Fachhandel im Umbruch: Warum Hersteller auch auf digitale Vertriebsstrategien setzen sollten

Das Kaufverhalten hat sich in den vergangenen Jahren entscheidend verändert. Der Trend geht hin zur Nutzung von Online- und Multi-Channel. Infolgedessen sehen sich Händler vor der doppelten Herausforderung, in den Onlinevertrieb und in die Attraktivität der Ladengeschäfte zu investieren. Aber auch Hersteller sollten ihre Geschäftsmodelle überprüfen und ihre digitalen Vertriebswege erweitern.
Für Kunden wird es zunehmend selbstverständlich, im Verlaufe eines Kaufprozesses mehrere Kanäle zu nutzen. Am stärksten verankert ist diese Haltung bei der jungen Zielgruppe der Smart Natives. Laut einer Studie des ECC Köln können sich über 70 Prozent der Befragten 16-25-Jährigen nicht vorstellen, dass Onlineshops Geschäfte ersetzen können.1 Der Untergang des stationären Fachhandels lässt sich also aus solchen Studien nicht ableiten. Sehr klar wird jedoch: Verbraucher gehen künftig davon aus, dass sie die Wahl haben, wie und auf welchem Wege sie sich informieren, kaufen, Waren abholen oder zurückgeben – integrierte Vertriebskanäle werden also vorausgesetzt. Hier sind nicht nur die Händler gefordert, auch die Hersteller sollten ihre Geschäftsmodelle auf ihre Cross-Channel Fähigkeit hin überprüfen und den Onlinevertrieb auf- oder ausbauen. Das dient nicht nur der Risikoabsicherung gegen mögliche rückläufige Verkaufszahlen beim stationären Vertrieb, es bieten sich vor allem auch Chancen, die Unternehmensmarke für die Zukunft zu positionieren.
Am Anfang sollte immer eine Bestandsaufnahme, die Analyse und Überprüfung des bestehenden Geschäftsmodells stehen. Als erster operativer Schritt beim Aufbau digitaler Vertriebskanäle empfiehlt sich für Markenhersteller die Eröffnung eines Markenshops bzw. Markenwelt auf großen Shoppingportalen wie Amazon. Shopbetreiber profitieren hier von der hohen Bekanntheit und starken Frequentierung dieser Portale. Dass solch ein Shop auch für bekannte Marken eine Option ist und Treue zum Fachhandel nicht ausschließt, zeigt sich am Beispiel von Miele. Wie der geschäftsführende Gesellschafter der Miele-Gruppe, Dr. Rainhard Zinkann beim Mittelstandstag von markt intern konstatierte, müsse auch Miele den Kunden dorthin folgen, wo sie zu finden seien – auch zu Amazon. Miele habe den Fachhandel überzeugt, dass seine Produkte online nicht verramscht würden.2
Erweiterte Optionen für digitales Branding bietet der eigene Onlineshop – ein möglicher nächster Schritt im Ausbau der digitalen Vertriebskanäle. Mit sogenannten Content-und Commerce-Lösungen, die eine Verbindung von Unternehmenswebsite und Shop erlauben, haben Hersteller vielfältige Präsentationsmöglichkeiten.
Eigene Onlineshops – Vorteile für Markenhersteller
Markenprodukte können hier im eigenen Umfeld präsentiert werden; die Vorteile eines solchen „Heimspiels“ gehen über ein gut gestaltetes und wiedererkennbares Layout der Website weit hinaus: Durch die Verknüpfung mit für den User interessanten Inhalten wie News, Events oder einen Blog entsteht eine lebendige und spannende Markenwelt. Das erfordert einen gewissen Aufwand, denn Inhalte, die bereichern und Stories, die fesseln, wollen gut recherchiert und formuliert sein. Häufig ist diese Contenterstellung aber auch schon Teil der Markenpflege des Unternehmens – auch online und in den sozialen Medien. Bekannte Marken werden zudem häufig direkt über Google gesucht. Das entsprechend hohe Potential, Besuche auf der Website des Markenherstellers zu generieren, sollte auch genutzt werden – gerade jüngere Besucher erwarten sogar, dort einen Onlineshop zu finden.
Laut einer Studie des ECC Köln3 nennen Kunden als häufigste Gründe, warum sie online direkt beim Hersteller statt bei einem Händler gekauft haben, ausführlichere Informationen zum Markenprodukt und größere Auswahl an Produkten der Marke. Entsprechend sollten Hersteller ihr Augenmerk auf umfassende und übersichtliche Produktdarstellung legen. Produktinformationssysteme (PIM) helfen dabei. Nützlich ist auch ein Nischenkonzept. Das können z. B. bestimmte Variationen oder limitierte Editionen sein, die es nur direkt beim Hersteller zu kaufen gibt.
Ein eigener Shop stärkt die direkte Interaktion mit den Endkunden, Unternehmen gewinnen damit genaue Einblicke in Kaufverhalten und Vorlieben ihrer Zielgruppen. Solche – im Rahmen des Datenschutzes – gewonnen Daten werden zu einem Kapitalfaktor. Die Zukunft gehört wohl den Firmen, die ihre Kunden am besten kennen, sich genau auf deren Bedürfnisse einstellen können sowie aufgrund von Mustern gezielt neue Nutzergruppen erkennen und erschließen können.
