7 Fakten, wie Corona das Einkaufsverhalten im B2B-Umfeld für immer verändert

In der Vergangenheit waren B2B-Unternehmen häufig nicht zwingend bei den sog. Early-Adoptern dabei, die neue Technologien möglichst frühzeitig einführen um entsprechend eher davon profitieren zu können. Die Corona-Krise hat aber das bewirkt, was kein anderes Ereignis in der jüngsten Vergangenheit ermöglicht hat: Sie hat die Umsetzung von Transformationswerkzeugen, -prozessen und Digitalisierungsinitiativen innerhalb kürzester Zeit auf ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Level gehoben.
"Corona hat die Einführung von Technologie beschleunigt", sagt Gary Specter, Vice President bei Adobe für das Global Commercial Business. "Und wir werden nie wieder zu den alten Wegen zurückkehren."
Jim Hertzfeld, Chefstratege für Digital-Themen bei Perficient, stimmt dem zu. "Das hat alles für alle beschleunigt", sagt er. "Wenn Sie vorher mit der digitalen Transformation schlecht zurecht kamen, hat das Ihren Abwärtspfad beschleunigt. Wenn Sie mit der digitalen Transformation bereits auf einem guten Weg waren, dann sind die Dinge durch Corona häufig noch weiter in Schwung gekommen".
Insbesondere in B2B-Organisationen hat die Corona-Situation mitunter zu massiven Veränderungen geführt, die weit mehr als nur die Einführung neuer digitaler Tools beinhalten. "Es geht nicht nur darum, neue Technologien einzuführen und eine E-Commerce-Plattform, eine App- oder ein EMail- Marketing-Tool zu launchen", sagt Matt Egol, geschäftsführender Gesellschafter der Strategieberatung Strategy&, die zu PwC gehört. "Das ist alles wertvoll. Aber hier geht es darum, die Art und Weise zu ändern, wie Menschen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg – sowohl die eigenen Mitarbeiter in Vertrieb und Marketing als auch die Kunden – einbezogen werden. Und zwar von der Produktkonfiguration und dem Verkauf über die technischen Beschaffungsprozesse bis hin zu Produktion, Logistik und Installation.”
Diese tiefgreifenden Veränderungen sind nicht einfach nur neue Kosten, die B2B-Unternehmen auf sich nehmen müssen, um jetzt zu überleben, betont Specter, "sondern es stellt zugleich eine einzigartige Gelegenheit dar. Sie verändert die Art und Weise, wie Menschen über ihr Geschäft denken. Insbesondere im B2B-Umfeld stellt das Ganze sowohl ein größeres Problem – als auch eine größere Chance – dar. Die Technologie ist zu einem Wendepunkt und Differenzierungsmerkmal geworden.”
Im Folgenden werden sieben Möglichkeiten aufgezeigt, wie Corona das B2B-Umfeld nachhaltig verändern wird bzw. bereits verändert hat.
1. Die Grenze zwischen B2B und B2C verschwindet
Dieselben Veränderungen, die sich auf den B2C-Bereich ausgewirkt haben, kommen laut dem Adobe Mann Gary Specter auch im B2B-Umfeld zum tragen und die Corona-Situation hat die Bemühungen des E-Commerce in nahezu allen Organisationen entweder noch weiter vorangebracht oder dazu geführt, sich mit dem Thema erstmals relativ intensiv auseinander zu setzen. Es hat auch dazu geführt, dass die Grenzen zwischen B2B und B2C weiter verwischt werden. Angesichts der Notwendigkeit, während der Pandemie neue Wege zum Markt und den Kunden zu erschließen, bauen immer mehr B2B-Organisationen ihre B2C-Fähigkeiten entweder auf oder aus, sofern hier bereits etwas vorhanden war, sagt Specter, der schätzt, dass etwa 70 Prozent der Organisationen inzwischen hybride Modelle, bestehend aus B2B und B2C, verfolgen. Gary Specter nennt diese neuen Hybrid-Modelle B2E, mit ihnen kann im Prinzip jede Form von Kunden adressiert werden. "Unternehmen stellen sich inzwischen immer häufiger die Frage, warum sie nicht beide Märkte bedienen können und sie suchen vermehrt nach Technologieplattformen, die dies unterstützen", so Specter. "Es gibt natürlich nach wie vor einige grundlegende Unterschiede zwischen B2B und B2C, aber mit der richtigen Plattform kann man durchaus beide Märkte sinnvoll bedienen.
