Interview mit Hartmut König zur Adobe Mittelstands-Initiative

Die Bildbearbeitungssoftware Photoshop und das PDF-Dateiformat kennt inzwischen fast jeder, der einen Rechner hat. Beides stammt vom US-Softwarehersteller Adobe. Aber Adobe ist weit mehr als nur Photoshop und PDF. Über die letzten annähernd 40 Jahre hat sich Adobe zum einem führenden Cloud-Software-Anbieter entwickelt, der in einer Vielzahl von Branchen und Bereichen marktführende Lösungen anbieten - inzwischen auch im Bereich der E-Commerce-Software. Wir haben dies zum Anlass genommen, um mit Hartmut König von Adobe, über Digitalisierung und E-Commerce sowie die neue Mittelstandsinitiative zu sprechen.
Hallo Hartmut, bitte stelle Dich doch kurz vor.
Ich bin 2004 zu Adobe gekommen, heute bin ich Head of Solutions & Strategy und Chief Technology Officer Central Europe.
Mich begeistern die Möglichkeiten, die digitale Technologien uns in puncto Kundenerlebnisse bereits heute bieten und ich bin überzeugt: Da ist auch zukünftig noch jede Menge Potential!
Ich finde es spannend, dass ich in meiner Arbeit mit Kunden aus verschiedenen Industrien und mit meinem Wissen um
Transformationsprozesse, Customer-centric IT und Digital Marketing Teil der weiteren Entwicklung sein kann.
Adobe ist den meisten von uns durch Kreativ-Tools, allen voran Photoshop sowie das PDF-Format bekannt. Ich kann mich noch recht gut an die Photoshop- und InDesign Softwarepakete im Handel erinnern. Hinter Adobe steckt aber noch viel mehr. Kannst Du dazu einen kurzen Einblick geben?
Adobe wurde 1982 gegründet. Die ersten drei Jahrzehnte haben wir – wie jedes andere Softwareunternehmen auch – unsere Anwendungen wie Adobe Photoshop oder Acrobat auf CD-ROM, d.h. als reines Box-Produkt, verkauft. Nach knapp 30 Jahren haben wir uns jedoch entschieden, die Art und Weise, wie wir Software herstellen und anbieten, grundlegend neu zu denken.
Ab 2011 haben wir deshalb unseren eigenen digitalen Transformationsprozess erfolgreich begonnen und uns zu einem vollständig Cloud-basierten Angebot mit umfassenden Lösungen für die Kreativen, für Marketingspezialist*innen sowie für das Dokumentenhandling gewandelt. Dieses Wissen hilft uns jetzt auch dabei, andere Unternehmen in ihren Digitalisierungsprozessen zu unterstützen. Denn nicht nur unsere Anwendungen laufen jetzt vollständig Cloud-basiert, wir haben uns auch von einem reinen Hersteller für Kreativ-Werkzeuge hin zu einem Anbieter von Customer Experience-Lösungen entwickelt. Möglich gemacht haben diesen Wandel neben Innovation und Integration insbesondere auch strategische Akquisitionen, beispielsweise die Übernahmen von Omniture, Day Software oder Magento.
Was waren die Beweggründe für die Übernahme von Magento und wie fällt ein erstes Zwischenfazit aus, wenn Du die Entwicklung von Magento unter Adobe betrachtest?
Die Übernahme von Magento vor zwei Jahren war ein entscheidender Schritt auf unserem Weg zu einem CX-orientierten Unternehmen, denn wir sind überzeugt, dass zu einem runden Kundenerlebnis natürlich auch das Einkaufserlebnis gehört; Experience und Transaktion müssen zusammengedacht werden. Das ist umso entscheidender, als der E-Commerce-Bereich in den letzten Jahren stetig gewachsen ist – und die letzten Monate haben den Trend noch einmal beschleunigt. Auch im E-Commerce ist gelungenes Storytelling entscheidend. Es kommt darauf an, begeisternde und relevante Inhalte mit dem Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen zu verbinden. Als Kunde wünsche ich mir, dass ein Onlinehändler mir, poetisch gesprochen, jeden Wunsch von den Augen ablesen kann. Das betrifft neben den Produktempfehlungen auch den Bestell- und Fulfillment-Prozess. Technisch ist all das heute bereits möglich und sollte entsprechend Einsatz finden.
