Wenn die Alarmglocken läuten, flüchten sie in den Playroom.

Das gängige Innovationsnarrativ ist ein falscher Fünfziger, denn es suggeriert, dass Unternehmen am Fortschritt scheitern, weil sie nicht gut genug die Zukunft vorhersagen können. Das ist nur eine Seite der Medaille, leider die unwichtigere, wie Beispiele zeigen. Lesen Sie hier über die andere Seite von Innovation.
Dieser Text hat das Ziel, Ihnen den Klang von Alarmglocken beizubringen. Sie sollen laut läuten, wenn Ihnen jemand was „vom Pferd“ erzählt. Das passiert heute im Umgang mit Innovation nämlich auffällig häufig; im Grunde immer dann, wenn von Technologien die Rede ist, von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz, oder von neuen Geschäftsmodellen oder wenn laut von Disruption gesprochen wird.
Diese Dinge sind alle nicht falsch, sie passieren, sie faszinieren und jede Firma muss sie genauestens inspizieren. Aber sie verfälschen das Bild von Innovation und Fortschritt, weil sie suggerieren, dass man nur weit und klug genug in die Zukunft blicken muss.
Das ist leider nicht besonders wichtig. Sony sah lange vor anderen den MP3-Player kommen, nur reagieren konnten sie nicht. Blackberry (oder RIM) wusste längst, was mit einem Browser im Taschenformat alles möglich ist, nur reagieren konnten auch sie nicht. Das liegt an der Art und Weise, was Innovation mit einem Unternehmen macht: Alles Neue stellt die Art und Weise in Frage, wie das Alte hergestellt wurde. Es geht bei Innovation nicht um das Hinzufügen von Technologien oder Geschäftsmodellen. Sondern darum, das bestehende System aus funktionierenden Arbeitsschritten neu zusammenzusetzen. Mit dem kleinen Detail, dass man das alte System kaputt machen muss und nicht genau weiß, ob das Neue auch funktionieren wird. Der erwartbare Gewinn bei allem Neuen liegt in der Zukunft und ist nicht beweisbar, im gleichen Atemzug schnappt die Kompetenzfalle zu, nämlich der Irrglaube, dass die gleiche Praxis, die zu einem früheren Erfolg geführt hat, auch zu einem zukünftigen führen wird. Hinzuzufügen ist hier der Weg des geringsten Widerstands, der immer der falsche ist.
Architectural Innovation setzt Bestehendes neu zusammen
Die beste Abhandlung zum Umgang mit Fortschritt ist 20 Jahre alt und analysiert messerscharf, warum so viele erfolgreiche Unternehmen am Umgang mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen scheitern. “Architectural Innovation” beschreibt in seiner Essenz das Rekonfigurieren eines bestehenden Systems, um seine Komponenten neu miteinander zu verbinden. Wichtig dabei: es geht um bestehende Komponenten. Was nicht heißt, dass die Bestandteile eines Produkts nicht auch verändert und verbessert werden – aber es ist eben nicht die Hauptarbeit. Mit “Architectural Innovation” beschreiben Rebecca Henderson und Kim Clark, dass die traditionelle Kategorisierung von Innovationen als “inkrementell” oder “radikal” unvollständig und potenziell irreführend ist und nicht die manchmal verheerenden Auswirkungen von scheinbar geringfügigen Verbesserungen bei technologischen Produkten auf die etablierten Industrieunternehmen berücksichtigt.
Machen wir es plastisch! Mit Lego. Zu wissen, was ein einzelner Lego-Baustein kann, beschreibt das Fachwissen über die einzelnen Komponenten eines Produkts. Unternehmen lernen mit der Zeit, die einzelnen Bausteine perfekt zusammenzustecken und wahnsinnig komplexe Dinge damit zu bauen – zum Beispiel Autos, Onlineshops oder Kaufhäuser. Zu wissen, wie man die Bausteine zusammensetzt, ist das Wissen über die Architektur des Systems hinter dem Produkt. Jetzt ist es für Unternehmen nicht besonders schwer zu sehen, welche neuen Bausteine in Zukunft kommen könnten. Das ist ihr Job! Nehmen wir an, es gibt plötzlich einen dreieckigen Lego-Baustein. An und für sich nicht spektakulär, er hat die gleichen Eigenschaften wie alle anderen Bausteine. Aber mit ihm lassen sich neue Gebilde bauen, ganz andere Konstruktionen. Plötzlich ist man gezwungen, das funktionierende alte Bauwerk, hochkomplex und über die Jahre gewachsen, auseinanderzubauen, um zu sehen, was sich mit dem dreieckigen Baustein bauen lässt. Wer macht sich die Mühe, alles Funktionierende abzubauen, um zu sehen, was er Neues aufbauen könnte, das vielleicht funktioniert? Niemand, eben!
