Google vs. Mensch: warum menschliche Expertise weiterhin gebraucht wird

Mit jeder einzelnen der 140 Millionen täglichen Suchanfragen lernt Google etwas dazu. Wir tippen unsere Wünsche, unsere Interessen oder unser nächstes Ziel in die Suchmaschinenzeile ein – und fast jede der Suchanfragen resultiert aus unseren Wissenslücken. Was wir im nächsten Schritt mit den Informationen machen, das bleibt uns überlassen. Im Prinzip funktioniert das menschliche Gehirn ähnlich. Auch wir lernen täglich etwas dazu, manchmal merken wir es gar nicht, manchmal umso mehr. Aber in jedem Fall nutzen wir das Erlernte, um in der Zukunft Entscheidungen zu treffen, die auf diesem Wissen beruhen. Das macht uns zu intelligenten Wesen. Oder wir handeln entgegen diesem Wissen, was uns wiederum menschlich macht. Künstliche Intelligenz hingegen, wie sie bei Google eingesetzt wird, folgt vorgeschriebenen Mustern, die es nicht zulassen, einen vermeintlichen Fehler ein zweites Mal zu begehen oder eine Entscheidung zu treffen, die nicht dem logisch erscheinenden Muster entspricht. Das klingt zunächst gut. Aber ist es tatsächlich von Vorteil, stets einem vorgeschriebenen Muster zu folgen? Ist Google wirklich schlauer als ein Mensch? Trifft KI tatsächlich die besseren Entscheidungen? Oder anders gefragt: Wird menschliche Expertise in Zukunft weiterhin wichtig sein?
Wie funktioniert KI?
Um die Funktionsfähigkeit des menschlichen Gehirns sicherzustellen, tauschen Milliarden von Nervenzellen Daten aus. Dazu senden sie elektrische Impulse, die von den anderen Nervenzellen wahrgenommen und weitergeleitet werden. An dieses Konzept der Informationsvermittlung zur Entscheidungsfindung ist die Funktionsweise Künstlicher Intelligenz angelehnt.
Der entscheidende Unterschied ist dabei vor allem, dass KI innerhalb kürzester Zeit in der Lage ist, in einer immensen Masse an Daten Muster zu erkennen und diese einzuordnen. Auch das menschliche Gehirn erkennt Muster in den vorhandenen Informationen, jedoch benötigt es dabei für wesentlich weniger Daten deutlich mehr Zeit. Gerade in Zeiten von Big Data stehen Unternehmen heute mehr Informationen denn je zur Verfügung. Diese auszuwerten war bislang mit hohen Kosten und langen Arbeitsprozessen verbunden. Nun bietet KI Unternehmen die Möglichkeit, die Datenmengen verfügbar und nutzbar zu machen, indem diese analysiert und zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. Dabei orientiert sich die Technologie an den Algorithmen und an den zu untersuchenden Thematiken, die zuvor von Menschen programmiert wurden. Das heißt der Mensch findet die richtigen Untersuchungsgegenstände, die dann von der KI analysiert werden und je nach KI direkt in einer konkreten Entscheidung münden.
Derzeit steckt die KI noch in Kinderschuhen, auch wenn sie in einigen Bereichen bereits äußerst erfolgreich eingesetzt wird. Prozesse, wie etwa sich wiederholende Tätigkeiten mit einem geringen Grad an Komplexität, können bereits ohne Probleme automatisiert werden. Dabei ist von Vorteil, dass KI schnell, nicht voreingenommen, konstant leistungsfähig und äußerst genau arbeitet. Im Gegensatz dazu sind Aufgaben, die eine hohe menschliche Expertise erfordern und dementsprechend äußerst komplex sind, nur sehr schwer bzw. derzeit gar nicht automatisierbar. Dazu zählen auch Tätigkeiten, die nicht zwangsweise komplex sein müssen, aber menschliche Empathie und persönliche Kommunikation erfordern. Auch wenn künstlich intelligente Systeme menschliche Interaktion bereits imitieren können, kommen sie hier an ihre Grenzen.