2. Digitale Tools werden überhand nehmen
Laut Matt Egol von Strategy& war die Verlagerung von persönlichen Verkaufsinteraktionen im B2B-Bereich hin zu mehr digitalen und virtuellen Prozessen bereits im Gange. Corona hat diesen bereits begonnen Shift zu einer zwingenden Entwicklung gemacht und massiv beschleunigt. Um dies effektiv zu tun, reicht es jedoch nicht, bislang physische/persönliche Prozesse durch eine möglichst identische digitale Abfolge zu ersetzen.
"Es geht nicht nur darum, das Physische durch das Virtuelle zu ersetzen", sagte Egol. "Es geht darum, Themen wie den E-Commerce so voran zu treiben, dass am Ende bessere Kundenbeziehungen entstehen und Innovationen beschleunigt werden – all die Dinge, die man tun muss, um als Unternehmen weiter wachsen zu können", so Egol.
Der CMO von CapGemini North America Shade Vaughn und Charlie Li, der Executive Vice President für Anwendungs- und Cloudtechnologien des Unternehmens, haben beispielsweise gemeinsam spezielle LinkedIn-Anzeigen entwickelt, die auf gemeinsamen Daten und Analysen basieren und Einkäufer über ihre spezifischen Bedürfnisse adressieren. Über diesen Ansatz erhält das Team von CapGemini zudem auch kritische Einblicke über entsprechende Kunden und Interessenten und kann diese Informationen bei Bedarf nutzen.
3. Intelligente Automatisierung wird zum Standard
Gerade auch durch Künstliche Intelligenz ergeben sich vielfältige Möglichkeiten bei der Optimierung der Customer Experience. Automatisierung wird dabei zukünftig ein fester Bestandteil werden, da B2B-Organisationen zunehmend darauf bedacht sind, Kundenbestellungen vorherzusagen um Logistik und Fulfillment weiter zu optimieren. “Aktuell hört man natürlich häufig, welche negativen Auswirkungen Corona hat, allerdings gibt es hier auch eine zweite Seite der Medaille. So hat die Situation dafür gesorgt, dass sich Innovation und Automatisierung im B2B-Umfeld beschleunigt", sagt Specter. "Erstens kann die Effizienz durch digitale Tools deutlich gesteigert werden. Zweitens können Kostenvorteile genutzt werden und mit der richtigen Automatisierung kann zudem mehr Agilität ins jeweilige Business und die Lieferkette gebracht werden".
Im B2B Umfeld ist der persönliche Kontakt und Austausch in vielen Fällen von besonderer Bedeutung, wodurch B2B Unternehmen in den wenigsten Fällen einen sog. Zero Touch Ansatz verfolgen, bei dem möglichst wenig Kundenkontakt besteht. Durch entsprechende Digitaltechnologien ist hier inzwischen allerdings eine Entwicklung hin zu sog. “Low Touch”, also deutlich weniger Kundenkontakten denkbar. "Zukünftig werden es auch B2B Unternehmen ihren Kunden immer leichter machen, die passenden Inhalte zu finden und mit dem Unternehmen zu interagieren”, so Egol. Einige B2B-Unternehmen haben inzwischen beispielsweise Chatbot-Technologien eingeführt, um Kunden bei der grundlegenden Produkt-, Service- oder Aftermarket-Unterstützung zu helfen, wobei – sofern notwendig – dann natürlich auch entsprechende Mitarbeiter frühzeitig mit einbezogen werden.
In vielen Teilen der Welt wird es sicherlich Zeit brauchen, bis sich die Wirtschaft wieder erholt und hierzu werden B2B-Unternehmen zukünftig auch immer häufiger Daten und KI nutzen, um mögliche Einbrüche und Gefahren frühzeitig erkennen zu können. "Einige der größten Distributoren der Welt versuchen inzwischen anhand von COVID-Daten Modelle zu entwickeln, mit denen zukünftige Gefahren möglichst frühzeitig prognostiziert und entsprechend reagiert werden kann”, sagt Mike Rabbior, Chefstratege für den Handel bei Perficient. "Wenn es um die künftige Nachfrage geht wird es insbesondere im B2B Umfeld immer wichtiger, möglichst präzise Vorhersagen treffen zu können. Diejenigen Unternehmen, die in diesem Bereich ihre Hausaufgaben machen, werden zukünftig auch auf der Gewinnerseite stehen.”
