Fünf Schritte zur richtigen Marketplace-Strategie

Während die meisten Einzelhändler hierzulande wegen der Auswirkungen von Covid-19 um ihre Existenz bangen, erfährt der E-Commerce aktuell eine nie da gewesene Akzeptanz und erreicht neue Zielgruppen. Viele Kunden verlagerten in den letzten Wochen Einkäufe zunehmend ins Netz und dürften diese Gewohnheiten langfristig beibehalten. Das belegt beispielsweise eine jüngst veröffentlichte Umfrage des Digitalverbandes Bitkom. Darin gibt jeder fünfte Verbraucher an, seit dem Ausbruch der Corona-Krise mehr im Internet bestellt zu haben als zuvor.1 Eine Entwicklung, die anhalten könnte, wie eine Studie des Marktforschungsinstituts Kantar bestätigt: Darin sagen 32 Prozent der Befragten, dass sie auch nach der Krise mehr Onlinekäufe tätigen wollen.
Am meisten wird davon Amazon profitieren. In diesem Jahr will der Onlineriese aus Seattle weltweit bis zu 200.000 neue Mitarbeiter einstellen, um der boomenden Nachfrage gerecht zu werden. Trotz des Corona-Crashs konnte der Börsenwert seit Jahresbeginn um knapp 40% gesteigert werden. Amazon ist schon heute das mit Abstand beliebteste Versandhaus der Deutschen. Im Jahr 2019 wurden hierzulande über 22 Milliarden US-Dollar umgesetzt, das Warenangebot wird auf weit über 250 Millionen Artikel geschätzt. Rund 18 Millionen Prime-Kunden gibt es in Deutschland, ein Drittel von ihnen beliefert Amazon bereits mit eigenen Zustelldiensten. Allein 44 Logistikstandorte betreibt Amazon mittlerweile in Deutschland – 20 mehr als noch vor einem knappen Jahr.
Diese Marktmacht färbt auch auf das Verhalten der User ab. Noch bis vor kurzem ebnete die Suchmaschine Google den meisten Menschen den Weg ins Netz. Egal, was gesucht wurde, es wurde zuerst gegoogelt. Wenn es heute aber um die Suche nach Produkten geht, ist die Vormachtstellung von Google gefallen. Einer Umfrage von Etailment zufolge starten inzwischen 82 Prozent aller Deutschen ihre Produktsuche für einen Onlinekauf bei Amazon. Sie sparen sich dadurch einen Umweg: Sie suchen dort, wo sie mit größter Wahrscheinlichkeit auch fündig werden und sofort den Kauf abschließen können.
Überraschend ist angesichts dieser Zahlen allerdings, warum viele Unternehmen ihren Usern auf diesem Weg nicht folgen wollen. Marketplaces wie Amazon zählen zwar zu den bevorzugten Shoppingadressen. Dennoch konzentrieren sich viele Hersteller und Händler in ihrer Onlinestrategie auf den eigenen Shop. Sie zögern, auf anderen Plattformen aktiv zu werden, weil sie den Aufwand scheuen oder nicht über das nötige Know-how verfügen. Damit aber versäumen sie es, an dem wachsenden wirtschaftlichen Erfolg der Marketplaces zu partizipieren.
Denn – und das ist die zweite wichtige Entwicklung in diesem Bereich: Der Erfolg von Amazon hat im E-Commerce eine gewaltige Bewegung ausgelöst. Aus großen Onlineshops wurden Marketplaces. Vor vier Jahren öffnete Zalando seine Plattform für externe Händler und löste damit eine Sogwirkung aus, sodass seitdem auch andere Unternehmen den neuen Vertriebskanal nutzen.
Händler und Hersteller haben damit aber auch ein Problem: Sie stehen einem zunehmend unübersichtlicheren Angebot an Marketplaces unterschiedlichster Couleur gegenüber. Allein in der DACH-Region gibt es inzwischen über 170 Marketplaces, Tendenz stark steigend. Natürlich bedienen einige von ihnen dezidiert Nischen, andere sind im B2B-Bereich unterwegs. Das schmälert aber nicht ihren wachsenden Einfluss: Rein rechnerisch liegt der Anteil, der im gesamten E-Commerce in Deutschland über Marketplaces umgesetzt wird, bei rund 28 Prozent.
Für Hersteller und Händler ist es also nötig, sich mit den Mechanismen von Marketplaces auseinanderzusetzen. Denn wer sich dort zurechtfindet, kann sein Geschäft relativ mühelos ausbauen. Im Gegenzug heißt das: Wer ihnen fernbleibt, verzichtet auf Umsatz. Aus unserer Zusammenarbeit mit vielen Kunden konnten wir fünf Leitlinien definieren, die für eine erfolgreiche Marketplace-Strategie kennzeichnend sind.
