aufträge gegeben, wodurch auch hier mitunter überlegt wird, ob sie beispielsweise ihre Abonnements wirklich in der bestehenden Form erneuern oder vielleicht mit weniger klarkommen.
Aber wie du richtig gesagt hast, hat die Digitalisierung durch die Pandemie auch einen Schub bekommen. Und deswegen sind wir natürlich in einer Branche, der es besser geht als vielen anderen Bereichen. Was interessant ist, ist dass insbesondere die Bereiche kollaboratives Arbeiten und beispielsweise digitale Vertragsunterzeichnung stark zugenommen haben. Also die Nachfrage nach Adobe Sign, unserem Tool für digitale Unterschriften, ist sehr gestiegen. Es gibt dazu auch eine Anekdote: Ein sehr traditionelles schweizer Unternehmen hat die letzten 20 Jahre – also bis zum Januar 2020 – von uns verlangt, dass wir alle Verträge schriftlich per Tinte unterschreiben und per Post zuschicken. Es wurde in der Vergangenheit kategorisch keinerlei Scans akzeptiert und auf einmal funktionierte das Ganze dann im April 2020 plötzlich über eine elektronische Signatur. Hier wurde innerhalb kürzester Zeit ein digitaler Evolutionsschritt komplett übersprungen – von der physischen Unterschrift direkt zur elektronischen Signatur.
Daran sieht man schon den Impact von Corona. Dann gibt es natürlich das Thema der Kundenerlebnisse bzw. -experiences. Der neue digitale Absatzkanal, der neue Weg mit Kunden in Kommunikation zu treten und zu bleiben. Und zwar nicht nur, wenn es um Shopping geht, sondern auch wenn man Inhalte an den Mann oder an die Frau bringen will. Da wurde schon einiges investiert und wir und unsere Kunden haben in der Regel auch sehr schnell gesehen, dass es funktioniert. Interessant finde ich an dieser Stelle die Beobachtung, dass es gerade bei Unternehmen, die sich bereits vor Corona mit Digital- und Remote-Themen beschäftigt haben, auch deutlich weniger Probleme durch Corona auftraten. Diese Unternehmen haben meist auch auch viel schneller den Sprung geschafft, um mit ihren Kunden digital in Kontakt zu bleiben.
Adobe hat kürzlich bereits zum elften Mal den Report “Digitale Trends” veröffentlicht. Darin wird immer wieder auf die Wichtigkeit von Kundenerlebnissen oder Neudeutsch Customer Experience (CX) verwiesen. Was genau hat es damit auf sich? Ist das wieder nur ein Marketing Buzzword?
Wie du richtig sagst, ist das neudeutsche Wort Customer Experience zusehends ein Unterscheidungsmerkmal, ein Wettbewerbsfaktor. Ein Unternehmen kann tolle Produkte und Dienstleistungen anbieten. Wenn aber das Erlebnis des Kunden nicht passt und wenn das Erlebnis nicht auch den Kunden anspricht und begeistert, dann hilft das beste Produkt bzw. der beste Service nichts. Das ist inzwischen auch ziemlich gut erforscht. Es gibt hierzu verschiedene zum Teil sehr spannende Studien – und ich spreche hier nicht nur von unsere Adobe Digital Trends Studie.

Die Customer Experience ist ein echter Wettbewerbsvorteil und Unternehmen, die darauf Wert legen, können häufig auch ein höheres Wachstums erzielen. Und diese Wachstumszahlen kommen dann eben auch von Neukundenakquise, aber auch einer geringeren Abwanderungsquote und natürlich den berühmten “Share of Customer”, – d.h. wie viel man pro Kunde verdient – und dessen Steigerung. Was an dieser Stelle interessant ist und was in dieser Krise passiert sieht man an den Ergebnissen unseres Trend Reports. Demnach gaben rund zwei Drittel der B2C Unternehmen an, dass ein überproportionales Wachstum an digitalen mobilen Besuchern erfolgt ist. Das überrascht aufgrund der Gegebenheiten nicht allzu sehr.