4. B2B-Kunden werden immer stärker segmentiert
Personalisierung ist bereits seit längerem ein heißes Thema für B2C-Marken, aber auch B2B-Kunden erwarten von ihren Lieferanten immer häufiger eine möglichst individuelle Ansprache und passgenaue Angebote. "B2B-Marken versuchen inzwischen immer häufiger auch den Mensch in den Mittelpunkt zu rücken", sagt Rabbior. "Es geht nicht mehr nur um das Wertversprechen, sondern um das kulturelle Versprechen. Kunden wollen mit Partnern zusammenarbeiten, die ihre jeweilige Situation verstehen und ihre größten Schmerzen lösen können".
Um dieses Verständnis zu ermöglichen, verwenden immer mehr B2B-Organisationen unterschiedlichste Kundendaten, um ihren Kundenstamm stärker zu segmentieren und in vielen Fällen sogar eine Mikrosegmentierung vorzunehmen, so Hertzfeld. "Wenn Sie Kunden haben, deren Produkte sehr individuell angepasst sind und die hohe Margen aufweisen, dann wollen Sie natürlich, dass sich Ihre Händler oder Verkäufer an vorderster Front möglichst auf diese Kunden konzentrieren und allen anderen weitestgehend selbst klar kommen", sagt Hertzfeld. "Daher nutzen inzwischen einige große globale Hersteller Daten, um ihren Kundenstamm in möglichst kleine Segmente zu unterteilen, die wiederum eine bestmögliche Kundenansprache und entsprechende Experience gewährleisten.
5. Die Agilität von Unternehmen wird ein existenzielles Thema
Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass 44 Prozent der B2B-Käufer vor dem Ausbruch des Coronavirus direkt bei Verkäufern eingekauft haben. Dieser Anteil ist inzwischen auf 16 Prozent gesunken. B2B-Unternehmen waren gezwungen, in außergewöhnlich kurzer Zeit grundlegende Änderungen in deren Einkaufsverhalten vorzunehmen. In einigen Fällen "haben sie ihr gesamtes Geschäftsmodell geändert", sagt Anil Khurana, Principal und Leiter im Bereich der industriellen Fertigung sowie Automotive bei PwC. In einigen Fällen bieten B2B-Unternehmen mittlerweile sogar kurzfristige Werbeaktionen im Stile klassischer B2C-Unternehmen an.
Eine solche Transformation erfordert erheblichen Aufwand im Bereich Mitarbeiterschulungen, Anlagenautomatisierung und vieles mehr.
“Es dreht sich alles um Agilität und nicht nur um IT”, sagt Egol von Strategy&. “Das Ganze kombiniert mit Experience Management ist das, was wir den Business Experience Technology Bereich nennen", so Egol und ergänzt, dass immer mehr B2B-Organisationen Ansätze wie Design Thinking oder Lean Start-Up Prinzipien wie agile Management einführen, um möglichst agil zu werden.
"Sie brechen geschäftliche Herausforderungen in Teilaspekte herunter und ergreifen neue Gelegenheiten, um völlig neue Kundenerfahrungen mit Dingen wie Kollaborationsportalen oder auch Sprachassistenten zu schaffen", sagt Egol. "Gute CMOs schaffen einen geschlossenen Feedback- Kreislauf für Innovationen im Bereich von Produkten, Marken und auch Kundenerfahrungen; sie demokratisieren den Datenzugang mit dazugehörigen Insights und versuchen einen iterativen Test- und Lernansatz zu implementieren.
Damit wird es immer häufiger möglich, Projekte, die früher für 18 bis 36 Monate geplant waren, in vier oder weniger Monaten abzuschließen.
NCR beispielsweise hat sich durch die Pandemie von einem auf Werbung und Verkauf konzentrierten Unternehmen gewandelt hin zu einem lösungsorientierten Ansatz, der die echten Kundenbedürfnisse adressiert. Hierzu hat das Unternehmen ganz neue Ansätze eingeführt, um Kunden beispielsweise bei der ordnungsgemäßen Reinigung ihrer Geräte zu unterstützen, indem Bestellmöglichkeiten auch außerhalb der Geschäftsräume eingeführt wurden oder indem Unternehmen bei der Beantragung staatlicher Hilfsprogramme unterstützt werden. Das Marketingteam von NCR schuf eine Info-Plattform, über die nützliche Unterlagen für die Kunden bereitgestellt werden, die bei der Bewältigung der Krise helfen können. "Die COVID-19-Pandemie unterscheidet sich von anderen Krisen unserer Zeit", sagt Marija Zivanovic-Smith, Senior Vice President of Corporate Marketing, Communications bei NCR, in einem früheren Interview mit Adobe. Seit dem Start im März konnten über die genannte Info-Plattform mehr als 140.000 Einzelbesucher und 188.000 Seitenaufrufe verzeichnet werden.
