Wer braucht heutzutage schon eine Website?

Als Tim Berners Lee im Jahr 1990 die erste Website online stellte, war der Grundstein für das World Wide Web gelegt. Websites waren innerhalb von zehn Jahren eine Selbstverständlichkeit für Unternehmen, wenn auch nur als Abbild des Print-Katalogs. Weitere zehn Jahre später konnte es sich kaum ein Unternehmen leisten, seine Website einfach vom Netz zu nehmen. Mit dem Siegeszug von Social Media, mobilen Endgeräten und einer gewissen Standardisierung – der am Ende sogar Microsoft folgte – bewegen wir uns in ein neues Zeitalter mit neuen Möglichkeiten und Aussichten. Die Website hat bisher jeden Hype überlebt.
Der Mythos vom verlängerten Arm
Eine Corporate Website wird oft als “verlängerter Arm des Marketing” bezeichnet (nachdem der letzte Otto-Katalog bereits vor einiger Zeit ausgeliefert wurde – welche Ironie). Rücken wir die Aussage mal ins rechte Licht: Betrachten Sie Ihre Marketingabteilung lieber als den verlängerten Arm des Google-Geschäftsmodells.
Sie täten also gut daran, Ihre Gliedmaßen einigermaßen unter Ihrer Kontrolle zu halten. Und der Rumpf, an dem all Ihre verlängerten Arme (wie Facebook, Instagram, LinkedIn, Newsletter- und Marketing-Automation) angebracht sind, ist in den meisten Fällen Ihre Corporate Website. Die unterliegt Ihrer Kontrolle; Sie entscheiden, was damit passiert. Sie bestimmen die Inhalte und behalten die Rechte daran. Niemand kann es Ihnen nehmen, denn wie der Name Website schon sagt: Es ist Ihr Grundstück und Hoheitsgebiet. Durch die Datenschutzbrille betrachtet, könnte Ihren Besuchern nichts besseres passieren, denn Ihre Besucher vertrauen Ihnen zurecht deutlich mehr als Google oder Facebook.
Aber was ist mit diesem E-Commerce?
Mit klar dargestellten und gut verkaufbaren Produkten ist der Schritt zum E-Commerce nicht weit, sofern eine Nachfrage besteht oder diese mit bezahl barem Aufwand geweckt werden kann. Mit einem vernünftigen Onlineshop lassen sich Geschäftsprozesse verlagern, Kosten reduzieren und der Umsatz steigern. Doch nicht jede Unternehmung hat ein klares Produkt, das sich so einfach online verkaufen lässt. Komplexe, beratungsintensive Dienstleistungen und Produkte lassen sich nicht einfach in einen Warenkorb packen. Auch Jobs sind (trotz einiger Marketing-Gags, die Jobs über einen Shop verkaufen) keine Handelsware. Meist entscheiden sich Bewerber nicht für eine Stelle, sondern für ein Unternehmen, und das will ordentlich präsentiert sein.
Was macht jetzt aber eine erfolgreiche Website aus?
Früher war alles besser. Da gab es den Webdesigner, der dem Webmaster gesagt hat, wie die Website auszusehen hat. Und das war meist so, wie man es gewohnt war: Wie der Katalog, wie die Unterneh mensbroschüre, wie der Flyer. Wie einfach die Welt da noch war. Der Unterschied zwischen Plakat-/Katalogwerbung und einer Website ist aber so offensichtlich, dass er zunächst übersehen wurde: Direkte Interaktion. Man “berührt” Websites, man erfasst sie logisch, man kommuniziert unmittelbar. Andere Werbemaßnahmen sind meist sehr einseitig: Man erzählt etwas und hofft, gehört zu werden. Doch auch wenn man gehört wird, wer versteht heutzutage schon die Antwortkorrekt?
Eine Website folgt ganz einfachen Prinzipien. Sie sollte die Schnittmenge der Unternehmensziele und der Ziele des Nutzers sein.
1. Unternehmensziele
Was wollen Sie erreichen? In welcher Menge? Ist das überhaupt realistisch?
2. Nutzungsmotive
Was möchte der Besucher? Woher weiß ich das? Ist das die richtige Zielgruppe, die ich anspreche?
