Websites und Content Management im Zeitalter der digitalen Transformation

Die digitale Transformation schreitet exponentiell voran. Die Website bildet dabei nach wie vor den Kern der Onlinepräsenz eines Unternehmens, doch sie muss heute von Grund auf neu gestaltet sein: dynamisch, responsive und radikal zugeschnitten auf die Bedürfnisse des Kunden. Dabei gerät das klassische Content Management zunehmend an Grenzen, denn die eigene Website ist längst nicht mehr der alleinige Ort, an dem Content über das eigene Unternehmen publiziert wird.
Bereits seit zwanzig Jahren bildet die Website das Zentrum der digitalen Aktivitäten eines Unternehmens. Als Wegweiser und Werbetafel in einem richtet sie sich an eine Anzahl unterschiedlicher Zielgruppen: Kunden, Lieferanten, Bewerber, Journalisten, Investoren und viele weitere Akteure. Jeder einzelne davon ist auf der Suche nach bestimmten, auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnittenen Informationen und Services. Bis vor kurzem genügte es, die im Unternehmen vorhandenen Informationen redaktionell aufzuarbeiten, nach dem Gießkannenprinzip in die Websitestruktur einzubinden und darauf zu vertrauen, dass die relevante Zielgruppe diese dort abholt.
Doch die digitale Transformation ändert alles – so auch die grundlegenden Anforderungen an eine Website. Wir leben bereits heute in einer Allgegenwart vielfältiger, miteinander verbundener Devices. Ganze Geschäftsfelder werden in digitale Produkte umgewandelt oder zumindest in erheblicher Weise mit digitalen Services verknüpft. So kommt heute kaum ein Kaufprozess ohne digitalen Teilschritt aus. Eine ganze Schar von Diensten und Social Media Kanälen macht der Website die Exklusivität auf die eigene Information streitig. Der gesamte Prozess wird geprägt durch den radikalen Wandel, weg von dem Fokus auf das eigene Unternehmen, hin zu einer Fokussierung auf die Bedürfnisse des Kunden. Die zunehmenden Umwälzungen klassischer Branchen, wie z. B. die der Musikindustrie, machen deutlich, dass nicht diejenigen Unternehmen erfolgreich sein werden, die die Chancen der digitalen Transformation rein aus einer Optimierungsperspektive betrachten. Nur Unternehmen, die bereit sind, ihre Geschäftsprozesse digital von Grund auf und aus Nutzersicht neu zu definieren, werden Erfolg haben. Nicht länger inside out, sondern outside in ist die Devise.
Content Excellence is King
Die Frage, wie sich Websites von Unternehmen in den kommenden Jahren verändern werden, ist untrennbar mit der Frage verknüpft, welche Erwartungen der Nutzer an eine Website hat. Insbesondere die sogenannte Generation Y ist es leid, mit Informationen überflutet zu werden, die keinerlei Relevanz für sie haben. Jeder Besucher einer Website hat ein konkretes Anliegen, sei es der Kauf eines Produktes, die Suche nach einem neuen Job oder das Auffinden des Geschäftsberichtes. Je genauer das Unternehmen die konkreten Anliegen seiner Zielgruppen kennt und versteht, desto besser gelingt es ihm, seine Zielgruppen mit relevantem Content zu versorgen. Wie elegant Relevanz direkt in Conversion umgewandelt werden kann, zeigt beispielsweise der Produktberater der Samsung TV-Sparte, der neben einer gestrafften E-Commerce-Lösung, eine interaktive, auf die individuellen Bedürfnisse von Kunden eingehende Bedarfsanalyse anbietet.
