Was? What? ¿Qué? Quoi? – Fallstricke auf dem Weg zum internationalen Onlinehandel

Die Landesmärkte wachsen weltweit zusammen – diese Entwicklung hat auch mittelständische Händler erreicht. Internationale Strategien sind nicht mehr den DAX- und NYSE-Giganten vorbehalten. Kleine und mittelständische Händler erleben wachsenden Druck, aber auch Chancen, sich internationale Nischen zu erobern. Sobald sie jedoch eine neue Region erschließen möchten, müssen sie ihr Geschäft und ihre Kommunikation neuen Kundenerwartungen, Sprachen und Kulturen anpassen, offline wie online.
Die EU-Kommission hat unlängst ihre Strategien für einen digitalen europäischen Binnenmarkt präsentiert. „Zäune und Mauern“ sollen endlich eingerissen werden. Obwohl die Politik sicher noch mehr leisten könnte, wachsen die Märkte schon länger unaufhaltsam zusammen. Ein Trend, der insbesondere den Onlinehandel längst erfasst hat. 58 Prozent der deutschen Internetnutzer shoppen bereits über Ländergrenzen hinweg, zwei Drittel sind am internationalen Kauf interessiert, so eine aktuelle Studie von Fittkau & Maaß Consulting aus dem zweiten Quartal 2015. In unseren Nachbarländern sieht es wenig anders aus. Globale Kunden in ihrer jeweiligen Muttersprache anzusprechen, war für Onlinehändler daher nie erfolgskritischer als heute. Aber eine Übersetzung ist nur die erste Stufe bei der Adaption von Inhalten. Danach folgt die Lokalisierung des Shops, zu der unter anderem die Anpassung von Design, Layout, marktspezifischem Content, Berücksichtigung kultureller Besonderheiten und Produktspezifikationen gehören.
Die Übersetzung
International orientierte Händler sehen sich schnell einer Vielzahl verschiedener Definitionen und Stufen der internationalen Adaption von Onlinepräsenzen gegenüber. Am zielführendsten sind zunächst die Übersetzung und anschließende Lokalisierung von Content und Webseiten. Bei der Übersetzung wird unterschieden zwischen maschineller und menschlicher Übersetzung sowie Mischformen:
- Maschinell: Dies meint die automatische Übersetzung mittels eines Computerprogramms. Sie kann direkt erfolgen, in dem Texte Wort für Wort und in der gleichen Reihenfolge in die Zielsprache übertragen werden, oder statistisch, indem Wörter und ihre Beziehung zueinander bei Vergleichstexten ausgezählt werden. Die Übersetzung kann auch semantisch erfolgen, indem Sätzen und Satzteilen eine Bedeutung zugeordnet wird, die sich aus der grammatischen Struktur des Quelltextes ableitet. Außerdem gibt es Mischformen dieser Ansätze.
- Maschinell-menschlich: Hier werden – vor oder nach der maschinellen Übersetzung – menschliche Übersetzer bei den schwierigsten, mehrdeutigen Passagen eingeschaltet.
- Menschlich: Dabei übernehmen Übersetzer – Freelancer, festangestellte Mitarbeiter oder Übersetzungsagenturen – die komplette Aufgabe. Außerdem gibt es eine Crowdsourcing-Variante, bei der eine Gruppe von nicht-professionellen Übersetzern (etwa Studenten oder Freiwillige) gemeinsam einen Text übersetzt. Dies ist die kostengünstigste Variante menschlicher Übersetzung und wird häufig bei Kunden-Reviews und sozialen Inhalten verwendet.
Übergreifend gilt derzeit noch: Je stärker Menschen eingebunden sind, umso besser die Qualität und umso höher die Kosten der Übersetzung. Kein Handelsunternehmen kann es sich erlauben, Content ausschließlich maschinell zu übersetzen.
