Mobile: Eine Frage der Perspektive

Jeder in unserer Branche weiß, wie wichtig Mobile ist. Aber es gibt noch viele CMOs, die dem mobilen Endgerät die größte Bedeutung beimessen und sich hauptsächlich mit der Frage beschäftigen, wie sie ihr Business auf das Smartphone oder das Tablet übertragen können. Die Standardfragen lauten entsprechend: „Wie kann meine Website besser auf dem Smartphone angezeigt werden?“ Oder: „Wie verkaufe ich Tickets über das Handy?“
Diese Fragen sind sicherlich wichtig. Aber sie konzentrieren sich nicht auf die eigentlichen Herausforderungen, die durch die massive Nutzung des mobilen Internets entstanden sind. Denn dabei geht es eher um die Frage, wie ich Mobile für meine strategischen Geschäftsziele einsetzen und damit mehr Effizienz erzeugen kann – für Unternehmen, Marken und Nutzer.
Es ist also ein Fehler, nur die inhärente Mobilität zu beachten. Denn die technischen Voraussetzungen für Mobile sind überall gegeben. Es ist die Aufgabe der Marken, nicht der Hersteller, diese kreativ zu nutzen und daraus Kapital zu erzielen. Auf diesem Weg zeichnen sich in UK derzeit verschiedene Trends ab.
Lernen von den Disruptoren
Wenn etablierte Unternehmen und Marken Mobile effizienter einsetzen möchten, sollten sie disruptive Geschäftsmodelle analysieren und daraus ihre Schlüsse ziehen. Dazu müssen sie ihre eigenen Marktkenntnisse bündeln, Systeme der jungen Disruptoren übernehmen und diese verbessern. Vorbilder in UK sind beispielsweise Uber, der Onlinevermittlungsdienst für Fahrdienstleistungen, oder The Trainline, eine Plattform, über die man Zugfahrpreise suchen und buchen kann. The Trainline gilt in Großbritannien als Paradebeispiel für ein gelungenes Mobile-Angebot. Es erleichtert Passagieren die Suche nach der richtigen Zugverbindung und hilft beim Kauf eines kostengünstigen Tickets. Der einfachste Weg für ein englisches Transportunternehmen wäre es nun, sich bei Trainline einzukaufen. Ohne große Entwicklungskosten und behördliche Abstimmungsprozesse hätte der Verkehrsbetrieb damit eine funktionierende Serviceplattform für die Kunden.
Er könnte es aber auch gleich selber machen, so wie South West Trains. Das Unternehmen verkauft mehr als 230 Millionen Fahrkarten pro Jahr. Die beste Voraussetzung, um mit dieser Erfahrung ein neues System zu erfinden und aufzubauen. Und so entstand ein eigenes Online-Ticket-System von South West Trains, das die Erfahrungswerte aus dem realen Kauf einer Fahrkarte mit einbezog, dieses Know-how auf Mobile übertrug und damit den Kundenbedürfnissen viel besser entgegenkam als das System von Trainline.

Standortbasierte Dienste für den User
Mit der Zunahme der Web-Plattformen und ihren wachsenden wirtschaftlichen Anforderungen wird die Nachfrage nach standortbezogenen Diensten steigen. Derzeit konzentriert man sich allerdings eher darauf, wie die Informationen bereitgestellt werden und weniger darauf, wo sich das eigentlich vollziehen sollte. Eine aktuelle Antwort auf diesen Trend liefert Google mit seinem Dienst „Now“. Die Verknüpfung der Standortdaten mit denen der allwissenden Suchalgorithmen sowie der Datenbasis jedes einzelnen Kunden versetzt Google in die Lage, in Sekundenbruchteilen und somit unmittelbar relevante Informationen und Services zu liefern. Trotzdem zögern die meisten Marken noch, sich auf Now einzubringen. Die Plattform hat deshalb noch lange nicht das Reichweitenniveau anderer Messaging-Dienste erreicht.
Blicken wir auf Google Maps. Hier gibt es standortbasierte Dienste für Marken, wie zum Beispiel die Londoner Taxi App Hailo. Benutzer, die die Hailo App herunterladen, erhalten Zugang zu einem Reiter mit dem Namen „Fahrt-Dienste“. Der User erhält nun auf seinem Smartphone standortbezogene Informationen, wie etwa Verfügbarkeiten, Preise und die Reisezeit zum gewünschten Ziel.
Chatbots
Unter Experten gelten in diesem Zusammenhang Chatbots als zukünftige Standard-Schnittstelle, über die Benutzer mit der digitalen Welt interagieren. Die Möglichkeiten für Marken, relevante Bots einzusetzen, um mit den Verbrauchern in Verbindung zu treten, sind dabei immens. Beispiel Messaging-Plattformen: Sie werden intensiver genutzt als Soziale Netzwerke, weshalb Facebook im Jahr 2014 auch WhatsApp für die stolze Summe von 19 Milliarden Dollar erwarb. Die Prognosen sehen noch kein Ende des Booms: Bis 2017 wird sich der globale Traffic auf den Messaging-Plattformen weiter erhöhen. Chatbots leisten hier wertvolle Dienste. Die Idee: Benutzer können mit einem Service oder einer Marke über eine einfache, textbasierte Schnittstelle kommunizieren – genau so, als würden sie mit ihren Freunden chatten. Und das auf der gleichen Messaging-Plattform. Sie müssen dafür nicht die App verlassen und auf andere Services wechseln, die außer Informationen zur Marke nur wenig Zusatznutzen bieten würden.

