Soziale Verantwortung vs. Customer Experience: Was will der Konsument wirklich?

Für Marketer wird es immer schwieriger, den richtigen Weg für den Umgang mit Konsumenten zu wählen. Denn immer öfter wird von Unternehmen verlangt, dass diese Haltung zu Themen wie Umwelt- und Klimaschutz oder Menschenrechte beziehen. Accenture hat einen Namen für das Phänomen gefunden: „FromMetoWe“, also „Vom Ich zum Wir“.
Während lange Zeit das Prinzip „Gib MIR was ICH will“ galt, sehen viele Konsumenten sich heute als Teil eines Kollektivs, das gemeinsame Ideale vertritt und die Welt verbessern will. Das Problem für Marken: Nicht alle Konsumenten halten die gleichen Themen für wichtig und nicht alle Konsumenten wollen zugunsten von Nachhaltigkeit auf Komfort beim Shoppen verzichten.
Eine Studie zeigt, dass die Mehrheit der Konsumenten von Marken eine bestimmte Haltung verlangt. 62 Prozent wollen, dass Unternehmen sich zu Themen wie Nachhaltigkeit, Transparenz und faire Arbeitsbedingungen positionieren. Über die Hälfte (53 Prozent) beschwert sich, wenn eine Marke durch Äußerungen oder Aktionen auffällt, die als moralisch fragwürdig angesehen werden. 47 Prozent der Kunden wenden sich in solchen Fällen von Unternehmen ab. Und 17 Prozent von ihnen kommen nie wieder zurück. Kein Wunder also, dass Marken immer mehr Wert auf soziale Verantwortung legen. Sie kommunizieren ihre Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit und geben sich transparent, wenn es um den Umgang mit Ressourcen, Angestellten und Kunden geht. Im Hinblick auf Letztere stehen nicht mehr schnelle Conversions im Mittelpunkt, sondern langfristige Beziehungen, die auf gemeinsamen Idealen beruhen.
Das klingt zunächst sehr positiv, doch aus der Marketingperspektive hat die Sache einen Haken: Zwar fordern Konsumenten, dass Unternehmen sich für Nachhaltigkeit einsetzen, doch kaufen sie immer noch Wasser in Plastikflaschen, bestellen Unmengen von Artikeln im Internet und produzieren damit gewaltige Mengen an Treibhausgasen und Verpackungsmüll. Es scheint also, dass auf der einen Seite das Bedürfnis steht, den Planeten zu schützen, auf der anderen Seite jedoch wenig Bereitschaft, auf den gewohnten Komfort zu verzichten. Für Marketer bedeutet das, dass sie sich auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Konsumenten einstellen müssen. Um das Thema Nachhaltigkeit kommt heute kaum eine Marke herum. Entscheidend ist, wie man damit umgeht.
Der Konsument als Individuum
Konsumenten wissen, dass sie heute mehr Macht haben, als jemals zuvor: Zwei Drittelsind davon überzeugt, durch Social Media oder die Teilnahme an Protestaktionen Einfluss auf die Positionierung von Marken nehmen zu können. Vor diesem Hintergrund befinden wir uns heute in einer Relationship Economy: Marken müssen den Konsumenten als gleichberechtigten Stakeholder betrachten und sich auf individueller Ebene mit ihren Zielgruppen auseinandersetzen. Zentrale Fragen, die sich dabei stellen: Wie wichtig sind Nachhaltigkeitsthemen für potenzielle Kunden und auf welche Art kann man sie sinnvoll in die Marketingstrategie integrieren?
Soziale Verantwortung hat viele Facetten: Wer sich beispielsweise für Tierrechte interessiert, wird nicht auf eine E-Mail klicken, in deren Betreffzeile etwas von Recycling steht. Eine derartige Maßnahme könnte sich nicht nur als wirkungslos erweisen, sondern auch als geschäftsschädigend. Denn 74 Prozent der heutigen Konsumenten erwarten, dass Marken sie als Individuen behandeln und nicht als Teil einer generischen Zielgruppe. Marken müssen also herausfinden, was ihren Kunden konkret wichtig ist. Irrelevante E-Mails sind der zweithäufigste Grund, warum Konsumenten Newsletter abbestellen (der häufigste Grund sind zu viele E-Mails).