Schlüssige E-Commerce-Strategie
Eine schlüssige Strategie bildet die Grundlage einer erfolgreichen Marketplace-Präsenz. Viele Hersteller und Händler in Deutschland bieten ihre Waren heute zwar über Marketplaces an. Eine aktuelle Umfrage der Internet World Business liefert allerdings erschreckende Belege dafür, wie wenig professionell sie ihr Marketplace Business betreiben. 17 Prozent können nicht beziffern, wie hoch die Umsätze über diesen Kanal eigentlich sind, womit auch eine effiziente Aussteuerung unmöglich wird. Jeder zweite Befragte bezeichnete sein Know-how über Amazon als „mittel“ bis „schlecht“ – ebenfalls keine günstige Voraussetzung zur Optimierung der Rentabilität.2
Richtiges Verständnis von Marketplaces
Wer in Deutschland von Marketplaces spricht, meint vor allem Amazon. Damit wird aber nur ein unzureichendes Bild der Marketplace-Wirklichkeit skizziert. Neben Amazon und eBay haben sich längst zahlreiche andere Marketplaces etablieren können, darunter eben auch Zalando, Otto oder auch Real. Zudem gewinnen Plattformen wie Rakuten oder Alibaba zunehmend an Bedeutung. Vielen Managern ist aber nicht bewusst, welche Vertriebsformen sich für Händler und Hersteller innerhalb dieser Ökosysteme ergeben. Sie verkennen damit auch die Vorteile, die sich ihnen durch aufstrebende Marketplaces oder Newcomer wie Real bieten können.
Sinnvolle Priorisierung der Vertriebskanäle
Etwa 84 Prozent aller deutschen Onlinekäufer haben in den vergangenen zwölf Monaten bei Amazon eingekauft. Jetzt, während der Corona-Krise, hat der Onlinehandel noch einmal zugelegt. Und einiges weist darauf hin, dass sich dieser Trend weiter verstärkt. Dennoch liegt der Fokus des Topmanagements auf dem klassischen Handel. Die Unternehmen fürchten vor allem eines: den zusätzlichen Aufwand, der mit mehr Engagement im Internet verbunden ist. Auch mangelndes technisches Wissen stellt für sie eine Hürde dar. Vertriebskanäle der Vergangenheit und Gegenwart sind nicht die Umsatzquellen der Zukunft.
Richtlinien und Tools zur übergreifenden Steuerung
Grundsätzlich gilt bei der Internationalisierung des Onlinegeschäfts: Je höher der Gesamtumsatz, umso internationaler das Geschäft. Allerdings werden auch hier die Ressourcen nicht annähernd ausgeschöpft. Die Steuerung der verschiedenen Marketplaces erfolgt oftmals isoliert und dezentralisiert über verschiedene Landesgesellschaften hinweg. Verhindert werden könnte dies mit verbindlichen Governance-Richtlinien oder entsprechenden Guidelines. Diese helfen dabei, einen uneinheitlichen Markenauftritt, eine inkonsistente Preispolitik sowie Ineffizienzen in Marketing und Vertrieb zu vermeiden. Zudem stellt ein entsprechendes Toolset eine weitgehend automatisierte länder- und plattformübergreifende Steuerung von Marketplaces sicher. Hierfür ist eine zentrale Datenbasis notwendig, die sämtliche plattformspezifische Informationen bündelt.
Passende Ressourcenallokation
ur wenige Unternehmen beschäftigen dezidiert Mitarbeiter und Experten für das Management von Marketplaces. In den meisten Fällen übernehmen klassische Vertriebsmitarbeiter den Part, denen allerdings das plattformspezifische Know-how fehlt. Viele Unternehmen scheuen den Aufwand, entsprechend geschultes Personal aufzubauen oder qualifizierte Agenturen zu engagieren. Daneben mangelt es an der Bereitschaft, in die nötige technologische Infrastruktur zu investieren. Mit dem entsprechenden Toolset könnte eine weitgehend automatisierte länder- und plattformübergreifende Steuerung der Marketplaces vorgenommen werden.
Mit der richtigen Marketplace-Strategie kann man diese Barrieren abbauen und Widerstände in Engagement umwandeln. Wichtig ist es, mit dem richtigen Partner das passende Framework zu entwickeln. Denn die Zahl der Marketplaces wird weiter wachsen. Der User wird sich daran gewöhnen, dass er auf einer Plattform ein Angebot verschiedener Hersteller und Händler findet – aus dem In- und Ausland. Diese Chance sollte man nutzen. Schließlich erhält man damit auch Zugang zu Kundengruppen, die bislang nicht erreicht werden konnten.
Autor
Maximilian Wäger
Senior Consultant bei The Nunatak Group
Als Senior Consultant entwickelt Maximilian Wäger für Nunatak-Kunden branchenübergreifend digitale Wachstumsstrategien. Als ausgezeichneter Publizist für Management Consulting hat er sich auf die digitale Transformation etablierter Konzerne spezialisiert. Wäger hält Masterabschlüsse im Bereich Strategie und International Business Development der ESB Business School und der Edinburgh Napier University. Vor seinem Einstieg bei The Nunatak Group im Februar 2018, war er unter anderem bei Siemens und Deloitte Deutschland tätig.
maximilian.waeger(at)nunatak.com
www.linkedin.com/maximilian-wäger
Autor
Dr. Fabian Göbel
Partner bei The Nunatak Group
Dr. Fabian Göbel ist Partner bei der auf Digitalstrategien spezialisierten Unternehmensberatung The Nunatak Group – seine Schwerpunkte sind hier digitale Strategieprojekte, vor allem im Bereich digitales Marketing. Branchenübergreifend hat er zahlreiche Projekte für internationale Unternehmen aus Europa, den USA sowie Asien realisiert. Vor seinem Einstieg bei The Nunatak Group war Dr. Fabian Göbel Strategieberater bei Monitor Deloitte – zuvor hatte er an der Ludwig- Maximilians-Universität München in Betriebswirtschaft (Strategisches Markenmanagement in Social Media) promoviert.