Wie Sie in Ihrer Organisation Ziele setzen
Mit OKRs für Fokus und Alignment sorgen

Wollten Sie schon mal gesünder leben? Laut Statistischem Bundesamt haben Sie mit 60% Wahrscheinlichkeit Übergewicht – oder sogar starkes Übergewicht, wenn Sie ein Mann sind. Au Backe! (Als Frau nur 40%, bravo.) Und mit fast 23% Wahrscheinlichkeit rauchen Sie regelmäßig. Und Sie geben um die 50 Euro pro Monat für Alkohol und Zigaretten aus. Das klingt alles nicht so toll, also tun Sie was. Leben Sie gesünder!
Ab jetzt lebe ich gesünder!
Deshalb haben viele Menschen am 31.12. kurz nach Mitternacht — nach zwei Bier, drei Aperol Spritz und Sekt zum Anstoßen — den guten Vorsatz gefasst: Ab jetzt lebe ich gesünder! Am nächsten Tag lebten sie tatsächlich gesünder. Hier bietet uns das Statistische Bundesamt keine Zahlen, ich würde aber behaupten, dass 97% aller Deutschen am 1.1. gesünder leben als am 31.12.
Ab dem 2.1. wird es wieder schwierig, denn es gibt ein Problem mit dem o.g. Vorsatz: Er ist, betrachtet unter dem Aspekt wirkungsvolle Zielsetzung, kein guter, sondern natürlich ein ganz und gar schlechter Vorsatz. Er ist unscharf, nicht handlungsleitend, schlecht messbar und ganz allgemein eine Katastrophe. Sie kennen sicher das Akronym s.m.a.r.t. — Ziele sollen specific, measurable, achievable, relevant und time-bound sein. Und s.m.a.r.t. verhält sich zu OKRs, die wir gleich besprechen werden, wie ein Kinderlied zur 5. Symphonie von Beethoven. Also verzielen wir uns mal wie ein Profi... Auf gehts!
OKRs — wie Google sich Ziele setzt
Wenn Sie es machen wollen wie Google, Netflix, Twitter, die Gates Stiftung und viele, viele andere, dann benutzen Sie fürs Zielesetzen OKRs. Das steht für Objectives and Key Results: OKRs.
OKRs wurden in den 70ern von Andy Grove bei Intel erfunden und haben seitdem einen langsamen, aber unaufhaltsamen Siegeszug durch die Businesswelt vollzogen. Vor allem durch John Doerr, einen Berater bei einer Venture-Capital-Firma im Silicon Valley, fand das System in vielen Startups und großen Firmen Einzug, angefangen mit Google in den späten 90ern.
OKRs unterscheiden — einfach in der Definition, anspruchsvoll in der Umsetzung — das Was vom Wie und erzwingen, dass das Wie messbar ist. Das Was ist das Objective. Was wollen wir erreichen? Es ist ein anspruchsvolles, qualitativ formuliertes Ziel.
Die Key Results zum Objective bringen zum Ausdruck, wie wir das Ziel erreichen, eine quantitative Aussage, woran wir bemessen, ob wir unserem Ziel näherkommen. Ein Beispiel aus der Google-Welt:
► Objective: “Die Next-Generation Client-Applikation für Webapplikationen entwickeln.”
► Key Result: “Chrome erreicht bis Ende des Quartals 20 Millionen an 7 Tagen aktive User.”
OKRs: Weniger ist mehr
Anstatt sich nun 1000 Dinge vorzunehmen und nichts davon zu schaffen, beschränkt man sich bei OKRs auf ca. 3 bis 5 Objectives. Und für diese definiert man ca. 2 bis 5 Key Results. Wenn wir uns nicht darauf besinnen können, was die fünf wichtigsten Dinge sind, die wir in einem Jahr, respektive einem Quartal erreichen wollen, wird klar: Es mangelt uns an Fokus. Und wenn es uns nicht gelingt, mit 2 bis 5 metrischen Aussagen greifbar zu machen, ob wir Impact in Richtung unseres Ziels haben, dann haben wir nicht genug nachgedacht. OKR zwingt uns zu Disziplin und Klarheit.
