Vertrauen in remote und agile Teams
Vertrauen spart Zeit und Geld

Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass Sie für jede Minute, die Sie in das gegenseitige Kennenlernen der Teammitglieder investieren, eine Stunde Projektzeit vermeiden.
Wie Untersuchungen zeigen, hängt der Erfolg eines Teams stark von vertrauensvollen Beziehungen zwischen den Teammitgliedern ab[1], da diese Teams proaktiver und zielgerichteter sind und besseres Feedback geben.[2] Die Teammitglieder müssen einander, dem Teamleiter und auch der Organisation, in der sie arbeiten, vertrauen, um produktiv zu sein. Vertrauen ist dabei definiert als die Bereitschaft eines Individuums, sich für Handlungen anderer angreifbar oder verletzlich zu zeigen.[3]
Vertrauen aktiv zu schaffen ist sogar noch wichtiger, wenn es sich um semi-remote oder remote Teams handelt, bei denen man seinen Teammitgliedern nicht wirklich bei der Arbeit zuschauen kann und die soziale Kontrolle fehlt[4]
Wie Menschen Vertrauen aufbauen
Wie leicht es den Teammitgliedern fällt, Vertrauen aufzubauen, hängt von individuellen aber auch von organisatorischen Kriterien ab: Zunächst einmal ist Vertrauensbildung eine Frage des eigenen Persönlichkeitstyps – einige Menschen fassen schneller Vertrauen als andere. Andere verwenden (zumindest anfangs) Stereotypen, um auf die Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers zu schließen.[5] Wieder andere beobachten genau, wie sich neue Menschen um sie herum verhalten, bevor sie Vertrauen aufbauen, ob sie ihnen z. B. helfen und sie unterstützen.[6]
Vertrauen baut sich aber vor allem auf
- wenn Menschen sich persönlich begegnen[7]
- nach häufigen (und erfolgreichen) Interaktionen[8]
- wenn Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, direkt zu beobachten, was andere tun[9]
Offensichtlich kann dies virtuelle Teams zu Vertrauenskillern machen: Es ist kaum möglich, dem Kollegen hier direkt auf den Schreibtisch zu schauen; Zudem sind virtuelle Teams oft kurzlebige Teamformationen, so dass die Etablierung von „Swift Trust“, also dem schnellen Aufbau von latentem Vertrauen besondere Aufmerksamkeit zukommen muss. Dem Aufbau von swift trust in remote Teams können also persönliche, organisatorische, aber – aufgrund ausschließlich technisch vermittelter Kommunikation – auch technologische Barrieren entgegenstehen.

Hilft Agiles Management beim Aufbau von Vertrauen?
Agiles Management zielt darauf, dass Unternehmen ihre Fähigkeiten ausbauen, sich schnell an neue Gegebenheiten anzupassen und/oder diese aktiv herbeizuführen. Dabei sind u. a. schnelle, dezentrale Entscheidungen über Ressourcen von hoher Bedeutung, sowie eine Firmenkultur, die Experimentieren und innovative Ideen unterstützt und proaktives Handeln und ständiges Verbessern vor reaktivem Krisenmanagement präferiert.[10]
Vertrauen in der agilen Organisation spielt daher eine entscheidende Rolle, da nur dann Entscheidungen auf jeder Ebene möglich sind und agile Teams sich Ziele eigenständig setzen sowie Mittel selbständig einsetzen können.[11] Das alles funktioniert nur, wenn das Vertrauen der Organisation gegenüber den Mitarbeitern und umgekehrt sowie das Vertrauen der Mitarbeiter untereinander groß ist.
Daher ist agiles Management durch und mit agilen Methoden in der Theorie besonders stark darauf ausgelegt, Vertrauen aufzubauen. Agile Methoden sind dabei bspw. gemeinsame Sprint-/ Iterations-Planungsmeeting („Sprintplanning“), Scrumboards, tägliche StandUp-Meetings oder regelmäßige Retrospektiven.
Aber auch das Verständnis über gemeinsame Werte und Erwartungen, das Teilen von Wissen und der Aufbau von Beziehungen stehen im Mittelpunkt von agilem Management.[12] (Zentrales) Wissen zu teilen, ist jedoch sowohl eine Folge von Vertrauen als auch eine Voraussetzung dafür. Das macht den Aufbau von initialem Vertrauen („Swift trust“) und dessen weitere Entwicklung so wichtig. Während einige Forschungsbeiträge dahin deuten, dass Vertrauen in agilen Teams besonders gut geschaffen werden kann,[13] zeigt eine andere Autorin, dass zwar die Leistung agiler Teams besser ist, als die von nicht-agilen Teams, jedoch das Vertrauen nicht höher ist, entgegen der Forschungshypothese.[14]
Die Fürsprecher sehen jedoch eine gestiegene Transparenz, bessere Kommunikation und Feedback, Zurechenbarkeit der Ergebnisse und mehr Knowledge Sharing und daher ein gestiegenes Vertrauen der Teammitglieder.
