Denn Sie wissen nicht, was sie tun - vom Marketing-Märchen aus den 90ern

Deutsche Onlinehändler sammeln Daten, um damit... ja warum eigentlich? Es läuft alles DSGVO-konform, der Kunde freut sich auf interessante Newsletter vom Händler, der wiederrum hat die Einwilligung, Relevantes zuzusenden, verschickt dann aber nur einen digitalen Produktkatalog als Newsletter getarnt. Warum nutzen Händler die ihnen gegebenen Möglichkeiten nicht aus, um daraus Kapital zu schlagen und Umsatz zu machen? Ein Aufklärungsversuch.
Stellen wir uns mal vor, Sie interessieren sich – aus welchem Grund auch immer – für die Geschichte eines Unternehmens aus Ihrer Gegend. Oder Sie wollen einfach gerne mal hören, was das Unternehmen denn aktuell so macht und woran es arbeitet. Also rufen Sie dort an und fragen nach, ob man Ihnen ein paar Informationen geben könnte, immerhin haben Sie bereits dieses und jenes über das Unternehmen gehört, eigentlich auch nur Positives. Und auch die Produkte, die Sie bisher dort gekauft haben, waren von allerhöchster Qualität, so wie Sie es erwartet haben. Am Telefon sagt man Ihnen dann in einem freundlichen Ton: „Ja natürlich, ich freue mich Ihnen weiterzuhelfen. Wir freuen uns, wenn Menschen sich für uns interessieren! Ich schicke Ihnen unseren Produktkatalog zu! Tschüss!“
Ohne eine Antwort geben zu können legt ihr Gegenüber auf und Sie wundern sich in den kommenden Tagen, warum Sie, obwohl Sie mehr über das Unternehmen erfahren möchten, einen Produktkatalog erhalten. So hatten Sie sich das sicher nicht vorgestellt, oder?
Die traurige Realität
Viele Händler und Hersteller machen das aber genauso, nur digital – was die Sache eigentlich noch unangenehmer macht. Viele von ebendiesen senden einen Newsletter heraus, der nur aus Produkten besteht und kaum bis gar keinen redaktionellen Inhalt enthält. Und das führt die Idee eines Newsletters ad absurdum, denn ich bekomme keine News, sondern Produktinfos zugeschickt.
Viele deutsche Händler und Hersteller halten immer noch an der gleichen Form von Mailings fest wie vor 10 Jahren. Das scheint an unterschiedlichen Punkten zu liegen:
- Deutsche gaben in einer Umfrage für das sozio-oekonomische Panel (SOEP)an, dass ihre Risikobereitschaft auf einer Skala von 1 bis 10 in etwa bei 4.7 liegt. Von Grund auf sind Deutsche also nicht unbedingt sehr risikofreudig. Und leider wird korrekte und gewinnbringende Kommunikation mit Kunden immer noch als Risiko gesehen.
- Ein Händler oder Unternehmer sollte natürlich in erster Linie langfristig wirtschaftlich denken. Nun hat man also zu Beginn der 2000er Jahre im Zuge des ersten Onlineauftritts auch in ein teures System zum Versenden von Mails investiert, bei dem man mit einer längeren Lebensdauer kalkuliert. Die technische Entwicklung der letzten Jahre lässt eine solche Kalkulation jedoch nicht zu, da in immer kürzeren Zyklen gedacht werden muss. 5-Jahres-Pläne sind nicht mehr zeitgemäß, dafür ist die aktuelle Entwicklung einfach zu schnell.
- „eMail ist tot, bei mir funktioniert das auch nicht. Aber man muss ja einen Newsletter haben.“ – viele haben genau diesen sehr falschen Ansatz. Wenn Sie Fussball mit einem Medizinball spielen haben Sie zwar auch die grundsätzlichen Mechanismen des Spiels verstanden, gehen das aber völlig falsch an.