„THERE ARE SO MANY PEOPLE WORKING SO HARD AND ACHIEVING SO LITTLE.“ — Andy Grove
OKRs sind transparent, herausfordernd und skaliert
OKRs werden für alle in der Organisation sichtbar gemacht, vom Junior-Teammitglied bis hin zum CEO. Alle können alles sehen. Das hat zumindest zwei Effekte: Wir können prüfen, ob unsere Ziele gut zu den Zielen des Unternehmens passen, wir können uns alignen. Und wir machen für alle transparent, was wir uns vorgenommen haben, das nimmt uns in die Pflicht. Sie kennen das: Wenn sie sich mit einem Freund verabreden, ins Fitnessstudio zu gehen, ist die Chance größer, dass Sie es tun. Wenn sie allen Freunden erzählen, Sie wollen mit dem Rauchen aufhören, ist die Chance größer, dass Sie es tun. Transparenz ist gut fürs Commitment.
So sorgen OKRs für ein skaliertes System von Zielsetzung im Unternehmen. Wir sehen, was die Ziele des Unternehmens bzw. der “Schicht über uns” sind, und können so sinnvolle Ziele für uns definieren, die dazu passen. Bei Google und vielen anderen, die OKRs verwenden, setzt man sich dabei übrigens nicht Ziele, die man sicher erreicht. Vielmehr setzt man sich sog. Stretch Objectives. Das sind Ziele, die über das einfach Machbare hinausgehen. Wenn wir uns immer nur das Machbare vornehmen, so die Philosophie, kommen wir weder zu richtig guten Ideen noch zu Höchstleistung.
Wie sorgen OKRs für Fokus?
An Fokus sind zwei Aspekte wichtig, nämlich erstens: Dass wir das, was wir machen, gescheit machen. Und zweitens: Dass wir jederzeit bewusst entscheiden, was wir alles nicht machen. Je nach Kultur und Phase der Organisation sind die beiden unterschiedlich wichtig. Je mehr sich eine Organisation professionalisiert hat, desto eher macht sie die Dinge, die sie macht, vernünftig. Meistens macht sie aber zu viel gleichzeitig. Ist eine Organisation noch beim Herausfinden, was ihr Weg der Professionalisierung ist, muss sie sich beständig fragen: Wie messen wir?
OKRs haben, wie gesagt, zwei Aspekte: Objectives — was ist wichtig und was ist im Umkehrschluss (derzeit) nicht wichtig. Sie erzwingen den Fokus auf das, was wir tun und was wir nicht tun wollen. Key Results als metrisch fassbare Abbildung unseres Wegs zu den Objectives erzwingen, dass wir genau überlegen: Wie wollen wir die Zielerreichung greifbar machen. “Gesünder leben” ist nicht greifbar, messbar, direkt umsetzbar. “5 Kilo abnehmen bis zum 15.2.” schon.
„IDEAS ARE EASY. EXECUTION IS EVERYTHING.“ — John Doerr
Wie sorgen OKRs für Alignement?
OKRs sind kein Privatvergnügen, sie werden öffentlich gemacht. Sie können voneinander abgeleitet werden. Dabei werden OKRs nicht komplett “von oben nach unten” diktiert, was die wertschöpfenden Menschen — in der OKR-Welt gern Contributors genannt — zu reinen Abarbeitern machen würde. OKRs können aber auch nicht nur “von unten nach oben” als Graswurzel-Strategie funktionieren, weil eine Organisation in aller Regel ja einen Zweck, ein Ziel, eine Strategie verfolgt, die nicht für jeden einzelnen zur Disposition steht.
Eine Faustregel ist 50/50: Die Hälfte der Objectives kommt “von oben”, die andere Hälfte wird “von unten” in Abstimmung mit den höher-leveligen OKR-Inhabern entwickelt. Die Leute an der Front haben eine gute Ahnung von dem, was am Markt passiert, haben Ideen für Innovation und sollten sich — schon aus motivationalen Gründen — einen Teil der Ziele selber vorgeben können. Denken Sie an GMail: Aus der Initiative eines einzelnen genervten Entwicklers, der mit den Mail-Programmen auf Linux unzufrieden war, entstand am Ende ein strategisch zentrales System für Google.
Wie man OKRs einführt
Es ist oft, je nach Größe der Organisation, nicht der erste Weg, OKRs über die gesamte Firma hinweg einzuführen. Besser ist es, mit ihnen in einer “Schicht” im Leadership zu starten, besser oben als unten, oder sie in einem vertikalen Segment der Hierarchie, z. B. Engineering oder Sales & Marketing. So kann ein Teil der Organisation lernen, wie OKRs funktionieren und wie man sie im Unternehmen einsetzen will, und von dort kann man das Gelernte ausrollen. Es lohnt sich dabei, einen OKR Shepherd zu finden, jemanden, der den OKR-Prozess begleitet, über ihn wacht, ähnlich einem Scrum Master in Scrum.
