Corona – nur Krise oder auch Chance?
Erfahrungsberichte von sechs Unternehmen verschiedener Branchen

Die Coronakrise hat uns in den letzten Wochen – ja sogar schon fast Monaten – vor große Herausforderungen gestellt. Veranstaltungen wurden abgesagt, Produktionen stillgelegt, Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, Geschäfte geschlossen... Deutschland arbeitet(e) von zuhause aus. Aber findet man in dieser Krise unter all diesen Problemen vielleicht auch ein kleines bisschen Hoffnung, eine Chance, eine echte Verbesserung zu vorher? Vielleicht einen Wertewandel, der bitter nötig war? Ich habe mit verschiedenen Unternehmen gesprochen, welche Maßnahmen sie ergriffen haben und welche Learnings sie für sich aus der Krise mitnehmen können.
Zuerst ein paar Worte zu mir: Ich bin als Marketing- und Eventmanagerin bei der TechDivision angestellt – einem Dienstleister für Digitalisierungsprojekte. Neben der Implementierung von Webprojekten beraten wir unsere Kunden bei der Digitalisierung vorhandener Geschäftsprozesse. Seit Mitte März sind wir nun im Homeoffice und auch wir als Unternehmen, das in der digitalen Welt zuhause ist, haben uns Fragen gestellt, wie z. B.: Wie hält man das Gemeinschaftsgefühl am Leben? Wie funktionieren Kundenmeetings? Wie ersetzen wir einen kurzen Plausch an der Kaffeemaschine? Fühlen sich einige Mitarbeiter vielleicht einsam? Wie bekommt man ein Gefühl für das Befinden der Mitarbeiter??
Kundentermine, Strategiemeetings, Personal- und Einstellungsgespräche, Onboarding und das Treffen an der Kaffeemaschine… all das halten wir gerade remote ab. Viele dieser Maßnahmen waren für uns anfangs eine Herausforderung und natürlich kann das Remotearbeiten nicht das “Live und in Farbe” ersetzen, aber wir machen das Beste draus und sind oftmals überrascht, dass einiges online genauso gut oder sogar besser funktioniert. Ich denke, die Coronakrise hat bei uns bewirkt, dass weniger Meetings gemacht werden, mehr asynchron kommuniziert wird und Mitarbeiter in Zukunft – auch nach der Krise – häufiger remote arbeiten werden
Wir bei der TechDivision sind ca. 130 Mitarbeiter – aber wie sind Unternehmen mit mehr als 50.000 Mitarbeitern mit der Krise umgegangen? Wir als TechDivision leben online und digital – aber wie haben sich andere Branchen geschlagen? Kommen kleine Unternehmen generell besser klar als große? Welche Learnings nehmen Unternehmen für sich mit? Wie ist die Stimmung? Gibt es eventuell sogar einen Mindshift bzw. Wertewandel in der deutschen Unternehmenslandschaft? All diese Fragen wollte ich mir nicht länger nur selbst stellen und habe deshalb sechs Unternehmen befragt.
Die Interviewpartner
1.) Adobe
Mein erster Interviewpartner ist Adobe. Das Softwareunternehmen machte im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von 11,17 Mrd. US-Dollar und beschäftigt weltweit über 22.000 Mitarbeiter. Wir haben mit einer Mitarbeiterin aus dem Bereich Digital Experience Marketing und dem Director Commercial Sales Central Europe gesprochen.
2.) Hochschule in Bayern
Wir haben zwei Angehörige einer Hochschule in Bayern interviewt.
3.) dpool
Weiter geht’s mit dpool – einem IT-Beratungsunternehmen mit sieben Mitarbeitern und Sitz in München. Mein Interviewpartner war der Geschäftsführer des Unternehmens.'
4.) Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau
Ich habe mich außerdem mit dem CFO eines Unternehmens im Maschinen- und Anlagenbau unterhalten, das weltweit ca. 2.600 Mitarbeiter beschäftigt.
5.) Ericsson EAG Rosenheim
Einer meiner Interviewpartner war der Director Innovation & Research bei Ericsson EAG Rosenheim, Weltmarktführer im Bereich Kommunikationstechnologie und -dienstleistungen mit Hauptsitz in Stockholm. Weltweit arbeiten ca. 99.000 Mitarbeiter bei Ericsson.
