Nutzer Ihrer Produkte entscheiden über Ihren Erfolg – wettbewerbsfähig bleiben mit Usability-Engineering

Seit Jahren ist Usability (= Gebrauchstauglichkeit) in aller Munde, fast alle Unternehmer haben schon davon gehört, darüber gelesen, sich informiert, dass Thema als wichtig und sinnstiftend eingestuft. Der Bedarf an Usability-Umsetzung steigt in allen Branchen, denn nie zuvor wollte der Nutzer in einem immer größer werdenden Ausmaß im Mittelpunkt der Produktentwicklung stehen, somit ist Usability mittlerweile ein nicht zu unterschätzender und vom Kunden wahrgenommener Wettbewerbsvorteil geworden. Dennoch schrecken gerade KMU beim Thema Usability oft zurück. Warum? Eine Antwort auf diese Fragestellung liefert die Studie: „Gebrauchstauglichkeit von Anwendungssoftware als Wettbewerbsfaktor für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)“ , welche belegt, dass speziell in kleineren und mittleren Unternehmen Know-how und Budget nicht für die Thematik Usability zur Verfügung gestellt werden können bzw. nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Was für viele neu sein dürfte: Usability gibt es auch in klein.
Was versteht man unter Usability?
Usability definiert nach der DIN EN ISO 9241: „Gebrauchstauglichkeit ist das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Nutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.“
Die oben genannten 3 wichtigsten Eigenschaften von Usability: Effektivität, Effizienz, und Zufriedenstellung wurden ebenfalls von der ISO-Norm definiert. Laut ISO-Norm bezieht sich effektiv darauf, wie genau und vollständig ein Ziel zu erreichen ist, effizient beschreibt den Aufwand, der für das Erreichen des Ziels notwendig ist.
Zufriedenstellend wird definiert als: Freiheit von Beeinträchtigungen und positive Einstellungen gegenüber der Nutzung des Produkts.
Usability charakterisiert also die Qualität der Interaktion eines Benutzers mit einem System, einem Produkt oder einem Service in einem bestimmten Umfeld. Beachtet werden müssen auch die Überschneidungen zu kontextnahen Themenbereichen wie etwa Benutzerfreundlichkeit und User Experience.
Dieser Lebenszyklus nach Mayhew weist 3 wesentliche Phasen auf:
- Requirements Analysis (=Anforderungsanalyse)
- Design/Test/Development (= Design, Tests und Evaluation)
- Installation
Alle 3 Phasen sind eng miteinander verzahnt und implizieren viele unterschiedliche Elemente, durch welche die erfolgreiche Umsetzung gesichert werden soll.
Im Zuge der ersten Phase und somit im Bereich der Anforderungsanalyse werden zunächst erste Nutzerprofile und die Aufgaben der Nutzer festgelegt, auf Basis dieser ersten Schritte werden Systemanforderungen und Usabilityziele bestimmt.
Die zweite Phase ist diejenige, welche den Lebenszyklus nach Mayhew kennzeichnet und wird aufgrund ihrer enormen Bedeutung wiederum in 3 Ebenen gesplittet.
In der ersten Ebene steht die Neugestaltung der Arbeit und die Ausarbeitung eines konzeptuellen Designs im Mittelpunkt, sobald die hier gesetzten Ziele erreicht und durch Evaluation bestätigt wurden ist ein Übergang in die nachgelagerte, zweite Ebene vorgesehen. Ebene zwei beinhaltet die Entwicklung und die darauf folgenden Tests der entworfenen Prototypen inklusive deren iterativer Evaluation.
Der Übertritt in die letzte Ebene ist erst mit korrektem Abschluss der vorhergehenden Ebenen sinnvoll, hier wird die Entwicklung eines detailgetreuen Designs solange verbessert und iterativ evaluiert, bis die zuvor definierten Anforderungen erreicht sind.
Die dritte und zugleich letzte Phase im Usability Engineering Lifecycle nach Mayhew, ist die abschließende Installationsphase, in welcher mit Hilfe von Kunden-Feedbacks nochmals Verbesserungen stattfinden.
Dieses Modell ist gekennzeichnet durch die immer wieder stattfindenden Iterationen, welche bei Verfehlung der gesetzten Usabilityziele unter Umständen zu einer Wiederholung aller bisher getätigten Schritte führen kann.
Warum findet Usability nur wenig Anwendung in KMU?
Die Größe und der damit einhergehende Aufwand, welcher hinter der gewissenhaften und erfolgreichen Anwendung eines solchen Modells steht scheint zunächst ein berechtigtes Argument für KMU auf die Einbindung und Umsetzung von Usability meist gänzlich zu verzichten.