Sinnvoller Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen
Marken wie Knorr und Lipton verzeichnen ein enormes Wachstum, seit sie das Thema Nachhaltigkeit fokussieren. Sie wachsen 50 Prozent schneller als andere Marken im Unilever-Portfolio und sind für 60 Prozent des gesamten Konzernwachstums verantwortlich. Dennoch bedeutet Nachhaltigkeit nicht immer automatisch mehr Profit. Radikale Veränderungen in den falschen Bereichen können Kunden vergraulen und sich negativ auf die Verkaufszahlen auswirken. So erging es dem US-Textilienhändler Land’s End. Dort entschloss man sich vor einiger Zeit, aus Nachhaltigkeitsgründen keinen Print-Katalog mehr auszuliefern. Das Unternehmen hat durch den Bestellrückgang 100 Millionen Dollar verloren – weil es offensichtlich nicht wusste, was dem Kunden wirklich wichtig ist.
Data-First = Consumer-First
Für Marketer ist es unerlässlich, die Aktivitäten und damit die Bedürfnisse des Kunden fortlaufend im Blick zu behalten und ihre Maßnahmen entsprechend anzupassen. Dabei gilt es, sich langsam heranzutasten und zunächst die Reaktionen des Kunden auf verschiedene Botschaften und Themen zu testen. Gleiches gilt im Hinblick auf Komfort. Nicht jeder Kunde will mehr für schnellen Versand bezahlen. Nicht jeder findet es toll, mit einem Chatbot zu kommunizieren, auch wenn dieser rund um die Uhr verfügbar ist. Deshalb müssen Marketer jede Interaktion mit dem Kunden einzeln bewerten, um letztlich zu einer ausgefeilten, personalisierten Kommunikationsstrategie zu gelangen. Das alles ist nur dann möglich, wenn entsprechende Daten in Echtzeit erfasst und verarbeitet werden. Mithilfe geeigneter Software lassen sich datenbasierte Kundenprofile erstellen. Dabei geht es sowohl um Verhaltensdaten, die auf sämtlichen Kanälen gesammelt werden, auf denen der Konsument aktiv ist, als auch beispielsweise um Standortdaten oder Daten zur aktuellen Verkehrssituation, die es für Marken ermöglichen, unmittelbar auf die Situation des Konsumenten zu reagieren.
Me and We
Manche Marketer haben das Glück, für ein Unternehmen zu arbeiten, dessen Ziel es ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Manche nicht. Das Wichtigste ist jedoch in jedem Fall, glaubwürdig mit den Konsumenten zu kommunizieren und sowohl die We- als auch die Me-Aspekte seiner Persönlichkeit zu berücksichtigen, denn den völlig selbstlosen Konsumenten gibt es nicht, ebenso wenig wie den völlig egoistischen. Zunächst gilt es, Vertrauen aufzubauen, sich das Opt-in des Kunden zu verdienen und damit an seine Daten zu gelangen. So wird es möglich, dem Kunden zu jedem Zeitpunkt das zu bieten, was er braucht – und erwartet:70 Prozent stimmen darin überein, dass Marken die individuelle Situation eines Konsumenten verstehen sollten, wenn sie mit ihm in Kontakt treten wollen.Was brauchen Marken, um sich vor diesem Hintergrund ihre Loyalität zu sichern? Ganz einfach: Einen vernünftigen Kompromiss zwischen sozialer Verantwortung und optimaler Customer Experience.

Autor
Alexander Handcock begann seine Karriere als Content-Marketing-Experte für das Auswärtige Amt und wechselte dann zu einer Kreativagentur, die Multichannel-Kampagnen für globale Marken wie Microsoft, Allianz und AMD entwickelte. Nach einem kurzen Aufenthalt als Leiter für Marketing und PR beim deutschen Telco-Tech-Start-Up tyntec, kam Alexander vor sechs Jahren zu Selligent Marketing Cloud. Der zweisprachige Brite, der regelmäßig auf Marketingkonferenzen in ganz Europa spricht, konzentriert seine Energie derzeit darauf, als Senior Global Marketing Director zum schnellen Wachstum der Selligent Marketing Cloud beizutragen.