6.) Finanzdienstleister
Last but not least sprach ich mit einem Mitarbeiter eines Finanzdienstleistungsunternehmens aus Bayern mit rund 1.000 Mitarbeitern.
Wie wurde in den Unternehmen auf die Coronakrise reagiert? Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um die Mitarbeiter/das Unternehmen zu schützen?
Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Alle Unternehmen, die befragt wurden, haben als Top-Maßnahme “Homeoffice” zu Beginn der Krise angegeben.
Bei Adobe arbeiten weltweit alle Mitarbeiter im Homeoffice. Da schon immer viel von zuhause aus gearbeitet wurde, gelang das problemlos. Die Umsetzung der Corona-Maßnahme wird von den zwei Befragten als “sehr gut” und “perfekt” eingeschätzt. Um dafür zu sorgen, dass alle Homeoffices gut ausgestattet sind, unterstützte Adobe jeden Mitarbeiter außerdem mit bis zu 500 Dollar Aufwandsentschädigung. Die Schutzmaßnahmen bleiben aktuell bis Ende 2020 bestehen. Richtig gut, vielleicht sogar besser als vorher, läuft die Online-Zusammenarbeit. Dadurch, dass viele Kollegen ihre Kamera einschalten, werden die Meetings persönlicher. Laut den Befragten läuft das “Teamwork” super.
Neben der Maßnahme Homeoffice wurden für Mitarbeiter bei dpool, die nicht von zuhause aus arbeiten konnten, die Arbeitsräume im Büro aufgeteilt. Auch wenn man sich nicht geplant auf einen solchen Fall vorbereitet hat, gelang es, mithilfe der Team-Arbeitsweise und der technischen Infrastruktur quasi nahtlos umzustellen. „Bei uns ist der enge Kontakt ohnehin täglich gegeben, aber in der Krise und mit zwei Corona-Fällen im Team haben wir gelernt, noch mehr aufeinander Acht zu geben als vorher schon“, so der Geschäftsführer von dpool.
Auch die befragte Hochschule aus Bayern setzte vor allem zu Beginn von Covid-19 auf 100% Homeoffice. Selbst das Onboarding neuer Mitarbeiter wurde komplett remote durchgeführt, was viel besser funktionierte als erwartet. Die neuen Mitarbeiter waren sehr engagiert und dankbar für die Möglichkeit, remote eingearbeitet zu werden. Auch wenn die Serverleistung sowie die Anzahl an verfügbaren Laptops für alle Mitarbeiter (weil es keine zu kaufen gab) anfangs nicht ausgereicht hat, konnte man schnell reagieren und sukzessive ausweiten, sodass sich das Homeoffice sehr gut eingependelt hat. Die Kommunikation läuft gut und “Treffen” sind online auch trotz weiter Entfernungen problemlos möglich.
Unternehmen Nummer 4, das im Maschinen- und Anlagenbau tätig ist und weltweit 2.600 Mitarbeiter beschäftigt, erarbeitete einen dezidierten Pandemieplan mit Schwerpunkt auf Homeoffice mit dem Ziel, die Mitarbeiter zu schützen und Infektionsketten zu verhindern. Ohne die Mitarbeiter, die sich leicht auf die neue Situation einlassen konnten und engagiert dabei waren, wären die Maßnahmen nicht so erfolgreich umzusetzen gewesen. Dank der großartigen Arbeit der IT-Abteilung und einer langfristigen Strategie bezüglich geeigneter Tools und der richtigen Infrastruktur war das Unternehmen gut vorbereitet. “Wir fahren jetzt langsam seit 1. Juni wieder hoch, wollen aber weiterhin einen guten Anteil unserer Mitarbeiter im Homeoffice belassen”, schildert der CFO des Maschinen- und Anlagenbauers die aktuelle Situation.
Auch bei Ericsson EAG Rosenheim setzt man auf Homeoffice sowie auf Reise- und Besuchseinschränkungen. Da jeder Mitarbeiter ein Handy und einen Laptop mit Office 365 sowie einen Remote-Login für Simulationstools besitzt, schätzt der Director Innovation & Research die Situation zu Beginn der Coronakrise als sehr gut ein. Auch jetzt sind die Mitarbeiter, die es ermöglichen können, im Homeoffice, ohne dass die Produktivität darunter merklich leidet. Durch den täglichen Austausch machte man die Erfahrung, dass die Kollegen online “näher zusammenwachsen”.