Die Lokalisierung
Im Gegensatz zur Übersetzung ist die Lokalisierung der Prozess, eine Webseite für ein Land oder eine Region durch das Hinzufügen marktspezifischer Inhalte, Features, Layout und Designelemente anzupassen. Dabei muss es sich aber nicht nur um eine komplette Webseite handeln. Auch einzelne Texte, Sätze, Bilder oder Buttons können lokalisiert, also an die Besonderheiten eines Landes oder einer Region angepasst werden.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass die Lokalisierung auch einen direkten Einfluss auf Designelemente oder Layout der Onlinepräsenz haben kann. Und das nicht nur, weil eine Schrift nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach links gelesen wird. So können Texte schon in der Übersetzung deutlich länger oder kürzer werden. Mandarin etwa benötigt im Vergleich zum Englischen bis zu 70 Prozent weniger Platz. Spanisch hingegen bis zu 40 Prozent mehr. Auch können Farben andere kulturelle Bedeutungen haben und Teile von Rich Media als irreführend, anstößig oder gar ungewollt komisch wahrgenommen werden. Das führt schnell dazu, dass Shop-Länderseiten komplett anders als im Master aussehen, Inhalte und Produkte nicht übernommen, geändert oder ausgetauscht werden. Teilweise muss auch die Navigation geändert und an die Marktvorgaben angepasst werden. Und das alles, ohne die Identität des Shops aufzugeben.
Unterstützen kann hierbei das Web Content Management (WCM)-System. Die Entscheidung, was und wie viel angepasst oder lokalisiert werden muss, kann das Programm dem Händler nicht abnehmen. Wichtig sind dafür das Feedback und die Erfahrung von Mitarbeitern, Dienstleistern oder Marktforschern vor Ort. Sind dann eindeutige Regeln für ein Land oder eine Region entschieden, kann die geeignete Software aber die Zusammenarbeit zwischen Redaktion und IT vereinfachen und so die Lokalisierung von Inhalten erheblich erleichtern.
Im Adaptions-Dschungel
Für die Entscheidung, wie sehr Inhalte und Webseiten für andere Regionen oder Länder angepasst werden müssen, sind verschiedene Fragen und Faktoren ausschlaggebend:
- Markt: Wie groß ist der relevante Markt für die Produkte, den die Website abdecken soll? Wie präsent ist der Händler im jeweiligen regionalen Markt? Gibt es Ansprechpartner, ist Feedback und Dialog mit den Kunden gewünscht? Wie viele unterschiedliche Kulturkreise sollen bedient werden? Dies lässt sich nicht immer rein geographisch beantworten. In wie viele Sprachen soll die Master-Seite mit welchem Ressourceneinsatz übersetzt werden? Ein Land kann durchaus mehrere Sprachen aufweisen.
- Unternehmen: Wie ist der Händler aufgebaut – zentral oder dezentral? Dies hat Einfluss auf Arbeitsabläufe, Abstimmungs- und Publikationsprozesse bei Übersetzungen und Lokalisierungen und auf den Austausch und die Verwaltung von Content. Wie hoch ist das Budget pro Website? Je wichtiger Markt und Zielgruppe der jeweiligen Website sind, desto höher das Budget. Je höher das Budget, umso weniger sollte die Adaption automatisiert und umso stärker Content lokalisiert werden.
- Website: Welche URLs sollen verwendet werden – Country-Code Top-Level Domains (ccTLDs), Subdomains oder URLs in nicht-lateinischer Schrift, wie sie die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) nun zulässt? Wie hoch ist die Bedeutung der Website? Je nachdem, wie wichtig die Region für den Händler ist, muss zwischen der Bandbreite von maschineller Übersetzung der Texte bis hin zu menschlicher Lokalisierung der kompletten Seite entschieden werden. Auch Suchmaschinenoptimierung funktioniert nicht universell. Für jede Sprache (und manchmal sogar Dialekt) und vor allem für jeden Markt müssen Schlagworte gefunden und nach Bedeutung evaluiert werden. Letztlich stellt sich die Frage nach dem Seitenaufbau: Wie werden Seiten zusammengebaut – statisch oder dynamisch durch die Trennung von Inhalt und Layout? Dies hat Einfluss auf Spielräume bei der Lokalisierung und den zu betreibenden Aufwand für eine – nicht nur sprachliche – Anpassung.
