Sind KMUs bereit für digitale Innovationen? Über die Bedeutung von Technologie- und Digitalkompetenz

Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) haben die Notwendigkeit erkannt, sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Doch die Entwicklung digitaler Produkte und Dienste, die Einführung digitaler Geschäftsprozesse oder übergeordnet der Betrieb digitaler Geschäftsmodelle bieten nicht nur Chancen, sondern stellen KMUs auch vor große Herausforderungen. Einen wichtigen Erfolgsfaktor stellt sicherlich der Aufbau der dafür erforderlichen Kompetenzen dar. Nur wer die entsprechenden Kompetenzen mitbringt ist im Stande erfolgreich zu digitalisieren.
Digitale Innovationen als Treiber der Digitalisierung
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung sehen sich auch kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) zunehmend mit der Aufgabe konfrontiert, sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf ihre Wertschöpfungsketten auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite entstehen durch die Digitalisierung neue digitale Produkte und Dienste. So haben viele KMUs bereits erfolgreich damit begonnen, ihre Produkte zu vernetzen. Maschinenbauer können dadurch beispielswiese (Echtzeit-) Nutzungsdaten ihrer Produkte generieren, die den Betreibern der Anlagen wertvolle Informationen über Betrieb und Effizienz zur Verfügung stellen sowie erforderliche Wartungen oder notwendige Ersatzteile ankündigen.
Auf der anderen Seite entstehen für KMUs zunehmend Möglichkeiten zur Digitalisierung von Geschäftsabläufen und -prozessen. Bereits seit mehreren Jahren werden klassische Marketing- und Vertriebsansätze vermehrt durch Onlinemarketing und mobile Kanäle ersetzt. Etwas neuer ist der Einsatz moderner Machine Learning-Software zur Automatisierung in der Dokumentenverarbeitung. Und ein drittes Beispiel stellt der Einsatz von Virtual Reality Anwendungen in Forschung & Entwicklung oder im Produktdesign dar.
Zur fortschreitenden Digitalisierung der Produkte, Dienste und Prozesse kommt übergeordnet das branchenübergreifende Wachstum an digitalen Erlös- und Geschäftsmodellen bei KMUs. Viele KMUs haben die Chancen Internet-basierter Geschäftsmodelle erkannt. So entstehen – nach dem Vorbild großer Internetplattformen wie Facebook, eBay oder Airbnb – auch im deutschen Mittelstand zahlreich erfolgreiche Internetportale. Bekannte Beispiele hierfür sind Online-Marktplätze wie das in Berlin ansässige Handwerkerportal MyHammer oder Beschaffungsplattformen für Industriekunden wie Mercateo. Ergänzend profitieren KMUs bereits seit Jahren von den Möglichkeiten des E-Commerce als neues Erlösmodell. Zudem bieten viele Unternehmen – vor allem im IT-nahen Bereich – zunehmend sogenannte Freemium-Erlösmodelle an (wie wir es beispielsweise von Dropbox oder Spotify kennen). Die in der Regel werbefinanzierte Basisversion eines Dienstes weist zwar nur begrenze Funktionalität auf, ist dafür aber kostenfrei. Die Kunden zahlen nur für die Premiumversion.
Die Beispiele zeigen, dass digitale Innovationen ein wichtiges Element der Digitalisierung von KMUs darstellen. Um die Besonderheiten digitaler Innovationen zu verstehen, hilft ein einfaches Grundmodell (Abbildung 1). Im Kern bestehen digitale Innovationen aus zwei Grundbausteinen: einer technischen und einer fachlichen Lösung. Die Wirkung einer digitalen Innovation ergibt sich erst aus deren Zusammenspiel. Eine innovative technische Lösung (z. B. eine vernetzte Produktionsanlage) bietet für sich allein genommen zunächst noch keinen Wertgewinn für die Kunden. Gleiches gilt für innovative Anwendungskonzepte auf Seiten der Fachbereiche (z. B. flexible, nutzungsabhängige Wartungsintervalle), die nicht durch entsprechende technische Lösungen unterstützt werden. Nur durch die Kombination der beiden Seiten können digitale Innovationen (in unserem Beispiel: die Nutzung von Echtzeitdaten, um bedarfsabhängig Ersatzteile für Produktionsanalgen zu bestellen) Mehrwerte generieren.