Das Grundprinzip der architektonischen Innovation ist es also, Bestehendes neu zu verbinden und damit neue Interaktionen und neue Verknüpfungen mit anderen Komponenten im etablierten Produkt zu erzeugen. Wichtig ist, dass das Kerndesign hinter jeder Komponente – und das damit verbundene naturwissenschaftliche und ingenieurwissenschaftliche Wissen – gleichbleibt. Innovation ist nicht hinzufügen, sondern neu zusammensetzen.
Der Playroom schafft Platz für echte Innovation
Wenn die Alarmglocken läuten, flüchten sie in den Playroom. Damit haben wir die besten Erfahrungen gemacht. Konkret sieht das so aus: Veränderung bekommt einen festen Ort im Unternehmen, einen Raum, in dem die Teams so zusammenarbeiten, wie das ganze Unternehmen in Zukunft arbeiten sollte: kollaborativ und interdisziplinär, strukturiert arbeitend auf Basis von Nutzer-Feedback, mit möglichst wenigen und gut vorbereiteten Meetings. Immer mit Minutes, mit Tools, die die Arbeit erleichtern, weil sie Kommunikation erleichtern und Anschlussfähigkeit herstellen und offenen Türen, um Fortschritt auch zugänglich zu machen.
Ein Playroom verfolgt das Ziel, im kleinen und kontrollierten Rahmen das System “Firma” zu irritieren: Muss ein Meeting so aussehen? Wieso werden Entscheidungen nicht auf Basis von Insights getroffen? Warum schreibt niemand in Meetings mit? Warum ist die halbe Organisation mit dem Übersetzen von Arbeitsständen in Powerpoint beschäftigt?
Die Architektur eines Prozesses, eines Produktes oder eines Unternehmens verändert man nicht, indem man Technologie hinzufügt und nicht, indem man Organigramme verschiebt. Veränderung braucht einen Nukleusmoment, aus dem heraus man Arbeit, Prozesse und am Ende die Organisation neu zusammensetzt. Veränderung entsteht durch steigende Beteiligung all derer, die an konkreten Projekten mitarbeiten. Sie tragen das Gelernte zurück in den Alltag und irritieren in ihren jeweiligen Abteilungen den Status Quo.
Ein Playroom ist der erste Schritt, die Architektur eines Unternehmens zu verändern. Ein kleiner, aber ein kontrollierbarer Schritt, aus dem sich die Organisation von innen heraus verändert. Die Effekte sind enorm! Wir beobachten immer wieder, dass ein Playroom die Abstimmung zwischen Projektteam und Management extrem vereinfacht und beschleunigt. Niemand muss mehr aufwändig Dokumente vorbereiten, sondern nur noch das Management einladen und durch den Raum führen. Ein Raum schafft eine Schutzzone, hier ist es einfacher für Mitarbeiter, sich auszuprobieren .Da ein Playroom kein Lab in Berlin ist, profitieren auch die echten Mitarbeiter von New Work. Die neu gelernten Tools werden direkt in Projekten angewendet, ein Lerneffekt tritt automatisch ein.
Wer dem gängigen Innovationsnarrativ weiter folgt, sollte sich Wasserrutschen ins Büro stellen und viele Workshops halten über die heile tolle Welt der Möglichkeiten. Alle anderen, nämlich diejenigen, die Innovation ernst nehmen, sollten die Alarmglocken hören, in den Playroom gehen und anfangen, die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit zu verändern. Und aus einem kleinen, kontrollierten Rahmen heraus ihr eigenes System neu zusammenbauen.

Autor
Marcus Naumann verantwortet die Strategie und inhaltliche Führung der Kunden der Strategieberatung child in Frankfurt am Main mit Schwerpunkt Organisationsberatung, Retail-Innovation und e-Commerce.