DigITalisierung ohne IT? Undenkbar!
Warum IT-Teams das Zepter in Sachen Kundenerlebnisse übernehmen

Wer eine*n Klempner*in, eine*n Fachmediziner*in oder einfach ein schönes Restaurant für einen netten Abend sucht, schaut ganz sicher nicht mehr ins Telefon- oder Branchenbuch. Wenn der eigene Freundes- oder Bekanntenkreis keinen Rat weiß, dann ganz sicher die Suchmaschine des Vertrauens. Was sich bereits vor der gegenwärtigen Pandemie abgezeichnet hat, ist unumstößliches Gesetz geworden: Wer digital nicht vertreten ist, die oder der existiert quasi nicht – zumindest nicht geschäftlich.
Dass das letzte Jahr als Digitalisierungstreiber gewirkt hat, haben wir inzwischen alle oft genug gehört. Doch was bedeutet das konkret für Unternehmen? Die konsequente Digitalisierung in der Interaktion mit Kund*innen bedeutet, egal ob im B2C oder im B2B, auch das Auftreten eines völlig neuen Typs Kund*in. Das ist nicht wirklich überraschend, schließlich spülen Kontaktbeschränkungen und Lockdowns bisher analoge Käufer*innen in die Sphären des E-Commerce. Interessanter ist aus meiner Sicht, dass die Digitalisierung der Kundenbeziehung zu vermehrtem Fremdgehen seitens der Kund*innen führt, das geht aus dem Adobe „Digital Trends 2021“-Report hervor. Ich stelle hier einmal die Hypothese auf, dass diese Illoyalität in der fehlenden persönlichen Note digitaler Beziehungen begründet liegt. Und da muss ich ganz klar sagen: Das lässt sich vermeiden!
Es menschelt im Marketing
Der uralte analoge Slogan „Der Kunde ist König“ gilt, in inklusiver Formulierung, auch im digitalen Zeitalter. Der Mensch gehört ins Zentrum aller Überlegungen und Strategien. Das gilt jedoch nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter: Hinter nahtlosen Kundenerlebnissen stehen interne Workflows, die diesen Namen auch verdienen. Die größten Hindernisse auf dem Weg hin zu einer runden Customer Experience (CX) stellen dabei veraltete Technologien, umständliche Prozesse und fehlende Skills in der Anwendung der eingesetzten Technologien dar. Hakt es jedoch hinter den Kulissen, wird die Aufführung auf der Bühne zwar auch ein Erlebnis, allerdings nicht im positiven Sinn.
Doch genau das ist entscheidend: Unternehmen mit konsequentem Fokus auf die Customer Experience sind der Konkurrenz ihrer Branche einen entscheidenden Schritt voraus. Der Schlüssel für begeisterte und loyale Kund*innen liegt in maßgeschneiderten, d. h. personalisierten, Kommunikationsangeboten. Und wer seinen Kund*innen zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Kanal hochrelevanten Content anbieten möchte, der kommt um Predictive Analytics und Customer Data Plattformen nicht herum. Mit ihnen lassen sich große Datenmengen in Insights verwandeln und zu 360 Grad-Kundenprofilen verdichten, mit denen Marken in Echtzeit die Bedürfnisse ihrer Kund*innen identifizieren und entsprechend darauf reagieren können.
Aus dem Keller ins Board-Meeting: Die IT wird zur zentralen Instanz gelungener Kundenerlebnisse
In der Theorie ist das inzwischen wahrscheinlich so ziemlich jedem Unternehmen klar. Die Praxis zeichnet jedoch ein anderes Bild: Mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Unternehmen wäre von ihrer eigenen Customer Experience frustriert. Und genau hier kann die IT ihre Trümpfe ausspielen. Ihre Rolle hat sich in den letzten Jahren und insbesondere in den letzten Monaten deutlich gewandelt. Statt Diener anderer Abteilungen zu sein, übernimmt die IT zunehmend strategisch wichtige Positionen in modernen Unternehmen. CIOs sitzen in Board Meetings zunehmend nicht nur mit am Tisch, sondern fällen bedeutende Entscheidungen.
Laut einer Gartner-Studie haben 84 Prozent der CIOs inzwischen Verantwortlichkeiten inne, die weit über die traditionelle Rolle der IT hinausgehen. Dazu gehört auch die Mitgestaltung gelungener digitaler Kundenerlebnisse. Zurecht, digitale Technologien sind das Herz der IT. Überrascht es also wirklich irgendjemanden, dass gerade die Unternehmen besonders gut performen, in denen die IT stark in die CX-Strategie involviert ist?
IT-Leute in herausragend performenden Unternehmen haben eine 69 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, die Customer Journeys neuer Kund*innen nachvollziehen zu können, als ihre Kolleg*innen bei durchschnittlich aufgestellten Marken – das geht aus dem „Adobe Technology Trends Report 2021“ hervor. Zudem haben sie doppelt so häufig Einblicke (43 Prozent im Vergleich zu 21 Prozent), an welchen Stellen besagter Journeys es hakt. Da lässt es sich natürlich bedeutend schneller und besser an den entscheidenden Stellschrauben nachjustieren.
Die Zusammenarbeit zwischen IT und Marketing ist ausbaufähig
Leider landet dieser Höhenflug etwas unsanft. Zwar sind 89 Prozent der IT-Teams in Entscheidungen rund um die Customer Experience involviert, doch nur ein gutes Drittel (37 Prozent) gibt an, dass IT und Marketing wirklich eng zusammenarbeiten. Der Rest hängt mehr oder weniger in Silos fest, in 15 Prozent der Fälle liegt die Customer Experience sogar ausschließlich in der Hoheit der Marketing- Teams oder bei externen Dienstleistern (17 Prozent).
Wer an Uni-Referatsgruppen zurückdenkt, in denen jede*r ihren oder seinen Teil separat vorbereitet hat und am Tag X stand die Gruppe dann vor den Kommiliton*innen und hat sein Versatzstück vorgetragen, der weiß: Gelungen ist anders. Kein Wunder also, dass Unternehmen, deren Customer Experience wirklich auf dem Punkt sitzt, deutlich häufiger der Aussage zustimmen, dass der Fokus auf das Kundenerlebnis zwangsläufig dazu führt, dass IT und andere Teams enger zusammenarbeiten (müssen), als solche mit durchschnittlicher Customer Experience (59 Prozent vs. 33 Prozent).

