Digital Responsibility in der Umsetzung

Mit Künstlicher Intelligenz, autonomem Fahren und personalisierter Medizin hat der technologische Fortschritt längst Einzug in unseren Alltag gehalten. Egal ob Verbraucher, Mitarbeiter, Großkonzern oder Start-up – die Digitalisierung treibt alle um. Häufig stehen bei den Diskussionen über die Vor- und Nachteile der digitalen Transformation technologische oder wirtschaftliche Themen im Zentrum. Die gesellschaftlichen und sozialen Dimensionen dieser Entwicklung kommen meist zu kurz. Corporate Digital Responsibility (CDR) bezieht diese Aspekte mit ein – und ist deshalb nicht nur einer der Top Trends, sondern auch wichtiger Erfolgsfaktor für die Digitalisierung.
Die vielen Fälle von Datenmissbrauch haben das Thema inzwischen mit Nachdruck auf die Agenda befördert. In einer komplexen Welt fällt es Menschen immer schwerer, einem Unternehmen Vertrauen zu schenken. Und auch Nachwuchskräfte fordern von ihrem Arbeitgeber, dass er vorlebt, wofür er steht. Wenn Unternehmen die Digitalisierung nicht verantwortungsvoll angehen, laufen sie Gefahr, Kunden, hochqualifizierte Mitarbeiter und Marktanteile zu verlieren. Eine Strategie für Corporate Digital Responsibility (CDR) wirkt dem entgegen. Ziel ist es, frühzeitig Transparenz und Vertrauen bei Mitarbeitern, Kunden, der Gesellschaft und anderen Stakeholdern zu schaffen. So lassen sich unvorhergesehene Risiken proaktiv adressieren und Wettbewerbsvorteile sichern.
Ein Gespräch mit Angelika Pauer, Expertin für Corporate Digital Responsibility & Digital Ethics, und Dieter W. Horst, Experte für Nachhaltigkeit.
Vor einigen Jahren war Corporate Social Responsibility in aller Munde. Heute reden alle von Corporate Digital Responsibility – nur ein Trend oder mehr?
Angelika Pauer: Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass nicht nur finanzielle Faktoren zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens beitragen. Schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts engagierten sich Unternehmen verstärkt für soziale und ökologische Belange. Im digitalen Zeitalter kommen nun weitere Aspekte hinzu: Nicht nur die Technologien verändern sich, sondern auch die Bedürfnisse der Gesellschaft. Menschen wollen wissen, was mit ihren Daten geschieht, sie teilen Informationen mit Umsicht und sorgen sich um die Zukunft ihres Arbeitsplatzes. Darauf müssen Unternehmen reagieren, denn der Kunde von morgen wird Anbietern den Vorzug geben, die verantwortungsvoll mit der Digitalisierung umgehen.
Aber ist denn CDR nur für die Beziehung zum Endkunden wichtig?
Pauer: Im Grunde betrifft es alle Stakeholder. In Hinblick auf die zunehmende Vernetzung der Unternehmen, die mit neuen Technologien einhergeht, rückt natürlich auch die Beziehungsebene mehr in den Vordergrund. Gerade Geschäftsbeziehungen erfordern ein immer höheres Maß an Vertrauen, um das eigene Risiko zu minimieren. Darüber hinaus legen auch Mitarbeiter immer mehr Wert auf die ethische Reputation ihres Arbeitgebers und hinterfragen Unternehmensentscheidungen kritisch. Mit einer ganzheitlichen CDR-Strategie positionieren sich Unternehmen als vertrauenswürdiger Partner.
Was lässt sich aus dem Bereich der Corporate Social Responsibility (CSR) adaptieren?
Dieter W. Horst: CSR ist ein etabliertes, erfolgreiches Instrument für eine verantwortungsvolle Wertschöpfung und wertebasierte Unternehmensstrategien. Brücken zu bauen zwischen Unternehmen und Gesellschaft – das war schon immer die elementare Funktion von CSR. Wie können Unternehmen ihr Geschäftsmodell mit den gesellschaftlichen Anforderungen in Einklang bringen? Wie können sie ihren Wertbeitrag zur Gesellschaft leisten? Ihren Impact optimieren? Mit diesen Fragen hat sich CSR schon immer beschäftigt. Das heißt, die Haltungen, die CSR zu Grunde liegen, die Mechanismen, mit denen der Austausch mit den Stakeholdern stattfindet, das CSR-Methodenset zur Entwicklung und Adaption freiwilliger Standards und nicht zuletzt die Art, wie man transparent und vertrauenswürdig Rechenschaft ablegt – das alles kann CDR von CSR lernen.
Welche Aspekte gehören zu einer CDR-Strategie?
Pauer: Ganz wichtig ist natürlich der Datenaspekt. Daten sind zum einen ein wichtiger Treiber der Digitalisierung. Zum anderen hat das Thema durch die Einführung der EU-Datenschutz-Grundverordnung im Jahr 2018 viel Aufmerksamkeit erhalten. Der ethische Umgang mit Daten, also Data Ethics, ist jedoch mehr als die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Denn nicht alles, was legal ist, ist auch ethisch vertretbar. Unternehmen müssen sich also ein Rahmenwerk geben, um verantwortungsvoll mit Daten umzugehen.
Aber es geht eben nicht nur um Daten…
Pauer: Genau, auch die schwerer greifbaren Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die Gesellschaft als Ganzes gehören dazu. Diese Aspekte werden noch nicht ausreichend beleuchtet. Passen Unternehmen in Folge der Digitalisierung ihre Prozesse oder Arbeitsplätze an, bedeutet das möglicherweise große Veränderungen für die Mitarbeiter – angefangen von neuen Arbeitsweisen und Aufgaben, über Weiterbildungsmaßnahmen innerhalb des Unternehmens bis hin zu langfristigen Anpassungen des Bildungssystems. Das Wichtigste bei dieser Entwicklung ist, dass der Mensch nicht ins Abseits gerät, sondern im Mittelpunkt bleibt.
Wie kann das gelingen?
Pauer: Führungskräfte müssen verantwortungsvoll mit dieser Transformation umgehen und sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Dem Gründer einer Social-Media-Plattform glaubt man heute noch, dass er nicht wusste, welche Folgen seine Technologie hat. Den nächsten CEOs wird man das nicht mehr abnehmen. Deshalb ist es wichtig, die Mitarbeiter bei Veränderungen rund um ihren Arbeitsplatz einzubeziehen, um ein „gesundes Verhältnis“ zur digitalen Transformation zu fördern. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Technologien kann manchmal auch bedeuten, einfach weniger Technologien einzusetzen oder ganz klar festzulegen, dass es für die Mitarbeiter auch Offline-Zeiten geben muss.
Was empfehlen Sie Unternehmen?
Horst: Natürlich ist der Tone-from-the-Top damals wie heute ein Erfolgsfaktor. Er signalisiert, dass es nicht um „Windows-dressing“, sondern um das Entwickeln und Leben einer stabilen Haltung geht. Ein augenzwinkerndes „So wichtig nimmt der Vorstand es auch wieder nicht“ ist Gift. Klare Verantwortlichkeiten und eine Integration in bestehende Prozesse bis auf die unterste Ebene sind weiter wichtig. Ein CR-Beauftragter mag die CDR eines Unternehmens koordinieren, aber praktiziert werden muss sie von den operativen Einheiten. Die Auskunft „CDR macht bei uns der CDR-Beauftragte“ ist ein Hinweis, dass etwas gehörig schiefgelaufen ist.
Pauer: Und wir empfehlen Unternehmen, schnell aktiv zu werden. Heute können sie das Thema noch mitgestalten und von Beginn an in den eigenen Digitalisierungsprozess integrieren. Aus meiner Erfahrung ist es dabei wenig sinnvoll, sich in High-Level- Diskussionen zu verlieren. Vielmehr sollten Unternehmen direkt in die Umsetzung einsteigen und dabei bestehende Prozesse und Strukturen nutzen, die etwa für das Thema Corporate Social Responsibility aufgebaut wurden. Es ist wichtig, dass die digitale Transformation nicht bei der Technologieentwicklung endet, sondern auch die Prozesse angepasst werden. So schaffen Unternehmen Vertrauen, fördern die Akzeptanz zukünftiger Entwicklungen und minimieren negative Auswirkungen und Risiken der Digitalisierung.