Aber was auch interessant ist, ist die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der selben Unternehmen gesagt haben, dass die Loyalität zu Produkten und Dienstleistungen gesunken ist. Produkte und Dienstleistungen sind also nicht mehr alleine ausschlaggebend. Der Kunde ist also schneller wieder weg. Genau deswegen ist das Kundenerlebnis so ein wichtiges Merkmal. Jetzt können wir das Ganze natürlich noch weiter spinnen. Worauf kommt es denn bei einem solchen Personen- bzw. Kundenerlebnis an? Das Kundenerlebnis muss natürlich am besten nicht nur personalisiert, sondern persönlich sein, was mitunter ein gravierender Unterschied sein kann und es muss relevant sein. Dafür braucht man wiederum Daten – und gerade hierzu haben wir in unserem Digital Trends Report auch einige sehr interessante Insights.
Du hast den Adobe Digital Trends Report angeschnitten, den ihr inzwischen seit vielen Jahren veröffentlicht. Was sind denn aus Deiner Sicht einige Highlights des aktuellen Reports?
Eine Statistik, die mich wirklich schockiert hat, ist, dass 60 Prozent der befragten Führungskräfte die Customer Experience von ihrer eigenen Firma als schlecht einstufen, d.h. sie geben an, dass sie sich selbst als Kunden nicht abgeholt fühlen würden. Wenn man dann zwei Schritte zurück geht und sich anschaut, woran das liegt, stellt man häufig fest, dass das Thema der Kundenzentrierung, also die Ausrichtung an den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden, noch zu wenig vorhanden ist. Das fängt mit dem Thema Daten und deren Verfügbarkeit für jeden Touchpoint an.
Ein Touchpoint heißt hier für mich aber nicht nur die Klicks auf einer Webseite oder im Onlineshop. Es geht hier auch um Dinge wie einen Anruf, die Versendung bzw. den Empfang einer Bestellung und noch vieles mehr. Alles was in irgendeiner Form mit dem Kunden in Berührung kommt. Wenn nicht für jeden Touchpoint entsprechende Daten zur richtigen Zeit und in gleichmäßig hoher Qualität verfügbar sind, dann entstehen mitunter “weiße Flecken” in der Customer-Journey die im Worst-Case zu einem schlechteren Einkaufserlebnis führen können.
Hier kommt das Thema Technologie zum tragen. Gerade wenn auf sehr fragmentierte Insellösung gesetzt wird, kann das Thema der Durchgängigkeit umfassender Daten eine echte Herausforderung werden. Man denke hier beispielsweise nur an eine Shopsoftware, die auf einer anderen Technologie basiert als das Call-Center-Tool und die beiden Technologien tauschen nicht entsprechende Daten aus. Neben der Technologie liegt es aber auch daran, wie eine Organisation aufgebaut ist. Wenn beispielsweise unterschiedlichste Bereiche und Abteilungen mit dem Kunden interagieren, dann müssen hierfür auch entsprechend organisatorische Maßnahmen getroffen werden, damit allen umfassende Daten bereitgestellt werden können, um dem Kunden einen bestmöglichen Service und am Ende ein perfektes Einkaufserlebnis bieten zu können. Hier gibt es häufig Verbesserungspotentiale.
Du sprichst damit das häufig zitierte Silo-Denken an, oder?
Ja, das ist nach wie vor häufig noch so. Tatsächlich ist es auch so, dass Kunden häufig viel anspruchsvoller geworden sind. Wenn du heute in einem Baumarkt beispielsweise etwas kaufen möchtest, dann kannst du nicht mal eben hingehen, sondern du musst erst einmal digital bestellen und als Lieferadresse den nächsten Baumarkt auswählen. Das ist das inzwischen häufig genannte Click & Collect. Dann möchte man vielleicht, wenn man nicht genau weiß, wie dieses Gerät oder das Werkzeug funktioniert, die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen. Idealerweise sollte ein solches Beratungsgespräch – im besten Fall direkt per Video-Call – gleich Teil des Einkaufserlebnisses sein. Dieser Anspruch ist – auch durch die Corona-Situation – nochmals extrem gestiegen und stellt viele Unternehmen vor die Herausforderung, dieses gestiegene Kundenbedürfnis bestmöglich zu befriedigen.