Ein typischer OKR-Zyklus hat drei Monate, meist die Jahres-Quartale. Man sollte 6 Wochen vor Quartalswechsel beginnen, die OKRs fürs nächste Quartal zu brainstormen, um sie zum Quartalsstart fertig zu haben. Die Erarbeitung von OKRs ist ja kein Job à la “Order by Mufti”, sie werden zwischen mir bzw. meinem Team und meinem Vorgesetzten ausgehandelt. Während des gesamten Quartals werden wir dann regelmäßig – am besten wöchentlich – gemeinsam prüfen, wo wir in Bezug auf die OKRs stehen.
► Ein kurzer Check-In: Sind wir grün, gelb oder rot? Falls rot, was könnten wir unternehmen? Was können wir tun? Brauchen wir Hilfe?
OKRs und Performance-Beurteilung: Nur entfernte Verwandte!
In einem klassischen Unternehmen ist es schlecht für mich, wenn eines meiner Projekte oder meiner KPIs rot ist. Das Problem: Wenn es negative Konsequenzen hat, wenn ich nicht alle meine Ziele erreiche, dann werde ich mir Ziele setzen, die ich auf jeden Fall erreichen kann… ohne Risiko und ohne Anstrengung. Ich wäre ja sonst dumm. Und das ist das Gegenteil von Stretch Objectives. Deswegen müssen OKRs von der Performance-Beurteilung getrennt werden. OKRs sollen anspruchsvoll Ziele sein, die uns motivieren, nach den Sternen zu greifen. Wenn wir es dann nur bis zum Mond schaffen, ist dennoch mehr gewonnen, als nähmen wir uns einfach nur vor, bis Wuppertal zu kommen.
Die Performance-Beurteilung, an der Gehaltserhöhung, Beförderung und ähnliches hängen, muss deshalb separat betrachtet werden. Und am besten nicht jährlich, sondern viel öfter. Es geht bei Performance mehr darum, wie ich Ziele setze und darauf zuarbeite, wie ich mit anderen zusammenarbeite, als ob ich meine Ziele zu 100% erreiche. Bei Google werden Leute, die ihre Ziele immer erreichen, gechallenged: Hältst du dich vornehm zurück? Bist du nicht mutig genug? Könntest du höher zielen?
„IF YOU WROTE DOWN YOUR OKRS IN 5 MINUTES, THEY PROBABLY AREN‘T GOOD. THINK.“
— Google OKR Playbook
OKRs sind nicht revolutionär — können aber eine Revolution befeuern
Das Revolutionäre an OKRs ist: Nichts. Das muss man einfach sagen. Es ist nicht revolutionär, Ziele zu setzen, es ist nicht revolutionär, das Was vom Wie zu trennen und gute Metriken zu suchen. Es ist auch nicht revolutionär, dass man Verantwortlichkeiten definiert und in die Pflicht nimmt, es ist ein bisschen, aber auch nicht wahnwitzig revolutionär, die Ziele aller transparent zu machen, und es ist nicht revolutionär, sich hohe, schwierige Ziele zu setzen, um mehr zu erreichen. OKRs sind kein revolutionäres System in dem Sinne, dass sie eine intellektuelle oder prozessuale Innovation einführen würden, bei der man sagen müsste: Wahnsinn, daran hat noch nie jemand gedacht.
Revolutionär ist aber vielleicht, die Aspekte derart zu kombinieren, und revolutionär ist vor allem: Das Ganze wirklich durchzuziehen. Auch bei OKRs gilt Ideas are easy, execution is everything. Wenn Sie OKRs einführen wollen, ist deshalb vor allem wichtig, dass Sie es ernsthaft und nachhaltig versuchen. Wenn man OKR ernst meint und durchzieht (Execution), dann kann das revolutionäre Ergebnisse haben. Darin sind sich alle einig, das wird in John Doerrs Buch, der OKR-Bibel, mit vielen interessanten Fallbeispielen schön belegt.
Autor
Sacha Storz
Agile Coach bei TechDivision
Sacha Storz ist Scrum Professional, SAFe 4 Program Consultant, Kanban Professional und Management 3.0 Facilitator. Als Agile Coach der TechDivision GmbH gestaltet er im Transformationsteam die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur bei der TechDivision. Darüber hinaus ist er als Agile Coach und Consultant in der Beratung tätig und hält seit mehreren Jahren Workshops und Talks etwa auf Konferenzen wie Agile World, Manage Agile, Agile HR, REConf und dem Global Scrum Gathering.
www.techdivision.com
s.storz(at)techdivision.com

Buchempfehlungen
► Measure what matters, John Doerr
► Radical Focus, Christine Wudtke