Eignet sich die Unternehmensmarke aufgrund ihrer Markenstory für die Internationalisierung, so bietet sich auch hier ein Onlineshop als kostengünstigere und effiziente Alternative zu einer Auslandstochter mit eigener Vertriebsstruktur an. Da zusätzlich zu den nötigen Anpassungen in Sprache und Währung auch unterschiedliche Versand- und Zahlungsbedingungen, rechtliche Vorgaben und kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen sind, bietet sich ein Multishopsystem an.
Trend: Produktinformation online – Kauf offline im Ladengeschäft
Generell bedeutet ein Hersteller-Onlineshop nicht zwingend, dass auch der Verkauf direkt über den Shop erfolgen muss. Eine Cross-Channel Lösung kann auch so aussehen, dass der Kunde seinen Warenkorb online im Shop erstellt und dann wählen kann, ob er seine Produkte online bestellen oder lieber vor Ort bei einem Händler abholen möchte – so wie in der Fallstudie zu EURONICS beschrieben. Nicht zuletzt lässt sich ein bestehendes Onlineshop-System auch für die B2B-Nutzung ausbauen; über einen zusätzlichen Shop können auch die Fachhändler mit eingebunden werden. Features wie Bündelbestellungen und Bestelllisten beschleunigen die Bestellvorgänge. Dadurch lassen sich Ressourcen bei der Betreuung des Fachhandels einsparen, die für den Betrieb des Onlineshops dringend benötigt werden.
Fallbeispiel EURONICS: Der digitale Marktplatz
Die Elektronikhandelskette EURONICS betreibt seit zehn Jahren eine Internetplattform, auf der Händler eigene Sub-Shopmodelle und Domänen umsetzen können. Das Interesse der Händler, hier online präsent zu sein, stieg in den letzten Jahren immer stärker, aber das System stieß an seine technischen Grenzen. Zudem erwies sich die manuelle Artikelpflege als Hemmschuh: Von den mehreren hunderttausend Artikeln, die EURONICS anbietet, waren nur etwa 1.500 im System abrufbar.
Eine neue digitale Markplatz-Plattform auf Basis von Shopware sollte Abhilfe schaffen. Die hohe Artikelanzahl und die Integration unterschiedlicher Händlerauftritte und Subshopsysteme stellten eine Herausforderung dar. Um Kunden nach dem Drive-to-Retail-Prinzip in die Läden vor Ort zu führen, brauchte man zudem eine leistungsstarke Lokalisierung.
Innerhalb von zehn Monaten wurde das Projekt durch NETFORMIC umgesetzt. Dabei kamen FACT-Finder (auch zur Geolokalisierung) und die Middleware brickfox zum Einsatz. Im Ergebnis wurde die Artikelzahl auf 51.000 erhöht, eine weitere Aufstockung auf bis zu 100.000 Artikel wie auch die Entwicklung neuer Features sind kurzfristig umsetzbar. Auftragszahlen und Umsatz sind seit der Einführung der Plattform signifikant gestiegen.
Für die Kunden ist das neue System vor allem bequem: Wer im Onlineshop einen Artikel zum Kauf auswählt, bekommt den nächstgelegene Händler angezeigt, der diesen Artikel vorrätig hat. Führt kein Händler in der Nähe das gewünschte Produkt, so wird es durch den am nächsten gelegenen oder das EURONICS Zentrallager zum Versand angeboten. Ulrich Seibel, Leiter Shopsysteme bei EURONICS Deutschland eG: „Die Preis- und Beratungshoheit verbleibt dabei aber immer beim jeweiligen regionalen EURONICS Partner. Dieser Aspekt war uns auch im Vorfeld wichtig, um das Vertrauen unserer Fachhändler für das neue Konzept zu gewinnen.“ Abholung oder Rückgabe bei einem beliebigen Händler sowie eigene Liefer- und Installationspakete durch den Fachhändler ergänzen den Cross-Channel Ansatz.
Fazit
Unternehmen sollten die Chancen eigener digitaler Kanäle auch im Vertrieb aktiv nutzen, um für die Zukunft sicher positioniert zu sein. Die Optionen sind vielfältig, spätere Erweiterungen sollten nach Möglichkeit schon in der Planung berücksichtigt werden. Am Anfang steht daher auch in diesem Fall die Erarbeitung einer ganzheitlichen digitalen Strategie. Gerade bei der erstmaligen Planung und Umsetzung digitaler Vertriebskonzepte sollte man die Erfahrung spezieller E-Commerce Agenturen nutzen.
Autor

Timo Weltner ist Founder und CEO der NETFORMIC GmbH. Als E-Commerce Experte bietet er Herstellern, der Industrie und Genossenschaften umfassende Branchen- und Technikkenntnisse zur Entwicklung und Optimierung digitaler Unternehmensstrategien. Dabei ist aus zahlreichen und komplexen B2B und B2C Projekten ein stabiles Bestandskundengeschäft entstanden.