Mit Magento wird ja seit jeher ein sog. Freemium-Ansatz verfolgt, bei dem es eine kostenfreie Open Source Version mit eingeschränktem Funktionsumfang sowie eine Commerce Variante mit umfassenderen Funktionalitäten sowie diversen Zusatz-Services inkl. SLAs gibt. Wird dieser Ansatz auch zukünftig beibehalten oder gibt es Magento irgendwann nur noch als reine Subscription-Lösung?
Diesen Ansatz wollen wir auch zukünftig beibehalten. Nicht jeder Shop benötigt das volle Angebot der kostenpflichtigen Lösung. Klar ist aber auch: Ein professioneller Onlineshop sollte rund um die Uhr verfügbar sein und performen – IT-seitig ist das sehr ressourcenintensiv. Die kommerzielle Lösung bietet hier eine sinnvolle Entlastung, weil Hosting und Maintenance durch Adobe sichergestellt werden und so Kapazitäten für echte Innovationen geschaffen werden.
Du hast ja schon kurz einen Einblick in das Adobe Produktportfolio mit der grundlegenden Unterteilung in Creative Cloud, Document Cloud und Experience Cloud gegeben. Kannst Du bitte nochmal erläutert, was die Experience Cloud genau ist und wo deren Vorteile – ggf. auch gegenüber anderen Softwarelösungen – liegen?
Customer Experience Management-Lösungen bieten viele Unternehmen an. Was uns von anderen unterscheidet, sind folgende Aspekte: Die Customer Experience ist unser Ausgangs- und Endpunkt. Wir sprechen hier von purpose-built CXM Technology, d. h. wir bieten nicht einfach eine Erweiterung für bestehende Systeme an, sondern unser Portfolio hat genau ein Ziel: Erstklassige Kundenerlebnisse zu realisieren. Zentraler Bestandteil sind deshalb Kundenprofile in Echtzeit. Nur so können Unternehmen ihre Kund*innen nicht nur mit der richtigen Botschaft zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Kanal ansprechen, sondern der Kundenservice weiß beispielsweise direkt, dass ein*e Kund*in sich auf der Website ein Produkt angesehen hat und jetzt detailliertere Informationen benötigt. Es geht also darum, immer auf dem aktuellen Stand zu sein, um Kund*innen optimal bedienen zu können.
Klar ist aber auch: Viele Unternehmen haben bereits Technologielösungen im Einsatz, mit denen sie Kundenerlebnisse anbieten. Unsere Lösungen setzen deshalb auf Extensibility, können also in bestehende Lösungslandschaften integriert werden. So lassen sich Daten aus E-Commerce-Lösungen von Drittanbietern z. B. in Echtzeit-Kundenprofile integrieren.
Immer wichtiger werden zudem Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Die wenigsten Unternehmen haben die Möglichkeit, ihre eigene KI für den Marketingeinsatz zu trainieren – es fehlen schlicht Daten und Zeit. Wir bieten mit Adobe Sensei deshalb eine entsprechend trainierte Lösung für KI und maschinelles Lernen an, die Kunden direkt einsetzen können. Dass unsere Lösungen nach dem Prinzip Privacy by Design funktionieren, versteht sich heute von selbst. Denn auch Datenschutz nach höchsten Standards ist integraler Bestandteil eines runden Kundenerlebnisses.
Ich nehme hier jetzt einfach mal den Adobe Experience Manager als Teil der Adobe Experience Cloud. Soweit ich das bislang verstanden habe, handelt es sich hier um eine absolute Enterprise Lösung die primär für Großunternehmen und Konzerne ausgelegt ist. Wie passt das zum deutschen Mittelstand?
Sehr gut. Anfang des Jahres haben wir mit AEM as a Cloud Service eine Cloud-native Lösung für digitales Experience Management auf den Markt gebracht. Diese gibt Marketingspezialist*innen nicht nur umfangreiche Funktionen und Möglichkeiten, Kunden maßgeschneiderte Erlebnisse anbieten zu können – und das innerhalb weniger Wochen statt, wie in der Branche üblich, mehreren Monaten. Weil Integration und Maintenance bei unseren Adobe-Experten liegen, ist AEM as a Cloud Service auch für mittelständische Unternehmen mit kleinen Marketing- und IT-Teams ohne zusätzlichen Personalaufwand handhabbar.
Adobe war eines der ersten Unternehmen, das sich und seine Produkte konsequent in die Cloud verlagert hat. Gerade in Deutschland gab es – zumindest bis vor Corona – insbesondere bei mittelständischen Unternehmen noch häufig Vorbehalte gegen diesen Ansatz. Wie beurteilst Du hier den Status Quo und die weitere Entwicklung in der Zukunft.