Ob es um die Bestellung eines Taco Bell Essens geht oder um Park-Tickets, Chatbots werden sich auf breiter Front durchsetzen. Jede ambitionierte Marke prüft derzeit, wie sie auf den Zug aufspringen kann.
Soziale Zwecke
Bis vor kurzem war Soziales Engagement nur eine mehrminütige Pflichtübung der Vorstandschefs auf der Hauptversammlung. Das hat sich fundamental gewandelt: Soziale Verantwortung beansprucht heute eine zentrale Rolle in der Unternehmenskultur. Früher reichte die Botschaft: „Schaut her, wir spenden Gelder für Afrika“. Jetzt zählen nur noch echte Veränderungen. Unternehmen arbeiten inzwischen aktiv mit und entwickeln eigene Projekte. Coca-Cola organisiert beispielsweise Fitnessprogramme in Parks. Für solche Initiativen suchen Marken nach mobilen Anwendungen, die dieses Engagement unterstützen oder im besten Fall sogar so weit nach vorne bringen, dass die Aktion in einer sozialen Kampagne mündet und dadurch für Aufmerksamkeit sorgt.
Beispiel Persil mit seiner „Dirt is Good”-Kampagne: Diese Aktion zielt darauf ab, Eltern und Kinder zu Outdooraktivitäten zu motivieren. Die erste Stufe des Projektes wurde über eine hochkarätige und sehr emotionale TV- und Digital-Kampagne angeschoben. Hier wurde gezeigt, dass sogar Häftlinge mehr Zeit an der frischen Luft verbringen als ein durchschnittlicher englischer Schüler.
In der zweiten Stufe wurden die betroffenen Eltern über den Messaging-Dienst ATL animiert. Dabei lieferte die Wild Explorers App eine standortbezogene Liste mit Hunderten von Vorschlägen und Möglichkeiten, die zeigte, wo sie gemeinsam mit ihren Kindern Aktivitäten durchführen konnten.
Fazit
Die Nutzung des mobilen Internets hat sich überall durchgesetzt. Doch die Frage, wie die User angesprochen werden können, wird von vielen Unternehmen noch unzureichend beantwortet. Das liegt vor allem daran, dass sich die Verantwortlichen dem Thema häufig mit unzulänglichen Konzepten nähern – oft fehlt die userzentrierte Perspektive, technische Anpassungen stehen im Fokus und zu wenig wird berücksichtigt, was die Zielgruppe wirklich interessiert. Umgekehrt gibt es zahlreiche Belege dafür, dass mobile Kommunikation wirkungsvoll funktioniert, wenn die gesamte Bandbreite richtig genutzt wird:
Die Beispiele reichen von Chatbots über Location-Based-Services bis hin zu Kampagnen, die den User unmittelbar mit einbeziehen. Internationale Marken zeigen, wie es geht. An solchen Umsetzungen sollten sich insbesondere deutsche Unternehmen künftig orientieren. Mobile-Konzepte und -Lösungen aus aller Welt werden Ihnen Mitte September übrigens auch auf der dmexco in Köln präsentiert, der internationalen Leitmesse für die Digitale Wirtschaft.
Autor

Matt Simpson, Jahrgang 1971, studierte 1991 bis 1994 Philosophie an der Warwick-Universität. Danach startete er seine Karriere zunächst als Journalist in Hong-Kong und Australien. In Asien schrieb er für das Musik-, Fashion- und Livestyle-Magazin „Absolute“, in Down Under war er stellvertretender Chefredakteur der Programmzeitschrift „Text Pacific“ für Australiens Haupt-Kabel-TV-Netzwerk Foxtel. 2000 wechselte er zu Zone nach London. Dort arbeitete er als Herausgeber des „HomeChoice Magazin“, ein Titel des ersten britischen On-Demand-TV-Anbieters und verantwortete die BBC-Sport-Webseite für Kinder. Von 2002 bis 2003 war er stellvertretender Chefredakteur des Magazins „more!“ der Emap-Gruppe, anschließend dann selbstständig als freier Autor und Berater. In dieser Zeit entstand auch sein Buch „Leyton Orient Greats“, das 2008 veröffentlicht wurde. Bereits 2007 kehrte er zu Zone zurück. Für die Digitalagentur arbeitete er unter anderem als Redaktionsleiter, führte ein Team von 35 Journalisten und begleitete Content-Angebote für Coca-Cola, BT und Tesco. Inzwischen ist er als Managing Director für die gesamte internationale, kommerzielle und kreative Arbeit von Zone verantwortlich.
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