- Kanäle: Welche Touchpoints werden in welchem Land bespielt? Ist das Online Design nicht nur responsiv, sondern auch adaptiv? Und das für jede Seite, auch wenn der Lesefluss von rechts nach links verläuft? Je nach Marktdurchdringung mobiler Smartphones müssen Anbieter diese verstärkt berücksichtigen; in Entwicklungsregionen werden dabei oft noch primär Feature Phones genutzt. Welche sozialen Kanäle sind im Land wichtig und in welchen Sprachen? Wie können sie in den jeweiligen Websites eingebunden werden? Wie sollen und können Inhalte verschiedener Websites geteilt werden? Wie stark wird der Inhalt an den sprachlichen und kulturellen Kontext des Besuchers angepasst? Eine IP-Adresse auszulesen gibt nicht unbedingt eine valide Information über die Sprache des Nutzers. Außerdem ist es sinnvoll, verschiedene Personas für einzelne Regionen oder Länder zu verwenden, die die Vorlieben unterschiedlicher Zielgruppen widerspiegeln.
Diese Aufzählung ist nicht vollständig; spätestens jetzt dürfte aber klar sein, dass das Erstellen und Verwalten von internationalen, mehrsprachigen, lokalisierten Onlinepräsenzen zu den anspruchsvollsten Aufgaben im Bereich WCM zählt.
Multi-Content Management: Zentral oder dezentral?
Webpräsenzen können zentral oder dezentral verwaltet werden. Überspitzt gesagt, bewegt man sich dabei im Spannungsfeld von Fixkostendegression durch Economies of Scale und Kampf der Kulturen durch verstärkte Präsenz von „Länderfürsten“.
Zentral bedeutet, dass es eine Master Site zu pflegen gilt, die alle anderen Seiten mit Content versorgt. Dieser Master Content wird dann von den Länderseiten übersetzt und gegebenenfalls lokalisiert. Die Hierarchie verläuft hier klar von oben nach unten, wobei den Länderseiten mehr oder weniger Freiraum zugestanden wird; sie agieren aber nicht autonom. Außerdem nutzen alle ein und dasselbe WCM-System. Dies hat die Vorteile von klar strukturierten Arbeits- und Übersetzungsprozessen, Konsistenz im Markenaufbau und in der Kommunikation nach außen und Fixkostendegression durch das Ausnutzen von Economies of Scale. Bei Händlern, die ein zentrales Hauptquartier und verschiedene Länder-Dependancen unterhalten, spiegelt dieser Ansatz häufig die Unternehmensstruktur wieder.
Bei der dezentralen Verwaltung agiert jede Website autonom. Es werden manchmal verschiedene WCM-Systeme genutzt, die nicht oder wenig miteinander kommunizieren und nicht integriert sind. Dies hat den Vorteil, dass schnell auf Besonderheiten vor Ort eingegangen und flexibel reagiert werden kann, ohne sich abzustimmen. Dafür wird die Konsistenz im Marken- und Unternehmensauftritt gefährdet. Sollen verschiedene WCM-Systeme miteinander verbunden werden, bedeutet dies außerdem erhebliche Mehrkosten.
"Es braucht mehr als nur ein flexibles WCM-System – sondern eine digitale Plattform für Kundenerlebnisse, die den hochkomplexen Aufgaben gewachsen ist."
Plattform statt System
Damit ein Händler in jeder Onlinepräsenz, Sprache, Region und auf jedem Kanal seinen Kunden ein fesselndes digitales Erlebnis liefern kann, braucht er mehr als nur ein flexibles WCM-System – er braucht eine digitale Plattform für Kundenerlebnisse, die dieser hochkomplexen Aufgabe gewachsen ist. Offene Schnittstellen (APIs) erlauben die nahtlose Integration externer Anbieter in die Prozesse. Vorgefertigte Übersetzungs-Workflows erleichtern die Zusammenarbeit zwischen den Ländern. So können von Menschen übersetzte oder überarbeitete Inhalte im System als lokalisierter und Master Content nebeneinander dargestellt, parallel gescrollt und Änderungen eines Feldes direkt angezeigt werden.
