Vier Strategien für Digitales Neuromarketing
Wie Marketer mit Erkenntnissen aus der Psychologie ihre Konvertierungsraten erhöhen

Welche psychologischen Mechanismen beeinflussen, ob ein Kunde kauft oder nicht? Mit dieser und ähnlichen Fragen setzt sich das Neuromarketing auseinander. Die Disziplin nutzt Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie, um Vermarktungsstrategien zu entwickeln und zu optimieren. Dieser Artikel zeigt am Beispiel eines Onlineshops für Elektronik, was das Marketing von der Hirnforschung lernen kann.
Die Forderung nach Effektivität ist im Marketing allgegenwärtig: 82 Prozent der deutschen Marketingverantwortlichen messen den Einfluss ihrer Maßnahmen auf den Umsatz. Wie also können sie den Wirkungsgrad noch weiter erhöhen? Eine mögliche Antwort heißt Neuromarketing. Diese noch relativ junge Disziplin der Marktforschung untersucht die psychologischen Prozesse, die zu einer Kaufentscheidung führen. Die Anfänge liegen in den frühen 2000er Jahren, als Neuromarketing erstmals durch das Pepsi-Paradox Aufmerksamkeit erlangte: Obwohl Pepsi in Blindtests häufig besser abschnitt als sein Erzrivale Coca-Cola, war letzterer Marktführer. Die Psychologie bietet zahlreiche Ansätze, um die eigenen Angebote und Inhalte besser an den Bedürfnissen der potenziellen Kunden auszurichten. Vier der wichtigsten Strategien stellt dieser Artikel im Folgenden am Beispiel eines Onlineshops für Elektronikartikel vor.
Vertrauen in die Mehrheit
Die meisten Onlineshops bieten ihren Kunden die Möglichkeit, gekaufte Produkte zu bewerten. Der Grund dafür ist einleuchtend – viele gute Bewertungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass auch die eigene Erwartung nicht enttäuscht wird. Dieser Mechanismus wirkt auf zwei Ebenen: Kunden schauen sich einerseits bewusst die Rezensionen anderer an, um auf dieser Basis eine rationale Entscheidung zu treffen – Grundlage dafür ist die sogenannte Schwarmintelligenz, laut der eine große Menge von Menschen im Schnitt intelligentere Entscheidungen trifft als einzelne Individuen. Auf einer zweiten Ebene schaffen viele gute Bewertungen Vertrauen beim Kunden, der sich dadurch selbst nicht tiefgehend mit der Materie auseinandersetzen muss und dem Urteilsvermögen anderer folgt.
Unabhängig davon, welche Erklärung im Einzelfall zutrifft: Am effektivsten ist Werbung, wenn sie als Produktempfehlung direkt von Kunde zu Kunde weitergegeben wird – Empfehlungsmarketing ist hier das Stichwort. Dessen Wirkung ist belegt: Laut einer GfK-Umfrage sind Bewertungen ausschlaggebend für Kaufentscheidungen. Die Studie hat gezeigt, dass sich zwei Drittel der Konsumenten vor einem Kauf zunächst im Internet über die Bewertungen zu einem Produkt informieren, und rund die Hälfte von ihnen lässt sich durch diese deutlich beeinflussen.
Dabei sollte seitens der Marketer keine Scheu vor kritischen Bemerkungen bestehen, denn wer Kunden im Fall einer negativen Bewertung konstruktiv antwortet, ist authentisch und kann sein Produkt oder seine Dienstleistung weiter verbessern. Darüber hinaus ist ein gemischtes Ergebnis, das deutlich in Richtung Zufriedenheit tendiert, glaubwürdiger als 100 Prozent positive Bewertungen. Nach erfolgreichem Kauf können Marketer Kunden daran erinnern, das Kauferlebnis und Produkt zu bewerten. Wer entsprechende Anreize schafft – wie einen Rabattgutschein für künftige Einkäufe – sorgt für eine ausreichende Anzahl an Rezensionen. Viele Kunden vergessen das sonst schlichtweg.
Mit exklusiven Angeboten Begehren wecken
Der Kauf von Produkten, aber auch Erlebnisse wie Reisen, tragen zur Identitätsbildung bei. Die Sozialforschung geht davon aus, dass Konsum immer in einem sozialen Kontext steht: Zum einen verstärken Kaufentscheidungen unsere eigene Identität, zum anderen zeigen wir damit auch unseren Mitmenschen, wer wir sind. Dabei geht es Kunden zunehmend um Individualität. Spezialeditionen beliebter Produkte, aber auch Marken, die Exklusivität versprechen, erzeugen daher eine Art Sogwirkung. Bestes Beispiel dafür ist das Unternehmen Apple, das unter anderem mit seiner Hochpreisstrategie einen weltweiten Hype verursacht hat. Verantwortlich dafür ist das sogenannte „Fomo“ = „Fear of missing out“. Das Phänomen beschreibt die Sorge, ein Erlebnis zu verpassen und nicht mehr auf dem Laufenden zu bleiben. Im Beispiel des Onlineshops für Elektronikprodukte könnte der Betreiber eine Funktion einrichten, die zeigt, welche Stückzahl eines Smart-TVs oder Laptops noch auf Lager ist und wie viele Interessenten sich gerade das gleiche Produkt ansehen. Das ist nicht nur transparent gegenüber den potenziellen Kunden, sondern kann auch einen Kaufanreiz bieten und die Absatzzahlen erhöhen. Zeitlich begrenzte Angebote erzeugen ebenfalls einen Fomo-Effekt: So meldete Amazon für seinen Cybermonday 2018 einen Rekordumsatz von 7,9 Mrd. US-Dollar.