Die aktuelle Situation hat nicht nur der digitalen Transformation allgemein einen enormen Schub verpasst, auch Cloud-Technologien stoßen in Unternehmen jetzt vermehrt auf Interesse. Gerade in den traditionell starken Disziplinen des Mittelstands – persönliche Kontakte, Kundentermine vor Ort waren und sind noch immer nur eingeschränkt möglich – zeigt sich: Wer in puncto Digitalisierung hinterherhinkt, den trifft es besonders hart.
Doch auch wenn das Potential noch nicht voll ausgeschöpft ist: Die Cloud ist definitiv auf der Agenda des Mittelstands angekommen. Das hat sich bereits vor der Krise abgezeichnet, nun ging es einfach schneller. Das liegt auch daran, dass Cloud-Anbieter anfänglichen Bedenken wie Datenverlust, Privacy oder den Schutz geistigen Eigentums erfolgreich begegnen konnten. Höchste Sicherheitsstandards überzeugen auch den kritischen deutschen Mittelstand – und das meine ich durchaus positiv.
Insbesondere das IT-Umfeld ist geprägt durch eine enorme Dynamik und weiter zunehmende Komplexität. Dazu kommen gefühlt täglich neue Technologien und Hypes. Ich denke hier aktuell beispielsweise an Progressive Web Apps und sog. Headless Ansätze sowie natürlich auch das Thema der Künstlichen Intelligenz. Muss ein mittelständisches Unternehmen hier überall “mitspielen” bzw. auf was sollte hier aus Deiner Sicht geachtet werden, um auf der einen Seite unnötiges “Spielzeug” und damit ggf. auch erhöhte Aufwände zu vermeiden, auf der anderen Seite aber auch technologisch am Puls der Zeit zu sein bzw. zu bleiben?
Grundsätzlich gilt: Nicht jede Technologie ist für jedes Unternehmen sinnvoll. Dennoch lohnt es sich, am Puls der Zeit zu bleiben und von Zeit zu Zeit zu überlegen, welche Technologie das eigene Unternehmen wirklich voranbringt und was eher eine nette Spielerei ist. Durchdachte und gezielte Innovationen bringen ein Unternehmen voran, jeden Trend mitzumachen, bremst hingegen aus. Wenn es um Kundenbeziehungen geht, lohnt sich die Implementierung entsprechender digitaler Strukturen aber in jedem Fall.
Seit Mitte März ist die Welt aufgrund der Corona-Pandemie eine andere. Adobe hat ja weltweit Kunden in unterschiedlichsten Branchen und Größen. Was sind denn hier bislang Eure größten Learnings aus dieser neuen Situation?
Wir beobachten ganz klar, dass sich Themen und Relevanzen verschieben. Gerade im B2B-Bereich war digitales Marketing lange Zeit eher ein Randthema, der Fokus lag auf persönlichen Kontakten, sei es auf Messen oder Kundenterminen vor Ort. Doch nicht nur die Digitalisierung von Kundenbeziehungen, auch E-Commerce Lösungen werden verstärkt nachgefragt – und das nicht nur in Branchen mit Produkten, die weitestgehend von der Stange kommen.
Natürlich kommt niemand auf die Idee, eine hochkomplexe Produktionsstraße über einen Onlineshop zu vertreiben. Ersatzteile oder Verbrauchsmaterialien lassen sich aber in nahezu allen Branchen über eine E-Commerce-Lösung anbieten. Das entlastet langfristig auch den Vertrieb, der mehr Zeit für beratungsintensive Produkte gewinnt – egal ob in der Videokonferenz oder bei einem persönlichen Termin. Denn auch das ist eine Entwicklung, die mich beeindruckt – und begeistert – hat: Gerade auch mittelständische Unternehmen haben sehr pragmatisch und erfinderisch auf die Krise reagiert.
Wenn ein mittelständisches Unternehmen Dich fragen würde, welche Parameter bei der Digitalisierung aus Deiner Sicht am wichtigsten sind, was wäre hier Deine Antwort?
Auch wenn es banal klingt: Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach. Übertriebener Perfektionismus ist ein absoluter Killer, dann plant man Ewigkeiten und kommt doch nicht vom Fleck. Die digitale Transformation ist ein Prozess: Entscheidend ist, überhaupt anzufangen – vieles ergibt sich dann auf dem Weg. An der nötigen Inspiration mangelt es dem Mittelstand definitiv nicht, wenn ich mir die kreativen Problemlösungsstrategien und Produkte „Made in Germany“ anschaue.