Sie als Händler müssen das Risiko eingehen und Ihren Kunden in Zukunft eine bessere Erfahrung liefern und sich dabei idealerweise nicht daran orientieren, was der Markt macht. Wer nach der Devise „Marktstandard“ im Marketing vorgeht, der bleibt auch nur Standard. Doch gerade heutzutage wollen Kunden doch begeistert werden und Sie als Händler wollen doch herausstechen und wünschen sich, dass der Kunde Sie in guter Erinnerung behält. Tut der Kunde das nicht, war er die längste Zeit Ihr Kunde, denn er kann Ihr Produkt nach Belieben durch andere Produkte aus dem Internet ersetzen.
Sie sind nicht allein
Um einen kurzen Einblick in unseren Report „Hitting the Mark – Deutschland“ zu geben, hier unsere wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Analyse zwanzig großer deutscher Online-Retailer:
- Einer von sechs Händlern versendet nach der Anmeldung zum Newsletter keine Begrüßungs-Mail. Keine Begrüßungs-Mail zu versenden ist nicht nur unhöflich, sondern hinterlässt auch einen bittern Beigeschmack beim Abonnenten, der durch die Anmeldung zum Newsletter doch bereits Interesse bekundet hat.
- 85 % der Händler versenden keine Mails nach einem Warenkorbabbruch. Eine solche Mail ist einfach eingerichtet und rettet dem Händler viel Umsatz. Global liegt diese Abbruchrate bei etwa 70 % (Baymard Institute, 2019) – schwer zu glauben, dass man von diesen 70 % nichts zurückholen kann.
- Vier von fünf Händlern führen grundsätzliche Segmentierung durch. Das ist ja erst mal gut. Aber häufig handelt es sich um eine rudimentäre Segmentierung, zum Beispiel in Form von Mann und Frau. Und das ist leider viel zu einfach gedacht. Schließlich haben nicht alle Frauen die gleichen Vorstellungen und den gleichen Geschmack, genau so wenig wie das bei Männern der Fall ist.
- Nur einer von fünf Händlern versendet rein redaktionelle Kampagnen. Natürlich darf eine Kampagne auch Werbeartikel beinhalten, aber er sollte eben auch interessant sein für den Leser und einen Mehrwert an Informationen bieten. Eine gesunde Mischung aus redaktionellen und werblichen Inhalten macht’s!
- 60 % der analysierten Händler fragen nicht nach Feedback nach einem Kauf. Will man seine Prozesse und sich selbst verbessern, ist Feedback aber unabdinglich. Wie sollen Sie denn wissen, was Ihre Kunden wollen, wenn Sie nicht danach fragen?
- Händler fragen ihre Kunden zwar meist nach der Handynummer, nutzen diese aber nie. Gerade in der heutigen Welt, wo das Smartphone ein ständiger Begleiter ist und bereits mehr als 40 % des Retail-Umsatzes über mobile Endgeräte erfolgt (IMRG, 2019) sollten Händler auch diesen Kanal erschließen. Und gerade da kann die Handynummer unterstützend wirken.
Finden Sie sich und Ihr Unternehmen in einigen dieser Erkenntnisse wieder? Dann nutzen Sie das! Man braucht die Zukunft nicht schlecht reden, wenn man jetzt anfängt, sie zu den eigenen Gunsten zu ändern.
Hoffnung naht
Um Ihnen einige Tipps mit auf den Weg zu geben, wie kleine Änderungen schon eine große Wirkung haben können:
- Versenden Sie eine freundliche Begrüßungs-Mail, in der Sie sich bei Ihrem Kunden dafür bedanken, dass er sich für den Newsletter angemeldet hat. Machen Sie doch einfach mal keine Werbung, sondern erzählen in dieser Mail etwas über Ihr Unternehmen und bewerben vielleicht nur ein oder zwei Produkte. Idealerweise führen Sie ein A/B Testing durch und schauen, wie diese Mail im Vergleich zu einer rein werblichen Mail performt. Achten Sie auch darauf, ob und wie sich Ihr Umsatz nach der Einführung dieser Mail ändert.
- Richten Sie Mails für den Fall des Warenkorbabbruchs ein, aus zwei Gründen:
- Sie können verlorenen Umsatz mit wenig Aufwand zurückholen.
- Häufige Warenkorbabbrüche haben vielleicht einen einfachen Grund im Checkout Prozess. Beschäftigen Sie sich daher mit diesem Prozess, um diesem Verhalten auf den Grund zu gehen! Auch hier hilft das Kundenfeedback.