Im letzten Jahr haben wir, getrieben durch die Corona-Pandemie, Digitalisierungsinitiativen in Bereichen gesehen, die bis dahin noch undenkbar waren. Man denke hier beispielsweise an Vertrieb von hochtechnischen Produkten, der bislang ausschließlich über den spezialisierten Vertrieb lief. Bedeutet dies, dass gerade der B2B Vertrieb zukünftig anders funktionieren wird? Was heißt das für Unternehmen?
Die Besonderheit im B2B Umfeld liegt darin, dass es sich hier häufig um sehr erklärungsbedürftige Produkte handelt. D.h. solche Produkte müssen in der Regel im Gespräch erklärt und gezeigt werden. Durch Corona war bzw. ist man gezwungen neue Wege zu gehen und neue Ansätze auch einfach mal auszuprobieren. Früher haben Unternehmen mitunter einfach auch erwartet, dass für bestimmte Produkte ein Vertriebsmitarbeiter persönlich ins Haus kommt und es wäre schon rein gedanklich nicht akzeptabel gewesen, dass sowas über´s Telefon passiert. Durch die Pandemie hat sich die Erwartungshaltung gezwungenermaßen sehr stark verändert.
Wenn ein persönlicher Besuch hier situationsbedingt einfach nicht möglich ist, werden plötzlich auch Videokonferenzen sowie digitale Kanäle akzeptiert und zwar auf allen Ebenen. Der zweite Punkt ist eine aus meiner Sicht sehr nachvollziehbare Tatsache. Nehmen wir beispielsweise einen Einkäufer im Pharma- Umfeld. Diese Person ist ja auch als Privatperson unterwegs und tätigt die unterschiedlichsten Einkäufe und dies nicht erst seit Corona auch immer häufiger im digitalen Umfeld. Das bedeutet, dass sich seine Erwartungshaltung im Einkauf ähnlich verhält und zwar unabhängig davon, ob er privat ein Fahrrad kauft oder im geschäftlichen Kontext Pharma Präparate.
Insofern ist die Unterscheidung, was das Thema Einkaufserlebnis anbelangt, zwischen B2C und B2B über die letzten Jahre immer geringer geworden und Corona hat hier sicherlich auch nochmals einen gewissen Schub gegeben. Am Ende geht es unabhängig von Branche und Umfeld doch darum, dass ein Käufer ein gutes Gefühl beim Einkauf und auch danach hat. Die aktuellen digitalen Technologien unterstützen Unternehmen dabei, genau dies zu ermöglichen und jedem Kunden – ganz unabhängig von B2C und B2B – ein echtes Einkaufserlebnis zu bieten. Das ist es, was wir mit Customer Experience meinen.
Der Begriff der Agilität geisterte ja bereits lange vor Corona durch die Wirtschaft. Die letzten 12 Monate haben hier aber nochmals zu deutlich mehr Awareness geführt. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff und warum ist es für Unternehmen unabhängig von Branchen und Größe zukünftig so wichtig, Agilität stärker in den Fokus zu rücken? Welche Voraussetzungen sind hierfür notwendig?
Also ich glaube, Agilität beschreibt ja die Fähigkeit, sich schnell und angemessen auf Veränderungen einzustellen. Dazu brauche ich zwei Dinge: Erstens die Möglichkeit zu verstehen, was verändert sich da und das möglichst zeitnah und zweitens dann auch die Fähigkeit, tatsächlich solche Veränderungen entweder als Anlass zu nehmen, zu agieren oder wirklich darauf zu reagieren. Insofern ist es enorm wichtig, dass Unternehmen das Ohr auf der Schiene haben und verstehen, was da draußen im Markt aktuell passiert. Und hier sind wir wieder bei den Daten. Hab ich denn wirklich ein Verständnis, wie das Kaufverhalten meiner Kunden sich gerade entwickelt? Was wird derzeit nachgefragt und was weniger? Wo oder worüber gibt es aktuell häufig Rückfragen? Wird zusätzlicher Content benötigt und wenn ja in welcher Form? Wie sehen die Interaktionen von meinem Call-Center mit den Kunden aus? Wie lange dauert ein Gespräch? Welche Themen rufen aktuell die meisten Beschwerden hervor? etc..