3. Wege zur Website
Warum und auf welchem Weg kommt er auf Ihre Website? Das kann komplett anders sein, wenn er auf eine Anzeige klickt, wenn er Sie über eine Empfehlung besucht oder wenn er ein fachliches Problem hat und nach einer Lösung sucht. Es geht hier nicht nur um online, es geht um alles: Um Messen, um Visitenkarten, um den Point of Sale u.v.m.
4. Vertrauen
Wie erhalte ich das Vertrauen des Nutzers? Und wie schaffe ich es, dieses nicht zu missbrauchen? Halte ich meine Versprechen? Bin ich wirklich vertrauenswürdig oder gaukle ich ihm etwas vor? Wie ernst nehme ich das Thema Datenschutz? Wie sieht es mit Produkt- und Unternehmensbewertungen aus?
5. Inhalte und Navigation
Wo ist die Information und wie wird sie aufbereitet? Ist sie verständlich geschrieben? Ist sie so geschrieben, dass der Besucher direkt dort landet? Wo auf der Website landet der Besucher denn jetzt? Wie leiten Sie ihn durch die Website? Welche Methoden der Navigation existieren? Beschreibe ich die wichtigen Attribute, die mein Unternehmen oder meine Produkte beschreiben?
6. Aktion
Was soll und will er am Ende tun? Z. B. eine Anfrage, eine Bewerbung senden? Ist das klar und deutlich gekennzeichnet? An den richtigen Stellen? Funktioniert der Prozess? Kommt die Anfrage/Bewerbung zuverlässig an? Ist der Prozess einfach genug Kontaktformulare müs sen nicht nur aus einem Feld bestehen)?
7. Erfüllung
Wie gehen Sie mit der Anfrage um? Wird sie zügig beantwortet? Erhält der Bewerber alle Informationen? Wie wird das Produkt geliefert? Beschreibe ich das auf der Website auch? “Webseite”, “Homepage”, “Internetseite”? Was ist nun richtig?
“Webseite”, “Homepage”, “Internetseite”? Was ist nun richtig?
Lange Frage, kurze Antwort: WEBSITE ist die richtige Formulierung. Homepage bezeichnet die Startseite einer Website. “Page”, “Seite”, “Internetseite”, “Webseite”, “Landingpage” etc. bezeichnen einzelne Unterseiten oder Dokumente Ihrer Website. “Site” heißt so viel wie “Grundstück”, “Ort”, ist also die Summe aller Seiten und noch einiges mehr.
Und welche Rolle spielt dabei das System?
Klare Antwort: Es kommt drauf an. Vielleicht ist es in Ihrem Fall sinnvoll, auf ein fertiges Baukastensystem wie Wix, Webflow o.a. zu setzen. Das kommt auf Ihre Ansprüche an. Daher ist wichtig zu wissen, welche Systeme eigentlich am Markt verfügbar sind und welche Vorteile diese Systeme mit sich bringen.
„Kleine” Systeme wie Wordpress, Baukästen wie Wix u. a. sind am weitesten verbreitet. Sie bieten eine große Palette an Möglichkeiten sowie Standard-Plugins und -Funktionen, sind weit entwickelt und man kann durchaus auch große und komplexe Websites damit bedienen.Sie lassen sich leicht installieren und betreiben. Deshalb werden sie auch großflächig von eher Unerfahrenen und Nicht-Technikern eingesetzt – aber gerade wenn es um größere Herausforderungen oder die Strukturierung und Individualisierung von Content geht, gerät man schnell an die Grenzen.
Für umfangreichere, individuelle Wünsche gibt es jede Menge Open-Source-Lösungen (Joomla!, TYPO3, Neos, u. a.) sowie auch lizenzpflichtige Produkte (eZ Platform, First Spirit u. a.). Zwar ist der Umsetzungsaufwand höher, es lassen sich aber auch Ihre Ansprüche besser umsetzen. Besonders wenn es um die Themen Internationalisierung, Rechte und Rollen sowie Publishing-Workflows geht, haben diese Systeme die Nase vorn. Zudem lassen sie sich meist in jede beliebige Richtung entwickeln.
Am oberen Ende setzen massive, teure Systeme an – allen voran der Adobe Experience Manager. Grundsätzlich sollte das System aber nicht die Entscheidung dominieren – wichtig sind erstmal die Rahmenbedingungen, zu denen auch z. B. gewohnte Prozesse gehören; haben Sie schon ein System im Einsatz, Ihr Redaktionsteam liebt das System und es gibt keine anderen, triftigen Gründe, die gegen eine Änderung sprechen, dann sollte das auch so in die Waagschale geworfen werden.
