Online-Lebensmittelhandel: Customer Experience auf dem Prüfstand

Es ist viel Bewegung in der Online-Lebensmittelbranche. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass sich neue Anbieter vorstellen oder bestehende Unternehmen ihren Schritt in den Onlinehandel kommunizieren. Was es braucht, um im harten Wettbewerb zu bestehen, hat nun eine Studie der Fullservice-Digitalagentur Namics herausgefunden.
Ein Gespenst geht um im Online-Lebensmittelhandel. Es heißt Amazon Fresh und bietet in Berlin, Potsdam und Hamburg seinen Lieferservice an. Viele Anbieter aus Deutschland und der Schweiz setzt das unter Druck. Immerhin bietet der Konzern über 300.000 Artikel für den Wocheneinkauf an. Die Anbieter sollten darauf reagieren – aber mit welchen Maßnahmen beginnen?
Ein spannender Ansatzpunkt ist die Customer Experience. Denn was es braucht, um im harten Wettbewerb zu bestehen, ist ein positives Kundenerlebnis, das die User immer wieder in den Shop lockt. Einfacher gesagt, als getan. Mangelnde Benutzerfreundlichkeit und unpassende Angebote schrecken immer noch viele Käufer ab. Das wiederum entmutigt die Händler, ihre Ware im Shop anzubieten. Ein Teufelskreis.
Ein Weg daraus führt über eine erste Analyse der momentanen Schwachstellen. Nur wer diese kennt, kann gezielt optimieren. Aus dem Grund hat Namics eine Studie durchgeführt, die die Herausforderungen der Online-Lebensmittelhändler aus Deutschland und der Schweiz hinsichtlich Customer Experience und Usability identifiziert.

Hintergründe: Über die Studie
Die von Namics durchgeführte Untersuchung betrachtet das Kundenerlebnis entlang des kompletten Shopping-Erlebnisses: vom ersten Eindruck über die Produktauswahl und Suche sowie den Check-out bis hin zur Lieferung. Für die Analyse arbeiteten die E-Business-Experten nach der Nielsen-Regel mit fünf Probanden pro Shop. Danach können anhand mehrerer kleiner Tests mit nur drei bis fünf Probanden bis zu 85 Prozent aller Usability-Probleme aufgedeckt werden. Die Testkäufe mit den Probanden erfolgten anhand eines Remote-Usability-Tests jeweils auf dem Desktop sowie auf einem mobilen Endgerät.
Um authentische Ergebnisse zu erzielen, haben die Probanden ihre Einkaufsliste selbst zusammengestellt. Es gab nur wenige Vorgaben – zum Beispiel mussten sie Obst, Gemüse und Tiefkühlprodukte bestellen. Untersucht wurden Shops aus Deutschland und der Schweiz. Darunter Amazon Fresh, Kaufland, Mytime und REWE in Deutschland sowie Coop und Migros in der Schweiz.

Erster Eindruck – erste Schwachstellen
Der erste Blick in den Shop soll einen bleibenden Eindruck hinterlassen – im besten Fall einen positiven. Darum sollten Anbieter hier bereits punkten. Erreicht wird das zum Beispiel durch eine besondere Form der Begrüßung – Stichwort: Personalisierung – aber vor allem durch eine optimale Userführung.
Startschwierigkeiten überwinden:
Bei circa der Hälfte der getesteten Shops können die Probanden nicht zügig mit ihrem Einkauf starten. In einem der getesteten Shops erfahren Benutzer erst nach einigem Suchaufwand, welche Produkte sie wie einkaufen können, da weder die Navigation noch Produktkategorien auf den ersten Blick sichtbar sind.
Nicht auf die Intuition verlassen:
Bei fast allen Shops ist bereits der Erstkontakt mangelhaft. Die Informationen zu Bestellablauf, Garantien, Kosten und Lieferung fehlen auf den meisten Startseiten oder werden nicht wahrgenommen. Ein tiefgreifendes Problem, da diese gerade für Neukunden interessant sind. Bei keinem der acht untersuchten Shops ist es möglich, alle wichtigen Informationen auf den ersten Blick zu finden.