Weitere Hemmnisse liegen in den zeitlichen und personellen Ressourcen, zwar wünschen sich viele Unternehmen mehr Know-how im Bereich Usability, arbeiten aber nach eigenen Angaben oftmals nach dem Prinzip: „bei uns macht jeder alles“ und können nur geringe Ressourcen bereitstellen.
Auch die anfallenden Kosten von Usability Engineering dienen der Abschreckung, wobei diese, wenn man sie näher betrachtet im Verhältnis zum gestifteten Nutzen relativ gering sind, so lassen sich mit geringen Mitteln bereits Maßnahmen umsetzen, welche sehr zeitnah zu wahrnehmbaren Verbesserungen in der Gebrauchstauglichkeit führen und so über z. B. Senkung der Supportkosten aufgrund besserer Benutzerführung und damit einhergehender stärkerer Kundenbindung, folglich auch höherer Kundenzufriedenheit, die Investition rechtfertigen.
Des Weiteren steigt der Anteil der Maßnahmen nicht linear mit der Projektgröße, die Kosten bleiben also auch bei Großprojekten überschaubar.
Das Problem liegt demnach oftmals in einer falschen Kosten-Nutzen Einschätzung auf Unternehmerseite, der Erkenntnisgewinn wird fälschlicherweise von den verursachten Kosten überschattet.
Eine weitere nicht zu unterschätzende Hürde für die Implementierung von Usability Maßnahmen in den Geschäftsalltag von KMU liegt in der Einbettung des Usability Engineerings in sogenannte agile Softwareentwicklungsmethoden wie etwa SCRUM oder KANBAN, denn oft werden die sich dadurch ergebenden Zyklen als verlangsamende Belastung empfunden oder können nur schwer in den Produktentwicklungsprozess eingebunden werden, da sich derartige Prozesse in KMU ganz individuell gestalten.
Das gibt’s auch in klein – Usability für KMU
Die zuvor aufgeführten Usability-Methoden und -Aktivitäten können, je nach Bedarf und vor allem auch je nach freien Ressourcen, weitestgehend individuell angepasst werden. Im Fokus können unter anderem verkürzte Nutzeranalysen und schnelle, unkomplizierte Evaluationen stehen, die Ergebnisse können also direkt in der Produktentwicklung verwendet werden.
KMU sollten Ansätze verfolgen, welche mit wenigen Ressourcen einen unmittelbaren Nutzen für die Produktentwicklung sichtbar machen. Man muss sich bewusst auf ein überschaubares Problem und dessen Evaluation mit Hilfe kosten- und zeitsparender Methoden konzentrieren.
Die Essenz des Usability- Engineerings
Die seit März 2010 gültige ISO 9241-210 „Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher Systeme“ bringt den Kern des Usability-Engineerings auf den Punkt. Im Zentrum dieses Vorgehensmodells steht der Benutzer. Daher auch der Name benutzerorientierte Gestaltung oder auf Englisch: User-Centered Design (UCD). Dieses Vorgehensmodell beschreibt, wie Usability-Methoden im Entwicklungsprozess Anwendung finden. Es geht darum, zu beschreiben, wie und wann Benutzer systematisch in die Entwicklung von Software einbezogen werden können.
Die wichtigsten Schritte sind auf folgender Grafik genannt.
Die Schritte wurden wie folgt definiert.
1. Die Gestaltung basiert auf einem umfassenden Verständnis der Benutzer, Arbeitsaufgaben und Arbeitsumgebungen
2. Benutzer sind während der Gestaltung und Entwicklung einbezogen
3. Das Verfeinern und Anpassen von Gestaltungslösungen wird fortlaufend auf der Basis benutzerzentrierter Evaluierung vorangetrieben
4. Der Prozess sieht Iterationen vor
5. Bei der Gestaltung wird die gesamte User Experience berücksichtigt
6. Das Gestaltungsteam vereint fachübergreifende Kenntnisse und Gesichtspunkte
Entscheidend für den Erfolg von Usability-Engineering ist die Einbindung des zukünftigen Nutzers der Software während des Entwicklungsprozesses. Das haben alle benutzerorientierten Gestaltungsprozesse gemeinsam. Ob bei
- Usability Engineering Lifecycle von Deborah Mayhew [Mayhew 99]
- Contextual Design von Hugh Beyer und Karen Holtzblatt [Beyer & Holtzblatt 98]
- Goal Directed Design von Alan Cooper [Cooper & Reimann 07]
- Interaction Design Lifecycle von Jenny Preece [Sharp, Rogers & Preece 07]
oder eben bei dem benutzerorientierten Gestaltungsprozess nach ISO 9241-210.
