Erste Lehren aus der Corona-Pandemie für mittelständische B2B Unternehmen

Im Jahr 2019 wuchsen alle Formen des digitalen B2B-Handels – elektronischer Handel, elektronischer Datenaustausch, elektronische Beschaffung, B2B-Marktplätze und einige andere verwandte Kanäle – schneller als die Gesamtverkäufe von Herstellern und Händlern: Insgesamt etwa zehnmal schneller, so die Daten und Analysen des B2B-E-Commerce-Marktberichts 2020, eines neu veröffentlichten Forschungsberichts von Digital Commerce 360 B2B[1].
Während die Gesamtverkäufe von Herstellern und Händlern alleine in den USA Jahr für Jahr um 1,5 % auf 17,5 Billionen US-Dollar wuchsen, stiegen die digitalen B2B-Verkäufe in allen Formen um 10,9 % und erreichten etwa 9 Billionen US-Dollar.
Mehr Online- als Offlineverkäufe
Noch schneller wuchsen die kombinierten Verkäufe auf B2B-E-Commerce-Websites, Login-Portalen und Marktplätzen (von 1,1 Billionen US-Dollar im Jahr 2018 um 18,2 % auf 1,3 Billionen US Dollar im Jahr 2019) sowie das E-Procurement um fast 18 % auf 700 Millionen US-Dollar im Jahr 2019 gegenüber 600 Millionen US-Dollar im Jahr 2018. Insgesamt konnten erneut mehr Verkäufe von US-Herstellern und -Distributoren, Großhändlern und anderen B2B-Verkäufern, wie z. B. Ein zelhändlern, die Geschäftsgüter und -produkte online verkaufen, eher digital als manuell: 51,4% gegenüber 48,6%.
Zu Beginn des Jahres 2020 erwarteten viele B2B-Verkäufer eine Verlangsamung des Wachstums aufgrund einer Kombination aus anhaltenden Handelskriegen, einer sich verlangsamenden Weltwirtschaft und anderen Faktoren. Doch dann kam die als COVID-19 bekannte globale Pandemie und die Welt hat sich quasi über Nacht schlagartig und massiv verändert.
Auf den Spuren von COVID-19
Durch die weltweite Corona-Pandemie, die ab Mitte März diesen Jahres auf allen Erdteilen zu wüten begann, veränderte sich auch das Geschäftsleben innerhalb kürzester Zeit zum Teil radikal. Während manche Branchen vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, hat COVID-19 andere Branchen wiederum weiter beflügelt. Einer der größten Profiteure, wenn man das in diesem Kontext überhaupt so ausdrücken mag, ist sicherlich die Digitalisierung. In unserem eigenen Daily-Busi ness haben wir nach einer ersten “Schockstarre” recht schnell gemerkt, dass Unternehmen, die bislang mit Digitalisierung noch nicht allzu viel am Hut hatten, plötzlich eine 180 Grad Kehrtwen de machen und Digitalprojekte, die noch vor kurzem undenkbar waren, anstoßen.
Agilität wird bei der Entwicklung neuer Wachstumsstrategien von entscheidender Bedeutung sein, da sich gerade in der Anfangsphase der Pandemie gezeigt hat, wie schnell sich neue Chancen ergeben können und wie schnell sich einige bis dahin florierende Märkte verlangsamen und sogar zum erliegen kommen können. So erwarten die Halbleiterunternehmen beispielsweise, dass die Nachfrage im Automobilsektor und in einigen anderen Segmenten im Jahr 2020 signi fikant abnehmen, im Endkundenmarkt der kabelgebundenen Kommunikation jedoch steigen wird.
Um einen möglichst umfassenden Einblick in die jeweiligen Märkte zu erhalten, sollten B2B-Unternehmen Informationen über Wettbewerber und Frühindikatoren sowie COVID-spezifische Daten auswerten. Ankündigungen über die Wiedereröffnung von Werken oder die Lockerung von Sperren durch Regierungen können wichtige Hinweise auf die Nachfrage, die Herausforderungen des Marktes und die Geschwindigkeit der Virusverbreitung liefern. Informationen über historische Volumina in verschiedenen Ländern oder Branchen können ebenfalls hilfreich sein, auch wenn hier möglicherweise nicht sofort mit einer Rückkehr der Nachfrage auf frühere Niveaus zu rechnen sein dürfte.
