Programmatic Inhousing zwingt Mediaagenturen zur Transformation

Programmatic macht die Mediaagenturen überflüssig, weil Werbungtreibende das Geschäft künftig automatisiert in Eigenregie erledigen. Doch der Abgesang auf die Mittler kommt zu früh, weil den Unternehmen in der Regel die entsprechende Dateninfrastruktur und das erforderliche Know-how fehlen. Wenn Mediaagenturen hier künftig mitspielen wollen, müssen sie sich selbst transformieren. Doch die Zeit drängt: Längst bringen sich Spezialdienstleister in Stellung.
Ein Gastbeitrag von Dr. Fabian Göbel, Partner bei The Nunatak Group
Für die Mediabranche scheint Programmatic Advertising inzwischen so bedeutend wie die Zahl 42 in dem Science-Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“: die Technologie ist offenkundig die Antwort auf so ziemlich alles. Der vollautomatisierte Handel mit Werbeflächen macht das Mediageschäft nicht nur schneller, effizienter und transparenter – er verschlankt auch die Wertschöpfungsketten. Weil Werbungtreibende das Geschäft in Eigenregie betreiben, macht Programmatic Advertising die Mediaagenturen überflüssig – heißt es. Und tatsächlich: Es gibt Zahlen und Beispiele, die dies untermauern. Laut einer Studie des Interactive Advertising Bureau (IAB) von 2019 kauft nahezu jeder zweite Werbungtreibende (48 Prozent) hierzulande Werbeflächen programmatisch ein, 89 Prozent davon haben mindestens Teilprozesse ins eigene Unternehmen geholt. Unter ihnen sind Big Spender wie L’Oréal, Vodafone und Nestlé.
Klar ist: Programmatic Advertising wird das Mediabusiness grundlegend verändern. Doch der Abgesang auf die Mittler kommt zu früh, denn die neue Buchungstechnologie macht das Business durch die Automatisierung grundsätzlich zwar einfacher, im ersten Schritt wiederum aber deutlich komplexer. Warum?
- Programmatic Advertising setzt ein professionelles Data Management voraus: Data Management Plattformen (DMP) bündeln alle Kontaktpunkte, führen Offline- und CRM-Daten zusammen und ordnen diese entsprechenden Matching-IDs zu – und das geräteübergreifend. Doch die Integration aller Daten gestaltet sich in der Praxis bei vielen Unternehmen knifflig, weil viel zu häufig die Daten dezentral in einzelnen Abteilungen gebunkert werden. Hinzu kommt: DMPs wandeln sich mehr und mehr zu Predictive Marketing Plattformen, über die Vorhersagen über künftige Käufe bzw. Umsätze getätigt werden können. Das Handling solch komplexer Systeme setzt wiederum Expertenwissen voraus. Noch ist dies vor allem in den Agenturen gegeben. Das Datenmanagement gehört deshalb zu den Disziplinen, die Werbungtreibende immer noch bevorzugt outsourcen.
- Programmatic Advertising setzt eine reibungslose Schnittstellenanbindung voraus: Wenn Werbungtreibende den programmatischen Einkauf inhouse ansiedeln, wird die Wertschöpfungskette nur scheinbar übersichtlicher. Die Mediaagenturen als Mittler fallen heraus, doch zahlreiche zusätzliche Dienstleister bzw. Plattformen schieben sich dazwischen. Vor allem, wenn Unternehmen ihre DMP direkt mit der Demand Side Plattform (DSP) zu einer Art Hybrid zusammenschließen, ergeben sich zahlreiche neue Schnittstellen – etwa mit Trade Desks, Sell Side Plattformen (SSPs) bzw. auch Ad Exchanges. Doch in der Praxis krankt es noch viel zu oft an einer reibungslosen Anbindung, weil die unterschiedlichen technischen Systeme sich häufig eben nicht so ohne weiteres synchronisieren lassen. Damit droht eine systemische Insuffizienz.
- Programmatic Inhousing setzt internes Know-how voraus, denn Werbungtreibende sind plötzlich mit zahlreichen neuen Themen konfrontiert – Fee-Strukturen, Consent Management, Ad-Verification und, und, und. Fehlt hierzu das fachliche Wissen, ist ein Scheitern programmiert.
- Programmatic Inhousing setzt eine neue Personalstruktur voraus. Ob hybride Jobprofile in agilen Teams oder zentraler Data-Hub im Unternehmen: Programmatic Inhousing verändert interne Strukturen, Prozesse und Job-Descriptions. Weil hier gleichermaßen Marketing, IT und Personal integriert sind, setzt dies ein reibungsloses abteilungsübergreifendes Zusammenspiel voraus. Hinzu kommt: Über interne oder auch externe Schulungen wird sich entsprechendes Know-how in der erforderlichen Tiefe kurzfristig kaum aufbauen lassen. Doch der Personalmarkt an Fachkräften ist leergefegt. Auch das spricht aktuell noch für die Mediaagenturen.
- Programmatic Inhousing setzt andere ROI-Kalkulationen voraus. Neues Personal, neue Technologien, zusätzliche Gebühren für DSPs, Brand-Safety-Tools und die Nutzung zusätzlicher Daten: All diese Investments stehen einer Kostenersparnis für das externe Media-Buying gegenüber. Doch viel entscheidender ist, inwieweit sich durch das Inhousing die Qualität in der User-Ansprache verbessert – KPIs wie Abverkauf oder Brand Awareness damit besser erreicht oder sogar übertroffen werden.
Wenn Mediaagenturen weiter mitspielen wollen, müssen sie ihr Dienstleistungsportfolio also anpassen. Es geht künftig viel weniger um den rein technischen Prozess, das Media-Buying für Kunden programmatisch abzuwickeln. Das werden die Werbungtreibenden tatsächlich sukzessive bei ihren Dienstleistern abziehen. Doch weil die damit verbundenen Herausforderungen im ersten Schritt bleiben, ergeben sich für Mediaagenturen neue Beratungsleistungen – etwa die Werbungtreibenden schulen, Datenstrukturen für Programmatic bei Kunden schaffen oder auch fachkundige Manager aus den eigenen Reihen als Projektverantwortliche und Consultants abstellen. Wir sehen, dass international und auch hierzulande in diesem Bereich gerade ein neuer, stark nachgefragter Dienstleistertypus entsteht – ein Hybrid aus Mediaagentur und Unternehmensberatung. Wollen Mediaagenturen dem eigenen Bedeutungsverlust entgegenwirken, müssen sie sich selbst transformieren. Andernfalls werden sie von den neuen agilen Media-Data-Start-ups komplett abgehängt.
Autor
Dr. Fabian Göbel
Partner bei The Nunatak Group
Dr. Fabian Göbel ist Partner bei der auf Digitalstrategien spezialisierten Unternehmensberatung The Nunatak Group – seine Schwerpunkte sind hier digitale Strategieprojekte, vor allem im Bereich digitales Marketing. Branchen-übergreifend hat er zahlreiche Projekte für internationale Unternehmen aus Europa, den USA sowie Asien realisiert. Vor seinem Einstieg bei The Nunatak Group war Dr. Fabian Göbel Strategieberater bei Monitor Deloitte – zuvor hatte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Betriebswirtschaft (Strategisches Markenmanagement in Social Media) promoviert.