Wenn ich auf alle diese Daten zugreifen kann und das Ohr auf dem Gleis habe, ist das schon mal eine sehr gute Ausgangssituation. Wenn ich dann noch eine Technologie-Plattform auf der einen Seite und eine Organisation, die versteht, dass eine Ausrichtung auf den Kunden die oberste Prämisse darstellt, auf der anderen Seite habe, dann kann ich auch schneller Prozesse anpassen und auch viel einfacher und kurzfristiger mal kommerzielle Dinge testen und bei Bedarf entsprechende Anpassungen vornehmen. Ich kann dann zudem – sofern notwendig – auch mal Investitionen tätigen.
Das alles ist für mich Agilität. Das funktioniert aus meiner Sicht aber nur, wenn ich Technologien einsetze, die diese Agilität möglich machen und die mich als Unternehmen dabei unterstützen den Fokus auf bestimmte Bereiche relativ schnell zu ändern, sofern dies notwendig ist. Am Ende muss die Organisation dies natürlich auch grundlegend ermöglichen. Die Trigger sind aus meiner Sicht aber immer umfassende Daten. Vereinfacht gesprochen könnte man aus meiner Sicht sagen, dass man Daten zum “hören” d.h. erkennen und eine Organisation und flexible Technologien zum agieren benötigt.
Gemäß dem aktuellen Adobe Report geben Drei Viertel der befragten Führungskräfte (VP und höher) an, dass Marketing 2020 und in der Konsequenz auch darüber hinaus auch bei der Strategieplanung eine erweiterte Rolle einnahm bzw. zukünftig einnehmen wird? Warum ist das so und was bedeutet das genau?
Du hast ja gerade von Agilität gesprochen. Agilität bedeutet aus meiner Sicht nicht nur, dass man schnell reagieren kann, wenn sich der Markt in puncto Prozesse oder Kundenansprache ändert, sondern auch was Produkte oder Investitionen im Dienstleistungssektor angeht. Genau hier kann das Marketing als Datenquelle dienen. Wenn ein Unternehmen sich über eine strategische Planung Gedanken macht, wird das Marketing ein immer wichtigerer Player in diesem Gespräch sein bzw. zukünftig werden, weil das Marketing essentielle Informationen liefern kann.
Beispielsweise wo größte Margen erzeugt werden können, wohin sich der Markt entwickelt. Es geht dabei nicht mehr bloß darum, wo das Unternehmen am meisten Klicks generieren kann oder wo bzw. wie die meisten Neukunden gewonnen werden können, sondern vielmehr darum, wie sich die Nachfrage in Richtung bestehender aber insbesondere auch neuer Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Dies sind wesentliche Grundlagen für eine strategische Planung und eine strategische Ausrichtung eines Unternehmens. Was ich damit sagen möchte ist, dass Marketing aus meiner Sicht zukünftig immer strategischer und damit auch immer wichtiger für Unternehmen werden wird, weil es essentiellen Input liefern kann, in welche Richtung sich das Unternehmen zukünftig entwickeln soll bzw. muss. Ich hatte vorhin ja schon den Begriff der Kundenzentrierung erwähnt, zu dem Marketing enorm wichtige Impulse liefert. Genau das wird aus meiner Sicht zukünftig von noch größerer Bedeutung sein.
Folgendes Zitat eines Umfrageteilnehmers der Adobe Studie finde ich interessant und zugleich auch ein Stück weit bezeichnend: “Die Führungsebene will auf die aktuelle Lage reagieren und unsere Kunden sind online gegangen, was die Bedeutung von Marketing erhöht hat. Aber unser Budget für Infrastruktur und Personal hat sich nicht geändert. Die Führung möchte die Entwicklung nach der Pandemie abwarten.” Das klingt für mich nicht gerade nach einer nachhaltigen Strategie, oder?