Nach der Erfassung dieser Daten können B2B-Unternehmen verschiedene Szenarien erstellen, um zu ermitteln, wie sich die Nachfrage im Hinblick auf Produkte, Kundensegmente und Regionen entwickeln könnte. Anhand dieser Erkenntnisse können Ableitungen für zukünftige Go-to-Market Strategien getroffen werden. Ein wichtiger Ansatz liegt dabei in der Bestimmung der Marktseg mente, die sich wahrscheinlich zuerst erholen werden, und ob die Nachfrage in diesen Bereichen voraussichtlich über oder unter dem früheren Niveau liegen wird. Die Konsequenz kann hier beispielsweise sein, dass ein Unternehmen zukünftig vollkommen neue Produkte ins Sortiment auf nehmen oder andere Kundensegmente verfolgen sollte.
Digitaler Vertrieb – gekommen um zu bleiben
In einer B2B-Umfrage von McKinsey[2] gaben 96 Prozent der Befragten an, dass COVID-19 Änderungen an ihren Markteinführungsmodellen erforderlich gemacht habe. Viele mussten, zumindest bis zu einem gewissen Grad, von persönlichen Interaktionen zu digitalen Vertriebsmodellen übergehen. So hat der Vertrieb gerade in der heißen Corona-Phase im Frühjahr unter anderem auf grund von Reisebeschränkungen und Kontaktverboten meist nur noch über Telefon oder digitale Kanäle funktioniert und daran wird sich aus unserer Sicht zumindest bis Ende diesen Jahres nicht allzu viel ändern.
Insgesamt gaben bei der McKinsey Umfrage Ende April etwa 65 Prozent der Befragten an, dass ihre neuen Go-to-Market-Modelle die Kunden genauso gut oder besser erreichen als ihre früheren Verkaufsmethoden, was einer Steigerung von 10% innerhalb von nicht einmal vier Wochen bedeutet. Bei solch hoher Zufriedenheit werden sich viele Unternehmen wahrscheinlich fragen, ob sie jemals zum alten Status quo zurückkehren sollten. Können über digitale Vertriebskanäle doch signifikante Einsparungen erzielt werden, die gemäß diverser Umfragen und auch anhand unse rer eigenen Erfahrungen so gut wie keine negativen Auswirkungen an anderer Stelle bedeuten.
Tatsächlich gaben etwa 80 Prozent an, dass sie die Veränderungen mit einiger oder großer Wahrscheinlichkeit 12 Monate oder länger aufrechterhalten würden. Wenn dies zutrifft, könnten B2B Unternehmen aus allen Branchen ihre Markteinführungsmodelle im Laufe des nächsten Jahres überdenken, und viele werden sich entschließen, digitale Vertriebskanäle und -Möglichkeiten ent lang der gesamten Customer Journey anzubieten.
Die Ergebnisse einer zuletzt im August von McKinsey durchgeführten B2B Umfragen liefern noch weitere, sehr spannende Erkenntnisse[3]:
- Digitale Self-Services werden wahrscheinlich die dominierenden Elemente des B2B-Go-to Market-Modells der Zukunft sein, wenn es um den Verkauf sowohl an KMUs als auch an große Unternehmen geht.
- Gehen Sie nicht davon aus, dass ihr bisheriges Offline-Vertriebsmodell in dieser Form irgendwann wieder zurückkommen wird. Gemäß aktueller Studien möchten sowieso nur 20-30% der B2B-Käufer in ihrer Idealvorstellung unabhängig von Corona jemals persönlich mit Vertretern interagieren.
- Etwa 90 % der B2B-Entscheidungsträger erwarten, dass digitaler Vertrieb langfristig Bestand haben wird, und 3 von 4 sind der Meinung, dass das neue Modell genauso effektiv oder sogar effektiver ist als vor COVID-19 (sowohl für bestehende Kunden als auch für Neu-Kunden).
- 97% der B2B-Käufer geben an, dass sie einen Kauf in einem durchgängigen, digitalen Selbstbedienungsmodell tätigen werden, wobei die überwiegende Mehrheit problemlos 50.000 Dol lar oder mehr online ausgibt.
- Der E-Commerce-Umsatz von B2B Unternehmen alleine in den USA ist seit Beginn der Corona-Pandemie um mehr als 20% gestiegen.
- Unternehmen, die digitale Vertriebskanäle in ihr Go-to-Market Modell integrieren, können ein fünfmal schnelleres Umsatzwachstum im Vergleich zu früheren Niveaus erreichen
- Die Effizienz bei der Akquise kann um bis zu 30% verbessert werden.