Relevanz bedeutet auch, den Mut zu haben, Unwesentliches wegzulassen. Ein Unternehmen muss nicht alles publizieren, was publiziert werden könnte oder von dem es den bloßen Verdacht hat, es könnte irgendjemanden, irgendwann einmal interessieren. Stattdessen sollte es Zeit darin investieren, die eigenen digitalen Assets zu identifizieren, diese mit signifikanten Bedürfnissen der Nutzer zu verknüpfen und den eigenen Auftritt radikal darauf zuzuschneiden. Vergleicht man zum Beispiel die amerikanische Website der Virgin Airlines mit Websites anderer etablierter Fluggesellschaften, so hat man das Gefühl, es mit einem kleinen Startup zu tun zu haben: In einem nahezu minimalistischen Look konzentriert sich die Seite konsequent auf die zentralen Use Cases des Fluggastes, was dem Kunden nicht nur ein optimiertes Einkaufserlebnis beschert, sondern ihn auch dabei unterstützt, schnell und unkompliziert an die relevante Information zu gelangen.
Die wichtigste Kennzahl für Relevanz lautet Geschwindigkeit. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Nutzer im Umgang mit Websites immer schneller und ungeduldiger werden. Um User und potenzielle Kunden nicht zu verlieren, müssen Websites also nicht nur in technischer Hinsicht schneller gemacht werden, sondern sie müssen auch schneller verstanden werden können. Designs und Inhalte, die den Nutzer behindern und ihn aus dem Fluss bringen, haben letztendlich dieselbe fatale Auswirkung wie Websites, die zu langsam laden: der Nutzer sucht das Weite. Google ist vermutlich das weltweit einzige Unternehmen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, dass Nutzer die eigene Website so schnell wie möglich wieder verlassen sollen. Was zunächst paradox erscheint, kann jedoch in Hinblick auf Relevanzerzeugung völlig neue Perspektiven eröffnen. Denn auch wenn das eigene Geschäftsmodell auf den ersten Blick rein gar nichts mit Google gemeinsam hat: Das Ziel ist nicht, den Nutzer so lange wie möglich auf der eigenen Website zu halten, sondern ihn so schnell wie möglich zur Conversion zu bewegen.
Der größte Feind von Geschwindigkeit sind überladene, skeuomorphe, also an nicht-digitalen Werbeformen orientierte Designs sowie gewachsene Website-Landschaften. Letztere bringen Unternehmen heutzutage nicht nur wegen der hohen Kosten für Pflege und Suchmaschinenoptimierung in Bedrängnis, sondern schlagen sich inzwischen auch merkbar auf der Umsatzseite nieder: Wer vor lauter Wildwuchs in einer angemessenen Zeit nicht findet, was er sucht, sucht andernorts weiter.
Immer und überall
Schnell an relevanten Content zu kommen, hängt eng mit dem Wunsch zusammen, Informationen immer und überall zur Verfügung zu haben. Mobile Endgeräte sind längst keine Nische mehr, sondern haben sich in den letzten Jahren zum dominanten Medium des Webs entwickelt. Bei der Mobilisierung ihrer Inhalte setzen viele Unternehmen immer noch auf eine separate mobile Website, die dem Nutzer in Abhängigkeit seiner Umgebung und der mit dieser Umgebung vermuteten Endgeräte ausgewählten Content liefern soll. Dass die Auswahl nur vermeintlich den Kundeninteressen entspricht, zeigt die mobile Website des Autovermieters Sixt. Wer diese mit dem Smartphone aufruft, erhält eine gegenüber der Desktopvariante stark verkürzte, auf den Use-Case Autoanmietung begrenzte Version. Andere wichtige Onlineservices vom Leasingangebot, über das Kundencenter bis hin zu Stellenausschreibungen sind für mobile Nutzer nur schwer zu erreichen. Hier werden hohe Abbruchquoten und ungenutzte Conversion in Kauf genommen.
Responsives Webdesign ist in den meisten Fällen die geeignetere Variante, denn sie bevormundet den Nutzer nicht, welche Inhalte er mit welchem Endgerät zu konsumieren hat. Dass Mobilisierung auch in den kommenden Jahren einer der Haupttreiber für digitale Projekte bleiben wird, zeigt exemplarisch eine von TWT Interactive durchgeführte Studie von über 60 Webseiten deutscher Versicherer, nach der erst rund 30 Prozent der Webseiten responsiv umgesetzt sind.