Bei TechDivision setzen wir auf die Systeme TYPO3 und Neos – weil wir sie beherrschen und sich die allermeisten Probleme damit sinnvoll lösen lassen. Sie bieten ein ausgereiftes Backend und jede Menge Funktionalität und Erweiterbarkeit. Und das ist mit der wichtigste Faktor: Wer hat welche Expertise? Überbewerten Sie eine Systementscheidung nicht, solange die Rahmenbedingungen und Ziele nicht klar und bekannt sind.
Wie gehe ich am besten vor?
Zu oft hören wir das Wort “Anforderungen”. Diese Anforderungen sind meist technischer Natur wie “Wir benötigen einen Blog” oder “Wir brauchen Feature XY”. Prinzipiell ist damit nichts verkehrt, aber meist fehlt den Anforderungen der Unterbau; und „Anforderungen“ hört sich so an wie ein Gesetz oder ein Kundenwunsch, den man besser nicht in Frage stellt (wer zahlt, schafft an).
Meist werden Designs entwickelt, die nett aussehen, aber nicht funktionieren. Eine Website lebt schließlich von Content und Interaktion – und die Form folgt der Funktion. Zunächst sollte man sich umfassende Gedanken über das Große Ganze machen. Eine Website findet nicht nur online statt, es gibt jede Menge Medienbrüche: Jemand besucht Sie auf der Messe, erhält Besuch vom Vertriebsmitarbeiter. Ihre Themen werden in Fachmagazinen behandelt usw. Sie haben Unternehmensziele oder Vorgaben. Und letztendlich haben Sie bereits Besucher, von denen Sie jede Menge lernen können.
Machen Sie sich die Mühe und sehen sich die Website aus jedem nur möglichen Blickwinkel an. Setzen Sie sich wirklich mit Ihrer Zielgruppe auseinander. Wir gehen dazu auch mal ins Möbelgeschäft um aus erster Hand zu erfahren, ob dem Kunden überhaupt das Produkt verkauft wird, für das er sich im Netz entschieden hat. Vielleicht ist es ja der Händler, der mehr Unterstützung braucht als Ihr Kunde. Und erst wenn man das Problem gut genug verstanden hat, kann man beginnen, sich Lösungen zu überlegen.
Man tut wiederum gut daran, diese Lösungen schrittweise aufzubauen. Nicht gleich die volle Lösung, sondern vielleicht erstmal genügend gut” um die Akzeptanz zu testen. Und die Lösungen, die gut funktionieren, kann man weiter ausbauen. Was am schlechtesten funktioniert ist: Designentwicklung -> Umsetzung -> Testing -> Go-Live. Das ist teuer und unwirksam.
Fazit
Um bei „Körperteilen“ zu bleiben: Eine Corporate Website ist und bleibt das Rückgrat Ihrer Marketing-Aktivitäten. Denn nur hier haben Sie die Möglichkeit, so zu agieren wie Sie es benötigen. Wahrscheinlich wird es Corporate Websites noch lange geben, vielleicht ändern sie ihre Form. Im 19. Jahrhundert, bevor das Automobil erfunden wurde, stanken die Städte buchstäblich zum Himmel wegen der vielen Pferdekutschen und der Exkremente, derer man nicht mehr Herr werden konnte. Der Siegeszug des Automobils war nicht zuletzt ein Siegeszug der “Luftreinhaltung” – unvorstellbar aus heutiger Sicht. Vielleicht geht es uns auch so mit Websites. Die anfänglichen Pferdekutschen wurden zu Automobilen. Ob es autonome E-Websites geben wird steht in den Sternen. Aber ähnlich wie es beim Auto wahrscheinlich immer eine sinnvolle Form der individuellen Fortbewegung geben wird, wird es eine Form der autarken, individuellen Online-Marketing-Strategiegeben, die in der Hand der Unternehmen liegt.

Autor
Stefan Regniet, seit 2012 Head of CMS Development bei TechDivision. Neben seiner Erfahrung im Bereich Entwicklung von Corporate Websites ist er Certified Scrum Professional und arbeitet mit einem diversen und crossfunktionalen Team an erfolgreichen Web-Projekten.