Ein Blick sagt mehr als 1.000 Worte – auch im Marketing
Bei der Bildauswahl sollte den Marketingverantwortlichen bewusst sein, dass sie mit den richtigen Motiven die Blicke und Aufmerksamkeit von Kunden gezielt lenken können. Durch Eyetracking konnte mithilfe von hochauflösenden Kameras und Infrarotlampen bereits umfassend analysiert werden, auf welche Bereiche von Websites sich der Blick und damit die Aufmerksamkeit richten. Die Ergebnisse können Marketern dabei helfen, ihre Websites so zu gestalten, dass wichtige Objekte und Calls-To-Action (CTAs) vom Betrachter Beachtung finden. Beispielsweise sollten Webdesigner Bilder von Menschen, die den Betrachter direkt anschauen, möglichst vermeiden. Denn diese wirken wie Magneten und ziehen alle Blicke auf sich – alle anderen Inhalte übersieht der Nutzer. Marketer sollten lieber Bilder auswählen, auf dem die abgebildete Person in eine andere Richtung schaut. Der Betrachter folgt instinktiv dem Blick dieser Person. Dort befindet sich also ein idealer Ort, um wichtige Elemente wie CTAs zu platzieren und damit mehr Klicks zu generieren.
Mithilfe von Priming die richtigen Erwartungen erzeugen
Das menschliche Gehirn denkt in Kategorien. Wird es verschiedenen Reizen ausgesetzt, bündelt es diese zu einem Muster, um es dann in die passende Kategorie einzuordnen. Das Priming bedient sich dieser unbewussten Verhaltensweise, indem entsprechende Reize geliefert werden. Innerhalb von Sekunden entscheidet eine Person, welche Assoziationen sie mit einer Wahrnehmung verbindet. Doch wie können Marketer dieses Wissen für sich nutzen? Am besten lässt sich die Strategie anhand des Beispiels erläutern: Die Website ist das Aushängeschild des Onlineshops für Elektronik und sollte durch ihre Aufmachung genau die Erwartungen erzeugen, die mit den Produkten erfüllt werden sollen. Eine große Rolle spielt hierbei die Gestaltung: Ein reduziertes Design mit viel Weißraum, reduziertem Farbeinsatz und schlanken, schnörkellosen Schriften wie in Abbildung 1 oben erzeugt einen hochwertigen Eindruck; der Kunde erwartet Premiumprodukte, aber auch Premiumpreise. Eine bunte Webseite mit auffälligen Effekten und störenden Elementen wie in Abbildung 2 hingegen signalisiert im Elektronikbereich eher preiswerte Produkte.
Auch die Bilderwelt auf der Website hat einen Einfluss auf die Reize des Betrachters: Steht der Laptop auf dem Produktbild in einem teuer eingerichteten Büro oder vor neutralem Hintergrund? Marketingverantwortliche sollten darauf achtgeben, dass die erzeugten Erwartungen auch zu ihren Produkten passen. Wer bekommt, was er sich beim Kauf vorgestellt und erhofft hat, ist wahrscheinlich zufrieden mit seiner Entscheidung und wird demnach eher eine positive Bewertung hinterlassen.
Fazit: Neuromarketing mit eigenen Analysen kombinieren
Mit neuen Forschungserkenntnissen steht das Neuromarketing auf zunehmend sicheren Beinen. Was derzeit in der Wissenschaft passiert, ist trotzdem immer noch Grundlagenforschung und weit davon entfernt, das menschliche Gehirn vollumfänglich zu verstehen. Die beschriebenen Strategien sind Ergebnisse einer Vielzahl von Befragungen, Beobachtungen und physiologischen Messungen und können als vergleichsweise gesicherte Erkenntnisse angenommen werden. Doch wer sich ganz auf die Theorie verlässt und die Anwendbarkeit auf seine eigenen Maßnahmen nicht überprüft, fischt weiterhin im Trüben. Es ist daher sinnvoll, die Annahmen aus der Marketing-Psychologie mit eigenen A/B-Tests, Heatmaps, Klickstatistiken und weiteren Analysen zu kombinieren.
Marketingverantwortliche sollten darauf achtgeben, dass die erzeugten Erwartungen auch zu ihren Produkten passen.

Autor
Kathleen Jaedtke leitet als Regional Marketing Manager DACH ein deutschsprachiges Team von Marketern bei HubSpot. Vor ihrer Tätigkeit bei HubSpot hat sie die Content-Marketing-Aktivitäten für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei einem führenden europäischen E-Commerce Konzern geleitet und mehrere internationale SEO-Teams erfolgreich aufgebaut.
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