Solche Reaktion sind meist in Unternehmen zu sehen, die auch schon vor der Pandemie nicht sehr stark digitalisiert waren. Ich habe letztes Jahr im Frühjahr, quasi in der Hochphase der ersten Welle der Pandemie, ein sehr interessantes Gespräch mit dem Marketingchef eines großen Reiseveranstalters gehabt. Dieses Unternehmen hatte sich nach fast einem Jahr entschieden, dass gerade jetzt erst recht in die digitale Plattform investiert werden muss. Die Aussage von diesem Unternehmen war hierzu, dass der CEO verstanden hat, dass wir die Krise nutzen und am Ende noch agiler und digitaler aufgestellt sein müssen. Nachdem das Unternehmen zuvor gut gewirtschaftet hatte, war dies für die Unternehmensleitung die Initialzündung für eine Digitaloffensive. Das Ziel besteht hier darin, den Kunden nach der Krise ein vollkommen neues Level der Kommunikation und des Buchungserlebnises sowie der Vorfreude auf die Reise anbieten zu können.
Unternehmen, die die jetzige Situation nutzen, um sich insbesondere Digital zu verbessern, werden aus meiner Sicht als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Denn eines ist auch klar: Viele der Erwartungen und Ansätze, die durch Corona entstanden sind, werden auch in der Zeit danach zumindest in Teilen Bestand haben. Hierzu zählt sicherlich auch die Zunahme der Bedeutung von Digitalisierung in quasi allen Bereichen. Wenn wir unsere tägliche Arbeit betrachten, dann ist es faktisch ja auch so, dass beispielsweise ohne Webmeetings & Co. die Arbeitswelt in großen Teilen zum erliegen gekommen wäre. Insofern halte ich Abwarten für keine besonders gute Taktik. Die Digitalisierung wird auch nach Corona nicht mehr zurückgehen, sondern in manchen Teilen weiter zunehmen, weil moderne Technologien einiges an Vorteilen – man denke nur an die Einsparungen im Bereich von Geschäftsreisen – mit sich bringen.
Bei Adobe haben wir bereits vor Corona unsere Mittelstands Initiative gestartet, bei der wir insbesondere für den so wichtigen deutschen Mittelstand Digital-Tools zu einem sehr attraktiven Kosten-Nutzen-Verhältnis anbieten, welche bislang hauptsächlich Großunternehmen und Konzernen zugänglich waren. Uns ist natürlich bewusst, dass solche Investitionen gerade in der aktuellen Situation mitunter nicht ganz einfach sind. Hier bieten wir interessierten Unternehmen aber durchaus verschiedenen Möglichkeiten und auch Zugeständnisse, wodurch es an der Investition alleine eigentlich nicht scheitern sollte.
Wie bei jeder neuen Situation gibt es durch Corona hervorgerufene Verlierer, aber auch Gewinner, die die Zeichen der Zeit erkannt und entsprechend schnell und konsequent gehandelt haben. Welche Beispiele und Best Practices fallen Dir hierzu ein, an denen mich sich orientieren oder Inspiration holen kann?
Ein Beispiel wäre hier die Finanzbranche. Bei einigen großen Banken in Deutschland haben wir die letzten 12 Monaten wirklich einen richtigen Schub erlebt, bei dem es nicht nur um Adobe und Adobe-Produkte sondern um das Thema Digitalisierung im Allgemeinen ging. Es gibt diverse Beispiele von Banken, die inzwischen Bankprodukte digital anbieten, die vor nicht allzu langer Zeit in dieser Form noch undenkbar waren, vom Robo-Advisor für die Baufinanzierung bis hin zum KI gestützten Asset-Management über eine Smartphone App.
Ein anderer Bereich ist auch der Manufacturing Bereich. Hier sehen wir einige Unternehmen, die inzwischen massiv in die Digitalisierung investieren, weil sie sehen, dass die reine Ausrichtung auf klassische Vertriebsteams, die beim Kunden vor Ort sind, nicht zukunftsfähig sein wird. D.h. hier geht es um die Digitalisierung von B2B Kampagnen und dem B2B Direktvertrieb und gerade hier sehen wir gerade im klassisch deutschen Mittelstand zum Teil massives Wachstum.