Darüber hinaus werden digitale Innovationen – anders als bei klassischen (nicht digitalen) Innovationen, wo der Innovationsimpuls in der Regel auf neue Anforderungen der Fachseite zurückgeführt werden kann – oftmals durch das Aufkommen neuer Technologien angestoßen. So führte beispielsweise die stetig zunehmende Markreife von Cloud-Technologien zu immer vielseitigeren Einsatzmöglichkeiten in der Vernetzung von Produkten. Entsprechend entstehen laufend neue Bedarfe und Anforderungen der Fachseiten nach derartigen technischen Lösungen.
Das Zusammenspiel von Technologie- und Digitalkompetenz
Die erfolgreiche Durchführung digitaler Innovationsprojekte (z. B. die Entwicklung vernetzter Produktionsanlagen) verlangt, dass KMUs auf spezielle Kompetenzen zugreifen können. Dass Kompetenzen einen wichtigen Erfolgsfaktor darstellen, ist zunächst nichts grundlegend Neues. Wohl aber hat sich der konkrete Kompetenzbedarf durch das Aufkommen digitaler Technologien und der damit einhergehenden Digitalisierung verändert. Die Entwicklung und Implementierung digitaler Innovationen – und die damit verbundene Entwicklung technischer und fachlicher Lösungen (siehe Abbildung 1) – setzt insbesondere das Zusammenspiel zweier Kompetenzen mit Technologiebezug voraus: Technologie- und Digitalkompetenz.
Bereits seit mehreren Jahrzehnten profitieren Unternehmen von ihren Fähigkeiten im Umgang mit Informationstechnologien (IT) (sprich: Technologiekompetenz). Abhängig vom IT-Bezug des eigenen Geschäftsmodells (bzw. der Produkte und Prozesse) kamen in der Vergangenheit viele Unternehmen allerdings noch mit einem relativ geringen Grad an Technologiekompetenz aus. Heutzutage stellt der innovative Umgang mit IT jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung und den Betrieb digitaler Lösungen und damit für die digitale Innovationskraft eines Unternehmens dar. Eine von uns bei KMUs in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführte Studie zeigt jedoch, dass der Aufbau von Technologiekompetenz für sich genommen zwar einen ersten wichtigen Erfolgsfaktor darstellt, digitale Innovationen aber darüber hinaus spezielle digitale Kompetenzen verlangen (sprich: Digitalkompetenz), die über den bloßen Aufbau von Technologiekompetenz hinausgehen.
Die Studie untersucht bei KMUs verschiedener Industrien 126 Projekte zur Entwicklung digitaler Produkte und Dienste. Aufbauend auf dem Grundmodell digitaler Innovationen (Abbildung 1) identifiziert die Studie drei Bereiche, in denen KMUs Digitalkompetenz aufbauen können. Erstens verlangt digitale Innovation die Kompetenz innovative digitale Technologien proaktiv zu erkennen und nachhaltig für Innovationszwecke nutzbar zu machen. Zweitens erfordert digitale Innovation die Kompetenz, basierend auf digitalen Technologien technische Lösungen zu entwickeln und zu betreiben, die als technische Grundlage für digitale Innovationen dienen. Und drittens müssen KMUs im Stande sein, die entwickelten technischen Lösungen durch innovative fachliche Lösungen zu ergänzen. Die dadurch entstehenden digitalen Geschäftskonzepte bilden die betriebswirtschaftliche Grundlage für digitale Innovationen. Zusammen können durch diese drei Kompetenzbereiche in etwa zwei Drittel der Unterschiede im Erfolg der betrachteten Innovationsprojekte bei KMUs auf die bei den KMUs vorhandene Digitalkompetenz zurückgeführt werden.