- Die Kosten im Salesprozess können durch digitale Kanäle um 40-60% reduziert werden.
- Videokonferenzen bzw. Webmeetings sind ein entscheidender Erfolgsfaktor und werden von 80% der B2B-Käufer gegenüber Audio/Telefon bevorzugt.
“Digitale Interaktionen sind für Kunden heute doppelt so wichtig wie vor der Pandemie.”
Fast is the new big
Insbesondere wir Deutschen sind für unseren Perfektionismus weltweit bekannt und auch angesehen. Darin liegt grundsätzlich auch nichts Schlechtes. Problematisch wird dies jedoch dann, wenn man insbesondere bei komplexeren IT-Themen, bei denen man in den allermeisten Fällen – aufgrund der Dynamik, fehlender Erfahrungswerte sowie ggf. vorhandener Abhängigkeiten und Komplexitäten – noch keine genauen und abschließenden Angaben zu den tatsächlich benötigten Funktionalitäten hat. Eine der wichtigsten Begrifflichkeiten in diesem Kontext ist das sog. Minimum Viable Product (MVP).

Hier liegt wahrscheinlich der größte Hebel, um Projekte zielorientierter und auch günstiger zu machen: Der Begriff ist hier jedoch etwas irreführend. Er impliziert, dass es „noch nicht das gesamte Produkt ist“, dass noch etwas fehlt und es halt eine kleine Ausführung dessen ist, was wir eigentlich wollen. Dies stimmt so eigentlich nicht.
Das erste iPhone ist im Vergleich zu heutigen Modellen nur ein Spielzeug. Es war ein MVP. Eines, das Apple für zehn Jahre und mehr zum wertvollsten Unternehmen der Welt machte. Zu seiner Zeit aber revolutionär, vor allem in seiner Einfachheit.
Es ist keine Kunst, Features zu planen, zu konzipieren und umzusetzen. Die wirkliche Kunst besteht darin, die korrekten Features auszuwählen, die ein iPhone ausmachen. Und zwar nicht auf Basis irriger Annahmen, sondern aufgrund von Fakten. Und sich zu trauen, den Rest wegzulassen.
Es gibt viele Möglichkeiten, IT-Projekte günstiger (oder weniger teuer) zu machen. Im Rahmen von agilem Arbeiten werden diese Faktoren oft vernachlässigt. Auftraggeber waren es lange gewohnt, ihre Anforderungen über den Zaun zu werfen und irgendwann fliegt Software zurück – also meist in Einzelteilen, kurz nach einem lauten Knall.
Jetzt dasselbe Projekt zu nehmen und es schrittweise umzusetzen bringt nur wenige Vorteile. Es liegt nicht nur an der Art der technischen Umsetzung – vor allem die Art und Weise wie Projekte an gegangen werden führt zu unnötigen Mehrkosten.
In diesem Sinne sollten Sie – sofern nicht sowieso schon geschehen – B2B E-Commerce auch in ihrem Unternehmen auf die Agenda setzen. Vermeiden Sie hier aber, den Bogen zu überspannen. Ein Sprung von null auf hundert ist extrem riskant und kostenintensiv. Hier empfiehlt sich einmal mehr ein interatives Vorgehen, bei dem man über ein Einsteigerszenario erste Erfahrungen sammelt und diese dann in die sukzessive Weiterentwicklung einfließen lässt. Wie heißt es doch so schön: “Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut!” Und was für das altehrwürdige Rom galt, hat – trotz allem Wandel – auch für den
E-Commerce nach wie vor Gültigkeit. Sie müssen aber irgendwann mit dem Bau anfangen!
Die B2B E-Commerce Pyramide
Um B2B Unternehmen einen ersten Anhaltspunkt zum Aufbau ihrer digitalen Infrastruktur zu geben, haben wir die sogenannte B2B E-Commerce Pyramide entwickelt, die nachfolgend nochmals im Detail erläutert wird und anhand derer Unternehmen einen schrittweisen Einstieg in den digitalen Vertrieb vollziehen können.
Während der B2C-Markt im E-Commerce-Umfeld bestens bekannt und inzwischen auch in den meisten Branchen fest etabliert ist, sieht es im B2B-Umfeld derzeit noch etwas anders aus. Der Markt befindet sich aktuell tendenziell noch im Anfangsstadium und immer mehr Unternehmen – gerade aus dem typischen Mittelstand – entdecken den elektronischen Absatzkanal zunehmend für sich.