Beim Finanzdienstleister aus Bayern mit rund 1.000 Beschäftigten wurden 20 verschiedene Schutzmaßnahmen eingeführt, u.a. wurde Homeoffice ausgebaut sowie das Arbeiten zu versetzten Zeiten und in Einzelbüros eingeführt. An Besprechungen kann remote teilgenommen werden. Natürlich werden Abstandsregeln eingehalten und Desinfektionsmittel angeboten. Der von uns befragte Mitarbeiter schätzt, dass die IT-Abteilung aufgrund der Rahmenbedingungen vor Corona (hohe Sicherheitsanforderungen/Ausmaß an Remote vor der Krise) Hardware/Geräte anfangs nicht ausreichend bereitstellen, dieses Problem jedoch flexibel lösen konnte. Das Mindset der Mitarbeiter gleicht einem bunten Bild über alle Hierarchieebenen hinweg. Viele Kollegen erachteten die Remotearbeit als selbstverständlich. Andere Mitarbeiter hatten den Wunsch, obwohl sie zu Beginn 100% remote arbeiten wollten, nach einigen Wochen wieder komplett ins Büro zurückzukehren.
Welche Herausforderungen stellten sich Unternehmen durch Maßnahmen wie Homeoffice & Co.?
Die folgende Abbildung zeigt, vor welchen Herausforderungen die befragten Unternehmen zu Beginn der Coronakrise standen.

Und die Stimmung?
Wir haben alle sechs Interviewpartner gefragt, wie sie die Stimmung innerhalb ihres Unternehmens bewerten würden. Ein Befragter eines Unternehmens hat die Stimmung als “sehr gut” eingeschätzt. Alle restlichen Unternehmen vergeben eine “2”. Antworten mit schlechter als 2 gab es nicht.

Was wurde ausprobiert, was man wahrscheinlich ohne Corona nicht ausprobiert hätte?

Welche Tools wurden genutzt? Eine Sammlung.
Die folgende Grafik zeigt, welche Tools von den Interviewpartnern genutzt werden.

Was hat die Pandemie gezeigt? Hat Corona möglicherweise ein Bild der Organisation der Zukunft gegeben? Was sind die größten und wichtigsten Erkenntnisse?

Die Mitarbeiter bei Adobe werden voraussichtlich bis Ende 2020 im Homeoffice arbeiten. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass remote arbeiten sehr gut funktioniert. Da die Mitarbeiter auch schon vorher viel im Homeoffice gearbeitet haben, war das Unternehmen perfekt vorbereitet. Die Befragten gehen davon aus, dass auch in Zukunft dezentral gearbeitet wird, weniger Veranstaltungen stattfinden werden und das Reisen stark abnehmen wird.
Die Hochschule aus Bayern setzte v.a. zu Beginn auf 100% Homeoffice. Auch das Onboarding neuer Mitarbeiter wurde komplett remote durchgeführt. Fazit nach einigen Monaten: Die Vernetzung der unterschiedlichen Standorte wird sich durch die Gewöhnung an digitale Meetings/Kommunikation stark verbessern. Laut den Befragten hat die Hochschule einen riesigen Schritt bezüglich der Digitalisierung in der Lehre und Mitarbeiterführung gemacht. Es wurde die Erfahrung gemacht, dass Entscheidungen schneller getroffen werden können, weil viel mehr Dinge remote gehen, als gedacht.
Ein Learning für dpool aus München ist, dass sie wohl in Zukunft weniger gemeinsam im Büro, allerdings näher beieinander sein werden. Ihr Unternehmen der Zukunft ist flexibler und trifft sich häufiger in Onlinemeetings – auch mit den Kunden. In Workshops werden digitale Hilfsmittel benutzt. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass man sich auf eine mögliche nächste Krise nicht nur praktisch, sondern auch materiell vorbereiten wird.
Der CFO im Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau schildert nur positive Erfahrungen mit Homeoffice und Remotearbeit: “Was mich stolz macht, ist, wie meine IT-Mannschaft und auch wie die ganze Firma die Situation flexibel aufgegriffen hat.” Er geht davon aus, dass das Unternehmen in Zukunft stärker auf Homeoffice setzen wird als in der Vergangenheit. Aktuell arbeitet man eh gerade an einigen Themen rund um die Führungskultur im Unternehmen. Die Erfahrungen, die in den letzten Wochen während Corona gemacht wurden, werden natürlich einfließen.