Wie aufwändig und intensiv dieser Gestaltungsprozess durchgeführt wird, ist abhängig vom gesamten Projektvolumen. Die einzusetzenden Usability-Methoden sind sehr flexibel und lassen sich dem Projektumfang entsprechend leicht skalieren. Eine grobe „Hausnummer“, um ein Usability-Budget festzulegen, liegt bei 10% des Designbudgets (Jakob Nielsen). Das ist ein vergleichsweise geringer Aufwand, um sicherzustellen, dass die restlichen 90% optimal eingesetzt werden und nicht im schlimmsten Fall für eine schlecht zu bedienende Software verschwendet werden. Wer diesen Ansatz bei der Entwicklung verfolgt, wird bessere Software produzieren.
Was kann konkret „on low budget“ gemacht werden?
Aufwände entstehen beim Usability-Engineering bei der operativen Umsetzung von Usability-Methoden. Auf Grund der großen Anzahl an Methoden und der unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Methoden, lassen sich diese den Umständen entsprechend anpassen. Bspw. lässt sich die Methode User-Interface-Prototyping in drei Bereiche einteilen:
- Low fidelity UI-Prototype(z. B. Paper Prototyping): Einfache und schnelle Erstellung von Screen Designs auf einem Blatt Papier.
- Medium fidelity UI-Prototype (z. B. Power-Point Präsentation eines Use-Case anhand von mehreren Screen-Designs): Ein Prototyp beseht aus mehreren verknüpften Screen-Designs.
- High fidelity UI-Prototype (z. B. Klick-Dummy). Möglichst realistische Nachbildung von Benutzerinteraktionen mit der zukünftigen Software.
Jedem wird sofort bewusst sein, dass die 3 unterschiedlichen Ausprägungen des UI-Prototyping, unterschiedliche Aufwände mit sich bringen.
Einen Ausschnitt verschiedener Usability-Methoden während der einzelnen Software Entwicklungsschritte wird auf folgender Grafik dargestellt.
Falsche Annahmen in Bezug auf Usability
Usability ist teuer.
Diese Aussage ist kritisch zu betrachten. Korrekt ist, dass große IT-Unternehmen eigene Usability-Labs aufbauen, um ihre neue Anwendungssoftware zu entwickeln. Auch haben gut ausgebildete Usability-Experten ihren Preis. Wobei diese Tatsache grundsätzlich auf Experten in jeder Branche zutrifft. Kein Geheimnis ist es ebenso, dass umfangreich angelegte User-Tests, womöglich noch in mehreren Ländern umgesetzt, kein Schnäppchen sind.
Jedoch sind diese Projekte mit derartigem Umfang die Ausnahme. Die meisten Softwareentwicklungsprojekte sind mit wesentlich weniger Umfang umzusetzen und spielen in einer anderen Liga, wie SAP, Microsoft, etc.
Kleine und mittlere IT-Unternehmen benötigen kein voll ausgestattetes Usability-Lab. Der kleine Konferenzraum reicht in der Regel völlig aus, um aussagekräftige User-Tests durchführen zu können. Anstatt gut bezahlte externe Experten mit 10 Jahren Berufserfahrung für ein Projekt anzuheuern, lassen sich oftmals durch eigenen internen Know-how Aufbau und Transfer, z. B. durch Weiterbildungen, die Aufwände in Grenzen halten. International angelegte User-Tests sind nur dann sinnvoll, wenn die eingesetzte Software auch eine internationale Zielgruppe mit unterschiedlichen Anforderungen hat. Abgesehen davon gibt es international gültige Standards und Guidelines, die für jeden verfügbar sind. Sie beschreiben Regeln für die Gestaltung von Benutzeroberflächen.
- Nielsens Usability Heuristics [Nielsen 93]
- Google Design Guidelines [Google 2015]
- Apple Human Interface Guidelines [Apple 09]
- Guidelines von http://guidelines.usability.gov
- 247 web usability guidelines von www.userfocus.co.uk
Ausblick
Nutzer Ihrer Produkte entscheiden über Ihren Erfolg. Usability-Engineering dient dazu, die Erfahrung des Nutzers mit dem Produkt zu verbessern. Verbindet der Nutzer das Produkt mit einer guten „User-Experience“ wird er ein treuer Kunde werden und viel mehr, er wird das Produkt weiterempfehlen. Er wird über seine positiven Erfahrungen mit dem Produkt berichten und somit automatisch zum Botschafter des Unternehmens oder der Marke werden. Usability-Engineering lässt sich in allen Software Projekten sinnvoll und mit geringem Aufwand umsetzen. Es führt zu einem Mehrwert für den Kunden und einem Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen.
Autoren

Alina Ziegler ist Onlinemarketing Managerin bei der TechDivision eConsulting, sie kennt das Online Business sowohl aus Kundenseite – wie auch aus der Agenturperspektive. Sie ist Master of Arts (MA) der BWL sowie im Marketing und betreut Kunden aus B2B, B2C sowie NGO’s.

Moritz von Wardenburg betreut als Usability Engineer und Onlinemarketing Manager neue Webprojekte und bestehende Webseiten bei der TechDivision eConsulting.