Hierbei gelten allerdings mitunter komplett unterschiedliche Regeln und Gesetze und auch die Anforderungen an die bestehende Infrastruktur sowie an etwaige Shoptechnologien sind – im Vergleich zum B2C-Umfeld – häufig sehr unterschiedlich.
Ähnlich wie im klassischen Endkundengeschäft, lässt sich auch B2B E-Commerce anhand unter schiedlichster Parameter einteilen. Wir möchten dies anhand der von uns als B2B E-Commerce Pyramide bezeichneten Kategorisierung vornehmen.
Die Überlegung hierbei besteht darin, die Anforderungen und damit auch den Umfang und die Komplexität in drei Segmente einzuteilen, die wie beim Bau einer Pyramide aufeinander aufbauen wodurch – bei entsprechender Umsetzung – auch eine Erweiterung bzw. ein Aufstieg ins nächst höhere Segment möglich ist.
Stufe 1 – Einsteigerszenario
Die von uns als Einsteigerszenario bezeichnete erste Stufe besteht in der Digitalisierung des Produktkataloges oder einem ausgewählten Teilsortiment. Das heißt, die entsprechenden Kategorien bzw. Produkte wurden online verfügbar gemacht, wobei in einem ersten Schritt lediglich die Produktdarstellung mit entsprechenden Informationen realisiert wird. Eine Warenkorb- bzw. Bestell funktion besteht hier (vorerst) nicht. Häufig wird dieses Szenario für einen begrenzten Testmarkt oder ein Sortiment gestartet, um erste Daten und Informationen über die Nutzung eines digitalen Produktangebotes zu generieren und um Feedback von Kunden einzuholen.
Das Web dient hierbei lediglich als Schaufenster und damit als Instrument, um eine größere Anzahl an potentiellen Kunden zu erreichen. Der komplette Verkaufsprozess erfolgt hier noch “ana log” über die vorhandenen Vertriebswege und -prozesse, zum Beispiel über Fax, Telefon und/oder den Außendienst.
Es wird eine sehr geringe Integrationstiefe angesetzt, bei der möglichst wenig bzw. keine Abhängigkeiten zu bestehenden Systemen vorhanden sind, um auf der einen Seite die Aufwände möglichst überschaubar zu halten und zum anderen eine möglichst kurze Time-to-Market ge währleisten zu können. So werden in einem solchen Szenario Produkte beispielsweise direkt in der entsprechenden Web-Plattform eingepflegt bzw. über CSV-Import hinterlegt.
Ein solches Szenario kann – abhängig von den genauen Anforderungen und Vorstellungen – insbesondere auch im Bezug auf Layout/Design innerhalb sehr kurzer Zeit realisiert werden. Abhän gig von den spezifischen Vorstellungen und der gewählten Technologie kann ein solcher Webkatalog innerhalb weniger Wochen bzw. Monate online gebracht werden. Als Kostenrahmen kann man hier für ein Initial- bzw. Testprojekt ab einem mittleren fünfstelligen Betrag zzgl. etwaiger Lizenzkosten kalkulieren.
Stufe 2 – Fortgeschrittene
Unternehmen, die sich bereits etwas länger mit der Digitalisierung beschäftigen bzw. in den “richtigen” E-Commerce einsteigen möchten, befinden sich nach unserer Segmentierung im Bereich der Fortgeschrittenen. Im Unterschied zum Einsteigerszenario werden hier Produkte nicht nur im Web dargestellt, sondern können auch online bestellt werden.
Insofern hat es hier mit einem klassischen Onlineshop mit Warenkorb und Checkout zu tun, wo durch die Komplexität grundsätzlich deutlich erhöht wird, da Bestellungen in aller Regel über Schnittstellen an eines oder mehrere nachgelagerte Systeme – in der Regel ist dies ein ERP-System – übergeben werden. Dort erfolgt meist dann die weitere Bearbeitung inkl. Clearing der Bestellung sowie der Versand.
Dabei unterscheidet sich B2B in den meisten Fällen doch deutlich vom klassischen B2C. Die nach folgende Gegenüberstellung zeigt dabei einige der ggf. doch deutlich unterschiedlichen Parameter:

So spielen insbesondere Kundenintegrationen mit Rechte-/Rollensystemen sowie Budgetierungs und Freigabe- sowie auch Anfrageprozessen eine größere Rolle.