Die quantitativ angelegte Studie betrachtete neben den Bestandteilen der Digitalkompetenz auch den Erfolgsbeitrag und das Zusammenspiel von Digital- und Technologiekompetenz in Innovationsprojekten. Abbildung 2 zeigt den untersuchten Zusammenhang. Auffallend sind drei zentrale Ergebnisse: Erstens ist ein klarer Zusammenhang zwischen Technologiekompetenz und digitalem Innovationserfolg erkennbar; KMUs mit hoher Technologiekompetenz waren im Durschnitt besser in der Lage erfolgreich digitale Innovationsprojekte durchzuführen. Gleiches gilt für den Beitrag von Digitalkompetenz. Auch hier war klar erkennbar, dass KMUs mit hoher Digitalkompetenz erfolgreicher digitale Innovationsprojekte umsetzen konnten, als Unternehmen mit niedriger Digitalkompetenz. Und zuletzt zeigt die Studie, dass Technologiekompetenz einen positiven Einfluss auf die Digitalkompetenz zu haben scheint und damit auch indirekt auf den Innovationserfolg eines Unternehmens einzahlt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Technologiekompetenz bei KMUs eine wichtige Rolle in Digitalisierungsprojekten zukommt. Damit bleibt Technologiekompetenz auch im Kontext technisch getriebener digitaler Innovationen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Aber „die Würze“ liegt in der Kombination ausgeprägter Technologiekompetenz mit entsprechender Digitalkompetenz. KMUs, denen der gemeinsame Aufbau von Technologie- und Digitalkompetenz gelingt, sind gut für die Anforderungen des digitalen Zeitalters gerüstet.
Wo entstehen Technologie- und Digitalkompetenz?
Bei vielen KMUs findet – historisch bedingt – der Aufbau von Technologiekompetenz in den IT-Abteilungen statt. Die Anwender der IT-Systeme in den einzelnen Unternehmensbereichen wie Forschung & Entwicklung, Marketing, Strategie, Vertrieb oder Produktion waren nur in die Anfangsphasen der Entwicklung technischer Lösungen eingebunden. Die konkrete Umsetzung der technischen Lösungen lag „hoheitlich“ bei der IT-Abteilung. Vor dem Hintergrund digitaler Innovationen gilt es allerdings, diese Rollenzuordnung zu überdenken. IT-Abteilungen können die oben beschriebenen Zusammenhänge in der Regel nur bedingt leisten. Zu groß ist häufig deren Distanz zu Produkten und Geschäftsmodellen, zu sehr ist häufig deren Engagement auf den Betrieb von Systemen und Infrastruktur und den Schutz bestehender Systeme bedacht. Darüber hinaus müssen neue digitale Lösungen und Geschäftskonzepte systematisch in eine Organisation implementiert werden – ebenso wie technische Lösungen in eine Systemlandschaft integriert werden müssen. Entsprechend besteht Bedarf nach dedizierten digitalen Einheiten oder Geschäftsbereichen. Vor diesem Hintergrund hat sich in vielen Unternehmen der Aufbau einer sogenannten bimodalen IT (auch: „two-speed IT“) etabliert. Hier sind die klassischen IT-Abteilungen weiterhin mit der Realisierung von IT-Systemen für das Back-Office und dem Betrieb der IT-Infrastruktur betraut, gegebenenfalls noch ergänzt um die Reorganisation von Prozessen. Alles, was die Entwicklung digitaler Innovationen betrifft, erfolgt jedoch in den Digitalisierungsabteilungen. Damit entsteht in Unternehmen eine zweite Form der IT mit klarem Fokus auf eine effektive und effiziente Entwicklung digitaler Innovationen.
Wie können KMUs die erforderlichen Kompetenzen aufbauen?
Viele KMUs weisen konkreten Nachholbedarf bei beiden Formen der für digitale Innovationen erforderlichen Kompetenzen auf – und sind damit nicht ausreichend für einen erfolgreichen digitalen Wandel gewappnet. Unternehmen müssen gezielt durch interne, externe oder hybride Maßnahmen ihre Technologie- und Digitalkompetenzen erweitern (Abbildung 3). Erfolgversprechende interne Maßnahmen umfassen bspw. interne und externe Schulungsmaßnahmen, Job Rotations, funktionsübergreifende Teams, Startup-Safaris, Exkursionen in Technologie-Epizentren wie das Silicon Valley oder die Einführung von Innovationslaboren oder Creativity Labs. Von außen können die erforderlichen Kompetenzen durch die Einstellung qualifizierter Mitarbeiter, die Kooperation mit (oder Akquise von) Startups oder die Auslagerung an Dienstleister oder Dritte (Open Innovation) erworben werden. Ein weiteres effektives Mittel stellen strategische Kooperationen mit Hochschulen und Forschungsinstituten dar.

