Digitalisierung, Daten, Diversität: Fünf Trends, mit denen der Mittelstand 2021 durchstartet

Zugegeben: Ich habe mit dem Gedanken gespielt, diesen Beitrag mit den Worten „Willkommen zu einem gänzlich anderen Jahresrück- und ausblick“ zu starten. Genaugenommen trifft das jedoch nur auf die Retrospektive zu. Ja, wir blicken auf ein turbulentes und herausforderndes Jahr zurück, sowohl medizinisch als auch gesellschaftlich und wirtschaftlich. Und ja, der gegenwärtige Spuk wird nicht zum Stichtag 31. Dezember 2020 verschwinden. Der Ausblick hingegen ist nicht brandneu – dafür jedoch im Vergleich zu den Vorjahren umso dringlicher formuliert.
Klar ist: „business as usual” war als Strategie noch nie sinnvoll, schließlich entwickelt sich die (Business-)Welt in rasantem Tempo weiter. Da kommt es nicht nur darauf an, mitzuhalten – in Führung gehen ist das Ziel. Und gerade das vergangene Jahr hat Trends, die sich im Laufe der letzten Jahre abzeichneten, erheblich beschleunigt. Auch der Mittelstand muss hier aufs Gas treten, um auch 2021 weiterhin ganz vorne mitzuspielen. Die gute Nachricht ist: Der Mittelstand ist bereits auf einem sehr guten Weg. Gerade in den letzten Monaten haben viele mittelständische Unternehmen angefangen, nach der Großoffensive Industrie 4.0 mit gewohnter Machermanier in die zweite Welle der Digitalisierung, die digitale Verlängerung der Kundenbeziehungen, zu starten.
Um den eingeschlagenen Kurs auch nach der Orientierungsphase erfolgreich weiterzufahren, sind hier meine fünf Trends für das Jahr 2021:
1. Marketing muss Umsatz- statt Kostenfaktor werden
Was sich im B2C-Bereich schon lange abzeichnet, kommt jetzt auch im B2B an. Drei Viertel (75 Prozent) der B2B-Einkäufe werden inzwischen online getätigt, knapp die Hälfte (47 Prozent) der Einkäufer*innen recherchieren online, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen, so ein Report aus 2019 von Sapio Research im Auftrag von sana. Für den Mittelstand heißt das: Her mit der dafür notwendigen Infrastruktur und weg mit den Datensilos. Marketing und Sales müssen nicht nur Zugriff auf einen zentralen Datenpool haben, sondern sich auch untereinander absprechen und gemeinsame Ziele definieren.
Denn nur, wenn das Marketingteam genau im Bilde ist, welche Art Leads sich der Vertrieb wünscht, lassen sich Kampagnen entsprechend steuern – und die Gewinne einstreichen. Denn: Richtig eingesetzt trägt Marketing entscheidend zum Unternehmenserfolg bei. Das sagte mir auch Uwe Seebacher von Andritz: Innerhalb eines Jahres konnten sie nicht nur 250 Prozent mehr Leads generieren, sondern auch ein Umsatzpotential von 50 bis 60 Millionen Euro allein bei noch nicht richtig optimierten Kontakten identifizieren.
2. Kundenbeziehungen digital verlängern
Kundennähe muss auch digital funktionieren, das ist in diesem Jahr mehr als deutlich geworden. Denn während Produktionsprozesse bereits voll durchdigitalisiert sind, spielt die Kundenkommunikation in puncto Technologien noch ein paar Ligen weiter unten. Die gute Nachricht ist: Die wichtigste Investition – stabile, oft langjährige Kundenbeziehungen – bringt der Mittelstand bereits von Haus aus mit. Jetzt gilt es, diese digital zu verlängern. Denn der klare Fokus auf Kund*innen, der im B2C inzwischen Standard ist, steht auch dem B2B gut an. Denn wenn Unternehmen ihre Kund*innen zum richtigen Zeitpunkt mit hochrelevanten Inhalten auf dem richtigen Kanal ansprechen – wie es beispielsweise Zeiss erfolgreich macht – bleibt das im Gedächtnis.