Die Aufwände für derartige Szenarien hängen natürlich auch wieder sehr stark von den genauen Anforderungen und Gegebenheiten (z. B. vorhandene Infrastrukturen und Systeme mit entspre chenden Integrationsmöglichkeiten) ab. Sie bewegen sich erfahrungsgemäß aber meist in einem 5-6-stelligen Lizenzkostenbereich sowie initialen Projekt- und Implementierungskosten im Be reich ab ca. EUR 150.000.-. Dabei sind mitunter signifikante Abweichungen in beide Richtungen, abhängig von den genauen Vorstellungen und Gegebenheiten, möglich.
Für B2B-Unternehmen stellt dieses Szenario heute den Standard für einen B2B Onlineshop dar.
Stufe 3 – Profis
Das dritte und letzte Segment bezeichnen wir als Profi-Segment, dem in den allermeisten Fällen bereits eine längere Einarbeitungs- und Lernphase vorausgeht oder anders ausgedrückt: Ein sol ches Szenario bedarf eines umfassenden Know-how, entsprechender Inhouse Ressourcen sowie der nötigen IT-Infrastruktur und darüber hinaus auch einer ganz klaren Onlinestrategie – im b esten Fall mit internationaler Ausrichtung.
Hier sprechen wir dann nicht mehr von einem B2B-Shop, sondern es geht dabei vielmehr um eine übergreifende Plattformstrategie, bei der ein klassischer Webshop nur einen Baustein bzw. einen Kanal darstellt.
Während man früher sowie auch heute häufig noch in einfacheren Szenarien nach wie vor häufig monolithische Systeme gebaut und verwendet hat, bei denen möglichst alle Funktionalitäten und Komplexitäten in ein “Tool” gepackt wurden das in der Folge im Worst-Case kaum mehr wart- und erweiterbar war, verfolgen die Profis inzwischen immer öfter sog. Microservice- oder auch Headless-Architekturen, die genau einen entgegengesetzten Ansatz verfolgen.
Hierbei versucht man komplexe Anwendungssoftware möglichst in kleine, unabhängige Kompo nenten und Prozesse zu zerteilen, die über APIs miteinander kommunizieren. Damit lassen sich selbst komplexeste Anforderungen modular implementieren und in der Folge natürlich auch deut lich einfacher warten und weiterentwickeln, weil hier im besten Fall nur an einzelnen und gekap selten Komponenten gearbeitet werden muss.

Neben umfangreichen zum Teil extrem spezialisierten Anforderungen und Komponenten wie z. B. umfassenden Konfiguratoren, Rule-Engines zur individuellen Preisfindung oder auch externe Recommendation-Tools kommen hier auch so Dinge wie z. B. Punchout zum tragen.
Mit einem Punchout-Katalog können beispielsweise entsprechende Produktdaten elektronisch ausgetauscht werden. Ihr Kunde wird damit automatisch aus seinem elektronischen Beschaf fungssystem in einen entsprechenden Onlineshop eingeloggt und findet dort seine individuell an gepassten Produkte und Preise. Dahinter steht das sog. Open Catalog Interface (OCI), bei dem es sich um eine offene und standardisierte Katalogdatenschnittstelle zum Austausch von Katalog datensätzen zwischen SAP-eProcurement- Systemen (meist "SAP Enterprise Buyer Professio nal", kurz EBP) und beliebigen anderen Katalogen bzw. Onlineshops handelt. Der SAP-Anwender greift dabei auf aktuelle Katalogdaten des Anbieters über das Internet anhand der Standard Internetprotokolle direkt zu. Der Begriff “Punchout" kommt daher, weil der SAP-Benutzer durch das SAP-System zu einem externen Shopsystem des entsprechenden Lieferanten weitergeleitet wird, wobei die relevanten Informationen und Daten des Unternehmens automatisch mitgeliefert werden und damit der Bestellprozess entsprechend verkürzt werden kann.
Darüber hinaus werden in einem solchen Profi-Szenario auch unterschiedliche Bereiche und Kanäle eines Unternehmens eingebunden. So ist beispielsweise die Anbindung des Außendienstes über Tablets mit entsprechenden Ansichten und Möglichkeiten, z. B. auch durch eine eigene Au ßendienst-App sowie ggf. Services Apps denkbar.