Ich möchte dennoch mit einem versöhnlichen Wort enden. So fordernd das zurückliegende Jahr war: Es hat sich auch als Chance erwiesen. Dass digitale Kundenerlebnisse über Erfolg oder Scheitern entscheiden können, ist 2020 mehr als deutlich geworden. Viele Unternehmen haben ihre IT im letzten Jahr von der Leine gelassen und sie in Hinblick auf Technologie- und Strategieentscheidungen mit ins Boot geholt, statt ihnen lediglich einen reaktiven Part zuzugestehen. Das wird sich zukünftig auszahlen. Die IT sieht sich in der Verantwortung für die dringend notwendige digitale Transformation (70 Prozent) sowie Implementierung neuer digitaler Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Machine Learning oder Augmented und Virtual Reality (77 Prozent), mit denen sich Kundenbeziehungen noch einmal auf ein ganz neues Level heben lassen.

Autor
Hartmut König
Head of Solutions & Strategy sowie Chief Technology Officer Central Europe bei Adobe
Hartmut König ist ausgewiesener Experte für digitales Marketing, Customer-centric IT und effiziente Transformationsprozesse im Unternehmen. Seine Vision ist es, die neuen Möglichkeiten aktueller und zukünftiger Technologien in Zeiten digitaler Transformation in begeisternde Kundenerlebnisse zu übersetzen. Seine Karriere bei Adobe begann Hartmut König bereits 2004 und ist heute als Head of Solutions & Strategy und als Chief Technology Officer Central Europe für die Lösungen der Experience Cloud verantwortlich.