Wo befindet sich meine Zielgruppe?
Ungleich komplexer für Unternehmen ist die Herausforderung, dass die eigene Website längst nicht mehr der alleinige Ort ist, an dem Content von oder über das eigene Unternehmen publiziert wird. Pressemeldungen werden auf LinkedIn oder Flipchart gelesen, Quartalsberichte auf Finanzportalen, Stellenanzeigen auf Monster, Stepstone oder mittlerweile auch auf Stack Overflow. Wer wissen will, wie es sich in einem Unternehmen arbeiten lässt, besucht jobvent oder im deutschsprachigen Raum kununu. Produktpräsentationen lassen sich bequem auf Youtube, Instagram, Slideshare und Perioscope finden. Welche Vorteile hat es für den Nutzer, diese Inhalte auf externen Diensten und nicht auf der Website des Unternehmens zu konsumieren?
- Transparenz: Der Content auf Drittdiensten genießt eine höhere Vertrauenswürdigkeit und Authentizität, insbesondere wenn der Verfasser kein Mitarbeiter des Unternehmens ist.
- Orientierung: Der Nutzer ist im Umgang mit den jeweiligen Diensten erfahren und weiß, wie er die gesuchten Informationen schnell finden kan.
- Unabhängigkeit: Der Nutzer muss sich nicht auf einen Anbieter festlegen, sondern kann sich auf das gewünschte Angebot konzentrieren.
Wir haben es also inzwischen mit einem komplexen Ökosystem zu tun, in dem sich der eigene, redaktionell kontrollierbare Content mit fremdem, autonomem Content mischt. Wer in dieser Entwicklung nach wie vor nur Gefahren für das eigene Geschäft sieht, wird auf kurz oder lang seine Zielgruppe verlieren. Wer hingegen die Chancen erkennt und nicht ungenutzt lassen will, muss seinen Content dort platzieren, wo sich die eigene Zielgruppe aufhält.
Zusätzliche Komplexität entsteht in diesem Zusammenhang aus dem Umstand, dass das beschriebene Ökosystem keinesfalls stabil, sondern im Gegenteil hochdynamisch ist. Ständig kommen neue Dienste hinzu, die Zielgruppen anlocken und gleichsam bestehende, eben noch hoch frequentierte Dienste überflüssig machen. Als Facebook 2010 von FastCompany zur Most Innovative Company gekürt wurde, existierte Instagram noch nicht. Heute hat Instagram bereits mehr als 300 Millionen aktive monatliche Nutzer und Facebook verzeichnet stark rückläufige Nutzerzahlen. Um diesen Verschiebungen nicht hinterher zu hinken, müssen Unternehmen das eigene Content-Ökosystem ständig beobachten und in Hinblick auf die erzielbaren Chancen bewerten und nutzen. Grundsätzlich können diese Chancen nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das zeigt unter anderem eine aktuelle Studie von Faktenkontor, aus der hervorgeht, dass über 27 Prozent der Social Media-Nutzer in Deutschland bereits eine Kaufentscheidung aufgrund von privaten Empfehlungen in Sozialen Medien getroffen haben.
Die neue Rolle der Website
Bedeutet diese Entwicklung also, dass die eigene Website in Zukunft überflüssig werden wird und sich Content nur noch auf die sozialen Medien verteilt?
Obwohl Unternehmen die Bedeutung von Social Media für Kaufentscheidungen nach wie vor unterschätzen und wertvolles Potential verschenken, kann grundsätzlich Entwarnung gegeben werden: Auch in Zukunft wird die eigene Onlinepräsenz eine wichtige Funktion haben. Schließlich ist sie der einzige verbleibende Ort im Netz, in dem ich mich als Marke sowohl funktional als auch gestalterisch vom Wettbewerb differenzieren kann – und das autonom und ohne Preisgabe von Daten.