Mit der richtigen Plattform wird die Frage nach zentral oder dezentral überflüssig, da sie in ein bestehendes System integriert werden und mit anderen Lösungen kooperieren kann. Außerdem können lokalisierte Websites komfortabel und automatisch von der Master Site abgeleitet und mit Content ausgestattet werden. Diese Ableitungsmöglichkeit erspart Händlern Projektkosten und steigert die Effizienz des Teams.
Ein langer Atem
Die Lokalisierung der Onlinepräsenzen und -inhalte ist ein hochkomplexes Unterfangen, das nur langfristig umgesetzt werden kann, damit es dauerhaft erfolgreich ist. Ein Händler muss eine Vielzahl von Entscheidungen treffen, die individuell vom jeweiligen Unternehmen, der Geschäftsstrategie und den Ressourcen abhängen. Eine einheitliche Lösung „von der Stange“, die für jedes Unternehmen passt, gibt es nicht. Ist ein persönliches Maßmodell gefunden, sollten Händler schrittweise vorgehen und dem sogenannten Pareto-Prinzip folgen: Konzentrieren Sie sich zunächst auf die 20 Prozent der ausländischen Märkte, die 80 Prozent Ihres Umsatzes einfahren, und liefern Sie ihnen qualitativ hochwertig lokalisierten Content. Für die verbleibenden 80 Prozent, die 20 Prozent Ihres Umsatzes ausmachen, können Sie danach prüfen, ob (teil-) automatisierte Übersetzungen ausreichend sind.
"Konzentrieren Sie sich zunächst auf die 20 Prozent der ausländischen Märkte, die 80 Prozent Ihres Umsatzes einfahren."

Exkurs: Sensible Lokalisierung
Wie aktuell das Thema ist und wieviel Vorsicht eine Marke beim Lokalisieren walten lassen muss, zeigt der jüngste Launch des Online-Formular WordSafety.com. Denn: Manche Namenskreationen mögen im Kontext der eigenen Sprache klangvoll sein, in anderen Sprachen kann dies aber schnell anders aussehen. „Vicks“ zum Beispiel, eine internationale Marke für Erkältungsprodukte von Procter & Gamble, ist kein guter Name für den deutschen Markt – weil das V wie F gesprochen wird und daher eher schmutzig als sauber klingt. Auch deshalb firmieren die Produkte in Deutschland und Österreich unter dem Markennamen „Wick“.
Über ein Formular auf der Website kann jeder nun anonym Firmen- oder Produktnamen eingeben. Anschließend überprüft WordSafety, ob die Namen eine negative Bedeutung in einer anderen Sprache haben könnten. So sollen markenschädliche Peinlichkeiten von vornherein ausgeschlossen werden. Laut Betreiber umfasst die Seite aktuell bereits über 3.000 Wörter und phonetische Variationen in 19 Sprachen, darunter Deutsch, Englisch, Russisch oder Chinesisch.
Autor

Arne König, Content Marketing Manager bei CoreMedia: Als Content Marketing Manager ist Arne König bei CoreMedia für die Lokalisierung US-amerikanischer Inhalte für den deutschsprachigen Markt, Social Media und Content-Strategien verantwortlich. CoreMedia ist Anbieter einer der führenden Plattformen für digitale Erlebnisse und unterhält Büros in Hamburg, San Francisco, Washington, London und Singapur. Seit mehr als 19 Jahren unterstützt CoreMedia bedeutende internationale Marken bei der Umsetzung ihrer Online-Strategien.
www.coremedia.com
https://www.xing.com/profile/Arne_Koenig2