- Segmentieren Sie mal etwas ausgiebiger als nur zwischen Mann und Frau! Angenommen, Sie verkaufen Bekleidung, so wäre doch ein Segment wie das Folgende möglich: Frauen, zwischen 25 und 35 Jahren alt, die innerhalb des letzten Jahres mindestens siebenmal Hosen eingekauft haben, aber noch nie eine Bluse.
Bei Segmentierung ist es außerdem wichtig, sich nicht auf das eigene Gefühl zu verlassen, sondern die Segmente auf Daten zu begründen. Sie glauben vielleicht, dass Produkt X sich bei einer Zielgruppe gut verkauft, wenn die Daten aber etwas anderes sagen, dann tut es mir leid, aber die Daten haben recht.
- Sprechen Sie mit Ihren Kunden! Fragen Sie nach Feedback! Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist gleichzeitig das Beste, was Ihnen passieren kann: Die Erkenntnis, was Sie bisher alles falsch gemacht haben. Hierzu eignen sich nicht nur Mails, die nach Feedback fragen, es gibt zum Beispiel auch Tools, die ein Popup erscheinen lassen, wenn der Kunde die Seite verlassen möchte. Das Wichtigste ist, dass Sie dieses Feedback einholen. Auch der Kunde wird es, unabhängig davon, ob er etwas bei Ihnen gekauft hat, in guter Erinnerung behalten, wenn seine Meinung für Sie wichtig ist.
- Probieren Sie andere Kanäle aus als E-Mail. Beispielsweise Messenger-Dienste oder einen Chatbot. Wenn Sie Ihre Kunden nach der Handynummer fragen und diese für werbliche Zwecke nutzen dürfen, dann probieren Sie es doch einfach aus. Woher wollen Sie wissen, dass es nicht funktioniert, wenn Sie es nie testen? Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass Ihre Kunden E-Mail nutzen, nur weil Sie das denken. Und heutzutage sind Sie eben nicht mehr in der komfortablen Situation, der einzige Anbieter für Ihren Kunden zu sein, also sollten Sie dem Kunden dorthin folgen, wo er ist, anstatt vom Kunden zu erwarten, dass er zu Ihnen kommt.
Ein Blick in die Zukunft
Um Marcus Diekmann, in meinen Augen einer der hellsten Köpfe der Digitalisierung in Deutschland, zu zitieren: „Was die Handelslandschaft braucht, ist Mut zum Handeln. Jetzt und radikal. Jedes Unternehmen in dieser Branche muss sein gesamtes Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen und bereit sein, sein eigenes Geschäftsmodell jeden Tag töten und durch ein noch besseres ersetzen zu wollen.“.
So radikal das klingen mag, so sehr hat er doch recht. Sie dürfen nicht an Dingen festhalten, weil Sie das immer so gemacht haben. Ruhen Sie sich nicht auf dem Erfolg aus, selbst wenn Sie jetzt vielleicht einige Änderungen vornehmen und mehr Umsatz machen. Der Erfolg von heute sichert niemals den Erfolg von morgen. Fragen Sie mal Taxifahrer nach Uber oder Hoteliers nach Airbnb. Und genau das kann auch Sie erwischen, also ruhen Sie sich nicht auf dem aus, was Sie erreicht haben. Vielleicht kommt morgen jemand, der es besser macht als Sie. Also seien Sie schneller, auch wenn das bedeutet, ein Risiko einzugehen. Aber doch lieber ein absehbares Risiko als die Insolvenz, oder nicht?

Autor
Markus Brunner - Ist seit mehr als drei Jahren im E-Commerce unterwegs sucht Markus Brunner immer nach neuen Möglichkeiten, Technologien miteinander zu verknüpfen. Damit möchte er Händlern helfen, alle gegebenen Chancen auch effektiv zu nutzen. Aktuell ist Markus bei dem Marketing Automation Anbieter dotdigital aus London für den Auf- und Ausbau der deutschen Partnerlandschaft zuständig.
markus.brunner(at)dotdigital.com
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