Ist das Interesse geweckt, geht es im nächsten Schritt darum, auch digitalen Kontaktaufnahmen einen persönlichen Charakter zu geben. Möglich machen das beispielsweise speziell auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Webangebote, problemlösungsorientierter Content und eine nahtlose, intuitiv gestaltete Customer Journey. Keine Sorge, es ist weit weniger komplex als es beim ersten Lesen klingen mag. Gerade Cloud-native Lösungen bieten auch Unternehmen mit kleinen Marketing- und IT-Teams die Möglichkeit, zu „den Großen“ wie Apple und Co. aufzuschließen. Das funktioniert, weil Implementierung und Maintenance in die Verantwortung des Cloud-Anbieters fallen – echte Kundenzentrierung, eben.
3. Kein digitales Geschäftsmodell ohne Strategie
Der erste Lockdown dieses Jahres hat viele Unternehmen überrumpelt. Warum? Weil es keine fundierte Strategie für digitale Kundenbeziehungen gab. Das hat zu vielen sehr kreativen Ad hoc- Ansätzen geführt. Denn, so viel ist klar: Der Mittelstand denkt und handelt lösungsorientiert. Jetzt kommt es darauf an, diese Übergangskonzepte auf ein solides Fundament zu stellen und dauerhaft in der Geschäftsstrategie zu verankern.
Klarer Trend für das kommende Jahr ist deshalb eine durchdachte Datenstrategie. Wenn Daten systematisch gesammelt, zentral gespeichert und zu Echtzeit-Kundenprofilen verdichtet werden, können Unternehmen auch digital die gewohnte Nähe zu Kund*innen und ihren Bedürfnissen halten – während der aktuellen Krise und darüber hinaus. So plant Zeiss zukünftig, ihre Website mit Hilfe von Kundenprofilen so anzulegen, dass Fachärzte direkt zu den für sie relevanten Inhalten geleitet werden. Sorgen bezüglich des Datenschutzes muss sich heute auch niemand mehr machen: Die großen Anbieter setzen heute längst auf „Privacy by Design“, d. h. Kundendaten können DSGVO-konform erhoben und verarbeitet werden.
4. Neue Kanäle (und Kund*innen) erobern!
Website-Kontaktformular, E-Mail, Telefon – alles wichtige Kommunikationswege. Doch da geht noch mehr! Im B2C-Bereich kontaktieren Kund*innen Marken inzwischen längst über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Das Unternehmen Pino aus Hamburg, das auf den Verkauf von Hilfsmitteln für Physiotherapeuten und Kosmetikprodukte spezialisiert ist, geht sogar einen Schritt weiter und setzt bereits Zukunftstechnologien wie Augmented Reality ein. So haben sie beispielsweise Physiotherapeuten die Möglichkeit gegeben, neue Massageliegen mit Hilfe einer AR-Anwendung zu testen. Diese Erlebnisse formulieren auch eine Erwartungshaltung an B2B-Unternehmen – gerade unter jüngeren Business-Einkäufer*innen.
Kein Wunder also, dass 63 Prozent der Unternehmen intensiv daran arbeiten, ihre Konsumentenansprache und Produktkommunikation auf die veränderten Verhaltensweisen ihrer Kund*innen anzupassen – das zeigt die aktuelle YouGov-Studie im Auftrag von Adobe. Auch hier erweist sich das Jahr 2020 als echter Beschleuniger. Um mit ihren Kund*innen in Kontakt zu bleiben, haben viele Mittelständler bereits damit begonnen, möglichst vielfältige Kommunikationskanäle anzubieten. Im kommenden Jahr muss es darum gehen, die gewonnenen Erkenntnisse zu analysieren, zu konsolidieren und in eine Strategie zu überführen. Denn eins ist klar: Noch profitieren viele Unternehmen von ihren Bestandskund*innen, doch in puncto Neukundenakquise müssen Mittelständler sich darauf einstellen, neue Wege einzuschlagen.