Doch die Rolle der Website wird zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere sein als heute. Zwar wird die Website auch weiterhin im digitalen Mittelpunkt eines Unternehmens stehen, aber neuerdings in Kombination mit den besten Funktionen und Angeboten im Netz. Die eigene Präsenz verteilt sich damit zukünftig auf viele Orte und Medien und bleibt zugleich in einem zentralen Ort verankert, der die vielfältigen Aktivitäten spiegelt und sinnvoll miteinander verknüpft.
Vom Content zum Experience Management
Als direkte Folge der vorgenannten Entwicklungen spricht vieles dafür, dass sich auch der konventionelle Markt für Web Content Management Systeme in den nächsten Jahren stark verändern wird. Je weiter die digitale Transformation voran schreitet, desto größer wird der Druck auf Unternehmen, ein umfassendes Kundenerlebnis bereitzustellen. Aus diesen Gründen kann Content Management zukünftig nicht mehr isoliert betrachtet werden. Es besteht nur in direkter Zusammenwirkung mit Social Media-Marketing, Digital Asset Management, Customer Engagement und Brand Management – eine Kombination, die allen berechtigten Vorbehalten gegenüber Buzzwords zum Trotz heutzutage treffend als “Web Experience Management” zusammengefasst wird.
Anbieter von Content Management Systemen müssen umfassende Lösungen entwickeln, die ein beständiges Kundenerlebnis über alle Kanäle und Geräte hinweg gewährleisten. Der Erfolg wird im Besonderen von der Fähigkeit abhängen, sich in die Content-Ökosysteme zu integrieren, die verschiedenen Orte, an denen Content von oder über mich publiziert ist, intelligent miteinander zu verknüpfen, und die Rückkanäle meiner User nutzenstiftend in den eigenen Auftritt einzubeziehen. Der letzte Punkt ist besonders wichtig, weil relevanter Content, wie ihn die Zielgruppen erwarten, längst nicht mehr ausschließlich von der hauseigenen Redaktionsabteilung bereit gestellt werden kann. Die Contentproduzenten von Morgen sind ebenso die Bewerber, Kunden, Lieferanten und andere Stakeholder des Unternehmens. Je leichter es ihnen die Software macht, Content auch von außerhalb der eigenen Systemgrenzen einzubringen, desto stärker werden sich die Effekte eines integrierten Content Managements als logistisches Herzstück sämtlicher Marketing- und Produktinhalte auszahlen.
Integration bedeutet in diesem Zusammenhang im Übrigen nicht zwangsläufig komplexe, kosten- und zeitintensive Schnittstellen. Das würde auch keinen Sinn machen. Denn dafür ändern sich Geschäftsmodelle, Dienste und Plattformen und Kundenbedürfnisse im Zeitalter der digitalen Transformation zu rasant. Also weniger Integrationswahn, mehr Vielseitigkeit – und zwar in Form von API-basierten Diensten, die eigenständig nebeneinander bestehen können und vom Benutzer doch als organisches Ganzes wahrgenommen werden. Tools wie IFTTT oder Zapier machen schon heute vor, wie unkompliziert eine Integration verschiedenster Dienste bald auch im Enterprise-Umfeld sein könnte. Denn wenn eines im Zusammenhang mit der digitalen Transformation gilt, dann, dass sich alles schneller ändert, als man glaubt. Move fast and break things. Die Web Content Management Systeme müssen keine Bremsklötze dieser Entwicklung sein, sondern deren Beschleuniger.
Autor

Marc Heydrich ist Mitglied der Geschäftsleitung der TWT Interactive Group, einer Full-Service-Digitalagentur, die sich auf innovative Lösungen für die Digitale Transformation von Unternehmen spezialisiert hat. Seit über 15 Jahren berät und betreut Marc Heydrich erfolgreich Unternehmen im digitalen Business, darunter Kunden wie Commerzbank, GEFA oder E.ON.