Zwischen diesen beiden Extremen wird ein enormes Potenzial erkennbar. Dabei handelt es sich um jene Prozesse, die im Grunde einfach durch KI komplementiert werden können, aber derzeit noch zu kompliziert für technologische Lösungen sind.
Künstliche Intelligenz vs. Menschliche Intelligenz
Hinsichtlich der Vorteile, die Künstliche Intelligenz mit sich bringt, liegt die Frage nahe, ob und inwieweit menschliche Expertise in Zukunft noch gebraucht wird. Betrachtet man das Thema KI im öffentlichen Diskurs, so ist es genau diese Fragestellung, welche für viele beunruhigend oder sogar beängstigend ist. Dabei ist zunächst eine Charakteristik in den Vordergrund zu stellen, die die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns und die von KI unterscheidet: Wir Menschen besitzen die Fähigkeit, Informationen zu interpretieren.
KI liefert – wie beschrieben – in kürzester Zeit eine Vielzahl an Informationen. So konnte eine Künstliche Intelligenz beispielsweise innerhalb von 42 Stunden das biologische Rätsel lösen, wie das Gewebe eines Plattwurms sich selbst regenerieren kann. Forscher arbeiteten seit über 100 Jahren an der Lösung. Es liegt jedoch nun wieder an den Forschern, die richtigen Schlüsse aus diesen Informationen abzuleiten und daraus tatsächlich einen Mehrwert für die Wissenschaft zu gewinnen.
Das menschliche Gehirn kann den Informationen einen Sinn geben. Es ist in der Lage, Informationen zu interpretieren und sie einzuordnen. Ohne die Interpretation der Ergebnisse, die die KI liefert, ist die Information selbst wertlos.
Hinzu kommt, dass für den Menschen das Gesamtbild bzw. das Ergebnis ausschlaggebend ist, während sich KI lediglich an einem vorgegebenen Algorithmus orientiert und schwer auf neue Situationen eingehen kann. Es ist uns möglich, neue Informationen, die von dem eigentlichen Plan abweichen, schnell aufzunehmen und unsere Pläne umzudisponieren. Künstliche Intelligenz hingegen wird letztendlich immer zu denselben Schlüssen kommen. Der Mensch ist der KI mit seiner Flexibilität und nicht zuletzt mit seiner Kreativität einen Schritt voraus.
Kreativität bedeutet in der Lage zu sein, etwas Neues zu erschaffen oder eine Thematik nochmal völlig neu zu betrachten. Auch eine neue Lösung für ein bestehendes Problem zu finden, ist eine kreative Leistung. KI hingegen ist nicht kreativ. KI ist schnell, präzise und leistungsstark. Denn allein schon ihre Funktionsweise ist darauf ausgelegt, Korrelationen und Gemeinsamkeiten zu finden. Im Grunde funktioniert so auch das menschliche Gehirn. Jedoch brechen wir auch mit den Regeln, suchen komplett neue Ansätze und kommen so zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Der Mensch macht den Unterschied
Neben Kreativität und Flexibilität zeichnet uns interpersonale und intrapersonale Intelligenz aus. Darunter fallen die Fähigkeiten sein Umfeld zu beobachten, Emotionen zu interpretieren und über „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden. Letzteres kann die Technologie nur dann leisten, wenn sie vorher entsprechend programmiert wurden. Bei Themenfeldern, die bislang wenig oder gar nicht erforscht sind oder bei sehr komplexen Fragestellungen ist KI also unbrauchbar. Die Kombination aus diesen Eigenschaften macht den Menschen vor allem für anspruchsvolle Tätigkeiten und Bereiche, die persönliche, vertrauenswürdige Kommunikation erfordern, unersetzbar.