Bei der Ericsson EAG Rosenheim wird es definitiv weniger Dienstreisen geben. Generell wird mehr online stattfinden. Die Learnings der letzten Wochen werden als sehr positiv wahrgenommen. “Führen mit Visionen und Zielen, damit jeder ohne Unterbrechung weiterarbeiten kann. Die Mitarbeiter werden selbständiger und übernehmen damit mehr Eigenverantwortung.”, so zeichnet der Director Innovation & Research das Bild der Organisation in der Zukunft. Die für ihn wichtigste Erkenntnis aus den vergangenen Monaten ist, dass wenn alle zusammenstehen und die Nöte aller berücksichtigt werden, auch alle an einem Strang ziehen und sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Mein Interviewpartner beim Finanzdienstleister aus Bayern berichtet, dass es bei ihm und vielen anderen Mitarbeitern einen enormen “Technikschub” und damit weiteren Schritt in Richtung Digitalisierung gab. Man traf sich häufiger in Videokonferenzen als je zuvor. Für ihn ist eine differenzierte Betrachtung notwendig: Wann macht Homeoffice mehr Sinn? In welchen Situationen funktioniert das Remotearbeiten nicht? Wann doch? Seine größte Erkenntnis ist, dass das Vertrauen an die Mitarbeiter gestiegen ist.
Fazit
Insgesamt wurden sechs Unternehmen verschiedener Branchen mit unterschiedlicher Mitarbeiteranzahl befragt. Das Münchner IT-Beratungsunternehmen dpool mit sieben Mitarbeitern stellt das kleinste, Ericsson mit ca. 99.000 Mitarbeitern weltweit das größte Unternehmen unter den Befragten dar. Die Top-Maßnahme bei allen Unternehmen ist, die Mitarbeiter komplett ins Homeoffice zu schicken. Herausforderungen, die die Unternehmen bezüglich der Remotearbeit sahen, waren u.a. die Trennung von Arbeit & Privat, die Mitarbeiterführung, die Bereitstellung der (technischen) Infrastruktur, die Einsamkeit, Motivation und Überlastung der Mitarbeiter u.v.m. Die Stimmung intern schätzten jedoch alle Unternehmen trotz der Maßnahmen als gut oder sehr gut ein. Bei vielen wird Homeoffice auch nach Corona fester Bestandteil bleiben – auch wenn man sich natürlich darauf freut, die Kollegen bald wiederzusehen.
Insgesamt kann man wohl davon ausgehen, dass Corona den Unternehmen ihre digitalen Schwächen offengelegt hat und bei allen Befragten einen zusätzlichen Schub für die Digitalisierung ihrer Prozesse bedeutete. Die Interviews haben mir gezeigt, dass alle Unternehmen – unabhängig von der Mitarbeiteranzahl – unheimlich schnell auf Covid-19 reagiert haben, um die Mitarbeiter zu schützen und Infektionsketten zu verhindern. Unternehmen, die digital gut aufgestellt waren, profitieren in dieser Zeit. Allen anderen hat die Krise gezeigt, was sie vielleicht in den letzten Jahren verpasst haben und schnellstmöglich aufholen müssen.
Insgesamt finde ich persönlich gut, dass die Krise offenbar dazu führt, dass sich die Einstellung zum Homeoffice und Remotearbeiten wandelt und Mitarbeitern, die remote arbeiten, mehr Vertrauen entgegengebracht wird.
Autorin
Anna-Maria Müller
Marketing- und Eventmanagerin bei TechDivision
Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Anna-Maria Müller ist seit Ende 2018 bei der TechDivision GmbH als Marketing- und Eventmanagerin angestellt. Als “Head of Meet Magento DE” prägt sie die Strategie, das Konzept und das Wesen der Meet Magento DE – dem größten Event rund um die Shopsoftware Magento im deutschsprachigen Raum. Außerdem ist sie bei TechDivision für das Marketing des Geschäftsbereichs “Agile Coaching und Consulting” verantwortlich und in dieser Funktion unter anderem auch Organisatorin des jährlich stattfindenden Agile Scale Camps in München.
www.techdivision.com
a.mueller(at)techdivision.com