Im Folgenden zeigen wir Ihnen daher einige Werkzeuge und Regeln aus dem agilen Kontext, wie auch Ergebnisse aus der allgemeinen Forschung zum menschlichen Vertrauen, wie der Aufbau von – insbesondere latentem – Vertrauen in remote Teams gelingen kann:
Dos and Don‘ts zur Vertrauensbildung in remote (virtuellen) Teams
Do: Kümmern Sie sich um die ersten Interaktionen, die die Bindung fördern
Latentes Vertrauen wird in der Phase der Teambildung durch erste Interaktionen aufgebaut.[15] In dieser Phase, in der Vertrauen gebildet wird, ist der erste Eindruck entscheidend: Wie schnell fließt die Information zwischen den Teammitgliedern? Kleine Hinweise werden in dieser Phase (über-) interpretiert, z. B. Wie lange dauert es, bis ich eine E-Mail-Antwort von meinem Kollegen bekomme? Technologische Hilfsmittel, aber auch klare Kommunikationsregeln können helfen, hier sicheren Boden zu schaffen. Auch wenn Teammitglieder tagelang warten müssen, um Login-Daten zu erhalten, und dann immer noch nicht alle notwendigen Informationen sehen, wird das Vertrauen – sowohl in das Team als auch in die Organisation – nicht gefördert.
Do: Bieten Sie Best-of-class-Technologie
Da virtuelle Teams unbedingt auf technologievermittelte Kommunikation angewiesen sind, besteht ein Erfolgsfaktor von remote Teams darin, dem Team die beste technologische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Wir alle haben schon einmal erlebt, dass eine E-Mail ihr intendiertes Ziel nicht erreicht hat oder der Anruf wegen schlechter Verbindung abgebrochen wurde. Die Technologie muss sicher, „rich“ (mit mehr als nur Text) und zuverlässig sein. Stellen Sie insbesondere sicher, dass die verwendete Technologie unter den Teammitgliedern nahtlos kompatibel ist.[16] Damit ist sowohl die technologische als auch die soziale Kompatibilität gemeint: Haben Sie eher auditive oder schriftlich veranlagte Teammitglieder? Bevorzugen die Teammitglieder synchrone oder asynchrone Kommunikation z. B. aufgrund von Zeitunterschieden oder familiärer Konstellationen?
Don‘t: Kommunikation nach dem Zufallsprinzip
Unklare Kommunikationsregeln und -rollen führen zu langsamer und missverständlicher Kommunikation. Damit entsteht Unsicherheit, v. a. in remote Teams in der Anfangsphase, da hier in der Erprobungsphase kleine Hinweise genau beobachtet und Worte auf die „Goldwaage“ gelegt werden. Einige Punkte der Kommunikation sollte man daher nicht dem Zufall überlassen:
- Legen Sie stattdessen Kommunikationsregeln wie z. B. Antwortzeiten und -Kanäle fest und wenden diese an.
- Machen Sie einen Backup-Plan für unvermeidliche Ausfälle der bevorzugten Kommunikationsmittel – es kommt der Moment, wo ein Tool ausfällt. Das bedeutet für remote Teams: Kommunikationsabbruch!
Agile Settings geben hier explizite Kommunikationsregeln und Standardtermine vor und schaffen Platz für strukturiertes Feedback. Um Kommunikation zu verstetigen und damit Vertrauen zu stärken, eignen sich z. B. die agilen Methoden des Daily StandUp Meetings. Raum für strukturiertes Feedback bieten regelmäßige Retrospektiven.
Don’t: Vermeiden Sie semi-remote Teams
Semi-remote Teams sind Teams, bei denen ein Teil des Teams an einem Ort zusammensitzt und arbeitet, während der andere Teil remote zugeschalten wird.
Hierbei kommt es zu dem Phänomen, dass Vor-Ort-Mitglieder semi-virtueller Teams ihre Mitglieder des lokalen Teams positiver wahrnehmen als ihre remote-Mitglieder.
Dies liegt daran, dass ein "Team" aus co-lokalisierten und remote Teammitgliedern Untergruppen bildet, was nach Burke und Aytes zu einem Gruppen-im-Gruppen-Verhalten führt, d. h. zu einer geringeren Interaktion von lokalen mit remote Teammitgliedern.[17] Dies führt zu höheren Konflikten und geringerer Kommunikation und Zufriedenheit. Daraus schließen Webster und Wong dass, wann immer möglich, die Bildung von semi-virtuellen Teams vermieden werden sollte und die Entwicklung starker Teamidentitäten im Vordergrund steht.[18]
Ein einfaches Beispiel: Die co-lokalisierten Mitglieder des Teams diskutierten Lösungen aus erster Hand und präsentierten sie den remote Mitgliedern erst später. Dies hatte zur Folge, dass diese Lösungen häufiger abgelehnt wurden als zwischen co-lokalisierten Teams. Daher sollten semi-remote Teams nach Möglichkeit vermieden werden. Verstärkt wird dieses Verhalten dadurch, dass oftmals der virtuelle Teil des Teams auch der firmenexterne Teil ist. Denken Sie etwa an die häufige Situation externer Dienstleister.