5. New Work wird New Normal
Digitalisierung, Konnektivität, Globalisierung, der demographische Wandel und nicht zuletzt die Corona-Krise: Es gibt mehr als einen triftigen Grund für Unternehmen, sich des Projekts „Kulturwandel“ anzunehmen. 2021 gilt es deshalb, sich mit Themen wie New Work, Diversity und Inklusion auseinanderzusetzen. Wie sieht ein moderner Arbeitsplatz aus? Wie können Kollaborations- Tools Teams darin unterstützen, flexibel und ortsunabhängig zu arbeiten? Wie schaffen wir es, unser Team möglichst vielfältig aufzustellen? Überzeugende Antworten auf diese Fragen zahlen sich für Unternehmen in mehrfacher Hinsicht aus: Wer flexible, moderne Arbeitsstrukturen anbietet, hat in puncto Fachkräftegewinnung einen klaren Vorteil. Das gilt auch für möglichst divers aufgestellte Teams, denn je mehr unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen, desto mehr „Reibung“ (im positiven Sinne!) entsteht – das wirkt sich auch auf die Innovationskraft aus.
Dass mehr Diversität im Unternehmen auch mehr Erfolg bedeutet, haben inzwischen mehrere Studien deutlich gezeigt. Und auch in der Kundenkommunikation gilt: Eine wirklich personalisierte Ansprache funktioniert nur, wenn Kund*innen sich nicht nur in Bezug auf ihre Interessen verstanden, sondern auch visuell repräsentiert fühlen. Unternehmen sollten ihre Kommunikationsmaterialien, seien es Bilder, Grafiken oder Whitepaper, eingehend prüfen und bei Bedarf nachbessern. Knauf Ceiling Solutions beispielsweise richtet sich an eine hochgradig heterogene Zielgruppe aus Architekten, Baustoffhandel sowie der verarbeitenden Industrie. Zukünftig wollen sie daher für jede Zielgruppe eine eigene Webpräsenz etablieren. Hier können Arbeitsmanagement-Plattformen dazu beitragen, Personalisierung, Relevanz und Individualisierung eingesetzter Marketingmaßnahmen entschieden zu vereinfachen.
Der Fahrplan steht – jetzt geht es in die Umsetzung
Der englische Sprachraum kennt ein fantastisches Sprichwort: „When the going gets tough, the tough get going.“ Ich muss bei dieser Wendung immer an den deutschen Mittelstand denken, für den keine Herausforderung zu groß ist – im Gegenteil. Wenn die Hürde besonders hoch erscheint, läuft der Mittelstand erst recht zu Hochtouren auf. Ich bin deshalb überzeugt: 2021 nehmen die drei „D“ – Daten, Digitalisierung, Diversität – ordentlich an Fahrt auf. Ich bin gespannt, wie weit wir in einem Jahr kommen!

Autor
Hartmut König
Head of Solutions & Strategy sowie Chief Technology Officer Central Europe bei Adobe
Hartmut König ist ausgewiesener Experte für digitales Marketing, Customer-centric IT und effiziente Transformationsprozesse im Unternehmen. Seine Vision ist es, die neuen Möglichkeiten aktueller und zukünftiger Technologien in Zeiten digitaler Transformation in begeisternde Kundenerlebnisse zu übersetzen. Seine Karriere bei Adobe begann Hartmut König bereits 2004 und ist heute als Head of Solutions & Strategy und als Chief Technology Officer Central Europe für die Lösungen der Experience Cloud verantwortlich.
Neben seiner langjährigen Erfahrung in der Beratung und im Projektmanagement ist Hartmut König Experte für digitale Transformation und begleitet seit 2011 aktiv den Adobe Transformationsprozess. In rund 15 Jahren bei Adobe bekleidete Hartmut König diverse leitende Positionen und verantwortete Projekte in den Bereichen Consulting, Pre-Sales Solutions Consulting und als Director des Specialist Sales Team. In dieser Zeit sammelte er vielfältige praktische Erfahrungen mit der Umsetzung komplexer Softwareprojekte und legte frühzeitig einen Fokus auf die Themen User Experience und Customer Experience. Weitere wichtige Stationen seiner Karriere waren m+s Elektronik AG, Objective Software und SDL.