Den richtigen Mix solcher Maßnahmen zum Aufbau der erforderlichen Kompetenzen zu wählen und das für das jeweilige Unternehmen richtige Maß an Technologie- und Digitalkompetenz zu bestimmen, zählt zu den zentralen Managementaufgaben im Rahmen der digitalen Transformation. Denn nur, wer die richtigen Kompetenzen im Unternehmen vereint, wird im weiterhin zunehmenden digitalen Wettbewerb bestehen. Hilfestellung zu diesem schwierigen Unterfangen – sowie zu weiteren Themenbereichen der Digitalisierung – bietet das gerade von Prof. Dr. Thomas Hess erschienene Buch „Digitale Transformation strategisch steuern – Vom Zufallstreffer zum systematischen Vorgehen“.
Ein Beispiel für den erfolgreichen Aufbau von Digitalkompetenz
Am Beispiel eines Maschinenbauers wird klar, wie der Aufbau von Digitalkompetenz in der Praxis gelingen kann. Am Anfang der Digitalisierungsinitiative waren die erforderliche Technologie- und Digitalkompetenz nur in geringem Umfang vorhanden. Das Unternehmen hatte in der Vergangenheit nur begrenzte Anforderungen an den IT-Bereich. IT war im Unternehmen als Unterstützung für administrative und kaufmännische Prozesse anerkannt, in der Produktentwicklung oder Produktion aber nur von geringer strategischer Bedeutung. Entsprechend konnten nicht ohne weiteres interne Maßnahmen zum Aufbau von Technologie- und Digitalkompetenz durchgeführt werden. Personen, die entsprechende Trainings o. ä. durchführen hätten können, waren schlichtweg nicht vorhanden. So wurde als erster Schritt der Digitalisierungsinitiative ein eigener Digitalbereich aufgebaut, der die Digitalisierungsaktivitäten des Maschinenbauers beheimaten sollte. Für diesen Bereich wurden gezielt neue Mitarbeiter mit den entsprechenden Kompetenzen eingestellt. Zudem wurden Trainings- und Entwicklungskonzepte für bestehende Mitarbeiter durch externe Dienstleister angeboten. In Folge etablierten sich in Digitalisierungsprojekten zunehmend funktionsübergreifende (sogenannte „cross-funktionale“) Teams, bei denen zwischen den beteiligten Mitarbeitern aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen und Funktionen ein kontinuierlicher Wissenstransfer stattfindet. Ein weiterer wichtiger Baustein für den Maschinenbauer war die Kooperation mit einer Hochschule. Auf der einen Seite fand dadurch ein Wissenstransfer aus der Forschung in die Praxis statt. Auf der anderen Seite bekam der Maschinenbauer Zugang zu den Studierenden der Hochschule, die als Digital Natives und durch ihr Studium viele der erforderlichen Kompetenzen mitbringen. Zu diesem Zweck lässt der Maschinenbauer gezielt Fragestellungen und kleinere Projekte von Studentengruppen bearbeiten.

Autor
Florian Wiesböck - Mitgründer & Geschäftsleiter HW Digital Consulting
Ist Mitgründer und Geschäftsleiter der HW Digital Consulting – einer Ausgründung aus dem Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der LMU München. Dort arbeitete er bis 2019 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seiner Dissertation im Bereich „Digitale Innovationen“. Davor unterstütze er mehrere Jahre als Berater und Projektmanager verschiedene Organisationen in den Bereichen Innovationsmanagement, Strategieentwicklung und Digitalisierung. Mit der HW Digital Consulting will er seine Heimatregion Rosenheim aktiv auf dem Weg der Digitalisierung begleiten.
https://www.xing.com/profile/Florian_Wiesboeck2/

Autor
Prof. Dr. Thomas Hess - Direktor Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien (LMU München) | Mitgründer HW Digital Consulting
Ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der BWL Fakultät der LMU München. Seine Forschung beschäftigt sich insbesondere mit dem Management von Informationstechnologien und der Digitalisierung von Unternehmen. Seit vielen Jahren unterstützt er Unternehmen mit seiner Expertise in den Bereichen Digitalisierung, IT-Management und Strategieentwicklung – zuletzt verstärkt auch als Mitgründer der HW Digital Consulting.
https://www.wim.bwl.uni-muenchen.de/index.html