Zudem spielt das Thema Internationalisierung – ggf. auch mit unterschiedlichen Marken und Sortimenten – sowie unter Umständen das Internet der Dinge, z. B. durch eine direkte Anbindung von Maschinen/Geräten an den Einkaufsprozess, eine Rolle. So gibt es inzwischen immer häufiger Szenarien, bei denen Bestellungen direkt und automatisiert anhand vordefinierter Parameter (z. B. Laufzeiten einer Maschine) erfolgen.
Auch das Thema Voice Commerce könnte zukünftig im B2B immer häufiger zum Einsatz kommen, insbesondere dann, wenn Bestellungen per Spracheingabe einfacher zu bewerkstelligen sind als dies über Tastatureingaben der Fall ist. Man denke hier beispielsweise nur an Werkstätten, die Er satzteile oder Verbrauchsmaterial benötigen: “Alexa, bestelle 10 Kugellager der Größe xxx sowie 20 Liter Bremsenreiniger….”
In einem solchen Szenario sind der Komplexität keine Grenzen gesetzt, was sich natürlich auch auf Zeit und Kosten niederschlägt. Der Umfang für ein Profi-Szenario ist ebenfalls sehr stark von den individuellen Anforderungen und Gegebenheiten abhängig. Realistischerweise sollte man hier aber initiale Projektkosten ab einem mittleren sechsstelligen Betrag zzgl. etwaiger Lizenzkosten ansetzen, wobei die Aufwände hier auch problemlos in siebenstellige Regionen wandern können.
Fazit
Das Thema B2B Commerce wird – sofern jetzt noch nicht geschehen – in den nächsten 1-2 Jahren sehr viele Unternehmen in nahezu allen Branchen tangieren und in der Folge auch die Vertriebswege zum Teil massiv verändern, wie man dies aufgrund der Corona-Pandemie bereits nach vollziehen kann. War es bislang in sehr vielen Branchen im B2B-Umfeld üblich, Bestellungen per Telefon und/oder Fax zu tätigen, wird sich dies in den kommenden Jahren sowohl aus Effizienz- als auch Komfortgründen signifikant ändern. Generell wird sich das gesamte Vertriebsmodell in na hezu allen Branchen auf absehbare Zeit massiv ändern und in Richtung digitaler Vertriebskanäle verschieben. Neben “klassischen” Onlineshops werden insbesondere Customer Self-Service-Portale immer häufiger die bisherigen Service- und Backoffice-Abteilungen ablösen.
Hierzu sind entsprechende Technologien notwendig, die zum einen entsprechende Offenheit d. h. Integrationsfähigkeit in bestehende Strukturen und zum anderen umfassende Erweiterbarkeit und Skalierbarkeit gewährleisten.
Ganz allgemein sollte man gerade bei komplexen Anforderungen und umfangreichen Projekten zwingend einen sog. MVP-Ansatz wählen (Minimum Viable Product), bei dem versucht wird, möglichst schnell einen ersten funktionsfähigen Teilbereich eines Projektes an den Start zu bekommen. Daher sollte auch eine Technologie gewählt werden, die einen solchen Ansatz ermöglicht und generell ein agiles Vorgehen weitgehend unterstützt.
Damit können dann relativ schnell erste Learnings aus der Praxis erfolgen und die Weiterent wicklung möglichst zielgerichtet und ohne unnötigen “Schnick-Schnack” auf Basis erster Praxiserfahrungen erfolgen. Darüberhinaus wird die Gefahr des Verzettelns deutlich reduziert, indem man sich auf die wesentlichen Themen fokussiert und so Schritt für Schritt das passende digitale Fundament für die Zukunft erstellt.
Autor
Josef Willkommer
Chefredakteur eStrategy-Magazin
Als Geschäftsführer der TechDivision GmbH, einer der führenden Magento und E-Commerce-Agenturen im deutschsprachigen Raum, beschäftigt sich Josef Willkommer seit vielen Jahren sehr intensiv mit
E-Commerce und Online-Marketing. Darüber hinaus ist er als Chef-Redakteur des eStrategy-Magazins sowie als Autor diverser Fachbeiträge rund um E-Commerce und Online-Marketing auch journalistisch tätig. Neben diversen Beratungstätigkeiten für unterschiedlichste Unternehmen trifft man ihn bei diversen Fachkonferenzen auch als Speaker zu E-Commerce- und Online-Marketing-Themen.
www.techdivision.com
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