In konkreten Digitalisierungsbegriffen gesprochen: Wer mit einem MVP-Ansatz anfängt, sammelt Datenpunkte und kann davon ausgehend agil weiter planen. Diese ersten Etappensiege geben dann wiederum Mut für die nächsten Schritte. Und auch Rückschläge sind kein Untergang, sondern wertvolle Lektionen. Steve Jobs hat nicht umsonst erklärt, er sei besonders stolz auf die Projekte, die er beerdigt hat. Den Mut haben, ein Projekt nicht totzureiten, sondern prozessbegleitend stets einen ehrlichen Blick auf die Daten werfen und direkt anzuerkennen, wenn ein Projekt scheitert – das ist Teil des Erfolgs.
Kannst Du ein Praxisbeispiel für ein mittelständisches Unternehmen geben, das mit einer oder mehrere Produkte der Adobe Experience Cloud ein neues Digitalisierungslevel erreicht hat?
Da fällt mir sofort die Carl Zeiss Meditec AG ein. Allein indem das Unternehmen die Datensilos der Marketingabteilung und des Vertriebs aufgebrochen und einen nahtlosen Leadflow zwischen den Teams ermöglicht hat, konnte das Unternehmen seine Customer Experience entschieden verbessern. Dafür setzt die Marke auf Marketo, um alle sowohl an Off- als auch an Online-Touchpoints erhobenen Kundendaten zentral in ein Power BI Dashboard zu überführen und für alle Abteilungen zentral und übersichtlich aufzubereiten. Das ermöglicht eine granulare Auswertung aller vorliegenden Informationen und entsprechend zielgerichtete Kampagnen.
Abschließend kannst Du noch einen kurzen Pitch für Adobe abgeben. Warum sollten mittelständische Unternehmen neben Photoshop, InDesign und Acrobat, die in Teilen ja quasi alternativlos sind, beispielsweise auch im Bereich E-Commerce-, Content-Management- und Analytics-Software auf Adobe Produkte setzen?
Knapp gesagt: Weil es funktioniert. Als Privatpersonen sind wir inzwischen von Apple und Co. extrem gut gemachte Kundenerlebnisse gewöhnt – das wirkt sich auch auf unsere Erwartungen im B2B-Bereich aus. Auch wenn ich als Business-Einkäufer vielleicht auf Basis vorgegebener Parameter entscheiden sollte: Eine gelungene Customer Experience beeindruckt einfach.
Natürlich ist uns klar, dass ein mittelständisches Unternehmen zahlenmäßig nicht mit der Marketingabteilung von Apple mithalten kann – doch das heißt nicht, dass es dort nicht auch kreative Köpfe gibt. Unser Anspruch ist deshalb auch im Bereich Marketingt-Technologien, den Verwaltungsaufwand für Anwender*innen so gering wie möglich zu halten, indem wir Tools anbieten, die intuitiv funktionieren und nahtlos miteinander agieren.
Vielen Dank für Deine Zeit und das Gespräch!

Interviewpartner
Hartmut König
ausgewiesener Experte für digitales Marketing, Customer-centric IT und effiziente Transformationsprozesse im Unternehmen
Hartmut König ist ausgewiesener Experte für digitales Marketing, Customer-centric IT und effiziente Transformationsprozesse im Unternehmen. Seine Vision ist es, die neuen Möglichkeiten aktueller und zukünftiger Technologien in Zeiten digitaler Transformation in begeisternde Kundenerlebnisse zu übersetzen. Seine Karriere bei Adobe begann Hartmut König bereits 2004 und ist heute als Head of Solutions & Strategy und als Chief Technology Officer Central Europe für die Lösungen der Experience Cloud verantwortlich.
Neben seiner langjährigen Erfahrung in der Beratung und im Projektmanagement ist Hartmut König Experte für digitale Transformation und begleitet seit 2011 aktiv den Adobe Transformationsprozess. In rund 15 Jahren bei Adobe bekleidete Hartmut König diverse leitende Positionen und verantwortete Projekte in den Bereichen Consulting, Pre-Sales Solutions Consulting und als Director des Specialist Sales Team. In dieser Zeit sammelte er vielfältige praktische Erfahrungen mit der Umsetzung komplexer Software Projekte und legte frühzeitig einen Fokus auf die Themen User Experience und Customer Experience. Weitere wichtige Stationen seiner Karriere waren m+s Elektronik AG, Objective Software und SDL.