Last but not least haben wir in den letzten 12 Monaten auch signifikante Investitionen im B2B Commerce-Umfeld gesehen – und zwar sowohl im Mittelstands- als auch Enterprise- Umfeld. Dabei hören wir auch immer häufiger, dass Unternehmen aus dem B2B Umfeld auch in Richtung Endkunden gehen und auch diesen Kunden direkt oder indirekt ein vernünftiges, digitales Einkaufserlebnis bieten möchten, weil die Zeit hierfür einfach reif ist. Ich kann hier leider keine Namen nennen, nur soviel, dass da einige sehr bekannte Unternehmen dabei sind, bei denen man im ersten Moment keinen Webshop vermuten würde.
Bis vor nicht allzu langer Zeit, waren Content Management Systeme (CMS) in unterschiedlichsten Ausprägungen für die Pflege und Aktualisierung von Unternehmenswebseiten quasi gesetzt. Zwischenzeitlich hört man immer häufiger von sog. Experience Plattformen. Adobe hat hierzu ja auch bereits seit längerem die Adobe Experience Plattform im Portfolio. Ist das nur alter Wein in neuen Schläuchen oder steckt hier mehr dahinter?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube dass das Thema CMS eher noch wichtiger ist bzw. wird als es bisher war. Ich spreche hier von einem multilingualen, dynamischen Headless über alle Kanäle, professionell geführtes Content Management System. Ein solches System ist die Grundlage für ein vernünftiges Experience Management – aber eben nur die Grundlage. Einige unserer Kunden haben uns gesagt, dass sie ihren bestehenden Digitalauftritt von einer mehr oder weniger statischen Webseite zu einer dynamischen Business-Engine entwickeln möchten. Und das trifft es eigentlich ganz gut.
Wenn ich aus einer Website eine Business-Engine machen möchte, dann brauche ich natürlich die Monetarisierung. Aber da gehört noch viel mehr dazu. Ich möchte meinen Kunden verstehen. Ich möchte Daten analysieren. Ich muss wissen, wenn der Besucher sich noch gar nicht als Kunde gezeigt hat, wie ich diesen Kunden am besten persönlich ansprechen kann? Was bringt er denn für Attribute mit? Und das Ganze am besten in Echtzeit. Wenn es sich um einen bestehenden Kunden handelt, möchte ich natürlich Infos zu seiner Historie, damit ich ihn zum aktuellen Zeitpunkt optimal adressieren kann. Wie kann ich für diesen Kunden relevante Inhalte zeigen? Vielleicht soll es aktuell gar nicht zum Abschluss kommen, aber ich möchter hier natürlich wieder ein paar neue relevante Informationen mitgeben und daraus meine Kundenbeziehung festigen.

Dafür braucht man ein vernünftiges Content Management System, aber man braucht noch viel mehr dazu. Man braucht die entsprechenden Kundendaten, man braucht aufgrund der häufig riesigen Datenmenge inzwischen Künstliche Intelligenz (AI), man benötigt entsprechende Möglichkeiten, Content und Informationen zielgerichtet auszuspielen und man braucht hinterher vielleicht auch noch eine Erinnerungen für den Kunden, d.h. ein Kampagnenwerkzeug, das dann eine Textmessage hinterher schickt und sich beispielsweise bedankt. Die Verknüpfung der genannten Komponenten macht das Ganze zu einer Business- Engine, bei der am Ende idealerweise Leads und irgendwann mal neue, wiederkehrende Kunden und entsprechende Umsätze generiert werden. Das alles nennt sich bei uns Adobe Experience Plattform und ist ein sehr mächtiges Tool, das wir in den letzten Jahren entwickelt haben und laufend weiterentwickeln und bei dem durch die tiefe Integration der Tools am Ende mehr rauskommt als die bloße Summierung der einzelnen Komponenten.
Adobe ist vor allem durch die Grafiksoftware Photoshop und das PDF-Format bekannt und es wird kaum jemanden geben, der nicht schon mit Adobe Produkten in Berührung kam. Adobe bietet darüber hinaus aber noch viel mehr. Kannst Du hier einen kurzen Überblick geben?