Wenn das nicht möglich ist, denken Sie an klare Kommunikationsregeln, die genau solchem Gruppen- in-Gruppen-Verhalten entgegenwirken können. Helfen kann auch, eine starke Team-Identität zu bilden.
Do: Legen Sie Wert darauf, einander als menschliche Individuen kennenzulernen
Das "Onboarding" ist für neue Teammitglieder von entscheidender Bedeutung – dies gilt für colokale Teams und virtuelle Teams. Ford et al. (2017) stellen fest, dass ein Onboarding-Prozess für entfernte Teams Informationen über die Teammitglieder und ihren persönlichen Hintergrund, Arbeitsstil und ihre Eigenheiten enthalten sollte – alles Informationen, die "Face-to-Face-Teammitglieder normalerweise informell erwerben und die ein Gefühl der Vertrautheit mit anderen Mitgliedern schaffen".[19]
Während Informationen über berufliche Qualifikationen oder die Rolle im Team nützlich und machbar zu sein scheinen, könnte der Versuch, Arbeitsstil und persönliche Hintergründe zu erfassen, kläglich scheitern. Ein explizites "Dossier" über die Morgenmuffel in Ihrem Team wird wohl keine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen...
Die bessere Option ist es, Gelegenheiten zum informellen Kontakt mit jedem Teammitglied vorzusehen, damit die Menschen Beziehungen aufbauen können (z. B. Treffen in der „virtuellen Kaffeeküche“.) Initial können Games in einer Vorstellrunde wie „Zeig mir deinen Homescreen“, oder die „Empathy Map“, angewendet auf die Rollen im Team, dazu beitragen, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Teammitglieder die Person hinter der Rolle kennenlernen.
Do: Sorgen Sie für einen gleichen Wissensstand
Agile Praktiken wie Scrumboards erhöhen die Transparenz in den Teams und damit das Vertrauen. Es ist für alle transparent, an was gearbeitet wird und wie lange. In gemeinsamen Sprintplannings werden Ziele, Tasks, aber auch Schwierigkeiten offen kommuniziert – so hilft das Sprintplanning auch alle Teammitglieder zur selben Zeit zu informieren. Die in remote-Teams fehlende soziale Kontrolle (z. B. durch reine Anwesenheit) wird ersetzt durch strukturierte Information. Wo in normalen Projekt-Settings nur unregelmäßig kommuniziert wird, z. B. wenn Statusmeetings anstehen oder vor allem (!) wenn es Probleme gibt, verstetigen agile Praktiken diese Kommunikation und vor allem gibt es Raum für Meta-Projektthemen in den Retrospektiven, die den Teamzusammenhalt stärken können.

Autorin
Ina Fuchshuber
Zertifizierte Scrum Product Owner
Ina Fuchshuber arbeitet seit Jahren im agilen Kontext u.a. als zertifizierte Scrum Product Owner und forscht im Rahmen ihrer Dissertation zur organisationalen Agilität insbesondere von Medienbetrieben. Nach Stationen als Leiterin des Selfpublishingdienstleisters neobooks.com und Verantwortliche für eBook Geschäft und Digital Business Development der Holtzbrinck Buchverlage ist sie heute bei Bertelsmann/rtv media group als Senior Digital Product Manager tätig. Zuvor studierte sie Buchwissenschaft, BWL und Kommunikationswissenschaft sowie Publishing und Economics in München und Oxford, GB.
Literatur & Links
[1] Jarvenpaa/Knoll/Leidner 1998; Gilson/Maynard/Young/Vartiainen/Hakonen 2014
[2] Clark/Clark/Crossley 2010
[3] „an individual’s willingness to be vulnerable to the actions of another person” Mayer/Davis/Schoorman 1995, S. 710
[4] Germain 2014
[5] Ford/Piccolo/Ford 2017
[6] Mayer/Davis/Schoorman 1995
[7] Snow/Snell/Davison 1996
[8] McAllister 1995
[9] Aubert/Kelsey 2003
[10] Wendler 2016
[11] Das/Teng 2001
[12] Irfan 2018
[13] McHugh, Conboy, Lang 2012
[14] Hofert 2015
[15] Clark et al. 2010
[16] Ford/Piccolo/Ford 2017
[17] Burke/Aytes 2002
[18] Webster/Wong 2017
[19] Ford/Piccolo/Ford 2017