Im Consulting ist die Nachfrage nach Expertenwissen konstant hoch. Unternehmen wenden sich an Experten der Branche, um fundierte Informationen zu einer bestimmten Thematik zu erhalten. Sowohl persönliche Kommunikation, als auch Flexibilität und Expertenwissen sind hier gefragt. Künstliche Intelligenz kann unterstützend agieren, indem sie bestimmte Informationen bereitstellt. So glauben laut einer Ipsos-Umfrage rund 72% der befragten Marktforscher, dass ihre Arbeit durch KI bereichert wird (Ipsos, 2017). Jedoch sind es die Experten, die ein Unternehmen zukunftsweisend und dynamisch beraten und dadurch eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten. Dementsprechend meinen 75% der Befragten, dass KI nicht eigenständig agieren, sondern dem Menschen als Entscheidungshilfe zur Seite stehen wird. Gerade im Hinblick auf die rasanten technologischen Fortschritte unserer Zeit ist die Weitsicht für den nächsten Trend oder die nächste Gefahr wichtiger denn je. Nicht umsonst kannibalisieren einige der erfolgreichsten Unternehmen der Welt Teile ihres eigenen Geschäfts, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Zudem sind die Datenmengen zu bestimmten Nischenthemen zu gering, als dass sie von einer KI erfolgversprechend ausgewertet werden könnten. So ist menschliche Expertise erforderlich, um entsprechende Entscheidungen treffen zu können. Hinzu kommt, dass die persönliche Interaktion weiterhin die beste Möglichkeit bleibt, um komplizierte Sachverhalte verständlich zu machen. Die Gesprächsteilnehmer können individuell aufeinander eingehen und spezifische Fragen sofort beantworten. Nicht zuletzt wirkt sich das persönliche Gespräch positiv auf das Vertrauen zwischen Berater und Kunde aus. Bei der Zusammenarbeit und bei wichtigen Entscheidungen ist Vertrauen ein wichtiger Faktor.
Synergien nutzen – ergänzen statt ersetzen
Für viele Menschen ist Künstliche Intelligenz zum jetzigen Zeitpunkt noch befremdlich. Die Angst, dass es etwas gibt, das vermeintlich intelligenter ist als der Mensch, überwiegt die Vorteile, die KI tatsächlich mit sich bringt. Gleichzeitig wird soziale Intelligenz in Zukunft immer wichtiger. Technologische Innovationen führen dazu, dass eine erhöhte ethische Sensibilität gefragt ist und Menschen weiterhin über gesellschaftsrelevante Fragen entscheiden müssen.
Einige Berufe werden unweigerlich durch Maschinen ersetzt, was unter anderem daran liegt, dass die Datenmengen, die heutzutage erfasst werden, für das menschliche Gehirn in der Masse nur schwer zu verarbeiten sind. Nur durch die Unterstützung von Künstlicher Intelligenz können die immensen Mengen an Daten gespeichert und analysiert werden. Die Interpretation muss jedoch weiterhin dem Menschen obliegen. Denn nur mit neuen, kreativen Lösungsansätzen, der menschlichen Expertise zur Interpretation von technologisch gelieferten Informationen und dem Brechen mit dem schon Bekannten wird ein tatsächlicher Fortschritt ermöglicht.

Autor
Mathias Wengeler ist Gründer und CEO von Atheneum Partners. Atheneum ist eine globale Plattform für Marktforschung und Wissensaustausch. Die Mission des Unternehmens ist es, die Entscheidungsfindung seiner Kunden zu beschleunigen, indem die Kunden mit den weltweit besten Fachleuten und Branchenführern zusammengebracht werden. Diese Interaktionen liefern hilfreiche Erkenntnisse und kreative Ideen, die sicherstellen, dass Kunden ihr Unternehmen effizient voranbringen können. Die Plattform umfasst weltweit 400.000 Branchenexperten und Fachleute aus über 500 Branchen.
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