Sehr gerne! Vielleicht ist es auch für viele Leser interessant zu verstehen, was Adobe alles macht. Wie du richtig gesagt hast, haben wir bei Adobe das PDF erfunden. Dadurch kennen uns wahrscheinlich die meisten. Insgesamt haben wir haben drei große Produktbereiche. Wir haben einmal die sogenannte Document Cloud, in der Adobe Acrobat sowie Adobe Sign, unsere Tool für elektronische Signaturen enthalten ist. Mit der Document Cloud können wir Workflows für ein papierloses Zusammenarbeiten abbilden.

Dann haben wir die Creative Cloud mit Photoshop, Indesign, Premiere Pro mit Schnittwerkzeugen für Video und einiges mehr und dann gibt es noch die sogenannte Experience Cloud. Die Experience Cloud vervollständigt die gesamte Wertschöpfungskette vom Kreieren und Anpassen entsprechender Inhalte wie Bilder, Grafiken sowie Videos, über die Verwaltung der entsprechenden Assets bis zur Ausspielung über alle relevanten Touchpoints hinweg. Das kann dann eine Webseite, ein Onlineshop, ein Smartphone, ein Info-Screen oder vieles mehr sein. Zusätzlich werden die damit generierte Daten analysiert und dienen wiederum als Basis für die Optimierung, so dass am langen Ende im idealen Fall Umsatz entsteht.
Gerade mit der sogenannten Experience Cloud hat Adobe in den letzten Jahren primär Großunternehmen und Konzerne mit Lösungen für Content Management, Analytics und Online-Kampagnen adressiert. Letztes Jahr hat Adobe eine neue Mittelstands- Offensive gestartet. Was steckt hier genau dahinter?
Ich bin jetzt seit rund zweieinhalb Jahren hier bei Adobe. Du hast vollkommen zu Recht gesagt, dass zu dieser Zeit gerade in Deutschland die meisten unserer Kunden oberhalb des klassischen Mittelstandes angesiedelt waren. Das waren vielfach Dax-Unternehmen bzw. Großunternehmen. Für uns war dann relativ schnell klar, dass wir eine Mittelstands-Initiative gründen müssen, über die wir entsprechende Pakete für mittelständische Unternehmen schnüren, die mit einem attraktiven Pricing versehen werden und zum Festpreis und innerhalb kurzer Zeit eingeführt werden können. Zudem war uns auch bewusst, dass wir diesen Markt auch grundlegend anders ansprechen müssen.
Hier geht es in einem ersten Schritt häufig nicht um Enterprise-Ansätze mit Künstlicher Intelligenz & Co., sondern um deutlich griffigere Themen wie beispielsweise einen nicht richtig funktionierenden Webshop oder einen Webauftritt, der nicht vernünftig internationalisiert werden kann, weil die vorhandene Technologie das nicht hergibt. Genau dafür haben wir ein Mittelstandspaket entwickelt, das nicht nur aus mehreren Technologiekomponenten, sondern aus zusätzlichen Dienstleistungen in Form von Best-Practice Implementierungen, Trainings, Herstellersupport und einigem mehr besteht. Wir nennen das Ganze Adobe Digital Foundation.
Gleichzeitig haben wir für kleinere Unternehmen oder auch Startups Produktangebote, bei denen es beispielsweise “nur” um eine Shop-Technologie geht. Hier haben wir mit Magento Commerce die führende E-Commerce-Technologie im Portfolio, die weltweit bei unterschiedlichsten Kunden und in unterschiedlichsten Szenarien zum Einsatz kommt und bei Bedarf jederzeit mit weiteren Adobe Komponenten, wie beispielsweise Adobe Analytics oder Adobe Campaign ergänzt werden kann und so mit dem Unternehmen mitwächst. Gerade das Thema Mittelstand ist etwas, das auf meiner Agenda sehr hohe Priorität genießt.