Interviewpartnerin
Angelika Pauer
Senior Managerin bei der PwC GmbH
Angelika Pauer ist Senior Managerin im Bereich Risk Assurance Solutions bei der PwC GmbH. Hier gründete sie 2018 den Bereich Corporate Digital Responsibility & Digital Ethics Services. Gemeinsam mit Vertretern aus Unternehmen, Forschung und Politik arbeitet sie mit ihrem interdisziplinären Team an Lösungen für eine verantwortungsvolle und ethische Digitalisierung.
Seit über zehn Jahren berät sie Unternehmen zur digitalen Transformation. Vor ihrer Tätigkeit bei PwC leitete sie am Fraunhofer IAIS Transformations- und Softwareentwicklungsprojekte mit Fokus auf Big Data, Enterprise Data Integration und künstlicher Intelligenz. Gemeinsam mit dem BVDW entwickelte Sie die “CDR Building Bloxx – Das Framework für Strategie und Umsetzung von CDR” (www.cdr-building-bloxx. com).
Sie engagiert sich aktiv in weiteren Initiativen, die an der Gestaltung von Leitlinien und Standards für eine verantwortungsvolle Digitalisierung arbeiten, unter anderem in der CDR-Arbeitsgruppe von econsense, der International Data Spaces Association und der AI High Level Expert Group. Außerdem lehrt sie als Dozentin an Universitäten und ist Autorin diverser Publikationen zu den Themen Digital Ethics, Corporate Digital Responsibility und Data Economy.

Interviewpartner
Dieter W. Horst
Experte für Nachhaltigkeit
Dieter W. Horst ist in Deutschland ein führender Experte für Nachhaltigkeit. Mit fast 30 Jahren Erfahrung als Prüfer und Berater für Umwelt und Nachhaltigkeit gilt er als einer der deutschen Pioniere für Corporate Social Responsibility. Er hat die Entwicklung des Themas in einer Reihe von Branchen und bei vielen Unternehmern begleitet. Corporate Digital Responsibility ist aus seiner Sicht eine neue Dimension des Gedankens, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen. Denn nur so “gelingt Gesellschaft auch in digitalen Zeiten”.