6. Die letzte Meile wird zur obersten Priorität
Bisher konzentrierte sich ein Großteil des Marketings für B2B auf das Produkt oder den Katalog. Gemäß einer Aussage von Gary Specter gibt es hier mittlerweile einen Schwenk in Richtung Fulfillment – insbesondere die sogenannte letzte Meile.
"Das Kundenerlebnis, egal ob B2B oder B2C, hängt von der Lieferfähigkeit ab", sagt Specter. "Eine Bestellung ist nur ein Versprechen. Die letzte Meile schafft das positive oder negative Erlebnis. Marketingexperten müssen sich darauf stützen, wenn sie versuchen, mit B2B-Kunden zu agieren. Jemand kann die beste Erfahrung beim Kauf des Produkts machen, aber wenn sich die Lieferung verzögert, ist der beste erste Eindruck ganz schnell wieder vergessen".
Die letzte Meile ist inzwischen ein Differenzierungsmerkmal. "Die Dinge, über die Unternehmen recht häufig vorher nicht gründlich nachgedacht haben, sind mittlerweile enorm wichtig", sagt er. "Es drehte sich zwar alles erstmal um den Kauf-Button, aber inzwischen müssen Sie die gesamte Customer Journey intensiv beleuchten und optimieren – einschließlich der Rücksendungen – wenn Sie im B2B-Bereich wirklich gut sein wollen.“
7. Komfort und Vertrauen sind wichtiger als Preis und Verfügbarkeit
Seit Jahren konkurrieren B2B-Unternehmen häufig über den Preis und die Verfügbarkeit. Zukünftig wird sich das ändern. “Nach Corona wie stark sie mit ihren Kunden interagieren und wie viel Vertrauen gegenüber ihren Kunden Sie schaffen können”, so Rabbior.
Eine bestmögliche Kundenerfahrung ist sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich wichtig, aber bei letzterem "geht es verstärkt um entsprechendes Fachwissen und die richtige Lösung", so Egol. "Fachwissen ist entscheidend, um die richtigen Fragen zu stellen damit am Ende die nötigen Infos und Spezifikationen vom Kunden für eine bestmögliche Lösung kommen und um am Ende auch den Zuschlag zu erhalten. Es geht insbesondere auch darum, die Dinge möglichst einfach zu machen. Bei vielen der Dinge, die wir genannt haben, geht es am Ende um Agilität und um eine optimale, virtuelle Umsetzung. Der Design Thinking Ansatz dient letzten Endes nur dazu, eine bestmögliche Experience für die Kunden zu ermöglichen.
Was die großen B2C-Marken wie Amazon, Netflix, Apple oder Uber erreicht haben, ist auch im B2B-Bereich erreichbar. Aber B2B-Unternehmen müssen "verinnerlichen, dass Experience auch hier eine sehr wichtige Komponente bei der Lösung eines Geschäftsproblems darstellt", sagt Egol. Experience Management ist eine Disziplin, die B2B-Unternehmen durch den Einsatz von Instrumenten wie Design Thinking, Kundeninterviews sowie datengestützte Ableitungen aufbauen können, um auch zukünftig reibungslose und bestmögliche Kundenerlebnisse und damit zufriedene und loyale Kunden darstellen können.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Übersetzung eines Artikels, der erstmal im Adobe Blog in englischer Sprache erschienen ist. |

Autor
Josef Willkommer
Chefredakteur eStrategy-Magazin
Als Mitgründer und Geschäftsführer der TechDivision GmbH, einer der führenden Magento- und Digitalisierungsdienstleister im deutschsprachigen Raum, beschäftigt sich Josef Willkommer seit vielen Jahren sehr intensiv mit E-Commerce, Digitalisierung und Online-Marketing. Darüber hinaus ist er als Chef-Redakteur des eStrategy-Magazins sowie als Autor diverser Fachbeiträge rund um E-Commerce und Digitalisierung auch journalistisch tätig. Neben diversen Beratungs- tätigkeiten für unterschiedlichste Unternehmen trifft man ihn bei diversen Fachkonferenzen zudem als Speaker zu E-Commerce-und Digitalisierungsthemen.
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