Produktauswahl – Shopping-Erlebnis mit Hindernissen
Während des Shopping-Prozesses kommt es darauf an, immer für den Kunden da zu sein. Darum spielen folgende zwei Fragen eine zentrale Rolle: “Wie findet der Nutzer alle gesuchten Produkte?” und “Ist online wirklich alles für den Wocheneinkauf verfügbar?”
Sinnvolle Filter gesucht:
Filterfunktionen sind in allen Shops vorhanden, aber insgesamt zu wenig auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt. Es gibt zwar Filtermöglichkeiten für Ernährungsformen oder Gütesiegel, aber keine zur Verringerung der Suchergebnisse. So sollten beispielsweise Getränke nach Geschmacksrichtung gefiltert werden können, Kartoffeln nach den Kategorien „fest-„ oder „mehligkochend“, Salami in Form von „Aufschnitt“ oder „ganzer Wurst“ und den Optionen „gekühlt“ und „nicht gekühlt“. Bei zwei der getesteten Shops empfinden die Probanden die Filter wie auch die Produkt-Kategorieseiten eher als hinderlich denn hilfreich.
Online-Wocheneinkauf Fehlanzeige:
In keinem der untersuchten Shops finden die Probanden alle Produkte, die sie sich im Vorfeld auf ihrem Einkaufszettel notiert haben. Viele der gesuchten Produkte sind nicht im Sortiment enthalten, manche erst nach mehreren Suchvarianten auffindbar und andere schlussendlich nicht lieferbar. In diesem Fall brechen die Probanden zwar in den seltensten Fällen den Einkauf ab, müssen jedoch nochmal in den Supermarkt – und werden einen erneuten Kauf online eher nicht in Betracht ziehen.
Check-out – Abschluss mit Überraschungen
Der letzte Schritt im Onlineshopping ist der Check-out. Die zentrale Frage lautet hier: “Wie leicht wird dem Kunden der Abschied, respektive der Check-out gemacht?” Viele E-Stores sind hier gut aufgestellt, dennoch gibt es einzelne Faktoren, die den Kunden eher abschrecken und einen erneuten Einkauf verhindern.
Abbruchrisiko Check-out:
Nur in einem der getesteten acht Onlineshops ist der Einkauf als Gast möglich. Alle anderen erfordern die Eröffnung eines Kundenkontos. Bei den meisten Shops ist der Check-out-Prozess einfach, übersichtlich und gut strukturiert. Allerdings können bereits kleinere Unstimmigkeiten zum Kaufabbruch führen, wie unnötige Datenabfragen, sicheres Passwort und Einwilligungen in Marketingaktionen in Kombination mit den AGB.
Kostentransparenz nicht immer gegeben:
Teilweise sind die Kosten nicht transparent genug aufgeschlüsselt. Bei der Hälfte der untersuchten Shops waren die Probanden beim Check-out vom Gesamtpreis überrascht – als dann beispielsweise Pfandgebühren, Lieferkosten oder Extra-Zuschläge (Gewicht, Tiefkühl-Aufpreis) kenntlich gemacht wurden. Dies kann bei dem einen oder anderen Kunden zum Abbruch des Einkaufs führen. In jedem Fall hinterlässt es einen negativen Beigeschmack.
Lieferung – Timing und Qualität müssen überzeugen
Nach der Bestellung ist vor der Lieferung. Jetzt müssen die Onlineshops noch einmal überzeugen. Immerhin handelt es sich bei der bestellten Ware um Lebensmittel. In welchem Zustand erreicht die Bestellung den Kunden? Erfolgt die Lieferung pünktlich?
Pluspunkt Qualität:
Generell wurde die bestellte Ware komplett geliefert und dies auch in zufriedenstellender Qualität. Nur bei frischen Waren gab es für unsere Probanden hier und da einen Grund zur Beschwerde: Bei einigen Bestellungen fehlten etwa Waren. Die Käufer wurden darauf nicht immer explizit hingewiesen und bekamen auch nur selten ein Ersatzprodukt angeboten.