Das Ganze läuft auch sehr erfreulich an. Wir haben in den letzten 12 Monaten mehrere Hundert neue Kunden in meiner Region über sämtliche Mittelstandssegmente gewonnen – von Unternehmen mit 50 Mitarbeitern bis hin zu den großen Mittelständlern, die auch mal über eine Milliarde Umsatz generieren, sich aber trotzdem noch Mittelstand nennen. Hier haben wir inzwischen ordentlich Fahrt aufgenommen und der Markt hört inzwischen auch in diesem Segment mehr und mehr auf uns.
Welche zwei bis drei ganz heißen Trends und Themen siehst Du in diesem Jahr bei Dir und Adobe ganz oben auf der Agenda oder anders gesprochen: Was muss dieses Jahr passieren, damit du rückwirkend betrachtet von einem erfolgreichen Jahr sprechen wirst?
Das erste hattest du schon angesprochen. Wir haben die Mittelstands-Initiative vor rund 15 Monaten angefangen, die wir dieses Jahr weiter vorantreiben möchten. Wir glauben fest daran, dass Deutschland ein Mittelstandsmarkt ist, bei dem wir auch durch die Pandemie nochmals einen gewissen Schub in der Digitalisierung sehen. Gerade im Bereich der Investitionen rund um das Thema der Kundeninteraktionen. Vor der Pandemie war Digitalisierung im Mittelstand oft gleichbedeutend mit Industrie 4.0. Man hat versucht, seine Wertschöpfungs- oder Produktionsprozesse möglichst stark zu digitalisieren, hat aus meiner Sicht aber häufig vernachlässigt, auch in das Thema Customer Experience zu investieren. Genau hier sehen wir im Mittelstand enormes Potential, für das wir die richtigen Tools und Services jetzt auch für diese Kunden anbieten können – und da möchten wir weiter daran arbeiten.
Zweitens haben wir einige sehr gute Kunden – und hier rede ich nicht nur von den ganz großen Unternehmen, die sich strategisch sehr früh schon mit uns auseinandergesetzt haben, wie sie denn das Thema der Digital Experience besser abdecken können. Mit diesen Kunden möchten wir noch breiter und noch strategischer an etwas arbeiten, das ich als Business Outcomes bezeichne. Also wie können wir konkret die Businessziele von Unternehmen mit unserer Technologie weiter unterstützen? Das sind sehr strategische Engagements, die wir hier eingehen und bei denen wir natürlich auch unsere Technologieplattform pushen. Von Kundenseite erhalten wir im umgekehrten Fall aber auch möglichst ungefiltert entsprechende Impulse aus dem Markt und den dortigen Anforderungen. Mit diesen Kunden möchten wir an unserem gemeinsamen Erfolg weiter arbeiten.

Der dritte Punkt bzw. ein weiteres Fokusthema ist für uns die Experience Plattform. Wir glauben fest daran, was ich vorhin gesagt habe, dass ein Content Management System, ein Webshop sowie Analysewerkzeuge für sich genommen alles wichtige Applikationen sind. Aber erst, wenn man das alles auf einer Plattform vereint und damit den Kunden zu jedem Zeitpunkt mit den richtigen Informationen versorgen und ansprechen kann, werden Unternehmen zukünftig noch erfolgreicher sein und sich das Mantra von “Customer Experience Beats The Best Product” in der Praxis auch in Zahlen belegen lassen.
Das heißt, wenn wir unsere Mittelstands-Initiative weiter zielgerichtet vorantreiben können, mit unseren Strategic-Accounts noch enger gemeinsam an der Verbesserung unserer Produkte und am gemeinsamen, digitalen Erfolg arbeiten und damit über unsere Experience Plattform noch mehr Kunden begeistern können, war es für uns ein gutes Jahr.
Vielen Dank für das Gespräch, Christoph!

Interviewpartner
Christoph Kull
Vice President und Managing Director Central Europe bei Adobe
Christoph Kull ist Vice President und Managing Director Central Europe bei Adobe. Davor war er Geschäftsleiter Vertrieb und Marketing für die Region DACH bei Workday. Er kann auf über 15 Jahre Erfahrung in der Software Branche zurückblicken und verfügt über einen MBA in International Consulting von der Graduate Business School in Pforzheim sowie einen Universitätsabschluss in Wirtschaftsinformatik der University of Washington in Seattle.