Lieferung mit Optimierungspotenzial:
Die bestellte Ware kam in der Regel rechtzeitig an. Nur einer der getesteten Shops hat es nicht geschafft, im vereinbarten Lieferzeitraum zu liefern. Zwei der getesteten Shops haben die Waren in unterschiedlichen Paketen angeliefert. Einer der Shops konnte durch die kurzfristige Vorankündigung der Lieferung per SMS deutlich punkten.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt
Wer als Onlineshop die Schwachstellen in der Customer Experience erkannt hat, kann sich nun gezielt diesen Herausforderungen stellen. Dabei können die drei folgenden Handlungsempfehlungen helfen:
Reibungslosen Erstkontakt meistern:
Der Lebensmittelhandel über das Internet ist generell bekannt, aber noch nicht im Relevant Set der Nutzer. Alle Probanden, die zum ersten Mal Lebensmittel online bestellt haben, können sich nach den Tests eine Wiederholung vorstellen. Laden Sie die User daher aktiv ein, Ihren Service zu nutzen. Auf diese Weise können Sie die Einstiegshürde zum Erstkauf überwinden. Helfen Sie dem User zudem durch Parallelen zum stationären Handel, sich bei der Erstnutzung schnell zurecht zu finden.
Konsistentes Shopping-Erlebnis schaffen:
Das gesamte Erlebnis muss einfach und schnell verständlich gestaltet sein. Stimmen Sie daher die Kategorien, Navigationen und Filter individuell auf die Rubrik und Kundengruppe ab. Der Konsument ist kein Category-Management- und E-Commerce-Spezialist. Denken Sie deshalb von aussen nach innen: Ihr Kunde erwartet eine Suche, die seine Sprache spricht und ihm relevante Ergebnisse liefert.
Flexible Lieferungen ermöglichen:
Der Konsument erwartet Lieferbedingungen, die sich mit seinem Alltag vereinbaren lassen. Berücksichtigen Sie daher, dass Ihr Lieferservice zeitnahe und kurze Lieferzeiträume anbieten sollte. Halten Sie Ihren Kunden stets über seine Bestellung auf dem Laufenden. Bedenken Sie, dass er über ein schnelles, flexibles Medium bestellt hat und informieren Sie ihn daher immer möglichst schnell über nicht lieferbare Produkte, mögliche Ersatzprodukte, anstehende Lieferungen etc.
Customer Experience ist der Schlüssel zum Erfolg
Mit diesen einfachen Tipps gehen Entscheider im Online-Lebensmittelhandel den ersten Schritt in die richtige Richtung. Denn nicht zwingend die Wettbewerber wie Amazon Fresh sollten Webshops zum Handeln bewegen, sondern vielmehr die Nutzer und ihre konkreten Wünsche. Wer aus dieser Perspektive denkt und seinen gesamten Onlineauftritt danach ausrichtet, ist immer einen Schritt voraus und kann im harten Wettbewerb bestehen. Auch der Umgang mit immer neuen Gespenstern fällt damit wesentlich leichter. Alle Ergebnisse und Handlungsempfehlungen finden Sie auch in unserer ausführlichen Studie: Schwachstellen Online-Lebensmittelhandel – Customer Experience auf dem Prüfstand.
Info
Untersucht wurden die folgenden führenden klassischen Lebensmittelhändler sowie Pure Player – also Anbieter, die als Vertriebskanal ausschließlich das Internet einsetzen.
Deutschland:
Filialisten
- Kaufland
- REWE Lieferservice
Pure Player:
- Allyouneedfresh
- Amazon Fresh
- Lebensmittel.de
- MyTime.de
Schweiz:
Filialisten:
- Coop@home
- LeShop
Autorin

Julia Layton ist Principal Consultant bei Namics und begleitet Kunden bei ihren geschäftlichen Herausforderungen im digitalen Wandel. Vom Research über die Erarbeitung strategischer Konzepte bis hin zur Umsetzung komplexer Themen und Services. Vor ihrer Karriere bei der Fullservice-Digitalagentur arbeitete sie als Account Director bei Publicis Pixelpark und zuvor bei Leo Burnett. Layton studierte an der Fachhochschule Köln Wirtschaft mit Schwerpunkt Marketing und Außenwirtschaft.